Unterhalt
Rückforderung zu viel gezahlten Unterhalts und Aufrechnungsverbot
von RA Heinz Werner Ludwig, Köln
Oft stellt sich nachträglich heraus, dass der Unterhaltsschuldner zu viel Unterhalt gezahlt hat, weil ihm z.B. durch eine einstweilige Anordnung eine hohe monatliche Unterhaltszahlung aufgegeben worden ist und sich erst im Hauptverfahren ergibt, dass er weniger Unterhalt schuldet. Nachfolgend wird dargestellt, ob der Schuldner den zu viel gezahlten Unterhalt zurückfordern kann und ob er die Überzahlung z.B. mit dem Anspruch des Unterhaltsgläubigers auf laufenden oder künftigen Unterhalt verrechnen kann.
Rückforderungsanspruch ist regelmäßig ein bereicherungsrechtlicher Anspruch
Ein Rückzahlungsanspruch des Schuldners ergibt sich häufig nur aus § 812 BGB (wegen fehlenden bzw. weggefallenen Rechtsgrundes; BGH FamRZ 98, 951). Einstweilige Anordnungen entfalten keine Rechtskraftwirkung bezüglich der Frage, ob und in welcher Höhe Unterhalt geschuldet wird. Wird ein Urteil, ein Prozessvergleich oder eine vollstreckbare Urkunde gemäß § 323 ZPO rückwirkend zu Gunsten des Unterhaltsschuldners abgeändert, entfällt nachträglich die Rechtsgrundlage für den auf Grund des Titels geleisteten Unterhalt. Leistet ein Ehegatte freiwillig Unterhalt für die Trennungszeit, muss über § 1361 Abs. 4 S. 3 BGB zusätzlich § 1360b BGB beachtet werden. Die Vermutung fehlender Rückforderungsabsicht, die jeglichen Erstattungsanspruch ausschließt (Palandt, BGB, 61. Aufl., § 1360b Rn. 2), wird der Schuldner kaum widerlegen können.
Häufig kann sich der Unterhaltsgläubiger aber auf Entreicherung berufen
Dem Rückzahlungsanspruch wird der Gläubiger oft den Entreicherungseinwand (§ 818 Abs. 3 BGB) entgegenhalten können, für dessen Voraussetzungen er darlegungs- und beweispflichtig ist. Dieser Einwand greift, wenn er den Unterhalt für seine laufenden Lebensbedürfnisse verbraucht, sich also keine noch in seinem Vermögen vorhandenen Werte oder Vorteile verschafft hat. Letzteres kommt in Betracht, wenn er mit dem Unterhalt Anschaffungen tätigt oder Verbindlichkeiten tilgt, außer er hätte diese Anschaffungen oder diese Schuldentilgung auch ohne die Überzahlung unter Einschränkung seines Lebensstandards vorgenommen (BGH FamRZ 92, 1152). Der Gläubiger kann sich aber nicht auf diesen Einwand berufen, wenn er verschärft haftet. Dazu im Einzelnen:
- Eine verschärfte Haftung des Unterhaltsgläubigers nach § 819 Abs. 1 BGB erfordert seine Kenntnis von dem Fehlen des Rechtsgrundes der Unterhaltsleistungen und der sich daraus ergebenden Rechtsfolgen. Die bloße Kenntnis von Tatsachen, auf denen das Fehlen des Rechtsgrundes beruht, reicht nicht aus (BGH FamRZ 98, 951). Er muss positiv wissen, dass er keinen Anspruch auf die Unterhaltszahlungen hat. Eine derartige Kenntnis wird bei ihm aber kaum vorliegen oder zumindest nicht von dem insoweit beweispflichtigen Unterhaltsschuldner (BGH NJW 58, 1725) nachzuweisen sein.
- Eine verschärfte Haftung des Unterhaltsgläubigers gemäß § 818 Abs. 4 BGB setzt voraus, dass die Rückforderungsklage des Unterhaltsschuldners rechtshängig ist. Die Rechtshängigkeit einer Abänderungsklage oder einer Klage auf Feststellung, dass die sich aus einer einstweiligen Anordnung ergebende Unterhaltspflicht nicht besteht, reicht nicht aus (BGH FamRZ 98, 951).
Praxishinweis: Der BGH empfiehlt dem Unterhaltsschuldner, die Bereicherungsklage alsbald nach der Unterhaltsleistung ohne Rücksicht auf die vorherige Abänderung des Unterhaltstitels zu erheben. Dadurch soll eine verschärfte Haftung ab der Rechtshängigkeit dieser Klage hinsichtlich der noch nicht verbrauchten Unterhaltszahlungen ausgelöst werden. Der Schuldner kann auch mit einer Abänderungs- oder Feststellungsklage im Wege der Klagehäufung eine Klage auf künftige Rückzahlung des während der Verfahrensdauer zu viel gezahlten Unterhalts erheben. Diese Klage sollte zur Vermeidung eines Kostenrisikos nur hilfsweise für den Fall erhoben werden, dass das Abänderungs- oder Feststellungsbegehren Erfolg hat (BGH FamRZ 92, 1152).
- Der BGH lehnt eine verschärfte Haftung des Unterhaltsgläubigers nach § 820 Abs. 1 S. 2 BGB ab. Sie würde voraussetzen, dass sich aus dem Inhalt des Rechtsgeschäfts ergibt, dass beide Parteien die Möglichkeit des Wegfalls des Rechtsgrundes für die Unterhaltszahlung kennen. Dies soll bei der Regelung der gesetzlichen Unterhaltspflicht durch Urteil, Prozessvergleich oder vollstreckbare Urkunde nicht der Fall sein (BGH NJW 98, 951). Die BGH-Richter lehnen auch im Fall einer einstweiligen Anordnung mit einer zu hoher Unterhaltsleistung eine entsprechende Anwendung dieser Vorschrift ab (BGH FamRZ 00, 751).
Rückforderung kann sich ausnahmsweise aus unerlaubter Handlung ergeben
In Ausnahmefällen kann der Unterhaltsschuldner den Unterhaltsrückzahlungsanspruch auf einen Schadenersatzanspruch aus unerlaubter Handlung stützen (§§ 823, 826 BGB). Dies ist z.B. der Fall, wenn der Unterhaltsgläubiger durch bewusst falsche Einkommensoder Vermögensangaben im früheren Unterhaltsverfahrens einen Titel über einen ihm nicht zustehenden Unterhaltsanspruch erwirkt und damit einen Prozessbetrug gegenüber dem Unterhaltsschuldner begangen hat (Palandt, BGB, a.a.O., § 826 Rn. 46 m. w. N.).
Aufrechnung mit dem Rückforderungsanspruch ist regelmäßig ausgeschlossen
Ist für den Schuldner ein Rückzahlungsanspruch zu bejahen, steht einer Verrechnung der Rückzahlungsbeträge mit einem Anspruch auf Zahlung rückständigen Unterhalts für einen anderen Zeitraum oder des laufenden bzw. künftigen Unterhalts regelmäßig das Aufrechnungsverbot aus § 394 BGB entgegen. Danach kann gegen eine unpfändbare Forderung nicht aufgerechnet werden. Gemäß § 850b Abs. 1 Nr. 2 ZPO sind gesetzliche Unterhaltsrenten nur bedingt, das heißt, nur nach den für Arbeitseinkommen geltenden Vorschriften (§ 850b Abs. 2 ZPO), pfändbar. Die Vollstreckung in das sonstige bewegliche Schuldnervermögen darf dabei nicht zur vollständigen Gläubigerbefriedigung geführt haben oder führen. Die Pfändung muss nach den Umständen des Falls sowie nach der Art des beizutreibenden Anspruchs und der Höhe der Unterhaltsbezüge der Billigkeit entsprechen. Aus der Zuständigkeit des Vollstreckungsgerichts (§ 850b Abs. 3 ZPO) wird gefolgert, dass die in § 850b Abs. 1 ZPO angegebenen Bezüge in voller Höhe unpfändbar sind, solange ihre Pfändung nicht gemäß § 850b Abs. 2 ZPO ausdrücklich zugelassen worden ist (KG FamRZ 99, 405; Staudinger, BGB, Bearb. 2000, § 394 Rn. 29 m.w.N.).
Ausnahmsweise steht dem Aufrechnungsverbot der Arglisteinwand entgegen. Dieser ist begründet, wenn der Unterhaltsschuldner mit einer Forderung aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung gegen den Unterhaltsgläubiger aufrechnen kann, die dieser im Rahmen des Unterhaltsverhältnisses begangen hat (BGH FamRZ 93, 1186).
Praxishinweis: Nach einer bisher vom BGH abgelehnten Literaturansicht ist der Einwand auch begründet, wenn die vorsätzliche unerlaubte Handlung außerhalb des Unterhaltsverhältnisses erfolgt ist oder wenn mit einem Schadenersatzanspruch aus einer vorsätzlichen Vertragsverletzung gegen die Unterhaltsforderung aufgerechnet werden soll (RGRK, BGB, § 394 Rn. 27; MüKo, BGB, § 394, Rn. 10).
Die Aufrechnung ist aber stets nur eingeschränkt zulässig: Dem Unterhaltsgläubiger muss das Existenzminimum belassen werden. Dies entspricht beim Ehegattenunterhalt dem notwendigen Selbstbehalt des Gläubigers. Seine Einkünfte mindern den aufrechnungsfreien Betrag (BGH FamRZ 93, 1186).
Zum Teil wird die Aufrechnung zugelassen, obwohl der Arglisteinwand nicht gegeben ist: Das OLG Koblenz hat sich z.B. auf den Grundsatz von Treu und Glauben berufen. Der BGH hat seine Auffassung nicht weiter begründet und das Aufrechnungsverbot aus § 394 BGB nicht einmal erwähnt (BGH FamRZ 85, 908; OLG Koblenz FamRZ 81, 1092; a.A.: MüKo, BGB, § 394 Rn. 5; Wendl/Haußleiter, § 6 Rn. 311).
Das OLG Hamm und das OLG Naumburg haben die Aufrechnung gegen eine Unterhaltsforderung entgegen § 394 BGB zugelassen, wenn der Schuldner seinen Rückzahlungsanspruch (auch) auf eine Schadenersatzpflicht des Unterhaltsgläubigers gemäß § 717 Abs. 2 ZPO stützen kann (OLG Hamm FamRZ 99, 437; OLG Naumburg, ebenda). Das Aufrechnungsverbot müsse in solchen Fällen nach Treu und Glauben zurücktreten. Durch die Aufrechnung werde nur der tatsächlich geschuldete Zustand hergestellt.
Diese Ansicht ist abzulehnen: Der Schadenersatzanspruch aus § 717 Abs. 2 BGB beruht auf einer verschuldensunabhängigen Gefährdungshaftung des Vollstreckungsgläubigers (BGH NJW 97, 2601). Es fehlt hier regelmäßig an einer vorsätzlichen Schadenzufügung, da der Gläubiger bei der Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner auf die Richtigkeit des vorläufig vollstreckbaren Urteils vertraut. Allein mit dem Grundsatz von Treu und Glauben lässt sich die Einschränkung des Aufrechnungsverbots nicht rechtfertigen. Sie kann auch nicht damit begründet werden, dass durch die Aufrechnung nur der tatsächlich geschuldete Zustand hergestellt werde. Denn das ist bei jeder Aufrechnung der Fall, da die Forderungen wechselseitig getilgt werden. Das Aufrechnungsverbot soll bei Unterhaltsforderungen die Herstellung des tatsächlich geschuldeten Zustands zum Schutz des Gläubigers verhindern. Der Schuldner muss die Unterhaltsforderung begleichen, ohne zugleich die Erfüllung seiner Forderung gegen den Unterhaltsgläubiger durchsetzen zu können (Wohlfahrt, FamRZ 01, 1185; Wendl/Haußleiter, a.a.O., § 311a).
Aufrechnungsverbot gilt nicht nach Abtretung der Unterhaltsforderung
Das Aufrechnungsverbot nach § 394 BGB gilt nur solange, wie die Unterhaltsforderung dem ursprünglichen Unterhaltsgläubiger zusteht. Nach einer Abtretung oder einem gesetzlichen Übergang der Forderung auf einen Dritten, z.B. auf den Sozialhilfeträger, greift das Verbot nicht mehr. Denn der Schutzzweck der §§ 394 BGB, 850b ZPO, die Sicherung der Lebensgrundlage des Unterhaltsgläubigers, erfordert insoweit das Aufrechnungsverbot nicht mehr (BGH NJW 82, 515; a.A.: AG Gummersbach FamRZ 98, 177). Deshalb kann der Unterhaltsschuldner nach h.M. mit seinem Rückzahlungsanspruch problemlos gegen eine Unterhaltsforderung aufrechnen, wenn diese nicht mehr dem ursprünglichen Unterhaltsgläubiger zusteht. Dies muss m.E. auch gelten, wenn z.B. der Sozialhilfeträger den auf ihn übergegangenen Unterhaltsanspruch zur gerichtlichen Geltendmachung wieder an den ursprünglichen Gläubiger abtritt. Auch hier erfordert der Schutzzweck der §§ 394 BGB, 850b ZPO das Aufrechnungsverbot nicht.
Aufrechnungsverträge über den Rückforderungsanspruch sind zulässig
Möglich ist aber eine Vereinbarung über die Verrechnung des Rückzahlungsanspruchs mit einer Unterhaltsforderung. Bei diesem Aufrechnungsvertrag müssen die allgemeinen Voraussetzungen der einseitigen Aufrechnung nicht vorliegen (Palandt, BGB, a.a.O., § 387 Rn. 20). Auch das Aufrechnungsverbot nach § 394 BGB steht einem solchen Vertrag nicht entgegen, weil der Gläubiger mit seiner Unterhaltsforderung gegen den Rückzahlungsanspruch einseitig aufrechnen kann. Das Verbot betrifft aber nur die Aufrechnung gegen eine Unterhaltsforderung (BGH FamRZ 96, 1067). Da § 394 BGB dem Schutz des Unterhaltsgläubigers dient, darf bei dem Aufrechnungsvertrag nicht auf die Fälligkeit und Erfüllbarkeit der Unterhaltsforderung verzichtet werden (MüKo, BGB, a.a.O., § 394 Rn. 6). Ein Anspruch auf künftigen Unterhalt kann daher nicht im Wege des Aufrechnungsvertrags mit einem Rückzahlungsanspruch verrechnet werden.
Quelle: Familienrecht kompakt - Ausgabe 12/2002, Seite 168