21.04.2011
Landesarbeitsgericht Köln: Urteil vom 29.10.2010 – 11 Sa 163/10
Zwar kann der Tatbestand einer arglistigen Täuschung i. S. v. § 123 BGB auch durch Unterlassen, nämlich durch Verschweigen bestimmter Umstände, begangen werden. Dies setzt aber eine Rechtspflicht zur Aufklärung der anderen Partei über die verschwiegenen Umstände voraus.
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 12.08.2009 - 3 Ca 8389/08 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien stritten in dem vorliegenden Verfahren ursprünglich um die Wirksamkeit arbeitgeberseitiger Abmahnungen vom 24.09. und 16.10.2003 sowie um die Wirksamkeit mehrerer arbeitgeberseitiger Kündigungen vom 17.02., 11.03. und 25.03.2004. Nachdem die Parteien den Rechtsstreit sodann zunächst durch Abschluss eines gerichtlichen Vergleiches beigelegt hatten, streiten sie nunmehr vorrangig um die Rechtswirksamkeit dieses Prozessvergleichs.
Der Kläger war seit dem 01.04.1998 bei der Beklagten als Bezirksleiter beschäftigt. Er erzielte einen Verdienst in Höhe von ca. 3.000,-- EUR brutto monatlich.
Die Beklagte erteilte dem Kläger unter dem 24.09.2003 eine Abmahnung mit dem Vorwurf, der Kläger habe in seinen Arbeitsberichten unzutreffende Angaben gemacht. In einer weiteren Abmahnung vom 16.10.2003 beanstandete die Beklagte, dass die Anzahl der vom Kläger geführten Verkaufsgespräche mit Kunden unzureichend sei.
Am 03.11.2003 beschwerte sich der Kläger schriftlich bei der Direktion N der Beklagten darüber, dass sein Vorgesetzter, der Oberbezirksleiter M , die Anweisung erteilt habe, Kunden aus Vertreterbeständen ohne Kenntnis der betreffenden Vertreter zunächst als neue Vermittler darzustellen. Erst später habe eine Umbuchung erfolgen sollen, um dem "richtigen" Vertreter die Provision zukommen zu lassen. Zudem habe der OBL M eigenmächtig u. a. von ihm, dem Kläger, vermittelte Verträge anderen Agenturen zugeordnet, um diese als produktiv erscheinen zu lassen.
In einem internen Prüfbericht der Revision der Beklagten vom 05.03.2004 wurden die Vorwürfe des Klägers als berechtigt angesehen.
Mit Schreiben vom 17.02.2004 hatte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger fristgerecht gekündigt. Nachdem der Kläger darauf hingewiesen hatte, dass er ab Januar 2004 Tagesberichte führe, hatte die Beklagte die Kündigung vom 17.02.2004 mit Schreiben vom 04.03.2004 wieder zurückgenommen.
Sodann kündigte die Beklagte unter dem 11.03.2004 das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger fristlos. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger habe am 03.03.2003 entgegen seinen Angaben eine Versicherungsnehmerin nicht aufgesucht. Ihm sei für diesen Tag unberechtigter Weise die Reisekostenpauschale gezahlt worden. Mit Schreiben vom 25.03.2004 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis hilfsweise ordentlich zum 30.06.2004, wobei sie auf den Vorgang vom 03.03.2003 und weitere unzutreffende Angaben des Klägers über Besuche bei Versicherungsnehmern Bezug nahm.
Am 10.11.2003 hatte der Kläger die vorliegende Klage erhoben und sich darin zunächst gegen die Abmahnungen vom 24.09.2003 und 16.10.2003 gewandt. Am 19.03.2004 und 29.03.2004 erweiterte der Kläger die Klage auf das Feststellungsbegehren, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigungen der Beklagten vom 11.03.2004 und 25.03.2004 nicht beendet worden sei. In der Kammerverhandlung vom 20.10.2004 wies das Arbeitsgericht Köln die Parteien darauf hin, dass die für die fristlose Kündigung vom 11.03.2004 vorgebrachten Kündigungsgründe durch die Abmahnung verwirkt seien. Die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung vom 25.03.2004 könne erst nach weiterer Aufklärung beurteilt werden. Sodann schlossen die Parteien im Termin vom 20.10.2004 einen gerichtlichen Vergleich, wonach das Arbeitsverhältnis im beiderseitigen Einvernehmen zum 11.03.2004 beendet wurde und die Beklagte sich verpflichtete, an den Kläger eine Abfindung gemäß §§ 9, 10 KSchG in Höhe von 13.500,-- EUR zu zahlen.
Der Kläger war u. a. im Zeitraum vom 04.03.2004 bis 02.09.2004 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt.
Mit Schriftsatz vom 28.03.2008 hat der Kläger den gerichtlichen Vergleich vom 20.10.2004 angefochten. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass er dem Vergleich nur zugestimmt habe, weil er aufgrund der Abmahnungen und Kündigungen psychisch erkrankt gewesen sei. Er sei davon ausgegangen, dass die Beklagte den von ihm gegen Herrn M erhobenen Vorwürfen nicht nachgegangen sei. Erst nachdem sein Prozessbevollmächtigter im April 2007 Einsicht in die Akte in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gegen Herrn M genommen habe, sei ihm am 08.05.2007 der interne Prüfbericht der Beklagten vom 05.03.2004 bekannt geworden, in dem die Richtigkeit seiner Vorwürfe bestätigt worden sei. Die Beklagte habe ihm aber weder das Ergebnis dieser Überprüfung mitgeteilt, noch ihn einem anderen Organisationsleiter unterstellt. Hätte er Kenntnis von dem Prüfbericht gehabt, hätte er dem gerichtlichen Vergleich nicht zugestimmt, sondern das Arbeitsverhältnis bei der Beklagten fortgeführt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes in erster Instanz und der erstinstanzlich zur Entscheidung gestellten Sachanträge wird auf den Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteils in vorliegender Sache vom 12.08.2009 Bezug genommen. Das Arbeitsgericht Köln hat mit seinem Urteil vom 12.08.2009 die zur Entscheidung gestellten Sachanträge des Klägers abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass der Rechtsstreit durch den gerichtlichen Vergleich vom 20.10.2004 rechtskräftig beendet worden sei. Der Kläger habe diesen Prozessvergleich nicht wirksam angefochten.
Gegen das ihm am 06.01.2010 zugestellte Urteil hat der Kläger am 03.02.2010 Berufung eingelegt und diese innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 31.03.2010 begründet.
Der Kläger sieht sich durch die Beklagte bei Abschluss des Prozessvergleichs arglistig getäuscht. Er vertritt die Auffassung, die Beklagte sei nach dem Grundsatz von Treu und Glauben verpflichtet gewesen, ihn über das Ergebnis der internen Revision vor Abschluss des Vergleichs aufzuklären.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 12.08.2009, Aktenzeichen 3 Ca 8389/08, abzuändern und nach den Schlussanträgen erster Instanz zu erkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts. Es sei nicht erkennbar, dass der Kläger davon ausgegangen sei, dass das interne Revisionsverfahren noch nicht abgeschlossen gewesen sei oder aber zu einem negativen Ergebnis geführt habe. Der interne Revisionsbericht stehe in keinem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit der von ihr ausgesprochenen Kündigung. Sie, die Beklagte, sei auch nicht verpflichtet gewesen, den Kläger über den Inhalt des Revisionsberichtes aufzuklären. Für sie sei nicht im Ansatz erkennbar gewesen, dass dieser Revisionsbericht für den Abschluss des Vergleichs vom 20.10.2004 von Relevanz gewesen sei. Der Kläger hätte nach der Lebenserfahrung den Vergleich im Hinblick auf die Kündigungsvorwürfe auch dann abgeschlossen, wenn er Kenntnis von dem Revisionsbericht gehabt habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Berufungsbegründungsschrift, der Berufungserwiderungsschrift, den weiteren Schriftsatz des Klägers vom 07.07.2010 sowie das Sitzungsprotokoll vom 29.10.2010 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I. Die Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist gemäß § 64 Abs. 2 c) ArbGG statthaft und wurde innerhalb der Fristen des § 66 Abs. 1 ArbGG eingelegt und begründet.
II. Die Berufung des Klägers konnte jedoch keinen Erfolg haben. Die 3. Kammer des Arbeitsgerichts Köln ist in ihrem Urteil vom 12.08.2009 zu der zutreffenden Erkenntnis gelangt, dass der vorliegende Rechtsstreit bereits durch den Prozessvergleich der Parteien vom 20.10.2004 rechtskräftig beendet worden ist.
1. Die Klageanträge des Klägers sind entsprechend § 133 BGB dahingehend auszulegen, dass der Kläger in erster Linie die Feststellung der Unwirksamkeit des Vergleichs vom 20.10.2004 begehrt. Dies zeigt sich anhand seiner Anfechtungsbegründung im Schriftsatz vom 26.03.2008 sowie der Formulierung des Antrags zu 2., wonach das Arbeitsverhältnis u. a. nicht "durch den gerichtlichen Vergleich vom 20.10.2004 beendet" worden sein soll.
2. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat nach Maßgabe des gerichtlichen Vergleichs vom 22.10.2004 in beiderseitigem Einvernehmen zum 11.03.2004 sein Ende gefunden. Der Prozessvergleich vom 20.10.2004 ist nicht nach § 142 Abs. 1 BGB unwirksam; denn der Kläger hat den Vergleich nicht erfolgreich gemäß § 123 Abs. 1 BGB angefochten.
a. Die Vorschrift des § 123 Abs. 1 BGB bestimmt, dass derjenige eine Erklärung anfechten kann, der durch arglistige Täuschung oder widerrechtliche Drohung zu ihrer Abgabe bestimmt worden ist.
aa. Grundsätzlich hat jeder Vertragspartner selbst für die Wahrnehmung seiner Interessen zu sorgen (BAG vom 04.05.2010 - 9 AZR 184/09 - m. w. N.).
bb. Im Ansatz zutreffend geht der Kläger davon aus, dass aber eine Täuschung durch Unterlassen (Verschweigen) in Betracht kommt, wenn der andere Teil bei Vertragsverhandlungen einen Umstand verschweigt, hinsichtlich dessen ihn gegenüber seinem Vertragspartner eine Aufklärungspflicht trifft (vgl. z. B.: BAG vom 22.04.2004 - 2 AZR 281/03 -, m. w. N.). Jedem Arbeitsverhältnis wohnt die Nebenpflicht des Arbeitgebers inne, die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitnehmers so zu wahren, wie dies unter Berücksichtigung der Interessen und Belange beider Vertragspartner nach Treu und Glauben verlangt werden kann. Hinweis- und Aufklärungspflichten beruhen auf den besonderen Umständen des Einzelfalls und sind das Ergebnis einer umfassenden Interessenabwägung. Dabei ist insbesondere ein erkennbares Informationsbedürfnis des Arbeitnehmers zu beachten. Gesteigerte Hinweis- und Aufklärungspflichten können den Arbeitgeber dann treffen, wenn eine zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führende Vereinbarung auf seine Initiative hin und in seinem Interesse zustande kommt oder wenn sich aus den Umständen ergibt, dass der Arbeitnehmer durch eine sachgerechte und vom Arbeitgeber redlicher Weise zu erwartende Aufklärung vor der Aufhebung des Arbeitsverhältnisses bewahrt werden muss, weil er sich durch diese aus Unkenntnis selbst schädigen würde (BAG vom 04.05.2010 - 9 ARZR 184/09 -, BAG vom 14.01.2009 - 3 AZR 71/07 -, jeweils m. w. N.).
b. Nach den Umständen des vorliegenden Falles war die Beklagte unter Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben jedoch nicht verpflichtet, den Kläger im Vorfeld des Abschlusses des Prozessvergleichs über den Ausgang ihres internen Revisionsverfahrens zu unterrichten, welches die Vorwürfe betraf, die der Kläger seinerseits gegen seinen Vorgesetzten M erhoben hatte.
aa. Dies folgt schon daraus, dass die Gründe, die die Beklagte zur Rechtfertigung ihrer Kündigung des Klägers herangezogen hat, in keinerlei inhaltlichem Zusammenhang mit der durch die Beschuldigungen des Klägers gegen den OBL M eingeleiteten Untersuchung standen. Insbesondere hat die Beklagte den Kläger nicht etwa mit der Begründung gekündigt, die Beschuldigungen, die der Kläger gegenüber seinen Vorgesetzten erhoben gehabt habe, seien unwahr.
bb. Dass der Kläger gegen seinen Vorgesetzten inhaltlich zutreffende Beanstandungen erhoben haben mag, schließt nicht aus, dass er selbst ebenfalls Verfehlungen und/oder Pflichtverletzungen begangen hat, die die Beklagte zur Kündigung hätten berechtigen können.
cc. Zudem hatte der Kläger vor Abschluss des Vergleichs auch nicht andeutungsweise zu erkennen gegeben, dass er die Beilegung des Rechtsstreits von dem Ausgang der internen Revision bei der Beklagten, betreffend seine Vorwürfe gegen den OBL M , würde abhängig machen wollen.
dd. Derartiges war für einen Außenstehenden auch aus der Interessenlage der Parteien heraus nicht ohne Weiteres erkennbar. Andererseits hatte der Kläger schon im Schriftsatz vom 07.06.2004 zum Ausdruck gebracht, dass er "verständlicherweise an einem möglichst kurzfristigen Abschluss des Gerichtsverfahren interessiert" sei. Angesichts des Hinweises des Arbeitsgerichts im Kammertermin vom 20.10.2004, dass aus Sicht des Gerichts die Sach- und Rechtslage hinsichtlich der streitigen ordentlichen Kündigung vom 25.03.2004 noch weiterer Aufklärung bedürfte, konnten die Parteien, und somit auch der Kläger, zum damaligen Zeitpunkt nicht mit einem "kurzfristigen Abschluss des Gerichtsverfahrens" durch streitige Entscheidung rechnen. Darüber hinaus musste sich die Beklagte durch den Hinweis des Arbeitsgerichts darin bestärkt sehen, dass ihre Kündigungsvorwürfe nicht von vorneherein als irrelevant gewertet wurden und dies auch dem Kläger bewusst war.
ee. Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, dass die Einigungsbereitschaft des anwaltlich vertretenen Klägers im Termin vom 20.10.2010 aus der Sicht der Beklagten als Ergebnis einer Wertung der Prozessaussichten anzusehen war, verbunden mit dem gleichzeitigen Wunsch, die gerichtliche Auseinandersetzung einem schnellen Ende zuzuführen.
c. Kann somit eine Pflicht der Beklagten, den Kläger über das Ergebnis ihres internen Prüfberichts vom 05.03.2004 aufzuklären, nicht festgestellt werden, so fehlt es schon an einer Grundvoraussetzung einer "Täuschung durch Unterlassen".
d. Überdies war und ist eine Kausalität zwischen einer Nichtaufklärung durch die Beklagte und dem Willensentschluss des Klägers, den Vergleich vom 20.10.2004 abzuschließen, nicht erkennbar.
e. War eine solche Kausalität aber nicht erkennbar, kann das Verhalten der Beklagten im Vorfeld des Vergleichsschlusses vom 20.10.2010 auch nicht als arglistig gewertet werden.
3. Da der Rechtsstreit durch den Prozessvergleich vom 20.10.2004 rechtskräftig beendet worden ist, waren die ursprünglichen Klageanträge nicht mehr zu bescheiden. Es kommt somit nicht mehr darauf an, ob die ursprünglich streitigen Abmahnungen berechtigt und die streitigen Kündigungen ausreichend stichhaltig begründet waren. Nur der Vollständigkeit halber sei erneut darauf hingewiesen, dass der Antrag auf Feststellung des Bestehens eines Annahmeverzuges wegen des Vorranges der Leistungsklage jedenfalls unzulässig war.
III. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Ein gesetzlicher Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor.