20.01.2012
Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz: Beschluss vom 07.11.2011 – 1 Ta 208/11
1. Die Bewertung eines Antrags auf Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur Versetzung eines Mitarbeiters erfolgt nach Maßgabe des § 23 Abs. 3 S. 2 Halbsatz 2 RVG. Es handelt sich bei derlei Anträgen um nichtvermögensrechtliche Streitigkeiten, für deren Bewertung mangels individueller Anhaltspunkte auf den Hilfswert von 4.000,- Euro zurückzugreifen ist.
2. Der Hilfswert von 4.000,- Euro ist jedoch nicht statisch, sondern gem. § 23 Abs. 3 S. 2 Halbsatz 2 RVG je nach Lage des Falls niedriger oder höher anzusetzen. Das Gericht hat somit auch bei Rückgriff auf den Hilfswert eine Einzelfallbewertung vorzunehmen und den Betrag von 4.000,- Euro ggf. entsprechend zu verringern oder zu erhöhen.
3. Hat eine Versetzung für den zu versetzenden Mitarbeiter hinsichtlich Arbeitsort und -tätigkeit nur geringe Auswirkungen, erscheint im Einzelfall ein Abschlag vom Hilfswert auf 1.500,- Euro als angemessen.
Tenor:
Auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin wird der Wertfestsetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts Mainz vom 21.09.2011 - 3 BV 14/11 - dahingehend abgeändert, dass der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats und der Arbeitgeberin auf 1.500,00 Euro festgesetzt wird.
Ein Rechtsmittel ist gegen diese Entscheidung nicht gegeben.
Gründe
I. Im vorliegenden Beschwerdeverfahren begehrt die Arbeitgeberin die Festsetzung eines niedrigeren Gegenstandswertes im Zusammenhang mit einem Beschlussverfahren nach § 99 Abs. 4 BetrVG.
Die Arbeitgeberin beantragte im vorliegenden - wie in vier weiteren separaten gleichgelagerten - Beschlussverfahren die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur Versetzung einer Mitarbeiterin. Diese ist bei der Arbeitgeberin bisher als Kassiererin zu einem Bruttomonatsgehalt von 2.134,96 Euro beschäftigt und sollte zukünftig - auf ihre Bewerbung hin - im erweiterten Kassenbereich eingesetzt werden.
Die Beteiligten haben alle Verfahren durch Abschluss eines inhaltlich gleichen Vergleichs beendet.
Das Arbeitsgericht hat den Gegenstandswert für die anwaltliche Tätigkeit der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats und der Arbeitgeberin mit Beschluss vom 21.09.2011 auf 4.000,- Euro festgesetzt. Bei der Bewertung hat das Arbeitsgericht auf den in § 23 Abs. 3 S. 2 Halbsatz 2 RVG genannten Wert von 4.000,00 EUR zurückgegriffen mit der Begründung, es handele sich bei dem Streit nach § 99 Abs. 4 BetrVG um eine nichtvermögensrechtliche Streitigkeit.
Mit am 30.09.2011 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz hat die Arbeitgeberin über ihren Verfahrensbevollmächtigten gegen diesen ihr am 22.09.2011 zugestellten Beschluss Beschwerde eingelegt. Zur Begründung hat sie vorgetragen, im Verfahren sei es um eine vermögensrechtliche Streitigkeit gegangen, die wegen der präjudiziellen Bedeutung unter Anwendung von § 42 Abs. 3 S. 2 GKG mit einem Bruttomonatsgehalt des zu versetzenden Mitarbeiters, im vorliegenden Fall also mit 2.134,96 Euro zu bewerten sei. Selbst wenn man hingegen den Wert aus § 23 Abs. 3 S. 2 RVG ansetze, sei im vorliegenden Fall ein Abschlag auf 2.000 Euro für das Verfahren und 1.000 Euro für den Vergleich vorzunehmen, da die gleich gelagerten Fälle in einem Pilotverfahren erledigt worden seien. Zudem hätten die in allen Verfahren streitgegenständlichen Versetzungen auf einer einheitlichen unternehmerischen Entscheidung beruht.
Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und das Verfahren dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.
II. 1. Die Beschwerde ist gemäß § 33 Abs. 3 RVG statthaft und zulässig, sie wurde insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und übersteigt den Wert des Beschwerdegegenstandes von 200,- €.
2. Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.
Die Bewertung des Antrags richtet sich vorliegend nach § 23 Abs. 3 S. 2 RVG. Die Regelung des § 23 Abs. 1 RVG findet hier schon deswegen keine Anwendung, weil im Beschlussverfahren nach § 2 Abs. 2 GKG i. V. m. §§ 2 a, 80 ff. ArbGG keine Gerichtskosten erhoben werden. Auch die in § 23 Abs. 3 Satz 1 RVG genannten Gebührentatbestände finden im Beschlussverfahren keine, auch keine entsprechende Anwendung (vgl. LAG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 17.07.2007 - 1 Ta 173/07; Beschl. v. 21.07.2008 - 1 Ta 116/08). Der Gegenstandswert steht auch nicht nach anderen Regelungen fest.
Nach § 23 Abs. 3 S. 2 RVG ist der Gegenstandswert nach billigem Ermessen zu bestimmen; mangelt es an genügenden tatsächlichen Anhaltspunkten für eine Schätzung des konkreten Werts, ist der Gegenstandswert mit dem in § 23 Abs. 3 S. 2 Halbs. 2 RVG genannten Hilfswert (vgl. hierzu LAG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 01.03.2010 - 1 Ta 24/10) von 4.000,00 EUR anzusetzen.
Auf den Hilfswert ist nur zurückzugreifen, wenn alle Möglichkeiten für eine individuelle Bewertung ausscheiden. Solche Anhaltspunkte können sich aus der wirtschaftlichen Interessenlage der Beteiligten, einer möglichen Berührung finanzieller Ansprüche einzelner Arbeitnehmer, Bedeutung, Umfang und Schwierigkeit der Sache sowie aus dem Arbeitsaufwand des Verfahrensbevollmächtigten ergeben. Bei der Ausübung des billigen Ermessens ist sowohl das Interesse der Antragsteller wie auch des Antragsgegners an der beantragten Maßnahme zu berücksichtigen.
Bei Anträgen auf Zustimmungsersetzung nach § 99 Abs. 4 BetrVG handelt es sich nach ständiger Rechtsprechung der erkennenden Beschwerdekammer um nichtvermögensrechtliche Streitigkeiten (vgl. LAG Rheinland-Pfalz, zuletzt Beschl. v. 09.09.2009 - 1 Ta 292/09). Der Antrag beruht auf keiner vermögensrechtlichen Beziehung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat und ist weder auf Geld noch auf Geldeswert gerichtet. Im Vordergrund steht der Streit über den kollektiven Anspruch des Betriebsrats auf Verweigerung der Zustimmung zu einer personellen Einzelmaßnahme und damit über ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach dem BetrVG.
Ausgehend von den oben dargestellten Grundsätzen sind vorliegend keine besonderen Anhaltspunkte ersichtlich, die zur Wertfestsetzung herangezogen werden könnten, so dass ein Rückgriff auf den Hilfswert in Frage kommt. Die Monatsvergütung des von der personellen Einzelmaßnahme betroffenen Arbeitnehmers entspricht weder dem wertmäßigen Interesse des Betriebsrats oder der Arbeitgeberin an der Durchsetzung der Maßnahme noch Bedeutung oder Umfang der Sache und kann daher nicht in erster Linie als Bezugsgröße für eine Schätzung herangezogen werden. Anders als in Fällen, in denen die Vergütung des von der Maßnahme betroffenen Arbeitnehmers einen unmittelbar durch die Maßnahme entstehenden wirtschaftlichen Faktor für die Beteiligten des Beschlussverfahrens darstellt (vgl. bei Freistellung eines Betriebsratsmitglieds für eine Schulung LAG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 05.10.2011 - 1 Ta 182/11) spiegelt die monatliche Vergütung nicht das an einer Versetzung bestehende Kosteninteresse der Beteiligten wider. Für die Zustimmungsersetzung im Rahmen des § 99 Abs. 4 BetrVG existieren auch keine speziellen Wertvorschriften und bei einer Versetzung - anders als bei der Ersetzung der Zustimmung zu einer Umgruppierung (vgl. hierzu LAG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 09.09.2009 - 1 Ta 202/09), Eingruppierung (vgl. hierzu LAG Rheinland - Pfalz, Beschl. v. 21.07.2008 - 1 Ta 116/08) oder der Kündigung eines Betriebsrats nach § 103 Abs. 2 BetrVG (vgl. hierzu LAG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 29.09.2010 - 1 Ta 189/10)- kann auch nicht sachbezogen auf spezielle Wertbestimmungen des GKG zurückgegriffen werden. Daher ist das Arbeitsgericht grundsätzlich zu Recht von einem Rückgriff auf den Hilfswert von 4.000,- Euro ausgegangen.
Von diesem Hilfswert war allerdings im konkreten Einzelfall im Hinblick auf Bedeutung, Schwierigkeit und Umfang der Sache ein Abschlag vorzunehmen. Nach § 23 Abs. 3 S. 2 Halbs. 2 RVG ist der Hilfswert von 4.000 Euro nicht statisch, sondern je nach Lage des Falles niedriger oder höher, jedoch nicht über 500.000,00 EUR anzusetzen. Das Gericht hat also auch in den Fällen, in denen von der Ausgangslage her auf den Hilfswert zurückzugreifen ist, trotzdem - was das Arbeitsgericht unterlassen hat - eine Einzelfallbewertung vorzunehmen und dabei auch normierte Bewertungsmaßstäbe wie in § 42 Abs. 2- 4 GKG geregelt mit in die Gesamtbetrachtung zur Bewertung einzubeziehen und in Relation zu setzen.
Im vorliegenden Fall ist - ausgehend von dem im Gesetz genannten Hilfswert von 4.000,- Euro - zunächst zu berücksichtigen, dass Versetzungen nicht den Bestand eines Arbeitsverhältnisses berühren, sondern lediglich seinen Inhalt. Folglich sind Streitigkeiten um die Ersetzung einer Zustimmung zu einer Versetzung - in Relation gesetzt zur Bedeutung von Bestandsstreitigkeiten - von ihrer Grundwertigkeit her mit weniger als 3 Bruttomonatsgehältern zu bewerten. Entscheidend sind hier die Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Werthaltigkeit der vom Betriebsrat vorgebrachten Argumente im Hinblick auf seine einschlägigen Mitbestimmungsrechte generell, die Belastung des betroffenen Arbeitnehmers durch eine Versetzung und damit indirekt die Bedeutung des Mitbestimmungsrechts für den Betriebsrat im konkreten Fall. Bewegt sich eine gegen den Willen des Arbeitnehmers beabsichtigte Versetzung faktisch in der Nähe von einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses, weil dem Arbeitnehmer die Aufnahme seiner Tätigkeit an der neuen Einsatzstelle faktisch nur sehr schwer möglich oder zumutbar ist, dann hat ein solches Verfahren in der Regel für alle Beteiligten eine schwerwiegende Bedeutung, was auch wertmäßig zu veranschlagen ist. Solche schwerwiegenden Aspekte liegen im Streitfalle nicht vor.Im Gegenteil, die Auswirkungen der beabsichtigten Versetzung waren für die betroffene Arbeitnehmerin, die sich auf diese Position zuvor beworben hatte, weit unterdurchschnittlich, so dass eine deutliche Wertreduzierung vom Hilfswert gerechtfertigt ist. Die betroffene Arbeitnehmerin sollte nach der Versetzung von ihrem bisherigen Arbeitsort in ihrem bisherigen funktionalen und räumlichen Arbeitsbereich (Kasse) bleiben und zusätzlich auch mit anderen im Kassenbereich auszuführenden Tätigkeiten betraut werden (u.a. Kunden Ein- und Ausgangskontrolle, Entgegennahme und Weiterleitung von Kundenreklamationen und Warenrücknahmen). Somit wäre sie in den Bereichen, in denen eine Versetzung belastende Wirkung entfalten kann, nämlich einem Arbeitsort - und/oder Arbeitsbereichswechsel weit unterdurchschnittlich belastet worden. Bedeutende übergeordnete Aspekte hat der Betriebsrat nicht geltend gemacht. Des Weiteren ist für die Bewertung eines Beschlussverfahrens auch der von den Verfahrensbevollmächtigten zu betreibende Aufwand - entsprechend den Grundsätzen der Bewertung von Streitigkeiten nach § 80 Abs. 3 BetrVG - zu berücksichtigen. Der Aufwand der Verfahrensbevollmächtigten war im vorliegenden Fall wegen des Führens von mehreren in separaten gleichgelagerten Verfahren (vgl. dazu BAG, Beschl. v. 27.07.2009 - 7 AZR 95/07, NZA 2009, 1223) in den Einzelverfahren jeweils identisch und auch nur gering.
Vor diesem Hintergrund war bei der Bewertung des vorliegenden Verfahrens ein deutlicher Abschlag vom Hilfswert von 4.000,- Euro auf 1.500,00 Euro vorzunehmen.
Eine Kostenentscheidung ist entbehrlich, da das vorliegende Beschwerdeverfahren nicht kontradiktorisch ist. Die Entscheidung ergeht für die Beschwerdeführerin gerichtskostenfrei (§ 2 Abs. 2 GKG); auch hat sie obsiegt.
Ein Rechtsmittel ist gegen diesen Beschluss nach § 33 Abs. 4 S. 3 RVG nicht gegeben.