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  • · Fachbeitrag · Erfahrungsbericht

    Treffen, ohne zu zielen ‒ ein Selbstversuch mit Pfeil und Bogen

    | Was ist dran an der positiven Wirkung des intuitiven Bogenschießens? Ich wollte es herausfinden und habe selbst Pfeil und Bogen zur Hand genommen. Was der folgende Beitrag beschreibt, dauert in Echtzeit etwa 40 Sekunden: ein Schuss mit einem Recurve-Bogen (20 Pfund Zuggewicht) auf einen blauen Luftballon an einer Zielscheibe ‒ mit einem einzigen Pfeil. (Ein Video finden Sie online unter iww.de/s10767 ). Zwar geht der Schuss im Video daneben, aber der Bewegungsablauf ist deutlich zu sehen. Und es kommt ja auch auf die inneren Wirkungstreffer an! |

    Ich stehe und atme ...

    Ich stehe etwa 10 Meter von der Scheibe entfernt, die linke Körperseite der Scheibe zugewandt, die Füße etwa schulterbreit auseinander, den linken Fuß etwa eine Handbreit hinter dem rechten. Die linke Hand hält den Bogen quer zum Körper, der eingelegte Pfeil zeigt zu Boden. Zeigefinger, Mittelfinger und Ringfinger der rechten Hand halten die Bogensehne leicht gespannt, der Zeigefinger liegt über dem Pfeil, die anderen beiden darunter. Der rechte Unterarm liegt auf meinem Bauch. Ich fixiere einen Punkt vor mir auf dem Boden und beginne mit dem „Bodycheck“: Wie stehe ich? Wie fühlt sich der Boden an? ‒ Wer kann, sollte das intuitive Bogenschießen barfuß (PP 08/2023, Seite 6 f.) üben. ‒ Sind meine Knie leicht gebeugt? Bin ich leicht in der Vorbeuge? Ich atme in den Bauch ‒ drei Sekunden durch die Nase. Und wieder aus ‒ sechs Sekunden durch den Mund. Einmal ... zweimal ... dreimal. Ich habe nur einen Pfeil. Kurz schließe ich die Augen und stelle mir intensiv das Schussergebnis vor: Mein Pfeil trifft den Ballon. PENG!

    Ich schaue zur Scheibe ...

    Ich drehe den Kopf nach links und schaue zur Scheibe. In der Mitte der blaue Ballon. Mein Blick ist zur Scheibe gerichtet, aber defokussiert. D. h., aus den Augenwinkeln nehme ich auch das wahr, was links und rechts von mir ist: ein Basketballkorb, ein Busch, Maulwurfshügel ... Ich atme ein und aus ‒ und wieder ein. Konzentriere mich dabei nicht mehr aufs Ergebnis, sondern nur noch auf den Bewegungsablauf, werde eins mit Pfeil und Bogen ...

    Ich atme ein und aus, bis ...

    Mit dem nächsten Ausatmen beginnt der Schießvorgang, der genauso lang ist wie das Ausatmen selbst: Der linke Arm hebt langsam den Bogen, dabei „zieht“ der auswärts gedrehte Ellenbogen den Arm nach oben. Wäre der Ellenbogen nicht nach außen gedreht, würde die Bogensehne den Arm treffen. Und das tut auch mit Unterarmschutz noch weh genug. Ich halte den Bogen leicht schräg zu meiner Körperachse nach rechts, damit der Pfeil nicht nach außen von der Pfeilauflage (Shelf) abrutscht. Die rechte Hand führt die Bogensehne langsam in Richtung rechtes Ohr, bis die Daumenwurzel der rechten Hand mein Kinn erreicht. Pause, der Ausatemvorgang geht weiter. Ich zähle: einundzwanzig ... zweiundzwanzig ... Den Blick unverändert zur Scheibe gerichtet, gehe ich in die Rückenstreckung, bis ...

    ... ES schießt!

    Die Sehne schnellt aus meinen Fingern und die Fingerspitzen der rechten Hand fallen auf meine rechte Schulter. Der Blick bleibt auf die Scheibe gerichtet. Der rechte Arm klappt auf, die linke Hand dreht den Bogen waagrecht und mit der letzten Ausatemluft senke ich beide Arme. Erst jetzt ist der Ausatemvorgang beendet, der den Schuss eingeleitet hat. Dieser dauert ungefähr 15 Sekunden. Wer einen kurzen Atem hat, sollte durch die zusammengepressten Lippen ausatmen. Und ja: Nicht ich schieße, sondern es ‒ unpersönlich wie in „es regnet“. Durch Atmung, Körperhaltung und vorbereitende Bewegungen bin ich nur Medium, das den Schuss ermöglicht.

    Die Scheibe kommuniziert mit mir

    Entspannt schaue ich zur Scheibe: Den Ballon habe ich verfehlt. Überhaupt kommuniziert die Scheibe nach jedem Schuss mit mir: Stecken die Pfeile seitlich schräg in der Scheibe (zeigt an, dass ich den Schuss nicht habe sich lösen lassen, sondern aktiv an der Sehne „gerissen“ habe)? Sitzen die Pfeile nah beieinander oder verstreut? Zeigen sie in verschiedene Richtungen oder sind sie parallel (zeigt beides an, wie reproduzierbar mein Schießen schon ist)?

    Fazit: Es kommt nicht so sehr darauf an, den Ballon zu treffen

    Mit Pfeil und Bogen auf eine 10 Meter entfernte Scheibe zu schießen, mag für Unbeteiligte langweilig aussehen. Aber das Schießen ist ja von einem Coaching mit Reflexion begleitet, aus dem ich etwas für den Lebensalltag mitnehme (PP 05/2024, Seite 12 ff.). Ich will den Weg mit dem Bogen weitergehen. Aber ich werde mir noch nicht gleich einen Bogen kaufen und draußen loslegen, auch wenn ich das darf: Bögen fallen ja nicht unters Waffenrecht! Erst mal habe ich in einen Verein reingeschnuppert. Dort will ich mit dem Bogen noch sicherer werden. Anstatt um Turniere geht es mir um den Wechsel von Spannung und Entspannung. Übrigens: Den Ballon habe ich inzwischen getroffen. Aber darauf kommt es gar nicht so sehr an ‒ vielmehr darauf, was in mir passiert (sl).

     

    • Intuitives Bogenschießen: Diese Pfeile habe ich jetzt schon im Köcher (Stand: Februar 2024)
    • Ich gehe mit Stresssituationen gelassener um.
    • Ich nehme mir für Verrichtungen ‒ insbesondere auf der Arbeit ‒ mehr Zeit: eine Mail / ein Telefonat nach dem anderen, hin und wieder ein „Jetzt-nicht“ als Antwort auf eine Frage oder einen Arbeitsauftrag.
    • Ich erlaube mir, dass nicht jede Aufgabe sofort erledigt werden muss: Einen Pfeil nicht sofort, sondern später in Ruhe abzuschießen, liefert oft bessere Ergebnisse.
    • Ich tue bei „unangenehmen“ Aufgaben im Alltag (z. B. fremde Leute ansprechen, ein unangenehmes Telefonat) so, als handle es sich um einen Schuss auf den Ballon: Atmen, zur Scheibe schauen, fühlen, wie „es schießt“, wenn ich auf die Person zugehe, zum Telefonhörer greife ...
    • Ich vertraue darauf, dass sich bei schwierigen Aufgaben, auf die ich mich vorbereitet habe, eine Lösung bietet („es schießt“).
     
    Quelle: Ausgabe 05 / 2024 | Seite 10 | ID 49932235