14.08.2000 · IWW-Abrufnummer 000879
Bayerisches Oberstes Landesgericht: Beschluss vom 23.02.2000 – 5St RR 30/00
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
5St RR 30/00
Bayerisches Oberstes Landesgericht
BESCHLUSS
Der 5. Strafsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Jaggy sowie der Richter Kehrstephan und Heiss
am 23. Februar 2000
in dem Strafverfahren
gegen
wegen Beleidigung
nach Anhörung der Staatsanwaltschaft
beschlossen:
Tenor:
I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Memmingen vom 27. Mai 1999 im Ausspruch über die Höhe des Tagessatzes mit den insoweit getroffenen Feststellungen aufgehoben.
II. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Memmingen zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht Neu-Ulm verurteilte den Angeklagten am 12.8.1998 wegen Beleidigung in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 40 DM. Das Landgericht Memmingen verwarf die allein von dem Angeklagten eingelegte Berufung am 27.5.1999 als unbegründet; es erkannte unter Einbeziehung der Strafe aus einem Strafbefehl vom 12.5.1998 auf eine Gesamtgeldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 60 DM. Für die Beleidigung hielt es an der Tagessatzanzahl von 30 Tagessätzen fest. Im Strafbefehl war wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis eine Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu je 100 DM verhängt worden. Für beide Taten bestimmte das Landgericht die Tagessatzhöhe neu und einheitlich auf 60 DM.
Der Verurteilung wegen Beleidigung liegt nach dem Berufungsurteil im wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde:
Am 4.2.1998 nahmen zwei Polizeibeamte auf der BAB A 7 Ulm-Kempten Abstandsmessungen vor. Zu diesem Zweck war an der Meßstelle im Bereich einer Autobahnbrücke bei km 862,6 in Fahrtrichtung Kempten u. a. eine Beobachtungskamera unterhalb der Brücke neben der Fahrbahn aufgestellt. Die Beamten waren für Verkehrsteilnehmer nicht sichtbar.
Als sich der Angeklagte mit seinem Pkw gegen 14 Uhr der Meßstelle näherte, setzte einer der Beamten diese Videokamera in Betrieb, um deren Einstellung bzw. Ausrichtung zu überprüfen Die Kamera zeichnete daher auf. Der Angeklagte erkannte die "Kontrollinstallation" aus 300 - 400 m Entfernung, als er mit hoher Geschwindigkeit heranfuhr. "Im sicheren Bewußtsein, freie Fahrt zu haben, hob der Angeklagte mit Blick zur seitlich angebrachten Videokamera hämisch den linken Arm" und zeigte "dicht hinter der Frontscheibe den gestreckten Mittelfinger". Die im Berufungsurteil zur Verdeutlichung dieses Verhaltens in Bezug genommenen Filmaufnahmen zeigen den sog. "Stinkefinger" in kaum zu überbietender Deutlichkeit.
Zum subjektiven Tatbestand stellte die Strafkammer ferner noch fest, diese Geste habe "absichtlich" den mit der Durchführung der Kontrollmaßnahme einschließlich deren Beobachtung mittels Aufzeichnungen befaßten "Amtspersonen" gegolten, auch wenn der Angeklagte diese nicht gesehen habe. Dem Angeklagten sei bewußt gewesen, daß seine Geste eine vulgäre Kundgabe seiner Mißachtung gegenüber den "befaßten Amtspersonen" darstellte. Mit dieser Geste habe er auch darauf abgezielt, daß sie von den Amtspersonen später bei der Auswertung der Bildaufzeichnungen bemerkt werde, wozu es dann tatsächlich (durch beide Beamte) auch gekommen sei.
Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts.
II.
Die Nachprüfung des Schuldspruchs und der ihn tragenden Feststellungen hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Das Rechtsmittel ist insoweit offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Tatbestand der Beleidigung setzt die Kundgabe der Miß- oder Nichtachtung als Äußerung gegenüber einem anderen voraus. Hierzu hat die Staatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme zum Revisionsvortrag zutreffend ausgeführt, daß eine solche Äußerung auch über ein Medium wie z. B. eine Videokamera übertragen werden kann.
Die Feststellungen des Landgerichts sind auch im Hinblick auf die subjektive Tatseite geeignet, die Verurteilung wegen Beleidigung zu tragen, auch in Ansehung der Einlassung des Angeklagten, "gemeint" zu haben, die Videokamera sei nicht in Betrieb.
Angesichts der Tatsache, daß auch in bezug auf die Wahrnehmung der Äußerung von Seiten des auf diese Weise mißachteten anderen bedingter Vorsatz genügt, konnte das Landgericht es als widerlegt ansehen, der Angeklagte sei von der - sicheren - Vorstellung ausgegangen, die Kamera sei nicht in Betrieb. Auch insofern teilt der Senat die Auffassung der Staatsanwaltschaft, daß es bei einem geistig gesunden Angeklagten lebensfremd wäre, ernsthaft zu erwägen, daß nach seiner Vorstellung die mißachtende Geste einer toten Sache galt.
III.
Im Ausspruch über die Tagessatzhöhe kann das Urteil des Landgerichts jedoch keinen Bestand haben, denn es verstößt in der Gesamtstrafenbildung und in der wegen Beleidigung bestimmten Einzelstrafe (30 Tagessätze zu je 60 DM) gegen das Verschlechterungsverbot des § 331 StPO.
Eine Anhebung der Tagessatzhöhe stellt den Angeklagten nur dann nicht ungünstiger, wenn die sich als Strafe ergebende Endsumme nicht höher ist als die nach dem amtsgerichtlichen Urteil zu zahlende Summe (Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. § 331 Rn. 16 m. w. N.). Das Urteil des Landgerichts benachteiligt den Angeklagten, weil die wegen Beleidigung angesetzte Einzelstrafe mit einer Endsumme von 1 800 DM das Ergebnis des amtsgerichtlichen Urteils (1 200 DM) überschreitet. Die Benachteiligung wird auch nicht mit der Gesamtstrafenbildung nach § 55 i. V. m. § 54 StGB ausgeglichen. Denn die Gesamtstrafe ist durch Erhöhung der verwirkten höchsten Strafe (Einsatzstrafe) - hier der Strafe wegen Beleidigung - zu bilden und darf die Summe der Einzelstrafen nicht erreichen (§ 54 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 StGB). Somit baut die Gesamtstrafe auf der Einsatzstrafe wegen Beleidigung in Höhe von 1 800 DM auf, die über dem summenmäßigen Ergebnis des amtsgerichtlichen Urteils liegt.
IV.
1. Wegen dieses Mangels ist das angefochtene Urteil im Ausspruch über die Tagessatzhöhe mit den insoweit getroffenen Feststellungen aufzuheben (§ 353 StPO). Die weiteren Feststellungen zum Rechtsfolgenausspruch sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen.
2. Die Sache wird im aufgehobenen Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an eine andere Strafkammer des Landgerichts Memmingen zurückverwiesen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO).