09.01.2004 · IWW-Abrufnummer 040023
Oberlandesgericht Thüringen: Urteil vom 19.12.2002 – 1 UF 240/02
Dem Unterhaltspflichtigen ist es bei Inanspruchnahme auf Volljährigenunterhalt nicht verwehrt, aus anerkennenswerten persönlichen Gründen seinen bisherigen Lebensmittelpunkt nicht an den Ort der Arbeitsstelle zu verlegen.
Mehrkosten in der Lebenshaltung können sich einkommensmindernd - als berufsbedingte Mehrausgaben - auswirken (Miete, Fahrtkosten).
THÜRINGER OBERLANDESGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES!
URTEIL
1 UF 240/02
Verkündet am 19.12.2002
In der Familiensache
hat der 1. Senat für Familiensachen des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dünisch, Richterin am Oberlandesgericht Martin und Richter am Landgericht Jahn auf die mündliche Verhandlung vom 24.10.2002
für Recht erkannt:
Tenor:
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Mühlhausen vom 10.05.2002 (2 F 311/01) abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen monatlichen Kindesunterhalt
a) vom 01.08. 31.12.2001 in Höhe von 95,- ?,
b) vom 01.01. - 31.08.2002 in Höhe von 88,- ? zu zahlen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen und die Berufung zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits I. Instanz tragen der Kläger zu 40 % und die Beklagte zu 60 %, die Kosten der II. Instanz tragen der Kläger zu 86 % und die Beklagte zu 14 %.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
Die Beklagte greift das erstinstanzliche Urteil an, soweit das Amtsgericht dem Kläger einen höheren monatlichen Unterhalt als 168,- DM, entspricht 86,- ? vom 01.08. - 31.12.2001 und mehr als 83,- ? vom 01.01. - 30.06.2002 sowie ab dem 01.07.2002 einen Unterhaltsanspruch zugesprochen hat.
Die Beklagte hat ausweislich der im Termin vom 24.10.2002 überreichten Steuerbescheide Erstattungen für Steuer und Solidaritätszuschlag erhalten
für 1999 in Höhe von 2734,37 DM,
für 2000 in Höhe von 5748,60 DM und
für 2001 in Höhe 4373,96 DM,
insgesamt 12856,93 DM.
Von der Darstellung des Tatbestands wird im übrigen gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.
Entscheidungsgründe:
I. Die in förmlicher Hinsicht nicht zu beanstandende Berufung der Beklagten führt zur Abänderung des angefochtenen Urteils hinsichtlich des Unterhalts im Rahmen der Antragstellung in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang.
Die Beklagte ist als Mutter grundsätzlich verpflichtet, anteilig neben dem Kindesvater (§ 1606 Abs. 3 S. 1 BGB) dem bereits volljährigen Kläger den angemessenen Unterhalt zu gewähren, denn als Schüler ist dieser noch außerstande, sich selbst zu unterhalten (§ 1602 Abs. 1 BGB). Der Unterhalt umfaßt den gesamten Lebensbedarf einschließlich der Kosten der Schule, Erziehung und der Vorbildung zu einem Beruf (§ 1610 Abs. 2 BGB).
In der Berufungsinstanz befindet sich der Unterhaltszeitraum ab dem 01.08.2001 im Streit.
Soweit die Beklagte ab dem 01.09.2002 den Wegfall ihrer Unterhaltspflicht geltend macht, nachdem der Kläger die Schule mit dem Abitur verlassen hat, hat die Berufung Erfolg. Der Kläger hat seinen Zivildienst zum 01.09.2002 begonnen. Zwischen Abitur und der Aufnahme der Ausbildung, des Studiums oder des Zivildiensts ist ihm eine Orientierungs- und Erholungsphase von etwa drei Monaten zuzubilligen; erst danach sind ihm Neben- und Aushilfstätigkeiten zuzumuten (vgl. Kalthoener/Büttner, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 7. Auflage, Rdnr. 321 m. w. N).
Wehrpflichtige und auch Zivildienstleistende haben zwar keine eigene Lebensstellung, wenn der Wehr-/Zivildienst sich an Schule oder Studium anschließt. Allerdings wird ihr Bedarf durch ihre Bezüge gedeckt, so daß ergänzende Ansprüche nach den Lebensverhältnissen der Eltern sich vor allem auf die Finanzierung von besonderen - schon bisher üblichen - Aufwendungen, z B Literatur, Musikunterricht, erhöhte Wohnkosten oder übliche Finanzierung bei der KFZ - Haltung beschränken (vgl. Kalthoener/Büttner, a.a.O., Rdnr. 170 m w N). Über zusätzlichen Bedarf verhält sich der Vortrag des Klägers nicht ansatzweise, so daß davon auszugehen ist, daß der Bedarf des Klägers während der Dauer des Zivildienstes abgedeckt ist und ein weitergehender Unterhaltsanspruch ausscheidet.
Allein die vage Erwartung, der Kläger werde ein Studium aufnehmen, rechtfertigt die Aufrechterhaltung des Unterhaltstitels nicht.
Für die Zeit vom 01.08.2001 bis 31.12.2001 steht dem Kläger ein Unterhaltsanspruch in Höhe von 95,- ? und vom 01.01. - 31.08.2002 in Höhe von 88,- ? monatlich zu.
Gemäß § 1603 Abs. 2 S. 2 BGB stehen volljährige unverheiratete Kinder bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres minderjährigen Kindern gleich, solange sie im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils leben und sich in der allgemeinen Schulausbildung befinden (priviligierte Volljährige). Diese Gleichstellung gilt für die gesteigerte Unterhaltspflicht (Selbstbehalt) und den Rang, nicht für § 1606 Abs. 3 S. 2 BGB (Betreuung) und § 1606 Abs. 2 BGB (Vermögenseinsatz).
Der Kindesvater verfügt unstreitig über ein einzusetzendes Einkommen in Höhe von 1609,73 ? monatlich.
Das Nettoeinkommen der Beklagten aus Arbeitstätigkeit - ohne Abzug berufsbedingter Aufwendungen - beträgt 1489,68 ?. Die Beklagte hat weiter für die Jahre 1999 - 2001 eine Steuererstattung in Höhe von 12856,93 DM, im Monatsdurchschnitt 357,14 DM, entspricht 182,60 ? erhalten, die ihrem Einkommen zuzurechnen ist, das sich damit auf 1672,28 ? monatlich erhöht.
Das Einkommen der Beklagten ist um angemessene berufsbedingte Mehrkosten ihrer doppelten Haushaltsführung in Höhe von 503,31 ? zu ermäßigen, so daß 1168,97 ? verbleiben.
Die Beklagte wohnt in Erfurt und arbeitet seit dem 01.12.1999 in Marsberg im Bereich der Hausverwaltung, nachdem sie zuvor ihren Arbeitsplatz in Mühlhausen verloren hat.
Der Beklagten ist im Hinblick auf ihre langjährige Lebenspartnerschaft ein Umzug von Erfurt nach Marsberg nicht zumutbar. Der Senat schließt sich der in der Rechtsprechung vertretenen Ansicht an, daß Mehrkosten einer doppelten Haushaltsführung abzugsfähig sind, wenn der Unterhaltsverpflichtete aus anerkennenswerten persönlichen Gründen seinen Lebensmittelpunkt nicht vollständig an den Ort seiner Arbeitsstelle verlegt hat. Da der Unterhaltsanspruch des Kindes sich nicht nach den früheren ehelichen Lebensverhältnissen richtet, sondern sich von der jetzigen Lebensstellung der Eltern ableitet, wirken sich ändernde wirtschaftliche Lebensverhältnisse des Unterhaltspflichtigen aus. Die wirtschaftlichen Folgen aus einer auswärtigen Erwerbstätigkeit muß das Kind in gewissen Grenzen mittragen (OLG Zweibrücken, FamRZ 1997, 837, 838). Dem Unterhaltspflichtigen ist es damit nicht verwehrt, aus anerkennenswerten persönlichen Gründen seinen bisherigen Lebensmittelpunkt nicht ganz an den Ort der Arbeitsstelle zu verlegen. Mehrkosten in der Lebenshaltung können sich daher auch einkommensmindernd - als berufsbedingte Mehrausgaben - auswirken (OLG Zweibrücken, a.a.O.: Kosten der Wohnung in Höhe von 150,- DM monatlich). Das OLG Schleswig (NJW - RR 1994, 584) hat die Mehrkosten durch die Anmietung einer weiteren Wohnung (Miete und verbrauchunabhängige Nebenkosten) in Höhe von 560,- DM und Kosten für Familienheimfahrten in Höhe von 328,- DM beim Trennungsunterhalt bei einem Richter am Oberlandesgericht Schleswig berücksichtigt. Das OLG Hamm (NJW - RR 1998, 724) hat bei einem älteren Unterhaltsschuldner, der für den Pkw (72 km Entfernung) 1109,- DM aufwendet, die Fahrtkosten als erstattungsfähig angesehen, da die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel angesichts der Lage nicht zumutbar sei und ein Umzug angesichts des Alters nicht in Betracht komme.
Die Beklagte hat an ihrem Arbeitsort eine Wohnung gemietet und zahlt hierfür eine Nettomiete in Höhe von 470,- DM, entspricht 240,31 ?. Nebenkosten können keine Berücksichtigung finden, da die Beklagte nicht dargetan hat, welcher Anteil der Nebenkostenvorauszahlung auf verbrauchsabhängige und verbrauchsunabhängige Nebenkosten entfällt. Verbrauchsabhängige Nebenkosten würden auch bei nur einem Wohnsitz der Beklagten anfallen.
Die Beklagte ist aber darauf zu verweisen, statt des Privatfahrzeuges öffentliche Verkehrsmittel in Anspruch zu nehmen. Die Notwendigkeit mit dem privaten Pkw zu fahren, hat sie nicht substantiiert dargelegt. Die Hin- und Rückfahrt von Erfurt bis Marsberg kostet mit Bahncard 66,- ?. Bei 46 Wochen und einer zusätzlichen Umlage von 10,- ? monatlich für die Bahncard ergibt dies Kosten in Höhe von (66,- ? x 46 Wochen : 12 = 253,- ? + 10,- ? = ) 263,- ?.
Da die Beklagte in Erfurt wohnt, ist ihr lediglich der Selbsthalt im Beitrittsgebiet zuzurechnen. Auch ist der Selbstbehalt eines Erwerbstätigen gegenüber minderjährigen Kindern, der bis zum 31.12.2001 1465,- DM und ab dem 01.01.2002 750,- ? beträgt, maßgebend, da der Kläger ein privilegiertes volljähriges Kind ist.
Der Kindesvater lebt im Altbundesgebiet. Für ihn beträgt der Selbstbehalt 1640,- DM bzw. 840,- ?.
Der Bedarf des Klägers errechnet sich nach dem zusammengerechneten Einkommen beider Elternteile in Höhe von 2778,70 ? und beträgt 910,- DM bzw. 465,28 ?.
Auf die Beklagte entfällt für 2001 bei einem Einsatzeinkommen in Höhe von (2285,92 DM - 1465,- DM = ) 820,92 DM und einem Einsatzeinkommen des Kindesvaters in Höhe von (3148,36 DM - 1640,- DM = ) 1508,36 DM, Gesamteinsatzeinkommen 2329,28 DM, eine Quote von 35,24 % von 910,- DM, 320,72 DM. Abzüglich des anteiligen Kindergeldes in Höhe von 135,- DM verbleiben 185,72 DM, bzw. 94,96 ?, aufgerundet 95,- ?, als offener Unterhaltsbedarf.
Für 2002 beträgt der Bedarf des Klägers ausgehend von 2778,70 ? 466,- ?. Der Selbstbehalt des Kindesvaters beträgt 840,- ?, der der Kindesmutter 750,- ?. Auf die Beklagte entfällt bei einem Einsatzeinkommen in Höhe von (1168,97 ? - 750,- ? = ) 418,97 ? und einem Einsatzeinkommen des Kindesvaters in Höhe von (1609,73 ? - 840,- ? = ) 769,73 ?, Gesamteinsatzeinkommen 1188,70 ?, eine Quote von 35,24 % oder 164,23 ?. Abzüglich des anteiligen Kindergeldes in Höhe von 77,- ? verbleiben 87,23 ?, aufgerundet 88,- ?, als offener Unterhaltsbedarf.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO. Das Urteil ist gemäß § 708 Nr. 10 ZPO vorläufig vollstreckbar. Schutzanordnungen nach den §§ 711, 712 ZPO zugunsten des Schuldners waren gemäß § 713 ZPO nicht veranlaßt.