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20.10.2015 · IWW-Abrufnummer 145579

Verwaltungsgerichtshof Bayern: Beschluss vom 29.06.2015 – 1 ZB 13.1903

Die für ein generelles Verbot von großflächigen Fremdwerbeanlagen erforderliche Einheitlichkeit eines (Teil-)Gebiets der Gemeinde kann auch durch ein traditionelles, ländlich geprägtes Straßen- und Ortsbild bewirkt sein.


Verwaltungsgerichtshof Bayern

Beschl. v. 29.06.2015

Az.: 1 ZB 13.1903

Tenor:

I.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.

Die Beigeladene trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III.

Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe
1

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg' weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vorliegen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
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1. An der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen im Ergebnis keine ernstlichen Zweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
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a) Das Verwaltungsgericht hat der Verpflichtungsklage auf Erteilung einer Baugenehmigung für die Anbringung einer Anlage für Fremdwerbung an der Außenwand eines Gebäudes zu Recht stattgegeben' weil das generelle Verbot von Fremdwerbeanlagen' um das der Bebauungsplan "C...-Ortsmitte" mit seiner am 14. August 2009 bekannt gemachten 14. Änderung ergänzt worden ist' unwirksam ist. Allerdings stellt das Verwaltungsgericht zu strenge Anforderungen an den Ausschluss von Fremdwerbeanlagen in Dorfgebieten.
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In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist anerkannt' dass das baugestalterische Ziel' eine Beeinträchtigung des vorhandenen oder durch Planung erstrebten Charakters eines Baugebiets durch optisch störende Anlagen zu verhindern' ein beachtenswertes öffentliches Anliegen ist (vgl. BVerwG' U.v. 25.6.1965 - IV C 73.65 - BVerwGE 21' 251/255; U.v. 28.4.1972 - IV C 11.69 - BVerwGE 40' 94/99). Demgemäß sind generalisierende Regelungen' die die Zulässigkeit von Werbeanlagen im Allgemeinen oder die Zulässigkeit bestimmter Werbeanlagen von der Art des Baugebiets abhängig machen' wiederholt als vertretbar angesehen worden (vgl. die Rechtsprechungsnachweise im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.4.1972 a.a.O.). Allerdings hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 28. April 1972 - IV C 11.69 - (BVerwGE 40' 94) entschieden' dass das generalisierende Verbot bestimmter Werbeanlagen im bestimmten Baugebieten eine Entsprechung in einem Mindestmaß an Einheitlichkeit des Baugebietscharakters finden müsse; es hat deshalb ein generelles Verbot großflächiger Werbetafeln in Mischgebieten für unzulässig angesehen. Seit dem Inkrafttreten der Baunutzungsverordnung 1990 gilt für Dorfgebiete insoweit dasselbe wie für Mischgebiete' weil auch dort nicht wesentlich störende Gewerbebetriebe dem Wohnen grundsätzlich gleichgestellt sind. Der Vorrang des Wohnens in Dorfgebieten (s. § 5 Abs. 1 BauNVO 1962 und § 5 Abs. 1 BauNVO 1968: "Dorfgebiete dienen vorwiegend der Unterbringung der Wirtschaftsstellen land- und forstwirtschaftlicher Betriebe und dem Wohnen") wurde mit der Baunutzungsverordnung 1990 abgeschafft' so dass die frühere Rechtsprechung zur (Un-)Zulässigkeit von Werbeanlagen in Dorfgebieten (vgl. BVerwG' U.v. 25.6.1965 - IV C 73.65 - BVerwGE 21' 251 m.w.N.) überholt ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat aber in seinem Urteil vom 22. Februar 1980 - 4 C 44.76 - (BayVBl 1980' 408) klargestellt' dass die erforderliche Einheitlichkeit bzw. Homogenität auch durch eine städtebaulich bedeutsame Prägung eines bestimmten Teilgebiets einer Gemeinde bewirkt sein kann. Dies setzt entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts keine "besondere" Schutzwürdigkeit des Teilgebiets voraus. Es genügt vielmehr' dass das jeweilige Straßen- und Ortsbild überhaupt schutzwürdig ist. Dies ist nach Aktenlage zumindest in dem durch die von der Beigeladenen in erster Instanz vorgelegten Fotos dokumentierten Bereich der Ortsdurchfahrt' zu dem auch der Standort der geplanten Werbeanlage gehört' der Fall' weil dieser Bereich trotz zahlreicher Gewerbebetriebe nach wie vor durch das traditionelle Straßen- und Ortsbild geprägt ist.
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Allerdings ergibt sich nicht zuletzt aus der Stellungnahme des Ortsheimatpflegers vom 12. September 2013' dass eine erhebliche Beeinträchtigung ("Verschandelung") des ländlich geprägten Straßen- und Ortsbilds jedenfalls ganz überwiegend durch großflächige Werbeanlagen erfolgt ("überdimensionale Werbeflächen"' "große Tafeln' Transparente und Fahnen"). Dagegen werden kleinere Werbeanlagen in der Regel nicht als störende Fremdkörper wahrgenommen (vgl. BVerwG' U.v. 28.4.1972 - IV C 11.69 - BVerwGE 40' 94/99: "... erweisen sich die ... Einwände als unbegründet' soweit für reine und allgemeine Wohngebiete sowie für Dorf- und Kleinsiedlungsgebiete Werbeanlagen für Zettel- und Bogenanschlag nur in Form von Säulen oder säulenähnlichen Werbeträgern in bestimmten Abmessungen zugelassen sind"). Daraus folgt' dass Regelungen' die - wie diejenige der Antragsgegnerin - Anlagen für Fremdwerbung unabhängig von ihrer Größe verbieten' regelmäßig wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unwirksam sind. Soweit die Antragsgegnerin auch einen störenden Wildwuchs kleinerer Werbeanlagen verhindern will' bleibt es ihr unbenommen' diesbezüglich eine Konzentration auf wenige ausgewählte Standorte vorzusehen.
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b) Als geeignetes Mittel für eine dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung tragende differenzierte Regelung der Zulässigkeit von Werbeanlagen bietet sich eine Ortsgestaltungssatzung gemäß Art. 81 Abs. 1 Nr. 2 BayBO an. Zwar gehören Werbeanlagen als solche weder allein zum Bauplanungsrecht noch allein zum Bauordnungsrecht; sie sind vielmehr im Ansatz je nach der gesetzgeberischen Zielsetzung sowohl einer bauplanungsrechtlichen als auch einer bauordnungsrechtlichen Regelung zugänglich (vgl. BVerwG' U.v. 28.4.1972 - IV C 11.69 - BVerwGE 40' 94). Soweit es um den Schutz des Erscheinungsbilds eines größeren Gemeindebereichs geht' kann das Instrumentarium des Bauplanungsrechts eingesetzt werden. Dagegen ist das Bauordnungsrecht einschlägig, soweit die nähere Umgebung bzw. das Straßenbild geschützt werden soll (vgl. BVerwG' U.v. 11.5.2000 - 4 C 14.98 - NVwZ 2000' 1169/1170). Dies schließt nicht aus' dass über den Schutz einer Mehrzahl von Straßenbildern letztlich mittelbar das gesamte Ortsbild geschützt wird (vgl. BVerwG, B.v. 10.7.1997 - 4 NB 15.97 - NVwZ-RR 1998, 486/487; BayVGH' U.v. 11.9.2014 - 1 B 14.169 - NVwZ-RR 2015' 193). Eine bauplanungsrechtliche Regelung ermöglicht jedoch nicht die regelmäßig bei Werbeanlagen gebotene Differenzierung nach der Größe' weil § 16 BauNVO' der näher regelt' wie das Maß der baulichen Nutzung bestimmt werden kann' für Werbeanlagen nicht passt. Hinzu kommt' dass es der Antragsgegnerin offenbar in erster Linie um den Schutz der Ortsdurchfahrt geht (vgl. die Begründung für die geplante Änderung des Bebauungsplans in der Vorlage zur Sitzung des Gemeinderats am 17.9.2013). Der Geltungsbereich des Bebauungsplans erfasst jedoch die Bereiche längs der Ortsdurchfahrt nicht vollständig. Nördlich und nordöstlich der Pfarrkirche sowie westlich der Grundstücke FlNr. 161 und 162 grenzen größere Bereiche an die Ortsdurchfahrt' die außerhalb des Plangebiets liegen' obwohl nach Aktenlage das Straßen- und Ortsbild dort ebenso schutzwürdig erscheint wie auf der anderen Straßenseite. Nach den von der Beigeladenen in erster Instanz vorgelegten Fotos würde der Schutz des Straßen- und Ortsbilds konterkariert' wenn vom Bauvorhaben aus gesehen auf der anderen Seite der Ortsdurchfahrt im Bereich des Fahrradgeschäfts und des Restaurants U... großflächige Fremdwerbeanlagen aufgestellt würden. Es erscheint deshalb unter dem Blickwinkel des Art. 3 Abs. 1 GG geboten' den Geltungsbereich der Ortsgestaltungssatzung über das Plangebiet hinaus zu erstrecken.
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c) Dem Vorhaben der Klägerin kann auch nicht die für das Plangebiet erlassene Veränderungssperre entgegengehalten werden. Innerhalb der gesetzlichen Frist zur Begründung des Zulassungsantrags (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) hat die Beigeladene als Rechtsmittelführerin lediglich vorgetragen' der Gemeinderat habe in der Sitzung vom 17. September 2013 eine Änderung des Bebauungsplans hinsichtlich der Regelungen von Eigen- und Fremdwerbung beschlossen. Der Beschluss als solcher ist aber lediglich ein Verwaltungsinternum ohne Rechtswirkung nach außen. Die für die Außenwirkung erforderliche Bekanntmachung erfolgte erst am 15. November 2013 zu einem Zeitpunkt' als die gesetzliche Begründungsfrist bereits abgelaufen war. Sie wurde dementsprechend verspätet vorgetragen' so dass die Veränderungssperre bereits aus formalen Gründen dem Zulassungsantrag nicht zum Erfolg verhelfen kann.
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Zudem ist die Veränderungssperre aus materiellen Gründen unwirksam. Nach § 2 Abs. 2 Satz 2 der Veränderungssperre dürfen Vorhaben im Sinn von § 29 BauGB generell nicht durchgeführt oder bauliche Anlagen nicht beseitigt werden. Diese Regelung' deren Wortlaut unmittelbar dem § 14 Abs. 1 Nr. 1 BauGB entnommen ist' geht jedoch weit über das hinaus' was zur Sicherung der Planung der Antragsgegnerin erforderlich ist (vgl. die Begründung für die geplante Änderung des Bebauungsplans in der Vorlage zur Sitzung des Gemeinderats am 17.9.2013). Sie berücksichtigt nicht' dass es lediglich um die Änderung eines kleinen Teils des Bebauungsplans geht' nämlich die Änderung der 14. Änderung' mit der die (Un-)Zulässigkeit von Werbeanlagen im Plangebiet geregelt wird. Statt dementsprechend die vorläufige Unzulässigkeit von Werbeanlagen zu normieren' erfasst die Veränderungssperre nahezu alle Bauvorhaben. Damit ist sie größtenteils nicht von § 14 Abs. 1 BauGB gedeckt und folglich unwirksam. Angesichts des klaren' nicht auslegungsfähigen Wortlauts kommt eine gesetzeskonforme Auslegung nicht in Betracht.
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Somit kommt es nicht mehr auf die zwischen den Beteiligten strittige Frage an' ob die Antragsgegnerin hinsichtlich der Fremdwerbeanlagen tatsächlich eine Satzungsänderung beabsichtigt oder nur eine ausreichende Begründung nachschieben möchte.
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2. Wie sich aus den Ausführungen unter 1. ergibt' weist die Rechtssache weder besondere rechtliche noch tatsächliche Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
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3. Die Beigeladene hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen' weil ihr Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2 VwGO).
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1' § 47 Abs. 3 und Abs. 1 Satz 1 sowie § 52 Abs. 1 GKG. Sie orientiert sich an Nr. 9.1.2.3.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ Heft 23/2013 Beilage 2).
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Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

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