21.02.2017 · IWW-Abrufnummer 191977
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg: Urteil vom 09.02.2017 – 14 Sa 1038/16
§ 2 Satz 1 des Berliner Neutralitätsgesetzes ist verfassungskonform dahin auszulegen, dass das Land Berlin Lehrkräften das Tragen religiös geprägter Kleidungsstücke dann untersagen kann, wenn dadurch die weltanschaulich-religiöse Neutralität einer öffentlichen Schule oder sämtlicher öffentlicher Schulen in einem bestimmten Bezirk gegenüber Schülerinnen und Schülern gefährdet oder gestört wird.
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg
Verkündet am 9. Februar 2017
Geschäftszeichen (bitte immer angeben)
14 Sa 1038/16
58 Ca 13376/15 Arbeitsgericht Berlin
Im Namen des Volkes
Urteil
in Sachen
pp.
hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, 14. Kammer,
auf die mündliche Verhandlung vom 9. Februar 2017
durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht Sch. als Vorsitzende
sowie den ehrenamtlichen Richter L. und die ehrenamtliche Richterin B. für Recht erkannt:
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 14. April 2016 – 58 Ca 13376/15 – teilweise abgeändert und das beklagte Land verurteilt, an die Klägerin eine Entschädigung in Höhe von 8.680 EUR zu zahlen.
II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 1/3 und das beklagte Land 2/3 zu tragen.
IV. Die Revision wird für das beklagte Land zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zahlung einer Entschädigung wegen einer Benachteiligung aufgrund der Religion.
Die am …. 1978 in Berlin geborene Klägerin ist deutsche Staatsangehörige, verheiratet und hat zwei Kinder. Die Klägerin ist gläubige Muslima und trägt aufgrund ihrer Glaubensüberzeugung ein Kopftuch.
Im Mai 2008 bestand die Klägerin die Zweite Staatsprüfung für das Lehramt für die Bildungsgänge der Sekundarstufe I und der Primarstufe an allgemeinbildenden Schulen mit Fächern Politische Bildung, Deutsch und Sachunterricht als weiterem Fach und erhielt die Gesamtnote „befriedigend“. Das Thema der schriftlichen Hausarbeit lautete „Handlungsorientierung im Politikunterricht am Beispiel des Planspiels in den Klassenstufen 5/6.“ Hinsichtlich des vollständigen Inhalts des Zeugnisses vom 14. Mai 2008 wird auf die Ablichtung auf Bl. 27 d. A. Bezug genommen (Anlage K1).
Am 1. September 2008 schlossen die Klägerin und der Verein I. F. in Berlin e.V. mit Wirkung vom 1. September 2008 einen Arbeitsvertrag, mit dem die Klägerin als Lehrerin für islamischen Religionsunterreicht eingestellt wurde. Die Klägerin wurde als Religionslehrerin an einer Berliner Grundschule eingesetzt.
Seit Januar 2014 befand sich die Klägerin in Elternzeit, deren Ende zum 26. Januar 2016 vorgesehen war.
Am 24. September 2003 hatte der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass es für ein Verbot für Lehrkräfte, in Schule und Unterricht ein islamisches Kopftuch zu tragen, einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage bedürfe und es dem zuständigen Landesgesetzgeber freistehe, bei Schaffung eines entsprechenden Gesetzes der Glaubensfreiheit der Lehrer wie auch der betroffenen Schüler, dem Erziehungsrecht der Eltern sowie der Pflicht des Staates zu weltanschaulich-religiöser Neutralität in angemessener Weise Rechnung zu tragen (2 BvR 1436/02, BVerfGE 108, 282).
Aufgrund dieser Entscheidung wurde im Land Berlin die Entscheidung getroffen, ein entsprechendes Gesetz zu erlassen. Am 9. Februar 2005 trat als Artikel I des Gesetzes zur Schaffung eines Gesetzes zu Artikel 29 der Verfassung von Berlin und zur Änderung des Kindertagesbetreuungsgesetzes vom 27. Januar 2005 das sog. Neutralitätsgesetz (im Folgenden: NeutrG) in Kraft (GVBl 2005, 92).
Die Präambel des Gesetzes lautet wie folgt:
„Alle Beschäftigten genießen Glaubens- und Gewissensfreiheit und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses. Keine Beschäftigte und kein Beschäftigter darf wegen ihres oder seines Glaubens oder ihres oder seines weltanschaulichen Bekenntnisses diskriminiert werden. Gleichzeitig ist das Land Berlin zu weltanschaulich-religiöser Neutralität verpflichtet. Deshalb müssen sich Beschäftigte des Landes Berlin in den Bereichen, in denen die Bürgerin oder Bürger in besonderer Weise dem staatlichen Einfluss unterworfen ist, in ihrem religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnis zurückhalten.“
§ 2 NeutrG hat folgenden Wortlaut:
„Lehrkräfte und andere Beschäftigte mit pädagogischem Auftrag in den öffentlichen Schulen nach dem Schulgesetz dürfen innerhalb des Dienstes keine sichtbaren religiösen oder weltanschaulichen Symbole, die für die Betrachterin oder den Betrachter eine Zugehörigkeit zu einer bestimmen Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft demonstrieren, und keine auffallenden religiös oder weltanschaulich geprägten Kleidungsstücke tragen. Dies gilt nicht für die Erteilung von Religions- und Weltanschauungsunterricht.“
§ 3 NeutrG hat folgenden Wortlaut:
„§ 2 Satz 1 findet keine Anwendung auf die beruflichen Schulen im Sinne von § 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 des Schulgesetzes sowie auf Einrichtungen des Zweiten Bildungswegs im Sinne von § 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 des Schulgesetzes. Die oberste Dienstbehörde kann für weitere Schularten oder für Schulen besonderer pädagogischer Prägung Ausnahmen zulassen, wenn dadurch die weltanschaulich-religiöse Neutralität der öffentlichen Schulen gegenüber Schülerinnen oder Schülern nicht infrage gestellt und der Schulfrieden nicht gefährdet oder gestört wird.“
§ 17 des Berliner Schulgesetzes lautet im ersten Absatz wie folgt:
„Die Schule gliedert sich nach Jahrgangsstufen, Schulstufen und Schularten sowie inhaltlich nach Bildungsgängen. Die Jahrgangsstufen 1 bis 6 bilden die Primarstufe (Grundschule), die Jahrgangsstufen 7 bis 10 die Sekundarstufe I; die gymnasiale Oberstufe und die beruflichen Schulen bilden die Sekundarstufe II.“
§ 17 Abs. 3 des Berliner Schulgesetzes hat folgenden Wortlaut:
„Schularten sind:
1. die Grundschule
2. als weiterführende allgemeinbildende Schulen
a) die Gesamtschule,
b) die Hauptschule,
c) die Realschule
d) die verbundene Haupt- und Realschule und
e) das Gymnasium,
3. als berufliche Schulen
a) die Berufsschule,
b) die Berufsfachschule,
c) die Fachoberschule
d) die Berufsoberschule und
e) die Fachschule,
4. die Schulen mit sonderpädagogischem Förderschwerpunkt (Sonderschulen) und
5. die Einrichtungen des Zweiten Bildungswegs zum nachträglichen Erwerb allgemeinbildender und beruflicher Abschlüsse.“
Alle im Land Berlin einzustellenden Lehrkräfte erhalten einen Arbeitsvertrag, in dem ein Einsatz „als Lehrkraft“ und die Entgeltgruppe vereinbart werden. Nach der Einstellung können die Lehrkräfte vom beklagten Land entsprechend ihrer Eignung und Befähigung an einer Schule eingesetzt werden. Hinsichtlich des Inhalts eines solchen Arbeitsvertrages mit der Formularbezeichnung „Fin 504 – Arbeitsvertrag Lehrkräfte (ohne Musikschullehrkräfte) unbefristet (10.15)“ wird beispielhaft auf den Inhalt des der Klägerin im Kammertermin vor dem Arbeitsgericht angebotenen Arbeitsvertrag Bezug genommen (Ablichtung Bl. 214 – 216 d. A., Anlage zum Sitzungsprotokoll des Arbeitsgerichts vom 14.04.2016).
Am 27. Januar 2015 entschied der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts in Bezug auf Regelungen im Schulgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen, dass ein landesweites gesetzliches Verbot religiöser Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild schon wegen der bloß abstrakten Eignung zur Begründung einer Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität in einer öffentlichen bekenntnisoffenen Gemeinschaftsschule unverhältnismäßig ist, wenn dieses Verhalten nachvollziehbar auf ein als verpflichtend verstandenes religiöses Gebot zurückzuführen ist. Nach dieser Entscheidung erforderte ein angemessener Ausgleich der verfassungsrechtlichen verankerten Positionen – der Glaubensfreiheit der Lehrkräfte, der negativen Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Schülerinnen und Schüler sowie der Eltern, des Elterngrundrechts und des staatlichen Erziehungsauftrags – eine einschränkende Auslegung der Verbotsnorm, nach der zumindest eine hinreichend konkrete Gefahr für die Schutzgüter vorliegen muss (1 BvR 471/10 und 1 BvR 1181/10, BVerfGE 138, 296).
Nach Bekanntwerden dieser Entscheidung bewarb sich die Klägerin beim Land Berlin für eine Einstellung in den Berliner Schuldienst als Lehrkraft.
Mit E-Mail vom 23. April 2015 lud das beklagte Land die Klägerin zu einem Bewerbungsgespräch für den 29. April 2015 in eine Grundschule im Rahmen eines vorgezogenen Auswahlverfahrens ein und wies darauf hin, dass es sich bei der Grundschule lediglich um den Standort des Auswahlgespräches handele. Die Festlegung einer möglichen Einsatzschule erfolge im Anschluss aller Auswahlgespräche am Ende des Tages.
Weiter wurde in der E-Mail Folgendes ausgeführt:
„Ein Großteil des Einstellungsbedarfes der allgemeinbildenden Schulen besteht an Grundschulen (in Berlin bis Klassenstufe 6). Daher ist es möglich, dass auch Bewerber/innen für Lehrbefähigung für den Bereich der weiterführenden Schulen ein Einstellungsangebot für eine Grundschule erhalten (die Vergütung in Berlin bleibt im diesem Fall identisch).“
Hinsichtlich des vollständigen Inhalts der E-Mail wird auf die Ablichtung des Ausdrucks auf Bl. 28 – 30 d. A. Bezug genommen (Anlage K2).
Am 29. April 2015 erschien die Klägerin zu dem sog. „Casting“, bei dem Schulleiter/innen von ca. 40 Schulen sowie Vertreter/innen des Gesamtpersonalrats und des beklagten Landes anwesend waren. Das „Casting“ wurde ausschließlich zur Besetzung von Stellen in Grundschulen durchgeführt.
Die Klägerin, die ein Kopftuch trug, stellte sich und ihren Lebenslauf ca. fünf Minuten lang vor. Im Anschluss wurde die Klägerin von einem/einer der anwesenden Schulleiter/innen gefragt, ob sie das Kopftuch auch im Unterricht zu tragen beabsichtige, was die Klägerin bejahte. Daraufhin wurde die Klägerin von einer Vertreterin der Senatsverwaltung auf § 2 des Berliner Neutralitätsgesetzes hingewiesen. Ob die Vertreterin der Senatsverwaltung dann äußerte, es könne sein, dass die Klägerin deshalb kein Beschäftigungsangebot bekomme – so die Behauptung des beklagten Landes – oder ob die Vertreterin sagte, eine Einstellung mit Kopftuch sei aufgrund § 2 des Berliner Neutralitätsgesetzes nicht möglich – so Behauptung der Klägerin – ist zwischen den Parteien streitig.
Im Anschluss daran wies die Klägerin auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Januar 2015 hin und die Vertreterin der Senatsverwaltung lehnte eine Diskussion über die Vereinbarkeit des Berliner Neutralitätsgesetzes mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Rahmen des Bewerbungsgespräches ab. Ob die Klägerin darauf von sich aus das Vorstellungsgespräch verließ – so die Behauptung des beklagten Landes – ist zwischen den Parteien streitig.
Mit E-Mail vom 6. Mai 2015 teilte das beklagte Land der Klägerin mit, ihr könne im Rahmen des Auswahlverfahrens für unbefristete Einstellungen des Jahres 2015/2016 leider kein Angebot für eine Einsatzschule im Berliner Schuldienst unterbreitet werden (Ablichtung des Ausdrucks auf Bl. 31 – 32 d. A., Anlage K3).
Mit E-Mail vom 7. Mai 2015 bat die Klägerin um eine schriftliche Mitteilung der Ablehnungsgründe. Mit E-Mail vom 7. Mai 2015 teilte das beklagte Land der Klägerin mit, im Ergebnis des Bewerbungsgesprächs sei es zu keiner positiven Auswahlentscheidung durch eine der anwesenden Schulen und deren Schulleitungen gekommen (Ablichtung des Ausdrucks auf Bl. 31 d. A., Anlage K3).
Mit einer E-Mail vom 13. Mai 2015 bat die Klägerin das beklagte Land um Mitteilung, ob sich die Absage nur auf das vorgezogene Auswahlverfahren beziehe oder ob die Klägerin auch in der zentralen Nachsteuerung nicht mehr berücksichtigt werde (Ablichtung des Ausdrucks auf Bl. 31 d. A., Anlage K3).
Mit einer E-Mail vom 13. Mai 2015 teilte das beklagte Land der Klägerin Folgendes mit:
„… Ihre Bewerbung befindet sich selbstverständlich noch im Auswahlverfahren (zentrale Nachsteuerung), die Absage bezog sich nur auf das vorgezogene Verfahren am 29./30.04.2015.
Die nächsten Auswahlverfahren beginnen Ende Mai, sie erhalten nächste Woche eine entsprechende Einladung.“
Hinsichtlich des vollständigen Wortlauts wird auf die Ablichtung des Ausdrucks auf Bl. 33 d. A. Bezug genommen (Bestandteil der Anlage K3).
In der Folgezeit erhielt die Klägerin eine Einladung zu einem „Casting“ für den 27. Mai 2015 in der R.-V.-Schule. Bei diesem „Casting“ wurden Lehrkräfte für Grundschulen und für Berufsschulen gesucht. Mit ihrer Qualifikation als Lehrkraft für die Sekundarstufe I ist die Klägerin auch für einen Einsatz an einer Berufsschule geeignet. Zu diesem „Casting“ erschien die Klägerin nicht.
Mit Schreiben vom 26. Juni 2015, das vorab per Telefax versendet wurde, verlangte die Klägerin von dem beklagten Land eine Entschädigung gemäß § 15 AGG, deren Höhe sich an drei Monatsgehältern orientieren sollte (Ablichtung Bl. 34 – 35 d. A., Anlage K4). Mit Schreiben vom 1. Juli 2015 lehnte das beklagte Land die Forderung ab und teilte hierbei u.a. mit, die Klägerin stehe zur Zeit auf der landesweiten Nachrückerliste, die allen Schulaufsichten und Schulen in Berlin zur Verfügung stehe. Zudem sei es sei der Klägerin selbstverständlich unbenommen, sich um eine Einstellung zum nächsten Schulhalbjahr zu bewerben, die Bewerbungsfrist ende voraussichtlich am 31. Oktober 2015. Hinsichtlich des vollständigen Inhalts des Schreibens des beklagten Landes wird auf die Ablichtung auf Bl. 36 – 37 d. A. Bezug genommen (Anlage K5).
Der Präsident des Abgeordnetenhauses des Landes Berlin hatte aufgrund einer entsprechenden Bitte der Fraktion der SPD den Wissenschaftlichen Parlamentsdienst mit der Erstellung eines Gutachtens zu verschiedenen Fragen im Zusammenhang mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Januar 2015 beauftragt. Unter dem Datum des 25. Juni 2015 erstellte der Wissenschaftliche Parlamentsdienst des Abgeordnetenhauses von Berlin ein Gutachten zu den Auswirkungen der „Kopftuch-Entscheidung“ des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Januar 2015 auf die Rechtslage im Land Berlin.
Hierbei kam der Wissenschaftliche Parlamentsdienst zu folgendem „Auslegungsergebnis“:
„Die Berliner Regelung kann im Ergebnis nicht einschränkend und verfassungskonform dahingehend ausgelegt werden, dass für ein Verbot jeweils eine hinreichend konkrete Gefahr für den Schulfrieden oder die religiöse Neutralität des Staates erforderlich ist. Die einzig mögliche Auslegung von § 2 GArt29, nämlich als pauschales Verbot religiöser Kleidungsstücke und Symbole für Lehrkräfte an den meisten öffentlichen Schulen unabhängig von einer konkreten Gefahr, verstößt aber nach Maßgabe des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Januar 2015 jedenfalls insofern gegen die Verfassung, als sie auch nachvollziehbar als verpflichtend empfundene religiöse Gebote erfass. Insoweit – und auch nur insoweit – gibt die Entscheidung Veranlassung zur Änderung der derzeitigen Regelung.“
Im Folgenden enthält das Gutachten Vorschläge für mögliche Gesetzesänderungen.
Hinsichtlich des vollständigen Inhalts des Gutachtens wird auf die Ablichtung auf Bl. 74 – 87 Rs. d. A. Bezug genommen (Anlage K7).
Mit der vorliegenden, am 28. September 2015 beim Arbeitsgericht Berlin eingegangenen, dem beklagten Land am 6. Oktober 2015 zugestellten Klageschrift hat die Klägerin die Zahlung einer Entschädigung verlangt.
Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, ihre Ablehnung im Anschluss an das Bewerbungsgespräch vom 29. April 2015 stelle eine unzulässige Benachteiligung aufgrund der Religion dar. Die Ablehnung sei allein aufgrund der Äußerung der Tatsache, dass die Klägerin im Unterricht auf Kopftuch zu tragen beabsichtige, erfolgt. Die Ablehnung könne nicht aufgrund § 8 Abs. 1 AGG i.V.m. § 2 NeutrG gerechtfertigt werden, denn § 2 NeutrG sei verfassungswidrig und eine verfassungskonforme Auslegung sei nicht möglich.
Die Klägerin hat behauptet, am 29. April 2015 habe die Vertreterin der Senatsverwaltung nach dem Hinweis der Klägerin auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Januar 2015 erklärt, eine Vermittlung sei derzeit nicht möglich und das Gespräch beendet.
Weiter hat die Klägerin die Ansicht vertreten, die Höhe der Entschädigung solle nicht unter drei Monatsgehältern liegen.
Die Klägerin hat beantragt,
das beklagte Land zu verurteilen, an die Klägerin eine angemessene Entschädigung, deren genaue Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, wegen einer Benachteiligung aufgrund der Religion zu zahlen.
Das beklagte Land hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das beklagte Land hat die Ansicht vertreten, eine Diskriminierung sei schon nach dem Vortrag der Klägerin nicht anzunehmen, denn die Klägerin habe sich selbst um die Möglichkeit einer Einstellung als Lehrkraft gebracht, indem sie nicht zum Vorstellungsgespräch am 27. Mai 2015 erschienen sei. Einen Anspruch angehender Lehrkräfte, gleich nach dem ersten von mehreren Vorstellungsgesprächen ausgewählt zu werden, gebe es ebenso wenig wie den auf Beschäftigung an einem bestimmten Schultyp.
Weiter hat das beklagte Land die Ansicht vertreten, die Nichtbeschäftigung der Klägerin an einer Berliner Grundschule beruhe auf der eindeutigen Regelung in § 2 NeutrG, an das die Berliner Verwaltung nach Maßgabe von Art. 20 Abs. 3 GG gebunden sei, solange besagte Regelung nicht vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben worden sei. Eine entsprechende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts könne durchaus anders ausfallen als die Entscheidung zum Schulgesetz in Nordrhein-Westfalen, denn das beklagte Land habe das erste Kopftuch-Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2003 nicht nur für den Schulbereich umgesetzt, sondern habe ein Gesetz für die gesamte Verwaltung geschaffen. Allerdings sei auch bei § 2 NeutrG eine abstrakte Gefährdung ausreichend, um das Verbot des Tragens eines Kopftuches oder anderer Symbole zu begründen. § 2 NeutrG sei insoweit sogar noch deutlicher formuliert als die nordrhein-westfälische Regelung, als dass sie keine „Bekundung“ wie in Nordrhein-Westfalen verlange, sondern allein das Tragen der Symbole ausreichen lasse. Im Unterschied zu dem Schulgesetz in Nordrhein-Westfalen kenne das Berliner Neutralitätsgesetz aber kein „ausnahmslos in allen öffentlichen Schulen und für alle Schüleraltersgruppen“ geltendes, flächendeckendes Verbot, für das ausnahmslos eine abstrakte Gefährdung des Schulfriedens für ein Kopftuchverbot ausreiche, sondern schränke das Verbot bei Lehrkräften auf bestimmte Schularten, nämlich Grundschulen, ISS und Gymnasien sowie Förderschulen ein und lasse zudem noch Ausnahmeregelungen im Einzelfall zu.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des unstreitigen Sachverhaltes sowie des streitigen Vorbringens der Parteien I. Instanz wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen. Ferner wird auf die erstinstanzlich eingereichten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
Im Kammertermin vor dem Arbeitsgericht bot das beklagte Land der Klägerin den Abschluss eines Arbeitsvertrages als Lehrkraft an, hinsichtlich dessen Inhalt auf die Ablichtung auf Bl. 214 – 216 d. A. Bezug genommen wird (Anlage zum Sitzungsprotokoll vom 14. April 2016). Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin erklärte zu Protokoll, die Klägerin könne dieses Arbeitsvertragsangebot nicht annehmen, da daraus ein Einsatz ausschließlich in der Berufsschule folgen würde.
Durch ein Urteil vom 14. April 2016 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, die Klage sei zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin sei zwar wegen ihrer Religionszugehörigkeit im Sinne des § 3 Abs. 1 AGG unmittelbar benachteiligt worden. Denn die Klägerin sei nicht für eine Lehrerstelle an einer Berliner Grundschule ausgewählt worden, wodurch sie eine ungünstigere Behandlung als diejenigen Bewerber erfahren habe, die für eine Erstanstellung an einer Berliner Grundschule ausgewählt worden seien. Ein Kausalzusammenhang zwischen der benachteiligten Behandlung und dem Anknüpfungsmerkmal Religion bestehe. Die Klägerin sei im Bewerbungsgespräch am 29. April 2015 befragt worden, ob sie das Kopftuch im Unterricht tragen wolle, was die Klägerin bejaht habe. Eine Vertreterin der Schulverwaltung habe die Klägerin auf das Neutralitätsgesetz hingewiesen. Später sei die Absage seitens des beklagten Landes erfolgt. Es lägen damit Indizien gemäß § 22 AGG vor, die für ein unmittelbares Anknüpfen an die Religion sprächen. Diese Indizien seien auch nicht durch das beklagte Land widerlegt worden und das beklagte Land habe sich im vorliegenden Rechtsstreit selbst auf § 2 NeutrG berufen. Soweit das beklagte Land auf die Möglichkeit der Unterrichtstätigkeit an einer Berufsschule verwiesen habe, spreche das nicht gegen eine Benachteiligung, weil die Klägerin sich im Rahmen des Bewerbungsgesprächs vom 29. April 2015 um die Stelle einer Grundschullehrerin beworben habe. Denn im Rahmen des Bewerbungsgesprächs vom 29. April 2015 seien ausschließlich Lehrkräfte für Grundschulen gesucht worden. Weiter hat das Arbeitsgericht ausgeführt, die unterschiedliche Behandlung der Klägerin aus religiösen Gründen sei aber gemäß § 8 AGG zulässig. Im Streitfall sei zwar nicht eine bestimmte Religionszugehörigkeit oder gerade deren Fehlen Voraussetzung für die Ausübung der fraglichen Tätigkeit. Gleichwohl liege ein Anwendungsfall von § 8 Abs. 1 AGG vor.
Der Klägerin gereiche eine bestimmte Form ihrer Religionsausübung – das Tragen des islamischen Kopftuchs – zum Nachteil. Deren Unterlassung werde aufgrund des Verbots gemäß § 2 Satz 1 NeutrG zu einer wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung im Sinne des § 8 Abs. 1 AGG für die Unterrichtstätigkeit der Klägerin an einer Grundschule. Das Arbeitsgericht hat ferner ausgeführt, mit dem Neutralitätsgesetz verfolge der Landesgesetzgeber den rechtmäßigen Zweck, dem verfassungsrechtlichen Gebot zu staatlicher Neutralität eine stärker distanzierende Bedeutung in den Bereichen des öffentlichen Dienstes beizumessen, in denen die Mitarbeiter des Staates – seien es Beamte oder Angestellte – dem Bürger mit einer besonderen durch Ausübung von Hoheitsrechten vermittelten Außenwirkung gegenüberträten. Die streitige Frage, ob die Verpflichtung der Lehrkräfte des beklagten Landes, im Schuldienst keine religiös konnotierten Kleidungsstücke zu tragen, ein unverhältnismäßiger Eingriff in die individuelle Glaubens- und Bekenntnisfreiheit gemäß Art. 4 Abs. 1 und 2 GG sei und deshalb keine angemessene Anforderung im Sinne des § 8 AGG darstelle, habe der Landesgesetzgeber mit Erlass des (pauschalen) Verbots gemäß § 2 NeutrG entschieden. Ausweislich der Begründung der Beschlussvorlage des Senats habe das Abgeordnetenhaus in Ansehung und Abwägung der widerstreitenden Grundrechtspositionen über die Gesetzesvorlage entschieden. Im vorliegenden Fall ergäben sich aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Januar 2015 zur Regelung in § 57 Abs. 4 Schulgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des in § 2 NeutrG enthaltenen Verbots. Die Kammer habe aber keine über Zweifel hinausgehende Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit von § 2 NeutrG. Hierzu hat das Arbeitsgericht ausgeführt, die Kammer sehe Besonderheiten der Berliner Regelung im Vergleich zu § 57 Abs. 4 Schulgesetz Nordrhein-Westfalen. Das beklagte Land habe sich bei der Schaffung des Neutralitätsgesetzes auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. September 2003 bezogen. Dem Gesetzgeber sei ein Gestaltungsspielraum zugewiesen worden, welcher es ihm ermögliche, gesetzlich zu regeln, inwieweit er religiöse Bezüge in der Schule zulasse oder wegen einer strikteren Neutralitätsverständnisses aus der Schule heraushalte. Auch nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Januar 2015 verfüge der Gesetzgeber über eine Einschätzungsprärogative. Dieser bestehende Gestaltungsspielraum der Länder schließe ein, dass die einzelnen Länder zu verschiedenen Regelungen kommen könnten, weil bei dem zu findenden Mittelweg auch Schultraditionen, die konfessionelle Zusammensetzung der Bevölkerung und ihre mehr oder weniger starke religiöse Verwurzelung berücksichtigt werden dürften. Bei der Beurteilung der Verfassungswidrigkeit des § 2 NeutrG habe die Kammer auch auf die Vorlage des Berliner Senats zur Beschlussfassung über das Gesetz im Abgeordnetenhaus vom 5. Oktober 2004 (Drucksache 15/3249) abgestellt, weil die darin enthaltenen Motive Aufschluss über die Grundlagen der vom Gesetzgeber getroffenen Abwägung der widerstreitenden Grundrechtspositionen gäben. Die Berliner Regelung betreffe nicht ausschließlich den Bereich des Schulunterrichts in bestimmten Schultypen, sondern alle Bereiche der Verwaltung, in denen die Beschäftigten des beklagten Landes im Rahmen ihrer dienstlichen Tätigkeit typischerweise dem Bürger gegenüber träten, um auch Hoheitsrechte auszuüben. Die Glaubwürdigkeit des Handelns staatlicher Hoheitsträger setze die strikte Einhaltung der verfassungsrechtlich gebotenen Neutralität voraus. Die staatliche Unparteilichkeit habe auch der Senat des beklagten Landes gemäß seiner Beschlussvorlage als Grundbedingung für ein friedliches Zusammenleben verschiedener religiöser und weltanschaulicher Gruppierungen gesehen. Dabei sei auch die Besonderheit des Landes Berlin zu berücksichtigen, dass mit seiner großstädtisch-heterogenen Bevölkerungsstruktur und seiner konfessionellen Vielgestaltigkeit ein besonderes Konfliktpotential biete und daher stärker nach einer restriktiven Regelung verlange. Demzufolge werde gemäß § 1 NeutrG das Tragen religiöser Symbole und Kleidungsstücke zunächst für die die Bereiche der Rechtspflege, des Justizvollzugs und der Polizei eingeschränkt. Es sei konsequent und aus Sicht der Kammer verfassungsrechtlich zulässig, diese Einschränkung auch auf Lehrkräfte an öffentlichen Schulen zu erstrecken. Zu Recht sei in der Beschlussvorlage ausgeführt worden, dass es im Schulbereich weiterhin durch konkrete Auseinandersetzungen zu einer Störung des Schulfriedens kommen könne, die letztlich den staatlichen Erziehungsauftrag gefährde. Um dies zu verhindern, sei der Staat nicht nur gehalten, in Schulen eine neutrale Gestaltung der Räumlichkeiten zu ermöglichen, sondern er müsse auch verhindern, dass anders- oder nichtgläubige Schülerinnen und Schüler von Lehrerinnen und Lehrern unterrichtet würden, die sichtbare religiöse oder weltanschauliche Symbole bzw. entsprechend auffallende Kleidungsstücke trügen. Weiter hat das Arbeitsgericht auf eine Entscheidung des OVG Berlin-Brandenburg Bezug genommen, in der die ausgeprägte religiöse Heterogenität an einem Berliner Gymnasium beschrieben wurde. Diese Darstellung bestätige beispielhaft die Existenz von religiös bedingten Konflikten an den Schulen des Landes Berlin, die auch mit einer anderen Rollenverteilung, bei denen Schüler und Schülerinnen mit einem islamischen Glaubensbekenntnis Opfer von Übergriffen anders- bzw. nichtgläubiger Schüler seien, aufträten. Es könne entsprechend der Begründung der abweichenden Meinung zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 27. Januar 2015 nicht allein darauf abgestellt werden, dass der Staat eine ihm unmittelbar nicht zuzurechnende individuelle Grundrechtsausübung seiner Pädagogen nur dulde und die Schüler lediglich eine bestimmte Bekleidung der Pädagogen anzuschauen hätten, die erkennbar auf deren individuelle Entscheidung zurückgehe. Eine solche vereinfachende Differenzierung zwischen dem Staat zurechenbaren Symbolen und individueller religiös konnotierter Bekleidung von Pädagogen blende die Wirklichkeit aus, die auch die individuelle Grundrechtsausübung einer Lehrperson auf Schülerinnen und Schüler haben könne. Ferner hat das Arbeitsgericht ausgeführt, für die verfassungsmäßige Verhältnismäßigkeit des § 2 NeutrG spreche auch, dass das Verbot des Tragens religiöser Symbole und Kleidungsstücke gemäß § 3 NeutrG nicht für die beruflichen Schulen und die Einrichtungen des zweiten Bildungsweges gelte. Dies werde vom Landesgesetzgeber damit begründet, dass der Erziehungsaspekt bei älteren Schülern zurücktrete und von stärkerer Eigenständigkeit ausgegangen werden könne. Im Übrigen behandele das Neutralitätsgesetz alle Religionen und Glaubensbekenntnisse gleich. Das Arbeitsgericht hat weiter ausgeführt, da die Kammer keine über Zweifel hinausgehende Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit des § 2 NeutrG habe, komme es nicht auf die Frage der Entscheidungserheblichkeit dieser Norm an. Es hab deshalb auch nicht geklärt werden müssen, ob hier die Entscheidungserheblichkeit ausscheide, weil § 2 NeutrG nicht mit Unionsrecht vereinbar und deshalb unanwendbar sei. Eine Vorlage an den EuGH sei nach Auffassung der Kammer auch aus sonstigen Gründen nicht angezeigt; § 2 NeutrG verstoße nicht gegen Unionsrecht. Schließlich hat das Arbeitsgericht ausgeführt, an der Geeignetheit des Verbots des Tragens religiös geprägter Kleidungsstücke zur Durchsetzung des Neutralitätsgebotes bestünden keine Zweifel. Die Kammer gehe davon aus, dass dieses Verbot unionsrechtlich dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspreche und angemessen im Sinne des Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG sei. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Gegen dieses ihr am 23. Mai 2016 zugstellte Urteil hat die Klägerin mit einem am 23. Juni 2016 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese – nach Verlängerung der Berufungsbegründungsbegründungsfrist bis zum 23. August 2016 – mit einem am 23. August 2016 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.
Die Klägerin tritt dem angefochtenen Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags entgegen und ist der Ansicht, das Arbeitsgericht hätte die von der Klägerin angebotenen Zeugen hören müssen. Durch die Zeugenbefragung wäre deutlich geworden, dass die Klägerin als Grundschullehrerin geeignet sei und dass die Ablehnung der Klägerin eigentlich auf dem Verbot des § 2 NeutrG beruhe. Weiterhin wäre durch die Befragung der Zeugen deutlich geworden, dass es Schulen in Berlin gebe, an welchen sich die Schulleitungen vorstellen könnten, Lehrerinnen mit Kopftuch einzustellen. Die Einschätzungen der Schulleiter wären im vorliegenden Fall auch notwendig gewesen, da so ein nicht nur abstrakter Einblick in die tatsächliche Konfliktklage an Berliner Schulen hinsichtlich der unterschiedlichen Religionen möglich gewesen wäre.
Weiter ist die Klägerin der Ansicht, eine Einschränkung ihrer Tätigkeit als Lehrkraft ausschließlich an berufsbildenden Schulen sei mit den Grundsätzen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Januar 2015 und dem AGG nicht vereinbar.
Die Klägerin ist ferner der Ansicht, § 2 NeutrG sei verfassungswidrig, denn die Norm widerspreche den Maßstäben, die das Bundesverfassungsgericht im Beschluss vom 27. Januar 2015 aufgestellt habe. Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht sei daher statthaft. Das Arbeitsgericht habe es versäumt, eine eigene Abwägung der Grundrechtspositionen vorzunehmen.
Die Klägerin beantragt,
das am 14. April 2016 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Berlin 58 Ca 13376/15 abzuändern und das beklagte Land zu verurteilen, an die Klägerin eine angemessene Entschädigung wegen einer Benachteiligung aufgrund der Religion zu zahlen, deren genaue Höhe ins Ermessen des Gerichts gestellt wird.
Das beklagte Land beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Das beklagte Land verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrags und ist der Ansicht, eine Benachteiligung der Klägerin liege nicht vor und selbst wenn diese vorliegen sollte, wäre sie jedenfalls gemäß § 8 AGG zulässig. § 2 NeutrG sei weder verfassungswidrig noch europarechtswidrig.
Das beklagte Land behauptet, die Klägerin habe das Vorstellungsgespräch vom 29. April 2015 von sich aus beendet, nachdem die von ihr gewünschte Grundsatzdiskussion nicht zustande gekommen sei.
Das beklagte Land ist der Ansicht, die Klägerin habe sich durch ihr Nichterscheinen zum Vorstellungsgespräch am 27. Mai 2015 selbst um die Möglichkeit gebracht, als Lehrkraft an einer Berliner Schule angestellt zu werden.
Weiter ist das beklagte Land der Ansicht, eine unmittelbare Benachteiligung der Klägerin liege nicht vor, weil der Klägerin im Kammertermin vor dem Arbeitsgericht genau der Arbeitsvertrag angeboten worden sei, den sie auch bei Auswahl bei dem Vorstellungsgespräch (Casting), an dem sie teilgenommen hätte, erhalten hätte. Eine bessere Rechtsposition könne die Klägerin in keinem Fall erhalten, weil das beklagte Land in den Arbeitsverträgen mit angestellten Lehrkräften weder Festschreibungen einer konkreten Schule noch auch nur eines speziellen Schultyps als Einsatzort vornehme und auf das ihm nach der geltenden Rechtsordnung und der ständigen Rechtsprechung des Bundessarbeitsgerichts zustehende Direktionsrecht nicht verzichte. Da kein Bewerber einen Rechtsanspruch auf einen Arbeitsvertrag als Lehrkraft ausschließlich an einer Grundschule des Landes Berlin habe, scheide eine Diskriminierung der Klägerin aus einem der in § 1 AGG Gründe vorliegend bereits tatbestandlich aus.
Das beklagte Land ist ferner der Ansicht, es liege nicht einmal ein Indiz im Sinne des § 22 AGG für eine unzulässige Benachteiligung der Klägerin aus einem der der § 1 AGG genannten Gründe vor.
Schließlich ist das beklagte Land der Ansicht, dass dann, wenn der Klägerin eine Entschädigung zuzusprechen sei, diese allenfalls drei Monatsverdienste betragen könne.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze vom 23. August 2016, vom 14. November 2016, vom 17. Januar 2017 und vom 8. Februar 2017 sowie auf das Sitzungsprotokoll vom 9. Februar 2017 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
A
Die Berufung ist zulässig.
Sie ist gem. §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthaft und frist- und formgerecht im Sinne der §§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG i. V. m. §§ 519, 520 ZPO eingelegt und begründet worden.
B
Die Berufung hat auch in der Sache überwiegend Erfolg.
I.
Die Klage ist zulässig.
Der auf Zahlung einer Entschädigung gerichtete Klageantrag ist zulässig, insbesondere ist er hinreichend bestimmt im Sinne von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Die Klägerin durfte die Höhe der von ihr begehrten Entschädigung in das Ermessen des Gerichts stellen. § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG räumt dem Gericht bei der Höhe der Entschädigung einen Beurteilungsspielraum ein, weshalb eine Bezifferung des Zahlungsantrags nicht notwendig ist. Die Klägerin hat auch Tatsachen benannt, die das Gericht bei der Bestimmung des Betrags heranziehen soll und die Größenordnung der geltend gemachten Forderung angegeben (vgl. hierzu z. B. BAG, 17.12.2015, 8 AZR 421/14, NZA 2016, 888 m.w.N.).
Die Klägerin nennt als Grundlage für die Entschädigung das monatliche Bruttogehalt gemäß Entgeltgruppe E 11 Stufe 5 TV-L (4.340,00 EUR) und ist der Ansicht, die Entschädigung sollte nicht unter drei Monatsverdiensten liegen. Dies ergibt 13.020,00 EUR.
II.
Die Klage ist überwiegend begründet, im Übrigen ist sie unbegründet.
Die Klägerin hat gegen das beklagte Land einen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AGG in Höhe von 8.680,00 EUR.
1.) Die Klägerin ist als Bewerberin für eine Stelle als Lehrkraft „Beschäftigte“ nach § 6 Abs. 1 Satz 2, 1. Alternative AGG und fällt daher unter den persönlichen Anwendungsbereich des AGG.
2.) Das beklagte Land ist als „Arbeitgeber“ passivlegitimiert. Nach § 6 Abs. 2 Satz 1 AGG ist Arbeitgeber im Sinne des Gesetzes, wer „Personen nach Abs. 1“ des § 6 AGG „beschäftigt“. Arbeitgeber ist mithin auch derjenige, der um Bewerbungen für ein von ihm angestrebtes Beschäftigungsverhältnis bittet (vgl. z. B. BAG, 14.11.2013, 8 AZR 997/12, NZA 2014, 489 m.w.N.).
3.) Die Klägerin hat ihren Entschädigungsanspruch innerhalb der Fristen des § 15 Abs. 4 AGG, § 61 b Abs. 1 ArbGG geltend gemacht.
a) Gemäß § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG muss ein Anspruch aus § 15 Abs. 2 AGG innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden. Im Falle einer Bewerbung beginnt die Frist mit dem Zugang der Ablehnung (§ 15 Abs. 4 Satz 2 AGG), nicht jedoch vor dem Zeitpunkt, in dem der Bewerber von seiner Benachteiligung Kenntnis erlangt.
Die Ablehnung der Bewerbung durch das beklagte Land – bezogen auf das vorgezogene Auswahlverfahren – mit E-Mail vom 6. Mai 2015 ist der Klägerin am selben Tage zugegangen.
Die Klägerin machte mit anwaltlichem Schreiben vom 26. Juni 2015, das sie vorab per Telefax an das beklagte Land gesendet hatte, einen Entschädigungsanspruch gemäß § 15 Abs. 2 AGG außergerichtlich geltend und gab an, die Höhe solle sich an drei Monatsverdiensten orientieren, welche in diesem Bereich üblich seien.
b) Die am Montag, dem 28. September 2015 beim Arbeitsgericht eingegangene Klage, die dem beklagten Land am 6. Oktober 2015 zugestellt worden ist, hat die Frist des § 61 b Abs. 1 ArbGG gewahrt. Die Klage wurde innerhalb von drei Monaten nach der schriftlichen Geltendmachung des Anspruchs erhoben.
Für die Fristwahrung genügte gemäß § 167 ZPO der Eingang der Klage beim Arbeitsgericht, weil deren Zustellung „demnächst“ erfolgte (vgl. entsprechend z. B. BAG, 16.02.2012, 8 AZR 697/10, NZA 2012, 667 und BAG 22.05.2014, 8 AZR 662/13, NZA 2014, 924).
4.) Das beklagte Land hat gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 AGG verstoßen.
a) Der Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG setzt einen Verstoß gegen das in § 7 Abs. 1 AGG geregelte Benachteiligungsverbot voraus (§ 15 Abs. 2 i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 1 AGG) und ist verschuldensunabhängig (vgl. z. B. BAG, 17.12.2015, 8 AZR 421/14, NZA 2016, 888).
b) Nach dem in § 7 Abs. 1 AGG bestimmten Benachteiligungsverbot ist eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, u.a. wegen der Religion, untersagt. § 7 AGG verbietet sowohl unmittelbare als auch mittelbare Benachteiligung (vgl. z. B. BAG a.a.O.).
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG liegt eine unmittelbare Benachteiligung vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, u.a. wegen der Religion, eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Nach § 3 Abs. 2 AGG liegt eine mittelbare Benachteiligung vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes gegenüber anderen Personen benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung die Ziels angemessen und erforderlich.
c) Im Hinblick auf eine – insbesondere bei einer Einstellung zu treffende – Auswahlentscheidung des Arbeitgebers befinden sich Personen grundsätzlich bereits dann in einer vergleichbaren Situation, wenn sie sich für dieselbe beworben haben (vgl. z. B. BAG, 17.12.2015, 8 AZR 421/14, NZA 2016, 888 m.w.N.).
d) Das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG erfasst nicht jede Ungleichbehandlung, sondern nur eine Ungleichbehandlung „wegen“ eines in § 1 AGG genannten Grundes. Zwischen der benachteiligenden Behandlung und einem in § 1 AGG genannten Grund muss demnach ein Kausalzusammenhang bestehen. Dafür ist es nicht erforderlich, dass der betreffende Grund iSv. § 1 AGG das ausschließliche oder auch nur ein wesentliches Motiv für das Handeln des Benachteiligenden ist; er muss nicht - gewissermaßen als vorherrschender Beweggrund, Hauptmotiv oder „Triebfeder“ des Verhaltens - handlungsleitend oder bewusstseinsdominant gewesen sein; vielmehr ist der Kausalzusammenhang bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung an einen Grund iSv. § 1 AGG anknüpft oder durch diesen motiviert ist, wobei bloße Mitursächlichkeit genügt. Bei der Prüfung des Kausalzusammenhangs sind alle Umstände des Rechtsstreits im Sinne einer Gesamtbetrachtung und -würdigung des Sachverhalts zu berücksichtigen (vgl. BAG, 19.05.2016, 8 AZR 470/14, NZA 2016, 1394 und BAG, 17.12.2015, 8 AZR 421/14, NZA 2016, 888, jeweils mwN).
e) Für den Rechtsschutz bei Diskriminierungen sieht § 22 AGG eine Erleichterung der Darlegungslast, eine Absenkung des Beweismaßes und eine Umkehr der Beweislast vor. Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen, trägt nach § 22 AGG die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat (BAG aaO).
Danach genügt eine Person, die sich durch eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für beschwert hält, ihrer Darlegungslast bereits dann, wenn sie Indizien vorträgt, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes erfolgt ist. Dies gilt nicht nur im Hinblick auf § 7 Abs. 1 Halbs. 1 AGG, sondern ebenso im Hinblick auf das Vorliegen der Voraussetzungen von § 7 Abs. 1 Halbs. 2 AGG, also bezogen auf die Frage, ob der Benachteiligende das Vorliegen eines in § 1 AGG genannten Grundes bei der Benachteiligung nur angenommen hat (BAG aaO).
Besteht die Vermutung einer Benachteiligung, trägt die andere Partei die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt worden ist. Hierfür gilt jedoch das Beweismaß des sog. Vollbeweises. Der Arbeitgeber muss demnach Tatsachen vortragen und ggf. beweisen, aus denen sich ergibt, dass ausschließlich andere als die in § 1 AGG genannten Gründe zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben. Die Beweiswürdigung erfolgt nach § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO unter Zugrundelegung der Vorgaben von § 22 AGG (vgl. BAG aaO mwN).
f) Im vorliegenden Fall hat das beklagte Land die Klägerin unmittelbar wegen ihrer Religion benachteiligt, denn es versagte der Klägerin die Beschäftigung an einer allgemeinbildenden Schule im Land Berlin in der Primarstufe (Grundschule), weil die Klägerin als gläubige Muslima auch im Dienst ein islamisches Kopftuch tragen möchte.
Entgegen der Ansicht des beklagten Landes entfällt eine Benachteiligung nicht deshalb, weil das beklagte Land die Klägerin jederzeit einstellen würde und keine der im Land Berlin beschäftigten Lehrkräfte einen Anspruch auf eine Beschäftigung an einem bestimmten Schultyp hat. Jede neu eingestellte Lehrkraft mit der Qualifikation der Klägerin hat die Chance, auch an einer allgemeinbildenden Schule in der Primarstufe und in der Sekundarstufe I beschäftigt zu werden. Dagegen ist die Klägerin von dieser Möglichkeit von vorneherein und nur deshalb ausgenommen, weil sie im Dienst ein islamisches Kopftuch tragen möchte.
Bezogen auf das „Casting“ vom 29. April 2015 bestand keine Möglichkeit, dass die Klägerin eingestellt würde. Denn unstreitig wurden bei diesem „Casting“ nur Lehrkräfte für Grundschulen gesucht. Unstreitig ist auch, dass das beklagte Land dringend Grundschullehrer benötigte und benötigt und mangels ausreichender Bewerberzahlen sogar sog. Quereinsteiger ohne pädagogische Ausbildung sucht. Ferner ist unstreitig, dass die Klägerin bei dem „Casting“ auf ihr Kopftuch angesprochen und gefragt wurde, ob sie beabsichtige, dieses auch im Dienst zu tragen. Als die Klägerin diese Frage bejahte, wurde sie unstreitig auf § 2 NeutrG hingewiesen.
Die Klägerin hat im vorliegenden Fall nicht nur Indizien vorgetragen, die auf eine Diskriminierung wegen der islamischen Religion schließen lassen, sondern die von der Klägerin vorgetragenen Tatsachen sind insoweit unstreitig.
Das beklagte Land hat im vorliegenden Rechtsstreit keine Tatsachen vorgetragen, aus denen sich ergeben könnte, dass ausschließlich andere Gründe als die Äußerung der Klägerin, im Dienst ein islamisches Kopftuch tragen zu wollen, zur Absage vom 6. Mai 2015 geführt hätten.
In der Klageerwiderung führte das beklagte Land ausdrücklich aus, die Nichtbeschäftigung der Klägerin an einer Grundschule beruhe „im Übrigen“ auf der eindeutigen Regelung in § 2 NeutrG, an das die Berliner Verwaltung nach Maßgabe von Art. 20 Abs. 3 GG gebunden sei, solange besagte Regelung nicht vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben worden sei.
Das beklagte Land hat auch nicht etwa behauptet, die Klägerin hätte wegen ihres Notendurchschnitts die Absage vom 6. Mai 2015 erhalten. Erstmals in der Berufungserwiderung führte das beklagte Land aus, von den 26 am 29. April 2015 erschienenen Bewerbern seien 23 ausgewählt worden und alle nicht ausgewählten Bewerber mit der gleichen Laufbahn der Klägerin hätten die Note 3 gehabt. Dieser Vortrag erfolgte allerdings nicht zur Begründung der Ablehnung vom 6. Mai 2015, sondern zur Begründung, dass die - eventuelle - Entschädigung nicht mehr als drei Monatsverdienste betragen solle.
Entgegen der Ansicht des beklagten Landes war von einer ernsthaften Bewerbung der Klägerin auszugehen. Die Klägerin, die als Grundschullehrerin arbeiten möchte und wusste, dass sie vom Land Berlin mit einem islamischen Kopftuch nicht in einer Grundschule beschäftigt werden würde, hatte nach Abschluss der Zweiten Staatsprüfung mit der i. F. in Berlin e.V. einen Arbeitsvertrag als Religionslehrerin geschlossen, um in Berlin an Grundschulen unterrichten zu können. Erst nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Januar 2015 bewarb sich die Klägerin beim beklagten Land als Lehrkraft in der Hoffnung, das beklagte Land werde diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bei der Einstellung berücksichtigen. Dies wird auch aufgrund der unstreitigen Tatsache deutlich, dass die Klägerin bei dem „Casting“ vom 29. April 2015 nach dem Hinweis des beklagten Landes auf das Neutralitätsgesetz versuchte, über die damals neue Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu diskutieren.
Unerheblich ist, ob die Klägerin das Gespräch am 29. April 2015 von sich aus abbrach, wie das beklagte Land behauptet. Denn die Klägerin war – wie oben bereits ausgeführt wurde – während des „Castings“ auf ihr Kopftuch angesprochen und auf das Berliner Neutralitätsgesetz hingewiesen worden und unstreitig wurden bei diesem „Casting“ ausschließlich Grundschullehrer gesucht. Als eine solche Grundschullehrerin wäre die Klägerin wegen ihres islamischen Kopftuchs und der Äußerung, sie wolle dieses auch im Dienst tragen, ohnehin nicht ausgewählt worden.
g) Die unterschiedliche Behandlung der Klägerin im Vergleich zu den anderen Bewerber/innen war nicht gemäß § 8 Abs. 1 AGG zulässig.
aa) Nach § 8 Abs. 1 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen eines in § 1 AGG Grundes zulässig, wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist. § 8 Abs. 1 AGG dient der Umsetzung von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG in das nationale Recht. § 8 Abs. 1 AGG ist unionsrechtskonform in Übereinstimmung mit der Richtlinie unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EUGH eng auszulegen (vgl. z. B. BAG, 19.05.2016, 8 AZR 470/14, NZA 216, 1394).
Bei der Anwendung von § 8 Abs. 1 AGG ist zu beachten, dass nicht der Grund, auf den die Ungleichbehandlung gestützt ist, sondern nur ein mit diesem Grund im Zusammenhang stehendes Merkmal eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellen kann und dass ein solches Merkmal – oder sein Fehlen – nur dann eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung im Sinne des § 8 Abs. 1 AGG ist, wenn davon die ordnungsgemäße Durchführung der Tätigkeit abhängt (vgl. BAG a.a.O. m.w.N. aus der Rechtsprechung des EuGH und des BAG).
bb) Das Unterlassen des Tragens eines islamischen Kopftuches ist keine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung für die Tätigkeit einer Lehrerin an einer allgemeinbildenden Schule in der Primarstufe oder der Sekundarstufe I in Berlin, denn die ordnungsgemäße Durchführung dieser Tätigkeit hängt nicht davon ab, ob die Lehrerin ein islamisches Kopftuch trägt oder nicht, sondern davon, ob die Lehrerin die Zweite Staatsprüfung für das Lehramt für die Bildungsgänge der Sekundarstufe I und der Primarstufe an allgemeinbildenden Schulen bestanden hat. Mit diesem Abschluss ist eine Lehrerin, die ein islamisches Kopftuch trägt, ohne weiteres dazu in der Lage, Kinder zu unterrichten.
cc) Allerdings dürfen Lehrkräfte im Land Berlin gem. § 2 Satz 1 NeutrG in den öffentlichen Schulen nach dem Schulgesetz innerhalb des Dienstes u. a. keine auffallend religiös geprägten Kleidungsstücke tragen, worunter auch das islamische Kopftuch fällt. Ausgenommen sind von dieser Regelung gem. § 3 Satz 1 NeutrG nur die beruflichen Schulen im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 3 Satz 1 Nr. 3 des Schulgesetzes sowie Einrichtungen des Zweiten Bildungsweges im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 des Schulgesetzes. Ferner kann die oberste Dienstbehörde gem. § 3 Satz 2 NeutrG für weitere Schularten unter bestimmten Voraussetzungen Ausnahmen zulassen.
Nach der Rechtsprechung des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts, der sich die erkennende Kammer angeschlossen hat, verletzt ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrkräfte an öffentlichen Schulen deren Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit (BVerfG, 27.01.2015, 1 BvR 471/10 und 1 BvR 1181/10 BVerfGE 138, 296; vgl. auch BVerfG, 18.10.2016, 1 BvR 354/11, NZA 2016, 1522 zum Kopftuchverbot für Erzieherinnen an öffentlichen Kindertagesstätten).
Nach dieser Rechtsprechung ist ein Verbot religiöser Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild, das bereits die abstrakte Gefahr einer Beeinträchtigung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität ausreichen lässt, im Hinblick auf die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Pädagogen jedenfalls unangemessen und damit unverhältnismäßig, wenn die Bekundung nachvollziehbar auf ein als verpflichtend empfundenes religiöses Gebot zurückführbar ist. Erforderlich ist vielmehr eine hinreichend konkrete Gefahr. Eine entsprechende gebietsbezogene, möglicherweise auch landesweite Untersagung kommt von Verfassungs wegen für öffentliche bekenntnisoffene Schulen nur dann in Betracht, wenn eine hinreichend konkrete Gefahr für die genannten Schutzgüter im gesamten Geltungsbereich der Untersagung besteht (BVerfG, 27.01.2015, 1 BvR 471/10 und 1 BvR 1181/10 a. a. O.).
Allein das Tragen eines „islamischen Kopftuches“ begründet eine hinreichend konkrete Gefahr im Regelfall nicht. Denn vom Tragen einer solchen Kopfbedeckung geht für sich genommen noch kein werbender oder gar missionierender Effekt aus. Ein „islamisches Kopftuch“ ist in Deutschland nicht unüblich, sondern spiegelt sich im gesellschaftlichen Alltag vielfach wider (vgl. BVerfG, 18.10.2016, 1 BvR 354/11, NZA 2016, 1522).
§ 2 Satz 1 NeutrG verbietet nach seinem Wortlaut das Tragen von auffallend religiös geprägten Kleidungsstücken, ohne dies von weiteren Voraussetzungen, wie z. B. vom Vorliegen einer konkreten Gefahr, abhängig zu machen und stellt damit jedenfalls nach seinem Wortlaut ein pauschales Kopftuchverbot dar.
Dieses pauschale Kopftuchverbot verletzt die Klägerin in ihrem Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG.
(1) Der Schutz des Grundrechts auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit (Art. 1 Abs. 1 und 2 GG) gewährleistet auch den Pädagoginnen und Pädagogen in der öffentlichen bekenntnisoffenen Schule die Freiheit, den Regeln ihres Glaubens gemäß einem religiösen Bedeckungsgebot zu genügen, wie dies etwa durch das Tragen eines islamischen Kopftuchs der Fall sein kann, wenn dies hinreichend plausibel begründet wird (BVerfG, 27.01.2015, 1 BvR 471/10 und 1 BvR 1181/10 a. a. O.).
(a) Auch Angestellte im öffentlichen Dienst können sich auf ihr Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG berufen. Die Grundrechtsberechtigung der Angestellten wird durch ihre Eingliederung in den staatlichen Aufgabenbereich der Schule nicht von vorneherein oder grundsätzlich in Frage gestellt. Der Staat bleibt zudem auch dann an die Grundrechte gebunden, wenn er sich zur Aufgabenerfüllung zivilrechtlicher Instrumente bedient, wie das hier durch den Abschluss privatrechtlicher Arbeitsverträge mit den zur Erfüllung seines Erziehungsauftrags von ihm angestellten Pädagoginnen der Fall ist, Art. 1 Abs. 3 GG (BVerfG a. a. O.).
(b) Art. 4 GG garantiert in Absatz 1 die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses, in Absatz 2 das Recht der ungestörten Religionsausübung. Beide Absätze des Art. 4 GG enthalten ein umfassend zu verstehendes einheitliches Grundrecht. Es erstreckt sich nicht nur auf die innere Freiheit, zu glauben oder nicht zu glauben, das heißt einen Glauben zu haben, zu verschweigen, sich vom bisherigen Glauben loszusagen und einem anderen Glauben zuzuwenden, sondern auch auf die äußere Freiheit, den Glauben zu bekunden und zu verbreiten, für seinen Glauben zu werben und andere von ihrem Glauben abzuwerben. Umfasst sind damit nicht allein kultische Handlungen und die Ausübung und Beachtung religiöser Gebräuche, sondern auch die religiöse Erziehung sowie andere Äußerungsformen des religiösen und weltanschaulichen Lebens. Dazu gehört auch das Recht der Einzelnen, ihr gesamtes Verhalten an den Lehren ihres Glaubens auszurichten und dieser Überzeugung gemäß zu handeln, also glaubensgeleitet zu leben; dies betrifft nicht nur imperative Glaubenssätze (vgl. BVerfG, 27.01.2015, 1 BvR 471/10, 1 BvR 1181/10, BVerfGE 138, 296).
Bei der Würdigung dessen, was im Einzelfall als Ausübung von Religion und Weltanschauung zu betrachten ist, darf das Selbstverständnis der jeweils betroffenen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften und des einzelnen Grundrechtsträgers nicht außer Betracht bleiben. Dies bedeutet jedoch nicht, dass jegliches Verhalten einer Person allein nach deren subjektiver Bestimmung als Ausdruck der Glaubensfreiheit angesehen werden muss. Die staatlichen Organe dürfen prüfen und entscheiden, ob hinreichend substantiiert dargelegt ist, dass sich das Verhalten tatsächlich nach geistigem Gehalt und äußerer Erscheinung in plausibler Weise dem Schutzbereich des Art. 4 GG zuordnen lässt, also tatsächlich eine als religiös anzusehende Motivation hat. Dem Staat ist es indes verwehrt, derartige Glaubensüberzeugungen seiner Bürger zu bewerten oder gar als "richtig" oder "falsch" zu bezeichnen; dies gilt insbesondere dann, wenn hierzu innerhalb einer Religion divergierende Ansichten vertreten werden (vgl. BVerfG a. a. O.).
(c) Die Musliminnen, die ein in der für ihren Glauben typischen Weise gebundenes Kopftuch tragen, können sich dafür auch bei der Ausübung ihres Berufs in der öffentlichen bekenntnisoffenen Schule, aber auch für das Tragen einer sonstigen Bekleidung, durch die Haare und Hals nachvollziehbar aus religiösen Gründen bedeckt werden, auf den Schutz der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG berufen (vgl. BVerfG a. a. O.).
Im vorliegenden Fall macht die Klägerin eine religiöse Motivation für das Tragen ihrer Kopfbedeckungen geltend. Sie bezeichnet deren Tragen als unbedingte religiöse Pflicht und als elementaren Bestandteil einer am Islam orientierten Lebensweise.
Diese religiöse Fundierung der Bekleidungswahl ist auch mit Rücksicht auf die im Islam vertretenen unterschiedlichen Auffassungen zum sogenannten Bedeckungsgebot nach geistigem Gehalt und äußerer Erscheinung hinreichend plausibel. Dabei kommt es nicht darauf an, dass der genaue Inhalt der Bekleidungsvorschriften für Frauen unter islamischen Gelehrten durchaus umstritten ist. Es genügt, dass diese Betrachtung unter den verschiedenen Richtungen des Islam verbreitet ist und insbesondere auf zwei Stellen im Koran (Sure 24, Vers 31; Sure 33, Vers 59) zurückgeführt wird. Ein Bedeckungsgebot wird im Islam teilweise auch als unbedingte Pflicht eingeordnet. Unter diesen Umständen kommt es nicht darauf an, dass andere Richtungen des Islam ein als verpflichtend geltendes Bedeckungsgebot für Frauen nicht kennen (vgl. BVerfG a. a. O. m. w. N.; vgl. auch BVerfG, 18.10. 2016, 1 BvR 354/11, NZA 2016, 1522).
(2) Die auf § 2 NeutrG gestützte Untersagung des Tragens eines islamischen Kopftuches im Dienst an einer allgemeinbildenden Schule in der Primarstufe (und in der Sekundarstufe I) stellt einen schwerwiegenden Eingriff in das Grundrecht der Klägerin aus Art 4 Abs. 1 und 2 GG dar.
(a) Das islamische Kopftuch ist ein auffallend religiös geprägtes Kleidungsstück im Sinne des § 2 NeutrG. Dies ergibt sich auch aus der Gesetzesbegründung (Drucksache des Abgeordnetenhauses Berlin 15/3249 vom 08.10.2004), in der ausdrücklich zum Verbot für Lehrkräfte, im Schulunterricht ein Kopftuch zu tragen, ausgeführt wird. Hierüber besteht zwischen den Parteien auch kein Streit.
Auch wenn ein islamisches Kopftuch nur der Erfüllung eines religiösen Gebots dient und ihm von der Trägerin kein symbolischer Charakter beigemessen wird, sondern es lediglich als Kleidungsstück angesehen wird, das die Religion vorschreibt, ändert dies nichts daran, dass es in Abhängigkeit vom sozialen Kontext verbreitet als Hinweis auf die muslimische Religionszugehörigkeit der Trägerin gedeutet wird. In diesem Sinne ist es ein religiös konnotiertes Kleidungsstück. Wird es als äußeres Anzeichen religiöser Identität verstanden, so bewirkt es das Bekenntnis einer religiösen Überzeugung, ohne dass es hierfür einer besonderen Kundgabeabsicht oder eines zusätzlichen wirkungsverstärkenden Verhaltens bedarf. Dessen wird sich die Trägerin eines in typischer Weise gebundenen Kopftuchs regelmäßig auch bewusst sein. Diese Wirkung kann sich - je nach den Umständen des Einzelfalls - auch für andere Formen der Kopf- und Halsbedeckung ergeben (vgl. BVerfG a. a. O.).
(b) Der Eingriff, der mit der Untersagung des Tragens eines islamischen Kopftuchs oder einer anderen Kopf- und Halsbedeckung in Erfüllung eines religiösen Gebots verbunden ist, wiegt schwer. Zwar verstellt das Verbot dieser Kopfbedeckung der Klägerin nicht den Zugang zum Beruf als Lehrerin (Art. 12 Abs. 1 GG), weil das Verbot nicht für die beruflichen Schulen und die Einrichtungen des Zweiten Bildungsweges gilt.
Durch § 2 Satz 1 NeutrG ist die Klägerin aber ausnahmslos von der Möglichkeit ausgenommen, an allen Schulen in der Primarstufe und an weiterführenden allgemeinbildenden Schulen in der Sekundarstufe I zu unterrichten.
Dass auf diese Weise faktisch vor allem strenggläubige muslimische Frauen von der qualifizierten beruflichen Tätigkeit als Lehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen ferngehalten werden, steht zugleich in einem rechtfertigungsbedürftigen Spannungsverhältnis zum Gebot der tatsächlichen Gleichberechtigung von Frauen (Art. 3 Abs. 2 GG). Vor diesem Hintergrund greift das gesetzliche Bekundungsverbot in ihr Grundrecht auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit trotz seiner zeitlichen und örtlichen Begrenzung auf den schulischen Bereich mit erheblich größerem Gewicht ein, als dies bei einer religiösen Übung ohne plausiblen Verbindlichkeitsanspruch der Fall wäre (vgl. BVerfG a. a. O.).
(3) Der Eingriff in die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Klägerin durch das pauschale Kopftuchverbot ist unverhältnismäßig und deshalb nicht gerechtfertigt.
(a) Einschränkungen des Grundrechts aus Art. 4 Satz 1 und 2 GG müssen sich aus der Verfassung selbst ergeben, weil Art. 4 Abs. 1 und 2 GG keinen Gesetzesvorbehalt enthält. Zu solchen verfassungsimmanenten Schranken zählen die Grundrechte Dritter sowie Gemeinschaftswerte von Verfassungsrang Als mit der Glaubensfreiheit in Widerstreit tretende Verfassungsgüter kommen hier neben dem staatlichen Erziehungsauftrag (Art. 7 Abs. 1 GG), der unter Wahrung der Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität zu erfüllen ist, das elterliche Erziehungsrecht (Art. 6 Abs. 2 GG) und die negative Glaubensfreiheit der Schüler (Art. 4 Abs. 1 GG) in Betracht. Das normative Spannungsverhältnis zwischen diesen Verfassungsgütern unter Berücksichtigung des Toleranzgebots zu lösen, obliegt dem demokratischen Gesetzgeber, der im öffentlichen Willensbildungsprozess einen für alle zumutbaren Kompromiss zu suchen hat. Die genannten Grundgesetz-Normen sind zusammen zu sehen, ihre Interpretation und ihr Wirkungsbereich sind aufeinander abzustimmen (vgl. BVerfG a. a. O.).
(b) Der Berliner Gesetzgeber verfolgt mit § 2 Satz 1 NeutrG legitime Ziele. Sein Anliegen ist es, den Schulfrieden und die staatliche Neutralität zu wahren, so den staatlichen Erziehungsauftrag abzusichern, gegenläufige Grundrechte von Schülern und Eltern zu schützen und damit mögliche Konflikte im Bereich der in § 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, 2 und 4 des Berliner Schulgesetzes genannten Schulen zu verhindern (vgl. Drucksache des Berliner Abgeordnetenhauses 15/3249, 08.10.2004).
(c) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist ein landesweites Verbot religiöser Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild, namentlich das Tragen religiös konnotierter Kleidung, schon wegen der bloß abstrakten Eignung zu einer Gefährdung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität in einer bekenntnisoffenen Schule unverhältnismäßig im engeren Sinne, wenn dieses Verhalten nachvollziehbar auf ein als verpflichtend verstandenes religiöses Gebot zurückzuführen ist. Zwar kann das Einbringen religiöser oder weltanschaulicher Bezüge in Schule und Unterricht durch pädagogisches Personal den in Neutralität zu erfüllenden staatlichen Erziehungsauftrag, das elterliche Erziehungsrecht und die negative Glaubensfreiheit der Schüler beeinträchtigen. Es eröffnet zumindest die Möglichkeit einer Beeinflussung der Schulkinder sowie von Konflikten mit Eltern, was zu einer Störung des Schulfriedens führen und die Erfüllung des Erziehungsauftrags der Schule gefährden kann. Auch die religiös motivierte und als Kundgabe einer Glaubensüberzeugung interpretierbare Bekleidung von Lehrkräften kann diese Wirkungen haben. Allerdings kommt keiner der gegenläufigen verfassungsrechtlich verankerten Positionen ein solches Gewicht zu, als dass bereits die abstrakte Gefahr ihrer Beeinträchtigung ein Verbot zu rechtfertigen vermöchte, wenn auf der anderen Seite das Tragen religiös konnotierter Bekleidung oder Symbole nachvollziehbar auf ein als imperativ verstandenes religiöses Gebot zurückzuführen ist (vgl. BVerfG a. a. O.).
(1) Das Einbringen religiöser oder weltanschaulicher Bezüge in Schule und Unterricht durch pädagogisches Personal kann den in Neutralität zu erfüllenden staatlichen Erziehungsauftrag, das elterliche Erziehungsrecht und die negative Glaubensfreiheit der Schüler beeinträchtigen. Es eröffnet zumindest die Möglichkeit einer Beeinflussung der Schulkinder sowie von Konflikten mit Eltern, was zu einer Störung des Schulfriedens führen und die Erfüllung des Erziehungsauftrags der Schule gefährden kann. Auch die religiös motivierte und als Kundgabe einer Glaubensüberzeugung interpretierbare Bekleidung von Lehrkräften kann diese Wirkungen haben. Allerdings kommt keiner der gegenläufigen verfassungsrechtlich verankerten Positionen ein solches Gewicht zu, als dass bereits die abstrakte Gefahr ihrer Beeinträchtigung ein Verbot zu rechtfertigen vermöchte, wenn auf der anderen Seite das Tragen religiös konnotierter Bekleidung oder Symbole nachvollziehbar auf ein als imperativ verstandenes religiöses Gebot zurückzuführen ist (vgl. BVerfG, 27.01.2015, 1 BvR 471/10, 1 BvR 1181/10, BVerfGE 138, 296 m. w. N.).
(aa) Die negative Glaubensfreiheit der Schülerinnen und Schüler (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) gewährleistet die Freiheit, kultischen Handlungen eines nicht geteilten Glaubens fernzubleiben; das bezieht sich auch auf Riten und Symbole, in denen ein Glaube oder eine Religion sich darstellen. Die Einzelnen haben in einer Gesellschaft, die unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen Raum gibt, allerdings kein Recht darauf, von der Konfrontation mit ihnen fremden Glaubensbekundungen, kultischen Handlungen und religiösen Symbolen verschont zu bleiben. Davon zu unterscheiden ist aber eine vom Staat geschaffene Lage, in welcher der Einzelne ohne Ausweichmöglichkeiten dem Einfluss eines bestimmten Glaubens, den Handlungen, in denen sich dieser manifestiert, und den Symbolen, in denen er sich darstellt, ausgesetzt ist. In einer unausweichlichen Situation befinden sich Schülerinnen und Schüler zwar auch dann, wenn sie sich infolge der allgemeinen Schulpflicht während des Unterrichts ohne Ausweichmöglichkeit einer vom Staat angestellten Lehrerin gegenüber sehen, die ein islamisches Kopftuch trägt. Im Blick auf die Wirkung religiöser Ausdrucksmittel ist allerdings danach zu unterscheiden, ob das in Frage stehende Zeichen auf Veranlassung der Schulbehörde oder aufgrund einer eigenen Entscheidung von einzelnen Pädagoginnen und Pädagogen verwendet wird, die hierfür das individuelle Freiheitsrecht des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG in Anspruch nehmen können. Der Staat, der eine mit dem Tragen eines Kopftuchs verbundene religiöse Aussage einer einzelnen Lehrerin oder einer pädagogischen Mitarbeiterin hinnimmt, macht diese Aussage nicht schon dadurch zu seiner eigenen und muss sie sich auch nicht als von ihm beabsichtigt zurechnen lassen (vgl. BVerfG a. a. O. m. w. N.).
Zwar trifft die für das Tragen eines islamischen Kopftuchs in der Schule in Anspruch genommene Glaubensfreiheit der Lehrerin auf die negative Glaubensfreiheit der Schülerinnen und Schüler. Doch ist das Tragen eines islamischen Kopftuchs, einer vergleichbaren Kopf- und Halsbedeckung oder sonst religiös konnotierten Bekleidung nicht von vornherein dazu angetan, die negative Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Schülerinnen und Schüler zu beeinträchtigen. Solange die Lehrkräfte, die nur ein solches äußeres Erscheinungsbild an den Tag legen, nicht verbal für ihre Position oder für ihren Glauben werben und die Schülerinnen und Schüler über ihr Auftreten hinausgehend zu beeinflussen versuchen, wird deren negative Glaubensfreiheit grundsätzlich nicht beeinträchtigt. Die Schülerinnen und Schüler werden lediglich mit der ausgeübten positiven Glaubensfreiheit der Lehrkräfte in Form einer glaubensgemäßen Bekleidung konfrontiert, was im Übrigen durch das Auftreten anderer Lehrkräfte mit anderem Glauben oder anderer Weltanschauung in aller Regel relativiert und ausgeglichen wird. Insofern spiegelt sich in der bekenntnisoffenen Schule die religiös-pluralistische Gesellschaft wider (vgl. BVerfG a. a. O. m. w. N.).
(bb) Aus dem Elterngrundrecht ergibt sich nichts anderes. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG garantiert den Eltern die Pflege und Erziehung ihrer Kinder als natürliches Recht und umfasst zusammen mit Art. 4 Abs. 1 und 2 GG auch das Recht zur Kindererziehung in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht; daher ist es zuvörderst Sache der Eltern, ihren Kindern diejenigen Überzeugungen in Glaubens- und Weltanschauungsfragen zu vermitteln, die sie für richtig halten. Dem entspricht das Recht, die Kinder von Glaubensüberzeugungen fernzuhalten, die den Eltern als falsch oder schädlich erscheinen. Jedoch enthält Art. 6 Abs. 2 GG keinen ausschließlichen Erziehungsanspruch der Eltern. Eigenständig und in seinem Bereich gleichgeordnet neben den Eltern übt der Staat, dem nach Art. 7 Abs. 1 GG die Aufsicht über das gesamte Schulwesen übertragen ist, in der Schule einen eigenen Erziehungsauftrag aus (vgl. BVerfG a. a. O. m. w. N.).
Ein etwaiger Anspruch, die Schulkinder vom Einfluss solcher Lehrkräfte fernzuhalten, die einer verbreiteten religiösen Bedeckungsregel folgen, lässt sich aus dem Elterngrundrecht danach nicht herleiten, soweit dadurch die negative Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Schülerinnen und Schüler nicht beeinträchtigt ist. Auch die negative Glaubensfreiheit der Eltern, die hier im Verbund mit dem elterlichen Erziehungsrecht ihre Wirkung entfalten kann, garantiert keine Verschonung von der Konfrontation mit religiös konnotierter Bekleidung von Lehrkräften, die nur den Schluss auf die Zugehörigkeit zu einer anderen Religion oder Weltanschauung zulässt, von der aber sonst kein gezielter beeinflussender Effekt ausgeht. Das gilt in Fällen der vorliegenden Art gerade deshalb, weil nicht ein dem Staat zurechenbares glaubensgeleitetes Verhalten in Rede steht, sondern eine erkennbar individuelle Grundrechtsausübung (vgl. BVerfG a. a. O.).
(cc) Darüber hinaus steht auch der staatliche Erziehungsauftrag (Art. 7 Abs. 1 GG), der unter Wahrung der Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität zu erfüllen ist, der Betätigung der positiven Glaubensfreiheit der Pädagoginnen durch das Tragen eines islamischen Kopftuchs nicht generell entgegen. Er vermag ein Verbot solchen äußeren Verhaltens, das auf ein nachvollziehbar als imperativ verstandenes Glaubensgebot zurückgeht, erst dann zu rechtfertigen, wenn eine hinreichend konkrete Gefahr für den zur Erfüllung des Erziehungsauftrags notwendigen Schulfrieden oder die staatliche Neutralität feststellbar ist (vgl. BVerfG a. a. O.).
Das Grundgesetz begründet für den Staat als Heimstatt aller Staatsbürger in Art. 4 Abs. 1, Art. 3 Abs. 3 Satz 1, Art. 33 Abs. 3 GG sowie durch Art. 136 Abs. 1 und 4 und Art. 137 Abs. 1 WRV in Verbindung mit Art. 140 GG die Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität. Es verwehrt die Einführung staatskirchlicher Rechtsformen und untersagt die Privilegierung bestimmter Bekenntnisse ebenso wie die Ausgrenzung Andersgläubiger. Der Staat hat auf eine am Gleichheitssatz orientierte Behandlung der verschiedenen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu achten und darf sich nicht mit einer bestimmten Religionsgemeinschaft identifizieren. Der freiheitliche Staat des Grundgesetzes ist gekennzeichnet von Offenheit gegenüber der Vielfalt weltanschaulich-religiöser Überzeugungen und gründet dies auf ein Menschenbild, das von der Würde des Menschen und der freien Entfaltung der Persönlichkeit in Selbstbestimmung und Eigenverantwortung geprägt ist (vgl. BVerfG a. a. O. m. w. N.).
Die dem Staat gebotene weltanschaulich-religiöse Neutralität ist indessen nicht als eine distanzierende im Sinne einer strikten Trennung von Staat und Kirche zu verstehen, sondern als eine offene und übergreifende, die Glaubensfreiheit für alle Bekenntnisse gleichermaßen fördernde Haltung. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gebietet auch im positiven Sinn, den Raum für die aktive Betätigung der Glaubensüberzeugung und die Verwirklichung der autonomen Persönlichkeit auf weltanschaulich-religiösem Gebiet zu sichern. Der Staat darf lediglich keine gezielte Beeinflussung im Dienste einer bestimmten politischen, ideologischen oder weltanschaulichen Richtung betreiben oder sich durch von ihm ausgehende oder ihm zuzurechnende Maßnahmen ausdrücklich oder konkludent mit einem bestimmten Glauben oder einer bestimmten Weltanschauung identifizieren und dadurch den religiösen Frieden in einer Gesellschaft von sich aus gefährden. Auch verwehrt es der Grundsatz weltanschaulich-religiöser Neutralität dem Staat, Glauben und Lehre einer Religionsgemeinschaft als solche zu bewerten (vgl. BVerfG a. a. O. m. w. N.).
Dies gilt auch für den vom Staat in Vorsorge genommenen Bereich der Schule, für den seiner Natur nach religiöse und weltanschauliche Vorstellungen von jeher relevant waren. Danach sind etwa christliche Bezüge bei der Gestaltung der öffentlichen Schule nicht ausgeschlossen; die Schule muss aber auch für andere weltanschauliche und religiöse Inhalte und Werte offen sein. Weil Bezüge zu verschiedenen Religionen und Weltanschauungen bei der Gestaltung der öffentlichen Schule möglich sind, ist für sich genommen auch die bloß am äußeren Erscheinungsbild hervortretende Sichtbarkeit religiöser oder weltanschaulicher Zugehörigkeit einzelner Lehrkräfte - unabhängig davon, welche Religion oder Weltanschauung im Einzelfall betroffen ist - durch die dem Staat gebotene weltanschaulich-religiöse Neutralität nicht ohne Weiteres ausgeschlossen. In dieser Offenheit bewahrt der freiheitliche Staat des Grundgesetzes seine religiöse und weltanschauliche Neutralität (vgl. BVerfG a. a. O. m. w. N.).
(d) Im vorliegenden Fall verdrängt § 2 Satz 1 NeutrG in unangemessener Weise das Grundrecht der Klägerin aus Art. 4 Satz 1 und 2 GG. Wie oben unter (c) ausgeführt wurde, ist mit dem Tragen eines Kopftuches durch einzelne Lehrerinnen - anders als dies beim staatlich verantworteten Kreuz oder Kruzifix im Schulzimmer der Fall ist - keine Identifizierung des Staates mit einem bestimmten Glauben verbunden. Auch eine Wertung in dem Sinne, dass das glaubensgeleitete Verhalten der Lehrerinnen schulseits als vorbildhaft angesehen und schon deshalb der Schulfrieden oder die staatliche Neutralität gefährdet oder gestört werden könnte, ist einer entsprechenden Duldung durch den Dienstherrn nicht beizulegen. Hinzu kommt, dass die Klägerin einem nachvollziehbar als verpflichtend empfundenen Glaubensgebot Folge leistet. Dadurch enthält ihre Glaubensfreiheit in der Abwägung mit dem Grundrechten der Schülerinnen und Schüler sowie der Eltern, die der weltanschaulich-religiös neutrale Staat auch im schulischen Bereich schützen muss, ein erheblich größeres Gewicht als dies bei einer disponiblen Glaubensregel der Fall wäre (vgl. entsprechend BVerfG a. a. O.).
dd) Aufgrund der Rechtsprechung des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts zu den Kopftuchverboten in öffentlichen Schulen und öffentlichen Kindertagesstätten und aufgrund der Ausführungen oben unter cc) bestehen erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Regelung in § 2 Satz 1 NeutrG.
Einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gem. § 100 Abs. 1 GG durch die erkennende Kammer bedurfte es jedoch nicht, weil die Regelung in § 2 Satz 1 NeutrG verfassungskonform ausgelegt werden kann.
Eine einschränkende Auslegung des § 2 Satz 1 NeutrG ist möglich und von Verfassungs wegen geboten.
(1) Eine verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen dient der Vermeidung einer Normverwerfung und ist damit dem Gesichtspunkt der größtmöglichen Schonung der Gesetzgebung geschuldet. Sie nimmt Rücksicht darauf, dass die Norm auch andere Anwendungsbereiche hat, die sich von der jeweiligen Fallgestaltung unterscheiden. Der einschränkenden Auslegung eines pauschalen Kopftuchverbots steht nicht entgegen, dass dem Gesetzgeber entstehungsgeschichtlich ein Kopftuchverbot als typischer Anwendungsfall der Vorschrift vorgeschwebt hat. Der Norm kann dennoch ein weniger weitreichender Anwendungsbereich zuerkannt werden. Die verfassungskonforme Auslegung findet ihre Grenzen dort, wo sie zum Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch treten würde. Der Respekt vor dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber verbietet es, im Wege der Auslegung einem nach Sinn und Wortlaut eindeutigen Gesetz einen entgegengesetzten Sinn beizulegen oder den normativen Gehalt einer Vorschrift grundlegend neu zu bestimmen (vgl. BVerfG, 27.01.2015, 1 BvR 471/10 und 1 BvR 1181/10 a. a. O. und BVerfG, 18.10.2016, 1 BvR 354/11 a. a. O.).
(2) § 2 Satz 1 NeutrG war dahin auszulegen, dass Voraussetzung für das Verbot des Tragens von auffallend religiös geprägten Kleidungsstücken nicht nur das Vorliegen einer abstrakten, sondern eine hinreichend konkrete Gefahr für die religiöse Neutralität der öffentlichen Schulen gegenüber den Schülern und/oder für den Schulfrieden ausgehen muss.
(a) Von jeher geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass es für die Auslegung einer Norm auf den in dieser zum Ausdruck kommenden objektivierten Willen des Gesetzgebers ankommt, so wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist. Nicht entscheidend ist dagegen die subjektive Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe oder einzelner ihrer Mitglieder. Der Entstehungsgeschichte kommt für die Auslegung zwar grundsätzlich nur insofern Bedeutung zu, als sie die Richtigkeit einer nach den angegebenen Grundsätzen ermittelten Auslegung bestätigt oder Zweifel behebt, die auf dem angegebenen Weg allein nicht ausgeräumt werden können. Vorarbeiten für ein Gesetz können daher in der Regel bloß unterstützend verwertet, die in den Gesetzgebungsmaterialien dokumentierten Vorstellungen der gesetzgebenden Instanzen nicht mit dem objektiven Gesetzesinhalt gleichgesetzt werden. Für die Erfassung des objektiven Willens des Gesetzgebers sind vielmehr alle anerkannten Auslegungsmethoden heranzuziehen, das heißt die grammatikalische, systematische, teleologische und historische Auslegung. Diese Methoden ergänzen sich gegenseitig, wobei keine einen unbedingten Vorrang vor einer anderen hat (vgl. z.B. BVerfG, 31.03.2016, 2 BvR 1576/13, NVwZ-RR 2016, 521 m. w. N.).
(b) Nach dem Wortlaut des § 2 Satz 1 NeutrG handelt es sich zwar um ein pauschales - und damit an sich verfassungswidriges - Verbot. Die systematische und die teleologische Auslegung lässt jedoch eine einschränkende Auslegung dahin zu, dass das Verbot nur bei Vorliegen einer konkreten Gefahr gilt. § 3 Satz 2 NeutrG lässt nämlich Ausnahmen vom Verbot des § 2 Satz 1 NeutrG zu. Danach kann die oberste Dienstbehörde Ausnahmen zulassen, wenn dadurch die weltanschaulich-religiöse Neutralität der öffentlichen Schulen gegenüber Schülerinnen und Schülern nicht infrage gestellt und der Schulfrieden nicht gefährdet oder gestört wird. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich, dass es dem Gesetzgeber darum ging, die gesetzliche Grundlage für ein Kopftuchverbot zur Gefahrenabwehr zu schaffen, nachdem der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts in der Entscheidung vom 24. September 2003 (2 BvR 1436/02, BVerfGE 108, 282) entschieden hatte, ein Kopftuchverbot an öffentlichen Schulen ohne gesetzliche Grundlage sei verfassungswidrig.
Somit kann § 2 Satz 1 i. V. m. § 3 Satz 2 NeutrG dahin ausgelegt werden, dass das beklagte Land Lehrkräften das Tragen religiös geprägter Kleidungsstücke dann untersagen kann, wenn dadurch die weltanschaulich-religiöse Neutralität einer öffentlichen Schule oder sämtlicher öffentlicher Schulen in einem bestimmten Bezirk gegenüber Schülerinnen und Schülern gefährdet oder gestört wird.
Unter Zugrundelegung der Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in der Entscheidung vom 27. Januar 2015 (1 BvR 471/10 und 1 BvR 1181/10) kann dies beispielsweise in Situationen denkbar sein, in denen - insbesondere von älteren Schülern oder Eltern - über die Frage des richtigen religiösen Verhaltens sehr kontroverse Positionen mit Nachdruck vertreten und in einer Weise in die Schule hineingetragen würden, welche die schulischen Abläufe und die Erfüllung des staatlichen Erziehungsauftrages ernsthaft beeinträchtigten, sofern die Sichtbarkeit religiöser Überzeugungen und Bekleidungspraktiken diesen Konflikt erzeugte oder schürte.
Ferner kann ein verfassungsrechtlich anzuerkennendes Bedürfnis bestehen, äußere religiöse Bekundungen nicht erst in einem konkreten Einzelfall, sondern etwa für bestimmte Schulen oder Schulbezirke über eine gewisse Zeit auch allgemeiner zu unterbinden. Dies kann dann der Fall sein, wenn in bestimmten Schulen oder Schulbezirken aufgrund substanzieller Konfliktlagen über das richtige religiöse Verhalten bereichspezifisch die Schwelle zu einer hinreichend konkreten Gefährdung oder Störung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität in einer beachtlichen Zahl von Fällen erreicht ist (vgl. BVerfG a. a. O.).
ee) Das beklagte Land hat im vorliegenden Fall nicht behauptet, dass das äußere Erscheinungsbild gerade der Klägerin zu einer hinreichend konkreten Gefährdung oder Störung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität führe oder wesentlich dazu beitrage.
Das beklagte Land hat auch nicht behauptet, dass in den Schulen aller Berliner Bezirke aufgrund substantieller Konfliktlagen über das richtige religiöse Verhalten bereichspezifisch die Schwelle zu einer hinreichend konkreten Gefährdung oder Störung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität in einer beachtlichen Zahl von Fällen erreicht wurde. Die vom Arbeitsgericht in der angefochtenen Entscheidung zitierte Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg zu einem Berliner Gymnasium schildert anschaulich ein solches Beispiel. Es ist jedoch nicht erkennbar, dass solche Zustände in sämtlichen Berliner Schulen herrschen. Dies mag in Bezirken wie z. B. Kreuzberg, Neukölln oder im Wedding der Fall sein, in denen möglicherweise die Mehrzahl der Schüler einen Migrationshintergrund hat und möglicherweise in der Überzahl dem islamischen Glauben angehört. Aufgrund welcher Tatsachen aber solche substantiellen Konfliktlagen beispielsweise auch in Frohnau, Dahlem, Grunewald oder Schmargendorf bestehen könnten, ist nicht ersichtlich.
Schließlich hat das beklagte Land auch nicht behauptet, das von der Klägerin zusätzlich zu dem Tragen des islamischen Kopftuches durch ein bestimmtes Verhalten oder andere Umstände eine konkrete Gefahr ausgehen könnte, wie z. B. gewichtige verbale Äußerungen oder ein offenes werbendes Verhalten (vgl. hierzu z. B. BVerfG, 27.01.2015, 1 BvR 471/10 und 1 BvR 1181/10 und BVerfG, 18.10.2016, 1 BvR 354/11, jew. a. a. O.).
Das beklagte Land hat sich - nach seiner Rechtsauffassung konsequent - auf die Regelung in § 2 Satz 1 NeutrG berufen, die nach ihrem Wortlaut das Vorliegen einer konkreten Gefahr nicht verlangt.
Auch in der mündlichen Verhandlung über die Berufung hat das beklagte Land nicht behauptet, von der Klägerin gehe - abgesehen von ihrem Kopftuch - eine konkrete Gefahr aus und das beklagte Land hat auch in der mündlichen Verhandlung nicht etwa behauptet, in sämtlichen Berliner Schulen bestünden dauerhaft substantielle religiöse Konfliktlagen.
5.) Gem. § 15 Abs. 2 AGG war der Klägerin eine angemessene Entschädigung zuzusprechen.
a) Bei der Beurteilung der angemessenen Höhe der festzusetzenden Entschädigung gem. § 15 Abs. 2 AGG sind alle Umstände des Einzelfalles, wie etwa die Art und Schwere der Benachteiligung, ihre Dauer und Folgen, der Anlass und der Beweggrund des Handelns und der Sanktionszweck der Entschädigungsnorm zu berücksichtigen. Die Entschädigung muss einen tatsächlichen und wirksamen rechtlichen Schutz gewährleisten. Die Härte der Sanktionen muss der Schwere des Verstoßes entsprechen, indem sie insbesondere eine wirklich abschreckende Wirkung gegenüber dem Arbeitgeber gewährleistet, zugleich aber den allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt (vgl. z. B. BAG, 19.05.2016, 8 AZR 470/14, NZA 2016, 1395; BAG, 17.12.2015, 8 AZR 421/14, NZA 2016, 888 und BAG, 22.01.2009, 8 AZR 906/07, NZA 2009, 945, jew. m. w. N.).
b) Im vorliegenden Fall war zunächst zu berücksichtigen, dass die Klägerin eine Benachteiligung wegen ihrer ausgeübten Religion erlitten hat, indem ihr das beklagte Land die Beschäftigung als Lehrerin an einer allgemeinbildenden Schule der Primarstufe verwehrt hat, obwohl in diesem Bereich ein erheblicher Einstellungsbedarf bestand. Zu berücksichtigen war aber auch, dass die Klägerin zwar nicht aufgrund des „Castings“ vom 29. April 2015, aber aufgrund des „Castings“ vom 27. Mai 2015 hätte eingestellt werden können. Bei diesem zweiten „Casting“ suchte das beklagte Land unstreitig nicht nur Grundschullehrer, sondern auch Lehrer für Berufsschulen, in denen die Klägerin gem. § 3 Satz 1 NeutrG ohne weiteres mit Kopftuch hätte unterrichten können. Um diese Einstellungsmöglichkeit brachte sich die Klägerin selbst, indem sie trotz der Einladung nicht erschien. Zudem hätte die Klägerin nach ihrem eigenen Vortrag die Elternzeit nur für die Beschäftigung an einer Grundschule vorzeitig beendet. Die Klägerin nahm auch nicht den im Kammertermin vor dem Arbeitsgericht am 14. April 2016 angebotenen Arbeitsvertrag an, ebenso wenig wie den in der mündlichen Verhandlung über die Berufung vom 9. Februar 2017 angebotenen Arbeitsvertrag. Zwischen den Parteien ist aber unstreitig, dass die Klägerin bei der Annahme eines der Angebote vom Unterricht in der Primarstufe und der Sekundarstufe I an allgemeinbildenden Schulen allein aufgrund ihres islamischen Kopftuches ausgeschlossen worden wäre.
Des Weiteren war zu berücksichtigen, dass sich das beklagte Land bei der Ablehnung der Beschäftigung der Klägerin in einer Grundschule lediglich an das geltende Neutralitätsgesetz halten wollte und aus seiner Sicht gehalten hat, denn das Neutralitätsgesetz sieht nach dem Wortlaut des § 2 Satz 1 ein pauschales Kopftuchverbot u. a. an Grundschulen vor. Dieses Gesetz war aufgrund der Entscheidung des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 24. September 2003 (2 BvR 1436/02) verabschiedet worden. Das beklagte Land hatte aber aufgrund der Entscheidung des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Januar 2015 (1 BvR 471/10 und 1 BvR 1181/10) Veranlassung, das Neutralitätsgesetz auf seine Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen, denn der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hatte ein im Bundesland Nordrhein-Westfalen landesweit geltendes gesetzliches Verbot religiöser Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild schon wegen einer bloß abstrakten Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität für unverhältnismäßig gehalten und eine einschränkende Auslegung der Verbotsnorm vorgenommen. Diese Entscheidung war zum Zeitpunkt des „Castings“ vom 29. April 2015 jedenfalls im Ergebnis bekannt und die Klägerin berief sich während des „Castings“ sogar ausdrücklich auf diese Entscheidung. Daraufhin wurde der Klägerin nicht etwa beispielsweise erklärt, man werde rechtlich prüfen lassen, ob sie nunmehr trotz des Kopftuchs eine der zu besetzenden Stellen als Grundschullehrerin erhalten könne. Stattdessen vertrat und vertritt das beklagte Land die Ansicht, die Klägerin dürfe mit einem islamischen Kopftuch nicht an einer Grundschule unterrichten, obwohl der wissenschaftliche Parlamentsdienst des Berliner Abgeordnetenhauses in seinem Gutachten vom 25. Juli 2015 sogar zu dem Ergebnis gekommen war, § 2 Satz 1 NeutrG könne nicht verfassungskonform ausgelegt und müsse geändert werden. Eine solche Änderung hatte das beklagte Land auch zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vom 9. Februar 2017 noch nicht vorgenommen.
Unter Berücksichtigung der oben näher ausgeführten Tatsachen, dass der Klägerin nicht die Einstellung als Lehrerin, sondern nur die gewünschte und mögliche Beschäftigung an einer Grundschule versagt wurde, obwohl die erste Kopftuchentscheidung des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts schon bekannt war und weil die Benachteiligung der Klägerin wegen ihres Kopftuchs andauert, hielt die Kammer eine Entschädigung in Höhe von zwei Monatsverdiensten für angemessen, aber auch für ausreichend. Unstreitig wäre die Klägerin als Grundschullehrerin mit einer Vergütung gemäß Entgeltgruppe E11 Stufe 5 TV-L eingestellt worden, was einem monatlichen Bruttogehalt von 4.340,-- € entsprach.
I. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 92 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. ZPO.
II. Die Revision wurde für das beklagte Land gem. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen.
III. Die Zulassung der Revision für die Klägerin kam gem. § 72 Abs. 2 ArbGG nicht in Betracht. Hinsichtlich der Höhe der Entschädigung handelt es sich um eine am Einzelfall orientierte Entscheidung ohne grundsätzliche rechtliche Bedeutung. Eine Divergenz zu anderen obergerichtlichen Entscheidungen ist nicht erkennbar.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen dieses Urteil kann von dem beklagten Land bei dem
Bundesarbeitsgericht,
Hugo-Preuß-Platz 1, 99084 Erfurt
(Postadresse: 99113 Erfurt),
Revision eingelegt werden.
Die Revision muss innerhalb
einer Notfrist von einem Monat
schriftlich beim Bundesarbeitsgericht eingelegt werden.
Sie ist gleichzeitig oder innerhalb
einer Frist von zwei Monaten
schriftlich zu begründen.
Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgesetzten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.
Die Revisionsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Revision gerichtet wird und die Erklärung enthalten, dass gegen dieses Urteil Revision eingelegt werde.
Die Revisionsschrift und die Revisionsbegründung müssen von einem Prozessbevollmächtigten unterzeichnet sein. Als solche sind außer Rechtsanwälten nur folgende Stellen zugelassen, die zudem durch Personen mit Befähigung zum Richteramt handeln müssen:
· Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
· juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der vorgenannten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
Für die Klägerin ist kein Rechtsmittel gegeben.
Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde gem. § 72 a ArbGG wird hingewiesen.
Der Schriftform wird auch durch Einreichung eines elektronischen Dokuments i. S. d. § 46c ArbGG genügt. Nähere Informationen dazu finden sich auf der Internetseite des Bundesarbeitsgerichts unter www.bundesarbeitsgericht.de.
Hinweis der Geschäftsstelle
Das Bundesarbeitsgericht bittet, sämtliche Schriftsätze in siebenfacher Ausfertigung einzureichen.
Verkündet am 9. Februar 2017
Geschäftszeichen (bitte immer angeben)
14 Sa 1038/16
58 Ca 13376/15 Arbeitsgericht Berlin
Im Namen des Volkes
Urteil
in Sachen
pp.
hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, 14. Kammer,
auf die mündliche Verhandlung vom 9. Februar 2017
durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht Sch. als Vorsitzende
sowie den ehrenamtlichen Richter L. und die ehrenamtliche Richterin B. für Recht erkannt:
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 14. April 2016 – 58 Ca 13376/15 – teilweise abgeändert und das beklagte Land verurteilt, an die Klägerin eine Entschädigung in Höhe von 8.680 EUR zu zahlen.
II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 1/3 und das beklagte Land 2/3 zu tragen.
IV. Die Revision wird für das beklagte Land zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zahlung einer Entschädigung wegen einer Benachteiligung aufgrund der Religion.
Die am …. 1978 in Berlin geborene Klägerin ist deutsche Staatsangehörige, verheiratet und hat zwei Kinder. Die Klägerin ist gläubige Muslima und trägt aufgrund ihrer Glaubensüberzeugung ein Kopftuch.
Im Mai 2008 bestand die Klägerin die Zweite Staatsprüfung für das Lehramt für die Bildungsgänge der Sekundarstufe I und der Primarstufe an allgemeinbildenden Schulen mit Fächern Politische Bildung, Deutsch und Sachunterricht als weiterem Fach und erhielt die Gesamtnote „befriedigend“. Das Thema der schriftlichen Hausarbeit lautete „Handlungsorientierung im Politikunterricht am Beispiel des Planspiels in den Klassenstufen 5/6.“ Hinsichtlich des vollständigen Inhalts des Zeugnisses vom 14. Mai 2008 wird auf die Ablichtung auf Bl. 27 d. A. Bezug genommen (Anlage K1).
Am 1. September 2008 schlossen die Klägerin und der Verein I. F. in Berlin e.V. mit Wirkung vom 1. September 2008 einen Arbeitsvertrag, mit dem die Klägerin als Lehrerin für islamischen Religionsunterreicht eingestellt wurde. Die Klägerin wurde als Religionslehrerin an einer Berliner Grundschule eingesetzt.
Seit Januar 2014 befand sich die Klägerin in Elternzeit, deren Ende zum 26. Januar 2016 vorgesehen war.
Am 24. September 2003 hatte der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass es für ein Verbot für Lehrkräfte, in Schule und Unterricht ein islamisches Kopftuch zu tragen, einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage bedürfe und es dem zuständigen Landesgesetzgeber freistehe, bei Schaffung eines entsprechenden Gesetzes der Glaubensfreiheit der Lehrer wie auch der betroffenen Schüler, dem Erziehungsrecht der Eltern sowie der Pflicht des Staates zu weltanschaulich-religiöser Neutralität in angemessener Weise Rechnung zu tragen (2 BvR 1436/02, BVerfGE 108, 282).
Aufgrund dieser Entscheidung wurde im Land Berlin die Entscheidung getroffen, ein entsprechendes Gesetz zu erlassen. Am 9. Februar 2005 trat als Artikel I des Gesetzes zur Schaffung eines Gesetzes zu Artikel 29 der Verfassung von Berlin und zur Änderung des Kindertagesbetreuungsgesetzes vom 27. Januar 2005 das sog. Neutralitätsgesetz (im Folgenden: NeutrG) in Kraft (GVBl 2005, 92).
Die Präambel des Gesetzes lautet wie folgt:
„Alle Beschäftigten genießen Glaubens- und Gewissensfreiheit und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses. Keine Beschäftigte und kein Beschäftigter darf wegen ihres oder seines Glaubens oder ihres oder seines weltanschaulichen Bekenntnisses diskriminiert werden. Gleichzeitig ist das Land Berlin zu weltanschaulich-religiöser Neutralität verpflichtet. Deshalb müssen sich Beschäftigte des Landes Berlin in den Bereichen, in denen die Bürgerin oder Bürger in besonderer Weise dem staatlichen Einfluss unterworfen ist, in ihrem religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnis zurückhalten.“
§ 2 NeutrG hat folgenden Wortlaut:
„Lehrkräfte und andere Beschäftigte mit pädagogischem Auftrag in den öffentlichen Schulen nach dem Schulgesetz dürfen innerhalb des Dienstes keine sichtbaren religiösen oder weltanschaulichen Symbole, die für die Betrachterin oder den Betrachter eine Zugehörigkeit zu einer bestimmen Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft demonstrieren, und keine auffallenden religiös oder weltanschaulich geprägten Kleidungsstücke tragen. Dies gilt nicht für die Erteilung von Religions- und Weltanschauungsunterricht.“
§ 3 NeutrG hat folgenden Wortlaut:
„§ 2 Satz 1 findet keine Anwendung auf die beruflichen Schulen im Sinne von § 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 des Schulgesetzes sowie auf Einrichtungen des Zweiten Bildungswegs im Sinne von § 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 des Schulgesetzes. Die oberste Dienstbehörde kann für weitere Schularten oder für Schulen besonderer pädagogischer Prägung Ausnahmen zulassen, wenn dadurch die weltanschaulich-religiöse Neutralität der öffentlichen Schulen gegenüber Schülerinnen oder Schülern nicht infrage gestellt und der Schulfrieden nicht gefährdet oder gestört wird.“
§ 17 des Berliner Schulgesetzes lautet im ersten Absatz wie folgt:
„Die Schule gliedert sich nach Jahrgangsstufen, Schulstufen und Schularten sowie inhaltlich nach Bildungsgängen. Die Jahrgangsstufen 1 bis 6 bilden die Primarstufe (Grundschule), die Jahrgangsstufen 7 bis 10 die Sekundarstufe I; die gymnasiale Oberstufe und die beruflichen Schulen bilden die Sekundarstufe II.“
§ 17 Abs. 3 des Berliner Schulgesetzes hat folgenden Wortlaut:
„Schularten sind:
1. die Grundschule
2. als weiterführende allgemeinbildende Schulen
a) die Gesamtschule,
b) die Hauptschule,
c) die Realschule
d) die verbundene Haupt- und Realschule und
e) das Gymnasium,
3. als berufliche Schulen
a) die Berufsschule,
b) die Berufsfachschule,
c) die Fachoberschule
d) die Berufsoberschule und
e) die Fachschule,
4. die Schulen mit sonderpädagogischem Förderschwerpunkt (Sonderschulen) und
5. die Einrichtungen des Zweiten Bildungswegs zum nachträglichen Erwerb allgemeinbildender und beruflicher Abschlüsse.“
Alle im Land Berlin einzustellenden Lehrkräfte erhalten einen Arbeitsvertrag, in dem ein Einsatz „als Lehrkraft“ und die Entgeltgruppe vereinbart werden. Nach der Einstellung können die Lehrkräfte vom beklagten Land entsprechend ihrer Eignung und Befähigung an einer Schule eingesetzt werden. Hinsichtlich des Inhalts eines solchen Arbeitsvertrages mit der Formularbezeichnung „Fin 504 – Arbeitsvertrag Lehrkräfte (ohne Musikschullehrkräfte) unbefristet (10.15)“ wird beispielhaft auf den Inhalt des der Klägerin im Kammertermin vor dem Arbeitsgericht angebotenen Arbeitsvertrag Bezug genommen (Ablichtung Bl. 214 – 216 d. A., Anlage zum Sitzungsprotokoll des Arbeitsgerichts vom 14.04.2016).
Am 27. Januar 2015 entschied der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts in Bezug auf Regelungen im Schulgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen, dass ein landesweites gesetzliches Verbot religiöser Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild schon wegen der bloß abstrakten Eignung zur Begründung einer Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität in einer öffentlichen bekenntnisoffenen Gemeinschaftsschule unverhältnismäßig ist, wenn dieses Verhalten nachvollziehbar auf ein als verpflichtend verstandenes religiöses Gebot zurückzuführen ist. Nach dieser Entscheidung erforderte ein angemessener Ausgleich der verfassungsrechtlichen verankerten Positionen – der Glaubensfreiheit der Lehrkräfte, der negativen Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Schülerinnen und Schüler sowie der Eltern, des Elterngrundrechts und des staatlichen Erziehungsauftrags – eine einschränkende Auslegung der Verbotsnorm, nach der zumindest eine hinreichend konkrete Gefahr für die Schutzgüter vorliegen muss (1 BvR 471/10 und 1 BvR 1181/10, BVerfGE 138, 296).
Nach Bekanntwerden dieser Entscheidung bewarb sich die Klägerin beim Land Berlin für eine Einstellung in den Berliner Schuldienst als Lehrkraft.
Mit E-Mail vom 23. April 2015 lud das beklagte Land die Klägerin zu einem Bewerbungsgespräch für den 29. April 2015 in eine Grundschule im Rahmen eines vorgezogenen Auswahlverfahrens ein und wies darauf hin, dass es sich bei der Grundschule lediglich um den Standort des Auswahlgespräches handele. Die Festlegung einer möglichen Einsatzschule erfolge im Anschluss aller Auswahlgespräche am Ende des Tages.
Weiter wurde in der E-Mail Folgendes ausgeführt:
„Ein Großteil des Einstellungsbedarfes der allgemeinbildenden Schulen besteht an Grundschulen (in Berlin bis Klassenstufe 6). Daher ist es möglich, dass auch Bewerber/innen für Lehrbefähigung für den Bereich der weiterführenden Schulen ein Einstellungsangebot für eine Grundschule erhalten (die Vergütung in Berlin bleibt im diesem Fall identisch).“
Hinsichtlich des vollständigen Inhalts der E-Mail wird auf die Ablichtung des Ausdrucks auf Bl. 28 – 30 d. A. Bezug genommen (Anlage K2).
Am 29. April 2015 erschien die Klägerin zu dem sog. „Casting“, bei dem Schulleiter/innen von ca. 40 Schulen sowie Vertreter/innen des Gesamtpersonalrats und des beklagten Landes anwesend waren. Das „Casting“ wurde ausschließlich zur Besetzung von Stellen in Grundschulen durchgeführt.
Die Klägerin, die ein Kopftuch trug, stellte sich und ihren Lebenslauf ca. fünf Minuten lang vor. Im Anschluss wurde die Klägerin von einem/einer der anwesenden Schulleiter/innen gefragt, ob sie das Kopftuch auch im Unterricht zu tragen beabsichtige, was die Klägerin bejahte. Daraufhin wurde die Klägerin von einer Vertreterin der Senatsverwaltung auf § 2 des Berliner Neutralitätsgesetzes hingewiesen. Ob die Vertreterin der Senatsverwaltung dann äußerte, es könne sein, dass die Klägerin deshalb kein Beschäftigungsangebot bekomme – so die Behauptung des beklagten Landes – oder ob die Vertreterin sagte, eine Einstellung mit Kopftuch sei aufgrund § 2 des Berliner Neutralitätsgesetzes nicht möglich – so Behauptung der Klägerin – ist zwischen den Parteien streitig.
Im Anschluss daran wies die Klägerin auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Januar 2015 hin und die Vertreterin der Senatsverwaltung lehnte eine Diskussion über die Vereinbarkeit des Berliner Neutralitätsgesetzes mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Rahmen des Bewerbungsgespräches ab. Ob die Klägerin darauf von sich aus das Vorstellungsgespräch verließ – so die Behauptung des beklagten Landes – ist zwischen den Parteien streitig.
Mit E-Mail vom 6. Mai 2015 teilte das beklagte Land der Klägerin mit, ihr könne im Rahmen des Auswahlverfahrens für unbefristete Einstellungen des Jahres 2015/2016 leider kein Angebot für eine Einsatzschule im Berliner Schuldienst unterbreitet werden (Ablichtung des Ausdrucks auf Bl. 31 – 32 d. A., Anlage K3).
Mit E-Mail vom 7. Mai 2015 bat die Klägerin um eine schriftliche Mitteilung der Ablehnungsgründe. Mit E-Mail vom 7. Mai 2015 teilte das beklagte Land der Klägerin mit, im Ergebnis des Bewerbungsgesprächs sei es zu keiner positiven Auswahlentscheidung durch eine der anwesenden Schulen und deren Schulleitungen gekommen (Ablichtung des Ausdrucks auf Bl. 31 d. A., Anlage K3).
Mit einer E-Mail vom 13. Mai 2015 bat die Klägerin das beklagte Land um Mitteilung, ob sich die Absage nur auf das vorgezogene Auswahlverfahren beziehe oder ob die Klägerin auch in der zentralen Nachsteuerung nicht mehr berücksichtigt werde (Ablichtung des Ausdrucks auf Bl. 31 d. A., Anlage K3).
Mit einer E-Mail vom 13. Mai 2015 teilte das beklagte Land der Klägerin Folgendes mit:
„… Ihre Bewerbung befindet sich selbstverständlich noch im Auswahlverfahren (zentrale Nachsteuerung), die Absage bezog sich nur auf das vorgezogene Verfahren am 29./30.04.2015.
Die nächsten Auswahlverfahren beginnen Ende Mai, sie erhalten nächste Woche eine entsprechende Einladung.“
Hinsichtlich des vollständigen Wortlauts wird auf die Ablichtung des Ausdrucks auf Bl. 33 d. A. Bezug genommen (Bestandteil der Anlage K3).
In der Folgezeit erhielt die Klägerin eine Einladung zu einem „Casting“ für den 27. Mai 2015 in der R.-V.-Schule. Bei diesem „Casting“ wurden Lehrkräfte für Grundschulen und für Berufsschulen gesucht. Mit ihrer Qualifikation als Lehrkraft für die Sekundarstufe I ist die Klägerin auch für einen Einsatz an einer Berufsschule geeignet. Zu diesem „Casting“ erschien die Klägerin nicht.
Mit Schreiben vom 26. Juni 2015, das vorab per Telefax versendet wurde, verlangte die Klägerin von dem beklagten Land eine Entschädigung gemäß § 15 AGG, deren Höhe sich an drei Monatsgehältern orientieren sollte (Ablichtung Bl. 34 – 35 d. A., Anlage K4). Mit Schreiben vom 1. Juli 2015 lehnte das beklagte Land die Forderung ab und teilte hierbei u.a. mit, die Klägerin stehe zur Zeit auf der landesweiten Nachrückerliste, die allen Schulaufsichten und Schulen in Berlin zur Verfügung stehe. Zudem sei es sei der Klägerin selbstverständlich unbenommen, sich um eine Einstellung zum nächsten Schulhalbjahr zu bewerben, die Bewerbungsfrist ende voraussichtlich am 31. Oktober 2015. Hinsichtlich des vollständigen Inhalts des Schreibens des beklagten Landes wird auf die Ablichtung auf Bl. 36 – 37 d. A. Bezug genommen (Anlage K5).
Der Präsident des Abgeordnetenhauses des Landes Berlin hatte aufgrund einer entsprechenden Bitte der Fraktion der SPD den Wissenschaftlichen Parlamentsdienst mit der Erstellung eines Gutachtens zu verschiedenen Fragen im Zusammenhang mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Januar 2015 beauftragt. Unter dem Datum des 25. Juni 2015 erstellte der Wissenschaftliche Parlamentsdienst des Abgeordnetenhauses von Berlin ein Gutachten zu den Auswirkungen der „Kopftuch-Entscheidung“ des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Januar 2015 auf die Rechtslage im Land Berlin.
Hierbei kam der Wissenschaftliche Parlamentsdienst zu folgendem „Auslegungsergebnis“:
„Die Berliner Regelung kann im Ergebnis nicht einschränkend und verfassungskonform dahingehend ausgelegt werden, dass für ein Verbot jeweils eine hinreichend konkrete Gefahr für den Schulfrieden oder die religiöse Neutralität des Staates erforderlich ist. Die einzig mögliche Auslegung von § 2 GArt29, nämlich als pauschales Verbot religiöser Kleidungsstücke und Symbole für Lehrkräfte an den meisten öffentlichen Schulen unabhängig von einer konkreten Gefahr, verstößt aber nach Maßgabe des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Januar 2015 jedenfalls insofern gegen die Verfassung, als sie auch nachvollziehbar als verpflichtend empfundene religiöse Gebote erfass. Insoweit – und auch nur insoweit – gibt die Entscheidung Veranlassung zur Änderung der derzeitigen Regelung.“
Im Folgenden enthält das Gutachten Vorschläge für mögliche Gesetzesänderungen.
Hinsichtlich des vollständigen Inhalts des Gutachtens wird auf die Ablichtung auf Bl. 74 – 87 Rs. d. A. Bezug genommen (Anlage K7).
Mit der vorliegenden, am 28. September 2015 beim Arbeitsgericht Berlin eingegangenen, dem beklagten Land am 6. Oktober 2015 zugestellten Klageschrift hat die Klägerin die Zahlung einer Entschädigung verlangt.
Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, ihre Ablehnung im Anschluss an das Bewerbungsgespräch vom 29. April 2015 stelle eine unzulässige Benachteiligung aufgrund der Religion dar. Die Ablehnung sei allein aufgrund der Äußerung der Tatsache, dass die Klägerin im Unterricht auf Kopftuch zu tragen beabsichtige, erfolgt. Die Ablehnung könne nicht aufgrund § 8 Abs. 1 AGG i.V.m. § 2 NeutrG gerechtfertigt werden, denn § 2 NeutrG sei verfassungswidrig und eine verfassungskonforme Auslegung sei nicht möglich.
Die Klägerin hat behauptet, am 29. April 2015 habe die Vertreterin der Senatsverwaltung nach dem Hinweis der Klägerin auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Januar 2015 erklärt, eine Vermittlung sei derzeit nicht möglich und das Gespräch beendet.
Weiter hat die Klägerin die Ansicht vertreten, die Höhe der Entschädigung solle nicht unter drei Monatsgehältern liegen.
Die Klägerin hat beantragt,
das beklagte Land zu verurteilen, an die Klägerin eine angemessene Entschädigung, deren genaue Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, wegen einer Benachteiligung aufgrund der Religion zu zahlen.
Das beklagte Land hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das beklagte Land hat die Ansicht vertreten, eine Diskriminierung sei schon nach dem Vortrag der Klägerin nicht anzunehmen, denn die Klägerin habe sich selbst um die Möglichkeit einer Einstellung als Lehrkraft gebracht, indem sie nicht zum Vorstellungsgespräch am 27. Mai 2015 erschienen sei. Einen Anspruch angehender Lehrkräfte, gleich nach dem ersten von mehreren Vorstellungsgesprächen ausgewählt zu werden, gebe es ebenso wenig wie den auf Beschäftigung an einem bestimmten Schultyp.
Weiter hat das beklagte Land die Ansicht vertreten, die Nichtbeschäftigung der Klägerin an einer Berliner Grundschule beruhe auf der eindeutigen Regelung in § 2 NeutrG, an das die Berliner Verwaltung nach Maßgabe von Art. 20 Abs. 3 GG gebunden sei, solange besagte Regelung nicht vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben worden sei. Eine entsprechende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts könne durchaus anders ausfallen als die Entscheidung zum Schulgesetz in Nordrhein-Westfalen, denn das beklagte Land habe das erste Kopftuch-Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2003 nicht nur für den Schulbereich umgesetzt, sondern habe ein Gesetz für die gesamte Verwaltung geschaffen. Allerdings sei auch bei § 2 NeutrG eine abstrakte Gefährdung ausreichend, um das Verbot des Tragens eines Kopftuches oder anderer Symbole zu begründen. § 2 NeutrG sei insoweit sogar noch deutlicher formuliert als die nordrhein-westfälische Regelung, als dass sie keine „Bekundung“ wie in Nordrhein-Westfalen verlange, sondern allein das Tragen der Symbole ausreichen lasse. Im Unterschied zu dem Schulgesetz in Nordrhein-Westfalen kenne das Berliner Neutralitätsgesetz aber kein „ausnahmslos in allen öffentlichen Schulen und für alle Schüleraltersgruppen“ geltendes, flächendeckendes Verbot, für das ausnahmslos eine abstrakte Gefährdung des Schulfriedens für ein Kopftuchverbot ausreiche, sondern schränke das Verbot bei Lehrkräften auf bestimmte Schularten, nämlich Grundschulen, ISS und Gymnasien sowie Förderschulen ein und lasse zudem noch Ausnahmeregelungen im Einzelfall zu.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des unstreitigen Sachverhaltes sowie des streitigen Vorbringens der Parteien I. Instanz wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen. Ferner wird auf die erstinstanzlich eingereichten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
Im Kammertermin vor dem Arbeitsgericht bot das beklagte Land der Klägerin den Abschluss eines Arbeitsvertrages als Lehrkraft an, hinsichtlich dessen Inhalt auf die Ablichtung auf Bl. 214 – 216 d. A. Bezug genommen wird (Anlage zum Sitzungsprotokoll vom 14. April 2016). Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin erklärte zu Protokoll, die Klägerin könne dieses Arbeitsvertragsangebot nicht annehmen, da daraus ein Einsatz ausschließlich in der Berufsschule folgen würde.
Durch ein Urteil vom 14. April 2016 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, die Klage sei zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin sei zwar wegen ihrer Religionszugehörigkeit im Sinne des § 3 Abs. 1 AGG unmittelbar benachteiligt worden. Denn die Klägerin sei nicht für eine Lehrerstelle an einer Berliner Grundschule ausgewählt worden, wodurch sie eine ungünstigere Behandlung als diejenigen Bewerber erfahren habe, die für eine Erstanstellung an einer Berliner Grundschule ausgewählt worden seien. Ein Kausalzusammenhang zwischen der benachteiligten Behandlung und dem Anknüpfungsmerkmal Religion bestehe. Die Klägerin sei im Bewerbungsgespräch am 29. April 2015 befragt worden, ob sie das Kopftuch im Unterricht tragen wolle, was die Klägerin bejaht habe. Eine Vertreterin der Schulverwaltung habe die Klägerin auf das Neutralitätsgesetz hingewiesen. Später sei die Absage seitens des beklagten Landes erfolgt. Es lägen damit Indizien gemäß § 22 AGG vor, die für ein unmittelbares Anknüpfen an die Religion sprächen. Diese Indizien seien auch nicht durch das beklagte Land widerlegt worden und das beklagte Land habe sich im vorliegenden Rechtsstreit selbst auf § 2 NeutrG berufen. Soweit das beklagte Land auf die Möglichkeit der Unterrichtstätigkeit an einer Berufsschule verwiesen habe, spreche das nicht gegen eine Benachteiligung, weil die Klägerin sich im Rahmen des Bewerbungsgesprächs vom 29. April 2015 um die Stelle einer Grundschullehrerin beworben habe. Denn im Rahmen des Bewerbungsgesprächs vom 29. April 2015 seien ausschließlich Lehrkräfte für Grundschulen gesucht worden. Weiter hat das Arbeitsgericht ausgeführt, die unterschiedliche Behandlung der Klägerin aus religiösen Gründen sei aber gemäß § 8 AGG zulässig. Im Streitfall sei zwar nicht eine bestimmte Religionszugehörigkeit oder gerade deren Fehlen Voraussetzung für die Ausübung der fraglichen Tätigkeit. Gleichwohl liege ein Anwendungsfall von § 8 Abs. 1 AGG vor.
Der Klägerin gereiche eine bestimmte Form ihrer Religionsausübung – das Tragen des islamischen Kopftuchs – zum Nachteil. Deren Unterlassung werde aufgrund des Verbots gemäß § 2 Satz 1 NeutrG zu einer wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung im Sinne des § 8 Abs. 1 AGG für die Unterrichtstätigkeit der Klägerin an einer Grundschule. Das Arbeitsgericht hat ferner ausgeführt, mit dem Neutralitätsgesetz verfolge der Landesgesetzgeber den rechtmäßigen Zweck, dem verfassungsrechtlichen Gebot zu staatlicher Neutralität eine stärker distanzierende Bedeutung in den Bereichen des öffentlichen Dienstes beizumessen, in denen die Mitarbeiter des Staates – seien es Beamte oder Angestellte – dem Bürger mit einer besonderen durch Ausübung von Hoheitsrechten vermittelten Außenwirkung gegenüberträten. Die streitige Frage, ob die Verpflichtung der Lehrkräfte des beklagten Landes, im Schuldienst keine religiös konnotierten Kleidungsstücke zu tragen, ein unverhältnismäßiger Eingriff in die individuelle Glaubens- und Bekenntnisfreiheit gemäß Art. 4 Abs. 1 und 2 GG sei und deshalb keine angemessene Anforderung im Sinne des § 8 AGG darstelle, habe der Landesgesetzgeber mit Erlass des (pauschalen) Verbots gemäß § 2 NeutrG entschieden. Ausweislich der Begründung der Beschlussvorlage des Senats habe das Abgeordnetenhaus in Ansehung und Abwägung der widerstreitenden Grundrechtspositionen über die Gesetzesvorlage entschieden. Im vorliegenden Fall ergäben sich aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Januar 2015 zur Regelung in § 57 Abs. 4 Schulgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des in § 2 NeutrG enthaltenen Verbots. Die Kammer habe aber keine über Zweifel hinausgehende Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit von § 2 NeutrG. Hierzu hat das Arbeitsgericht ausgeführt, die Kammer sehe Besonderheiten der Berliner Regelung im Vergleich zu § 57 Abs. 4 Schulgesetz Nordrhein-Westfalen. Das beklagte Land habe sich bei der Schaffung des Neutralitätsgesetzes auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. September 2003 bezogen. Dem Gesetzgeber sei ein Gestaltungsspielraum zugewiesen worden, welcher es ihm ermögliche, gesetzlich zu regeln, inwieweit er religiöse Bezüge in der Schule zulasse oder wegen einer strikteren Neutralitätsverständnisses aus der Schule heraushalte. Auch nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Januar 2015 verfüge der Gesetzgeber über eine Einschätzungsprärogative. Dieser bestehende Gestaltungsspielraum der Länder schließe ein, dass die einzelnen Länder zu verschiedenen Regelungen kommen könnten, weil bei dem zu findenden Mittelweg auch Schultraditionen, die konfessionelle Zusammensetzung der Bevölkerung und ihre mehr oder weniger starke religiöse Verwurzelung berücksichtigt werden dürften. Bei der Beurteilung der Verfassungswidrigkeit des § 2 NeutrG habe die Kammer auch auf die Vorlage des Berliner Senats zur Beschlussfassung über das Gesetz im Abgeordnetenhaus vom 5. Oktober 2004 (Drucksache 15/3249) abgestellt, weil die darin enthaltenen Motive Aufschluss über die Grundlagen der vom Gesetzgeber getroffenen Abwägung der widerstreitenden Grundrechtspositionen gäben. Die Berliner Regelung betreffe nicht ausschließlich den Bereich des Schulunterrichts in bestimmten Schultypen, sondern alle Bereiche der Verwaltung, in denen die Beschäftigten des beklagten Landes im Rahmen ihrer dienstlichen Tätigkeit typischerweise dem Bürger gegenüber träten, um auch Hoheitsrechte auszuüben. Die Glaubwürdigkeit des Handelns staatlicher Hoheitsträger setze die strikte Einhaltung der verfassungsrechtlich gebotenen Neutralität voraus. Die staatliche Unparteilichkeit habe auch der Senat des beklagten Landes gemäß seiner Beschlussvorlage als Grundbedingung für ein friedliches Zusammenleben verschiedener religiöser und weltanschaulicher Gruppierungen gesehen. Dabei sei auch die Besonderheit des Landes Berlin zu berücksichtigen, dass mit seiner großstädtisch-heterogenen Bevölkerungsstruktur und seiner konfessionellen Vielgestaltigkeit ein besonderes Konfliktpotential biete und daher stärker nach einer restriktiven Regelung verlange. Demzufolge werde gemäß § 1 NeutrG das Tragen religiöser Symbole und Kleidungsstücke zunächst für die die Bereiche der Rechtspflege, des Justizvollzugs und der Polizei eingeschränkt. Es sei konsequent und aus Sicht der Kammer verfassungsrechtlich zulässig, diese Einschränkung auch auf Lehrkräfte an öffentlichen Schulen zu erstrecken. Zu Recht sei in der Beschlussvorlage ausgeführt worden, dass es im Schulbereich weiterhin durch konkrete Auseinandersetzungen zu einer Störung des Schulfriedens kommen könne, die letztlich den staatlichen Erziehungsauftrag gefährde. Um dies zu verhindern, sei der Staat nicht nur gehalten, in Schulen eine neutrale Gestaltung der Räumlichkeiten zu ermöglichen, sondern er müsse auch verhindern, dass anders- oder nichtgläubige Schülerinnen und Schüler von Lehrerinnen und Lehrern unterrichtet würden, die sichtbare religiöse oder weltanschauliche Symbole bzw. entsprechend auffallende Kleidungsstücke trügen. Weiter hat das Arbeitsgericht auf eine Entscheidung des OVG Berlin-Brandenburg Bezug genommen, in der die ausgeprägte religiöse Heterogenität an einem Berliner Gymnasium beschrieben wurde. Diese Darstellung bestätige beispielhaft die Existenz von religiös bedingten Konflikten an den Schulen des Landes Berlin, die auch mit einer anderen Rollenverteilung, bei denen Schüler und Schülerinnen mit einem islamischen Glaubensbekenntnis Opfer von Übergriffen anders- bzw. nichtgläubiger Schüler seien, aufträten. Es könne entsprechend der Begründung der abweichenden Meinung zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 27. Januar 2015 nicht allein darauf abgestellt werden, dass der Staat eine ihm unmittelbar nicht zuzurechnende individuelle Grundrechtsausübung seiner Pädagogen nur dulde und die Schüler lediglich eine bestimmte Bekleidung der Pädagogen anzuschauen hätten, die erkennbar auf deren individuelle Entscheidung zurückgehe. Eine solche vereinfachende Differenzierung zwischen dem Staat zurechenbaren Symbolen und individueller religiös konnotierter Bekleidung von Pädagogen blende die Wirklichkeit aus, die auch die individuelle Grundrechtsausübung einer Lehrperson auf Schülerinnen und Schüler haben könne. Ferner hat das Arbeitsgericht ausgeführt, für die verfassungsmäßige Verhältnismäßigkeit des § 2 NeutrG spreche auch, dass das Verbot des Tragens religiöser Symbole und Kleidungsstücke gemäß § 3 NeutrG nicht für die beruflichen Schulen und die Einrichtungen des zweiten Bildungsweges gelte. Dies werde vom Landesgesetzgeber damit begründet, dass der Erziehungsaspekt bei älteren Schülern zurücktrete und von stärkerer Eigenständigkeit ausgegangen werden könne. Im Übrigen behandele das Neutralitätsgesetz alle Religionen und Glaubensbekenntnisse gleich. Das Arbeitsgericht hat weiter ausgeführt, da die Kammer keine über Zweifel hinausgehende Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit des § 2 NeutrG habe, komme es nicht auf die Frage der Entscheidungserheblichkeit dieser Norm an. Es hab deshalb auch nicht geklärt werden müssen, ob hier die Entscheidungserheblichkeit ausscheide, weil § 2 NeutrG nicht mit Unionsrecht vereinbar und deshalb unanwendbar sei. Eine Vorlage an den EuGH sei nach Auffassung der Kammer auch aus sonstigen Gründen nicht angezeigt; § 2 NeutrG verstoße nicht gegen Unionsrecht. Schließlich hat das Arbeitsgericht ausgeführt, an der Geeignetheit des Verbots des Tragens religiös geprägter Kleidungsstücke zur Durchsetzung des Neutralitätsgebotes bestünden keine Zweifel. Die Kammer gehe davon aus, dass dieses Verbot unionsrechtlich dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspreche und angemessen im Sinne des Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG sei. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Gegen dieses ihr am 23. Mai 2016 zugstellte Urteil hat die Klägerin mit einem am 23. Juni 2016 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese – nach Verlängerung der Berufungsbegründungsbegründungsfrist bis zum 23. August 2016 – mit einem am 23. August 2016 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.
Die Klägerin tritt dem angefochtenen Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags entgegen und ist der Ansicht, das Arbeitsgericht hätte die von der Klägerin angebotenen Zeugen hören müssen. Durch die Zeugenbefragung wäre deutlich geworden, dass die Klägerin als Grundschullehrerin geeignet sei und dass die Ablehnung der Klägerin eigentlich auf dem Verbot des § 2 NeutrG beruhe. Weiterhin wäre durch die Befragung der Zeugen deutlich geworden, dass es Schulen in Berlin gebe, an welchen sich die Schulleitungen vorstellen könnten, Lehrerinnen mit Kopftuch einzustellen. Die Einschätzungen der Schulleiter wären im vorliegenden Fall auch notwendig gewesen, da so ein nicht nur abstrakter Einblick in die tatsächliche Konfliktklage an Berliner Schulen hinsichtlich der unterschiedlichen Religionen möglich gewesen wäre.
Weiter ist die Klägerin der Ansicht, eine Einschränkung ihrer Tätigkeit als Lehrkraft ausschließlich an berufsbildenden Schulen sei mit den Grundsätzen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Januar 2015 und dem AGG nicht vereinbar.
Die Klägerin ist ferner der Ansicht, § 2 NeutrG sei verfassungswidrig, denn die Norm widerspreche den Maßstäben, die das Bundesverfassungsgericht im Beschluss vom 27. Januar 2015 aufgestellt habe. Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht sei daher statthaft. Das Arbeitsgericht habe es versäumt, eine eigene Abwägung der Grundrechtspositionen vorzunehmen.
Die Klägerin beantragt,
das am 14. April 2016 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Berlin 58 Ca 13376/15 abzuändern und das beklagte Land zu verurteilen, an die Klägerin eine angemessene Entschädigung wegen einer Benachteiligung aufgrund der Religion zu zahlen, deren genaue Höhe ins Ermessen des Gerichts gestellt wird.
Das beklagte Land beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Das beklagte Land verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrags und ist der Ansicht, eine Benachteiligung der Klägerin liege nicht vor und selbst wenn diese vorliegen sollte, wäre sie jedenfalls gemäß § 8 AGG zulässig. § 2 NeutrG sei weder verfassungswidrig noch europarechtswidrig.
Das beklagte Land behauptet, die Klägerin habe das Vorstellungsgespräch vom 29. April 2015 von sich aus beendet, nachdem die von ihr gewünschte Grundsatzdiskussion nicht zustande gekommen sei.
Das beklagte Land ist der Ansicht, die Klägerin habe sich durch ihr Nichterscheinen zum Vorstellungsgespräch am 27. Mai 2015 selbst um die Möglichkeit gebracht, als Lehrkraft an einer Berliner Schule angestellt zu werden.
Weiter ist das beklagte Land der Ansicht, eine unmittelbare Benachteiligung der Klägerin liege nicht vor, weil der Klägerin im Kammertermin vor dem Arbeitsgericht genau der Arbeitsvertrag angeboten worden sei, den sie auch bei Auswahl bei dem Vorstellungsgespräch (Casting), an dem sie teilgenommen hätte, erhalten hätte. Eine bessere Rechtsposition könne die Klägerin in keinem Fall erhalten, weil das beklagte Land in den Arbeitsverträgen mit angestellten Lehrkräften weder Festschreibungen einer konkreten Schule noch auch nur eines speziellen Schultyps als Einsatzort vornehme und auf das ihm nach der geltenden Rechtsordnung und der ständigen Rechtsprechung des Bundessarbeitsgerichts zustehende Direktionsrecht nicht verzichte. Da kein Bewerber einen Rechtsanspruch auf einen Arbeitsvertrag als Lehrkraft ausschließlich an einer Grundschule des Landes Berlin habe, scheide eine Diskriminierung der Klägerin aus einem der in § 1 AGG Gründe vorliegend bereits tatbestandlich aus.
Das beklagte Land ist ferner der Ansicht, es liege nicht einmal ein Indiz im Sinne des § 22 AGG für eine unzulässige Benachteiligung der Klägerin aus einem der der § 1 AGG genannten Gründe vor.
Schließlich ist das beklagte Land der Ansicht, dass dann, wenn der Klägerin eine Entschädigung zuzusprechen sei, diese allenfalls drei Monatsverdienste betragen könne.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze vom 23. August 2016, vom 14. November 2016, vom 17. Januar 2017 und vom 8. Februar 2017 sowie auf das Sitzungsprotokoll vom 9. Februar 2017 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
A
Die Berufung ist zulässig.
Sie ist gem. §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthaft und frist- und formgerecht im Sinne der §§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG i. V. m. §§ 519, 520 ZPO eingelegt und begründet worden.
B
Die Berufung hat auch in der Sache überwiegend Erfolg.
I.
Die Klage ist zulässig.
Der auf Zahlung einer Entschädigung gerichtete Klageantrag ist zulässig, insbesondere ist er hinreichend bestimmt im Sinne von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Die Klägerin durfte die Höhe der von ihr begehrten Entschädigung in das Ermessen des Gerichts stellen. § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG räumt dem Gericht bei der Höhe der Entschädigung einen Beurteilungsspielraum ein, weshalb eine Bezifferung des Zahlungsantrags nicht notwendig ist. Die Klägerin hat auch Tatsachen benannt, die das Gericht bei der Bestimmung des Betrags heranziehen soll und die Größenordnung der geltend gemachten Forderung angegeben (vgl. hierzu z. B. BAG, 17.12.2015, 8 AZR 421/14, NZA 2016, 888 m.w.N.).
Die Klägerin nennt als Grundlage für die Entschädigung das monatliche Bruttogehalt gemäß Entgeltgruppe E 11 Stufe 5 TV-L (4.340,00 EUR) und ist der Ansicht, die Entschädigung sollte nicht unter drei Monatsverdiensten liegen. Dies ergibt 13.020,00 EUR.
II.
Die Klage ist überwiegend begründet, im Übrigen ist sie unbegründet.
Die Klägerin hat gegen das beklagte Land einen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AGG in Höhe von 8.680,00 EUR.
1.) Die Klägerin ist als Bewerberin für eine Stelle als Lehrkraft „Beschäftigte“ nach § 6 Abs. 1 Satz 2, 1. Alternative AGG und fällt daher unter den persönlichen Anwendungsbereich des AGG.
2.) Das beklagte Land ist als „Arbeitgeber“ passivlegitimiert. Nach § 6 Abs. 2 Satz 1 AGG ist Arbeitgeber im Sinne des Gesetzes, wer „Personen nach Abs. 1“ des § 6 AGG „beschäftigt“. Arbeitgeber ist mithin auch derjenige, der um Bewerbungen für ein von ihm angestrebtes Beschäftigungsverhältnis bittet (vgl. z. B. BAG, 14.11.2013, 8 AZR 997/12, NZA 2014, 489 m.w.N.).
3.) Die Klägerin hat ihren Entschädigungsanspruch innerhalb der Fristen des § 15 Abs. 4 AGG, § 61 b Abs. 1 ArbGG geltend gemacht.
a) Gemäß § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG muss ein Anspruch aus § 15 Abs. 2 AGG innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden. Im Falle einer Bewerbung beginnt die Frist mit dem Zugang der Ablehnung (§ 15 Abs. 4 Satz 2 AGG), nicht jedoch vor dem Zeitpunkt, in dem der Bewerber von seiner Benachteiligung Kenntnis erlangt.
Die Ablehnung der Bewerbung durch das beklagte Land – bezogen auf das vorgezogene Auswahlverfahren – mit E-Mail vom 6. Mai 2015 ist der Klägerin am selben Tage zugegangen.
Die Klägerin machte mit anwaltlichem Schreiben vom 26. Juni 2015, das sie vorab per Telefax an das beklagte Land gesendet hatte, einen Entschädigungsanspruch gemäß § 15 Abs. 2 AGG außergerichtlich geltend und gab an, die Höhe solle sich an drei Monatsverdiensten orientieren, welche in diesem Bereich üblich seien.
b) Die am Montag, dem 28. September 2015 beim Arbeitsgericht eingegangene Klage, die dem beklagten Land am 6. Oktober 2015 zugestellt worden ist, hat die Frist des § 61 b Abs. 1 ArbGG gewahrt. Die Klage wurde innerhalb von drei Monaten nach der schriftlichen Geltendmachung des Anspruchs erhoben.
Für die Fristwahrung genügte gemäß § 167 ZPO der Eingang der Klage beim Arbeitsgericht, weil deren Zustellung „demnächst“ erfolgte (vgl. entsprechend z. B. BAG, 16.02.2012, 8 AZR 697/10, NZA 2012, 667 und BAG 22.05.2014, 8 AZR 662/13, NZA 2014, 924).
4.) Das beklagte Land hat gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 AGG verstoßen.
a) Der Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG setzt einen Verstoß gegen das in § 7 Abs. 1 AGG geregelte Benachteiligungsverbot voraus (§ 15 Abs. 2 i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 1 AGG) und ist verschuldensunabhängig (vgl. z. B. BAG, 17.12.2015, 8 AZR 421/14, NZA 2016, 888).
b) Nach dem in § 7 Abs. 1 AGG bestimmten Benachteiligungsverbot ist eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, u.a. wegen der Religion, untersagt. § 7 AGG verbietet sowohl unmittelbare als auch mittelbare Benachteiligung (vgl. z. B. BAG a.a.O.).
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG liegt eine unmittelbare Benachteiligung vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, u.a. wegen der Religion, eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Nach § 3 Abs. 2 AGG liegt eine mittelbare Benachteiligung vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes gegenüber anderen Personen benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung die Ziels angemessen und erforderlich.
c) Im Hinblick auf eine – insbesondere bei einer Einstellung zu treffende – Auswahlentscheidung des Arbeitgebers befinden sich Personen grundsätzlich bereits dann in einer vergleichbaren Situation, wenn sie sich für dieselbe beworben haben (vgl. z. B. BAG, 17.12.2015, 8 AZR 421/14, NZA 2016, 888 m.w.N.).
d) Das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG erfasst nicht jede Ungleichbehandlung, sondern nur eine Ungleichbehandlung „wegen“ eines in § 1 AGG genannten Grundes. Zwischen der benachteiligenden Behandlung und einem in § 1 AGG genannten Grund muss demnach ein Kausalzusammenhang bestehen. Dafür ist es nicht erforderlich, dass der betreffende Grund iSv. § 1 AGG das ausschließliche oder auch nur ein wesentliches Motiv für das Handeln des Benachteiligenden ist; er muss nicht - gewissermaßen als vorherrschender Beweggrund, Hauptmotiv oder „Triebfeder“ des Verhaltens - handlungsleitend oder bewusstseinsdominant gewesen sein; vielmehr ist der Kausalzusammenhang bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung an einen Grund iSv. § 1 AGG anknüpft oder durch diesen motiviert ist, wobei bloße Mitursächlichkeit genügt. Bei der Prüfung des Kausalzusammenhangs sind alle Umstände des Rechtsstreits im Sinne einer Gesamtbetrachtung und -würdigung des Sachverhalts zu berücksichtigen (vgl. BAG, 19.05.2016, 8 AZR 470/14, NZA 2016, 1394 und BAG, 17.12.2015, 8 AZR 421/14, NZA 2016, 888, jeweils mwN).
e) Für den Rechtsschutz bei Diskriminierungen sieht § 22 AGG eine Erleichterung der Darlegungslast, eine Absenkung des Beweismaßes und eine Umkehr der Beweislast vor. Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen, trägt nach § 22 AGG die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat (BAG aaO).
Danach genügt eine Person, die sich durch eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für beschwert hält, ihrer Darlegungslast bereits dann, wenn sie Indizien vorträgt, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes erfolgt ist. Dies gilt nicht nur im Hinblick auf § 7 Abs. 1 Halbs. 1 AGG, sondern ebenso im Hinblick auf das Vorliegen der Voraussetzungen von § 7 Abs. 1 Halbs. 2 AGG, also bezogen auf die Frage, ob der Benachteiligende das Vorliegen eines in § 1 AGG genannten Grundes bei der Benachteiligung nur angenommen hat (BAG aaO).
Besteht die Vermutung einer Benachteiligung, trägt die andere Partei die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt worden ist. Hierfür gilt jedoch das Beweismaß des sog. Vollbeweises. Der Arbeitgeber muss demnach Tatsachen vortragen und ggf. beweisen, aus denen sich ergibt, dass ausschließlich andere als die in § 1 AGG genannten Gründe zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben. Die Beweiswürdigung erfolgt nach § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO unter Zugrundelegung der Vorgaben von § 22 AGG (vgl. BAG aaO mwN).
f) Im vorliegenden Fall hat das beklagte Land die Klägerin unmittelbar wegen ihrer Religion benachteiligt, denn es versagte der Klägerin die Beschäftigung an einer allgemeinbildenden Schule im Land Berlin in der Primarstufe (Grundschule), weil die Klägerin als gläubige Muslima auch im Dienst ein islamisches Kopftuch tragen möchte.
Entgegen der Ansicht des beklagten Landes entfällt eine Benachteiligung nicht deshalb, weil das beklagte Land die Klägerin jederzeit einstellen würde und keine der im Land Berlin beschäftigten Lehrkräfte einen Anspruch auf eine Beschäftigung an einem bestimmten Schultyp hat. Jede neu eingestellte Lehrkraft mit der Qualifikation der Klägerin hat die Chance, auch an einer allgemeinbildenden Schule in der Primarstufe und in der Sekundarstufe I beschäftigt zu werden. Dagegen ist die Klägerin von dieser Möglichkeit von vorneherein und nur deshalb ausgenommen, weil sie im Dienst ein islamisches Kopftuch tragen möchte.
Bezogen auf das „Casting“ vom 29. April 2015 bestand keine Möglichkeit, dass die Klägerin eingestellt würde. Denn unstreitig wurden bei diesem „Casting“ nur Lehrkräfte für Grundschulen gesucht. Unstreitig ist auch, dass das beklagte Land dringend Grundschullehrer benötigte und benötigt und mangels ausreichender Bewerberzahlen sogar sog. Quereinsteiger ohne pädagogische Ausbildung sucht. Ferner ist unstreitig, dass die Klägerin bei dem „Casting“ auf ihr Kopftuch angesprochen und gefragt wurde, ob sie beabsichtige, dieses auch im Dienst zu tragen. Als die Klägerin diese Frage bejahte, wurde sie unstreitig auf § 2 NeutrG hingewiesen.
Die Klägerin hat im vorliegenden Fall nicht nur Indizien vorgetragen, die auf eine Diskriminierung wegen der islamischen Religion schließen lassen, sondern die von der Klägerin vorgetragenen Tatsachen sind insoweit unstreitig.
Das beklagte Land hat im vorliegenden Rechtsstreit keine Tatsachen vorgetragen, aus denen sich ergeben könnte, dass ausschließlich andere Gründe als die Äußerung der Klägerin, im Dienst ein islamisches Kopftuch tragen zu wollen, zur Absage vom 6. Mai 2015 geführt hätten.
In der Klageerwiderung führte das beklagte Land ausdrücklich aus, die Nichtbeschäftigung der Klägerin an einer Grundschule beruhe „im Übrigen“ auf der eindeutigen Regelung in § 2 NeutrG, an das die Berliner Verwaltung nach Maßgabe von Art. 20 Abs. 3 GG gebunden sei, solange besagte Regelung nicht vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben worden sei.
Das beklagte Land hat auch nicht etwa behauptet, die Klägerin hätte wegen ihres Notendurchschnitts die Absage vom 6. Mai 2015 erhalten. Erstmals in der Berufungserwiderung führte das beklagte Land aus, von den 26 am 29. April 2015 erschienenen Bewerbern seien 23 ausgewählt worden und alle nicht ausgewählten Bewerber mit der gleichen Laufbahn der Klägerin hätten die Note 3 gehabt. Dieser Vortrag erfolgte allerdings nicht zur Begründung der Ablehnung vom 6. Mai 2015, sondern zur Begründung, dass die - eventuelle - Entschädigung nicht mehr als drei Monatsverdienste betragen solle.
Entgegen der Ansicht des beklagten Landes war von einer ernsthaften Bewerbung der Klägerin auszugehen. Die Klägerin, die als Grundschullehrerin arbeiten möchte und wusste, dass sie vom Land Berlin mit einem islamischen Kopftuch nicht in einer Grundschule beschäftigt werden würde, hatte nach Abschluss der Zweiten Staatsprüfung mit der i. F. in Berlin e.V. einen Arbeitsvertrag als Religionslehrerin geschlossen, um in Berlin an Grundschulen unterrichten zu können. Erst nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Januar 2015 bewarb sich die Klägerin beim beklagten Land als Lehrkraft in der Hoffnung, das beklagte Land werde diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bei der Einstellung berücksichtigen. Dies wird auch aufgrund der unstreitigen Tatsache deutlich, dass die Klägerin bei dem „Casting“ vom 29. April 2015 nach dem Hinweis des beklagten Landes auf das Neutralitätsgesetz versuchte, über die damals neue Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu diskutieren.
Unerheblich ist, ob die Klägerin das Gespräch am 29. April 2015 von sich aus abbrach, wie das beklagte Land behauptet. Denn die Klägerin war – wie oben bereits ausgeführt wurde – während des „Castings“ auf ihr Kopftuch angesprochen und auf das Berliner Neutralitätsgesetz hingewiesen worden und unstreitig wurden bei diesem „Casting“ ausschließlich Grundschullehrer gesucht. Als eine solche Grundschullehrerin wäre die Klägerin wegen ihres islamischen Kopftuchs und der Äußerung, sie wolle dieses auch im Dienst tragen, ohnehin nicht ausgewählt worden.
g) Die unterschiedliche Behandlung der Klägerin im Vergleich zu den anderen Bewerber/innen war nicht gemäß § 8 Abs. 1 AGG zulässig.
aa) Nach § 8 Abs. 1 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen eines in § 1 AGG Grundes zulässig, wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist. § 8 Abs. 1 AGG dient der Umsetzung von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG in das nationale Recht. § 8 Abs. 1 AGG ist unionsrechtskonform in Übereinstimmung mit der Richtlinie unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EUGH eng auszulegen (vgl. z. B. BAG, 19.05.2016, 8 AZR 470/14, NZA 216, 1394).
Bei der Anwendung von § 8 Abs. 1 AGG ist zu beachten, dass nicht der Grund, auf den die Ungleichbehandlung gestützt ist, sondern nur ein mit diesem Grund im Zusammenhang stehendes Merkmal eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellen kann und dass ein solches Merkmal – oder sein Fehlen – nur dann eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung im Sinne des § 8 Abs. 1 AGG ist, wenn davon die ordnungsgemäße Durchführung der Tätigkeit abhängt (vgl. BAG a.a.O. m.w.N. aus der Rechtsprechung des EuGH und des BAG).
bb) Das Unterlassen des Tragens eines islamischen Kopftuches ist keine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung für die Tätigkeit einer Lehrerin an einer allgemeinbildenden Schule in der Primarstufe oder der Sekundarstufe I in Berlin, denn die ordnungsgemäße Durchführung dieser Tätigkeit hängt nicht davon ab, ob die Lehrerin ein islamisches Kopftuch trägt oder nicht, sondern davon, ob die Lehrerin die Zweite Staatsprüfung für das Lehramt für die Bildungsgänge der Sekundarstufe I und der Primarstufe an allgemeinbildenden Schulen bestanden hat. Mit diesem Abschluss ist eine Lehrerin, die ein islamisches Kopftuch trägt, ohne weiteres dazu in der Lage, Kinder zu unterrichten.
cc) Allerdings dürfen Lehrkräfte im Land Berlin gem. § 2 Satz 1 NeutrG in den öffentlichen Schulen nach dem Schulgesetz innerhalb des Dienstes u. a. keine auffallend religiös geprägten Kleidungsstücke tragen, worunter auch das islamische Kopftuch fällt. Ausgenommen sind von dieser Regelung gem. § 3 Satz 1 NeutrG nur die beruflichen Schulen im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 3 Satz 1 Nr. 3 des Schulgesetzes sowie Einrichtungen des Zweiten Bildungsweges im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 des Schulgesetzes. Ferner kann die oberste Dienstbehörde gem. § 3 Satz 2 NeutrG für weitere Schularten unter bestimmten Voraussetzungen Ausnahmen zulassen.
Nach der Rechtsprechung des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts, der sich die erkennende Kammer angeschlossen hat, verletzt ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrkräfte an öffentlichen Schulen deren Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit (BVerfG, 27.01.2015, 1 BvR 471/10 und 1 BvR 1181/10 BVerfGE 138, 296; vgl. auch BVerfG, 18.10.2016, 1 BvR 354/11, NZA 2016, 1522 zum Kopftuchverbot für Erzieherinnen an öffentlichen Kindertagesstätten).
Nach dieser Rechtsprechung ist ein Verbot religiöser Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild, das bereits die abstrakte Gefahr einer Beeinträchtigung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität ausreichen lässt, im Hinblick auf die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Pädagogen jedenfalls unangemessen und damit unverhältnismäßig, wenn die Bekundung nachvollziehbar auf ein als verpflichtend empfundenes religiöses Gebot zurückführbar ist. Erforderlich ist vielmehr eine hinreichend konkrete Gefahr. Eine entsprechende gebietsbezogene, möglicherweise auch landesweite Untersagung kommt von Verfassungs wegen für öffentliche bekenntnisoffene Schulen nur dann in Betracht, wenn eine hinreichend konkrete Gefahr für die genannten Schutzgüter im gesamten Geltungsbereich der Untersagung besteht (BVerfG, 27.01.2015, 1 BvR 471/10 und 1 BvR 1181/10 a. a. O.).
Allein das Tragen eines „islamischen Kopftuches“ begründet eine hinreichend konkrete Gefahr im Regelfall nicht. Denn vom Tragen einer solchen Kopfbedeckung geht für sich genommen noch kein werbender oder gar missionierender Effekt aus. Ein „islamisches Kopftuch“ ist in Deutschland nicht unüblich, sondern spiegelt sich im gesellschaftlichen Alltag vielfach wider (vgl. BVerfG, 18.10.2016, 1 BvR 354/11, NZA 2016, 1522).
§ 2 Satz 1 NeutrG verbietet nach seinem Wortlaut das Tragen von auffallend religiös geprägten Kleidungsstücken, ohne dies von weiteren Voraussetzungen, wie z. B. vom Vorliegen einer konkreten Gefahr, abhängig zu machen und stellt damit jedenfalls nach seinem Wortlaut ein pauschales Kopftuchverbot dar.
Dieses pauschale Kopftuchverbot verletzt die Klägerin in ihrem Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG.
(1) Der Schutz des Grundrechts auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit (Art. 1 Abs. 1 und 2 GG) gewährleistet auch den Pädagoginnen und Pädagogen in der öffentlichen bekenntnisoffenen Schule die Freiheit, den Regeln ihres Glaubens gemäß einem religiösen Bedeckungsgebot zu genügen, wie dies etwa durch das Tragen eines islamischen Kopftuchs der Fall sein kann, wenn dies hinreichend plausibel begründet wird (BVerfG, 27.01.2015, 1 BvR 471/10 und 1 BvR 1181/10 a. a. O.).
(a) Auch Angestellte im öffentlichen Dienst können sich auf ihr Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG berufen. Die Grundrechtsberechtigung der Angestellten wird durch ihre Eingliederung in den staatlichen Aufgabenbereich der Schule nicht von vorneherein oder grundsätzlich in Frage gestellt. Der Staat bleibt zudem auch dann an die Grundrechte gebunden, wenn er sich zur Aufgabenerfüllung zivilrechtlicher Instrumente bedient, wie das hier durch den Abschluss privatrechtlicher Arbeitsverträge mit den zur Erfüllung seines Erziehungsauftrags von ihm angestellten Pädagoginnen der Fall ist, Art. 1 Abs. 3 GG (BVerfG a. a. O.).
(b) Art. 4 GG garantiert in Absatz 1 die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses, in Absatz 2 das Recht der ungestörten Religionsausübung. Beide Absätze des Art. 4 GG enthalten ein umfassend zu verstehendes einheitliches Grundrecht. Es erstreckt sich nicht nur auf die innere Freiheit, zu glauben oder nicht zu glauben, das heißt einen Glauben zu haben, zu verschweigen, sich vom bisherigen Glauben loszusagen und einem anderen Glauben zuzuwenden, sondern auch auf die äußere Freiheit, den Glauben zu bekunden und zu verbreiten, für seinen Glauben zu werben und andere von ihrem Glauben abzuwerben. Umfasst sind damit nicht allein kultische Handlungen und die Ausübung und Beachtung religiöser Gebräuche, sondern auch die religiöse Erziehung sowie andere Äußerungsformen des religiösen und weltanschaulichen Lebens. Dazu gehört auch das Recht der Einzelnen, ihr gesamtes Verhalten an den Lehren ihres Glaubens auszurichten und dieser Überzeugung gemäß zu handeln, also glaubensgeleitet zu leben; dies betrifft nicht nur imperative Glaubenssätze (vgl. BVerfG, 27.01.2015, 1 BvR 471/10, 1 BvR 1181/10, BVerfGE 138, 296).
Bei der Würdigung dessen, was im Einzelfall als Ausübung von Religion und Weltanschauung zu betrachten ist, darf das Selbstverständnis der jeweils betroffenen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften und des einzelnen Grundrechtsträgers nicht außer Betracht bleiben. Dies bedeutet jedoch nicht, dass jegliches Verhalten einer Person allein nach deren subjektiver Bestimmung als Ausdruck der Glaubensfreiheit angesehen werden muss. Die staatlichen Organe dürfen prüfen und entscheiden, ob hinreichend substantiiert dargelegt ist, dass sich das Verhalten tatsächlich nach geistigem Gehalt und äußerer Erscheinung in plausibler Weise dem Schutzbereich des Art. 4 GG zuordnen lässt, also tatsächlich eine als religiös anzusehende Motivation hat. Dem Staat ist es indes verwehrt, derartige Glaubensüberzeugungen seiner Bürger zu bewerten oder gar als "richtig" oder "falsch" zu bezeichnen; dies gilt insbesondere dann, wenn hierzu innerhalb einer Religion divergierende Ansichten vertreten werden (vgl. BVerfG a. a. O.).
(c) Die Musliminnen, die ein in der für ihren Glauben typischen Weise gebundenes Kopftuch tragen, können sich dafür auch bei der Ausübung ihres Berufs in der öffentlichen bekenntnisoffenen Schule, aber auch für das Tragen einer sonstigen Bekleidung, durch die Haare und Hals nachvollziehbar aus religiösen Gründen bedeckt werden, auf den Schutz der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG berufen (vgl. BVerfG a. a. O.).
Im vorliegenden Fall macht die Klägerin eine religiöse Motivation für das Tragen ihrer Kopfbedeckungen geltend. Sie bezeichnet deren Tragen als unbedingte religiöse Pflicht und als elementaren Bestandteil einer am Islam orientierten Lebensweise.
Diese religiöse Fundierung der Bekleidungswahl ist auch mit Rücksicht auf die im Islam vertretenen unterschiedlichen Auffassungen zum sogenannten Bedeckungsgebot nach geistigem Gehalt und äußerer Erscheinung hinreichend plausibel. Dabei kommt es nicht darauf an, dass der genaue Inhalt der Bekleidungsvorschriften für Frauen unter islamischen Gelehrten durchaus umstritten ist. Es genügt, dass diese Betrachtung unter den verschiedenen Richtungen des Islam verbreitet ist und insbesondere auf zwei Stellen im Koran (Sure 24, Vers 31; Sure 33, Vers 59) zurückgeführt wird. Ein Bedeckungsgebot wird im Islam teilweise auch als unbedingte Pflicht eingeordnet. Unter diesen Umständen kommt es nicht darauf an, dass andere Richtungen des Islam ein als verpflichtend geltendes Bedeckungsgebot für Frauen nicht kennen (vgl. BVerfG a. a. O. m. w. N.; vgl. auch BVerfG, 18.10. 2016, 1 BvR 354/11, NZA 2016, 1522).
(2) Die auf § 2 NeutrG gestützte Untersagung des Tragens eines islamischen Kopftuches im Dienst an einer allgemeinbildenden Schule in der Primarstufe (und in der Sekundarstufe I) stellt einen schwerwiegenden Eingriff in das Grundrecht der Klägerin aus Art 4 Abs. 1 und 2 GG dar.
(a) Das islamische Kopftuch ist ein auffallend religiös geprägtes Kleidungsstück im Sinne des § 2 NeutrG. Dies ergibt sich auch aus der Gesetzesbegründung (Drucksache des Abgeordnetenhauses Berlin 15/3249 vom 08.10.2004), in der ausdrücklich zum Verbot für Lehrkräfte, im Schulunterricht ein Kopftuch zu tragen, ausgeführt wird. Hierüber besteht zwischen den Parteien auch kein Streit.
Auch wenn ein islamisches Kopftuch nur der Erfüllung eines religiösen Gebots dient und ihm von der Trägerin kein symbolischer Charakter beigemessen wird, sondern es lediglich als Kleidungsstück angesehen wird, das die Religion vorschreibt, ändert dies nichts daran, dass es in Abhängigkeit vom sozialen Kontext verbreitet als Hinweis auf die muslimische Religionszugehörigkeit der Trägerin gedeutet wird. In diesem Sinne ist es ein religiös konnotiertes Kleidungsstück. Wird es als äußeres Anzeichen religiöser Identität verstanden, so bewirkt es das Bekenntnis einer religiösen Überzeugung, ohne dass es hierfür einer besonderen Kundgabeabsicht oder eines zusätzlichen wirkungsverstärkenden Verhaltens bedarf. Dessen wird sich die Trägerin eines in typischer Weise gebundenen Kopftuchs regelmäßig auch bewusst sein. Diese Wirkung kann sich - je nach den Umständen des Einzelfalls - auch für andere Formen der Kopf- und Halsbedeckung ergeben (vgl. BVerfG a. a. O.).
(b) Der Eingriff, der mit der Untersagung des Tragens eines islamischen Kopftuchs oder einer anderen Kopf- und Halsbedeckung in Erfüllung eines religiösen Gebots verbunden ist, wiegt schwer. Zwar verstellt das Verbot dieser Kopfbedeckung der Klägerin nicht den Zugang zum Beruf als Lehrerin (Art. 12 Abs. 1 GG), weil das Verbot nicht für die beruflichen Schulen und die Einrichtungen des Zweiten Bildungsweges gilt.
Durch § 2 Satz 1 NeutrG ist die Klägerin aber ausnahmslos von der Möglichkeit ausgenommen, an allen Schulen in der Primarstufe und an weiterführenden allgemeinbildenden Schulen in der Sekundarstufe I zu unterrichten.
Dass auf diese Weise faktisch vor allem strenggläubige muslimische Frauen von der qualifizierten beruflichen Tätigkeit als Lehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen ferngehalten werden, steht zugleich in einem rechtfertigungsbedürftigen Spannungsverhältnis zum Gebot der tatsächlichen Gleichberechtigung von Frauen (Art. 3 Abs. 2 GG). Vor diesem Hintergrund greift das gesetzliche Bekundungsverbot in ihr Grundrecht auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit trotz seiner zeitlichen und örtlichen Begrenzung auf den schulischen Bereich mit erheblich größerem Gewicht ein, als dies bei einer religiösen Übung ohne plausiblen Verbindlichkeitsanspruch der Fall wäre (vgl. BVerfG a. a. O.).
(3) Der Eingriff in die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Klägerin durch das pauschale Kopftuchverbot ist unverhältnismäßig und deshalb nicht gerechtfertigt.
(a) Einschränkungen des Grundrechts aus Art. 4 Satz 1 und 2 GG müssen sich aus der Verfassung selbst ergeben, weil Art. 4 Abs. 1 und 2 GG keinen Gesetzesvorbehalt enthält. Zu solchen verfassungsimmanenten Schranken zählen die Grundrechte Dritter sowie Gemeinschaftswerte von Verfassungsrang Als mit der Glaubensfreiheit in Widerstreit tretende Verfassungsgüter kommen hier neben dem staatlichen Erziehungsauftrag (Art. 7 Abs. 1 GG), der unter Wahrung der Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität zu erfüllen ist, das elterliche Erziehungsrecht (Art. 6 Abs. 2 GG) und die negative Glaubensfreiheit der Schüler (Art. 4 Abs. 1 GG) in Betracht. Das normative Spannungsverhältnis zwischen diesen Verfassungsgütern unter Berücksichtigung des Toleranzgebots zu lösen, obliegt dem demokratischen Gesetzgeber, der im öffentlichen Willensbildungsprozess einen für alle zumutbaren Kompromiss zu suchen hat. Die genannten Grundgesetz-Normen sind zusammen zu sehen, ihre Interpretation und ihr Wirkungsbereich sind aufeinander abzustimmen (vgl. BVerfG a. a. O.).
(b) Der Berliner Gesetzgeber verfolgt mit § 2 Satz 1 NeutrG legitime Ziele. Sein Anliegen ist es, den Schulfrieden und die staatliche Neutralität zu wahren, so den staatlichen Erziehungsauftrag abzusichern, gegenläufige Grundrechte von Schülern und Eltern zu schützen und damit mögliche Konflikte im Bereich der in § 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, 2 und 4 des Berliner Schulgesetzes genannten Schulen zu verhindern (vgl. Drucksache des Berliner Abgeordnetenhauses 15/3249, 08.10.2004).
(c) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist ein landesweites Verbot religiöser Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild, namentlich das Tragen religiös konnotierter Kleidung, schon wegen der bloß abstrakten Eignung zu einer Gefährdung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität in einer bekenntnisoffenen Schule unverhältnismäßig im engeren Sinne, wenn dieses Verhalten nachvollziehbar auf ein als verpflichtend verstandenes religiöses Gebot zurückzuführen ist. Zwar kann das Einbringen religiöser oder weltanschaulicher Bezüge in Schule und Unterricht durch pädagogisches Personal den in Neutralität zu erfüllenden staatlichen Erziehungsauftrag, das elterliche Erziehungsrecht und die negative Glaubensfreiheit der Schüler beeinträchtigen. Es eröffnet zumindest die Möglichkeit einer Beeinflussung der Schulkinder sowie von Konflikten mit Eltern, was zu einer Störung des Schulfriedens führen und die Erfüllung des Erziehungsauftrags der Schule gefährden kann. Auch die religiös motivierte und als Kundgabe einer Glaubensüberzeugung interpretierbare Bekleidung von Lehrkräften kann diese Wirkungen haben. Allerdings kommt keiner der gegenläufigen verfassungsrechtlich verankerten Positionen ein solches Gewicht zu, als dass bereits die abstrakte Gefahr ihrer Beeinträchtigung ein Verbot zu rechtfertigen vermöchte, wenn auf der anderen Seite das Tragen religiös konnotierter Bekleidung oder Symbole nachvollziehbar auf ein als imperativ verstandenes religiöses Gebot zurückzuführen ist (vgl. BVerfG a. a. O.).
(1) Das Einbringen religiöser oder weltanschaulicher Bezüge in Schule und Unterricht durch pädagogisches Personal kann den in Neutralität zu erfüllenden staatlichen Erziehungsauftrag, das elterliche Erziehungsrecht und die negative Glaubensfreiheit der Schüler beeinträchtigen. Es eröffnet zumindest die Möglichkeit einer Beeinflussung der Schulkinder sowie von Konflikten mit Eltern, was zu einer Störung des Schulfriedens führen und die Erfüllung des Erziehungsauftrags der Schule gefährden kann. Auch die religiös motivierte und als Kundgabe einer Glaubensüberzeugung interpretierbare Bekleidung von Lehrkräften kann diese Wirkungen haben. Allerdings kommt keiner der gegenläufigen verfassungsrechtlich verankerten Positionen ein solches Gewicht zu, als dass bereits die abstrakte Gefahr ihrer Beeinträchtigung ein Verbot zu rechtfertigen vermöchte, wenn auf der anderen Seite das Tragen religiös konnotierter Bekleidung oder Symbole nachvollziehbar auf ein als imperativ verstandenes religiöses Gebot zurückzuführen ist (vgl. BVerfG, 27.01.2015, 1 BvR 471/10, 1 BvR 1181/10, BVerfGE 138, 296 m. w. N.).
(aa) Die negative Glaubensfreiheit der Schülerinnen und Schüler (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) gewährleistet die Freiheit, kultischen Handlungen eines nicht geteilten Glaubens fernzubleiben; das bezieht sich auch auf Riten und Symbole, in denen ein Glaube oder eine Religion sich darstellen. Die Einzelnen haben in einer Gesellschaft, die unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen Raum gibt, allerdings kein Recht darauf, von der Konfrontation mit ihnen fremden Glaubensbekundungen, kultischen Handlungen und religiösen Symbolen verschont zu bleiben. Davon zu unterscheiden ist aber eine vom Staat geschaffene Lage, in welcher der Einzelne ohne Ausweichmöglichkeiten dem Einfluss eines bestimmten Glaubens, den Handlungen, in denen sich dieser manifestiert, und den Symbolen, in denen er sich darstellt, ausgesetzt ist. In einer unausweichlichen Situation befinden sich Schülerinnen und Schüler zwar auch dann, wenn sie sich infolge der allgemeinen Schulpflicht während des Unterrichts ohne Ausweichmöglichkeit einer vom Staat angestellten Lehrerin gegenüber sehen, die ein islamisches Kopftuch trägt. Im Blick auf die Wirkung religiöser Ausdrucksmittel ist allerdings danach zu unterscheiden, ob das in Frage stehende Zeichen auf Veranlassung der Schulbehörde oder aufgrund einer eigenen Entscheidung von einzelnen Pädagoginnen und Pädagogen verwendet wird, die hierfür das individuelle Freiheitsrecht des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG in Anspruch nehmen können. Der Staat, der eine mit dem Tragen eines Kopftuchs verbundene religiöse Aussage einer einzelnen Lehrerin oder einer pädagogischen Mitarbeiterin hinnimmt, macht diese Aussage nicht schon dadurch zu seiner eigenen und muss sie sich auch nicht als von ihm beabsichtigt zurechnen lassen (vgl. BVerfG a. a. O. m. w. N.).
Zwar trifft die für das Tragen eines islamischen Kopftuchs in der Schule in Anspruch genommene Glaubensfreiheit der Lehrerin auf die negative Glaubensfreiheit der Schülerinnen und Schüler. Doch ist das Tragen eines islamischen Kopftuchs, einer vergleichbaren Kopf- und Halsbedeckung oder sonst religiös konnotierten Bekleidung nicht von vornherein dazu angetan, die negative Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Schülerinnen und Schüler zu beeinträchtigen. Solange die Lehrkräfte, die nur ein solches äußeres Erscheinungsbild an den Tag legen, nicht verbal für ihre Position oder für ihren Glauben werben und die Schülerinnen und Schüler über ihr Auftreten hinausgehend zu beeinflussen versuchen, wird deren negative Glaubensfreiheit grundsätzlich nicht beeinträchtigt. Die Schülerinnen und Schüler werden lediglich mit der ausgeübten positiven Glaubensfreiheit der Lehrkräfte in Form einer glaubensgemäßen Bekleidung konfrontiert, was im Übrigen durch das Auftreten anderer Lehrkräfte mit anderem Glauben oder anderer Weltanschauung in aller Regel relativiert und ausgeglichen wird. Insofern spiegelt sich in der bekenntnisoffenen Schule die religiös-pluralistische Gesellschaft wider (vgl. BVerfG a. a. O. m. w. N.).
(bb) Aus dem Elterngrundrecht ergibt sich nichts anderes. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG garantiert den Eltern die Pflege und Erziehung ihrer Kinder als natürliches Recht und umfasst zusammen mit Art. 4 Abs. 1 und 2 GG auch das Recht zur Kindererziehung in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht; daher ist es zuvörderst Sache der Eltern, ihren Kindern diejenigen Überzeugungen in Glaubens- und Weltanschauungsfragen zu vermitteln, die sie für richtig halten. Dem entspricht das Recht, die Kinder von Glaubensüberzeugungen fernzuhalten, die den Eltern als falsch oder schädlich erscheinen. Jedoch enthält Art. 6 Abs. 2 GG keinen ausschließlichen Erziehungsanspruch der Eltern. Eigenständig und in seinem Bereich gleichgeordnet neben den Eltern übt der Staat, dem nach Art. 7 Abs. 1 GG die Aufsicht über das gesamte Schulwesen übertragen ist, in der Schule einen eigenen Erziehungsauftrag aus (vgl. BVerfG a. a. O. m. w. N.).
Ein etwaiger Anspruch, die Schulkinder vom Einfluss solcher Lehrkräfte fernzuhalten, die einer verbreiteten religiösen Bedeckungsregel folgen, lässt sich aus dem Elterngrundrecht danach nicht herleiten, soweit dadurch die negative Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Schülerinnen und Schüler nicht beeinträchtigt ist. Auch die negative Glaubensfreiheit der Eltern, die hier im Verbund mit dem elterlichen Erziehungsrecht ihre Wirkung entfalten kann, garantiert keine Verschonung von der Konfrontation mit religiös konnotierter Bekleidung von Lehrkräften, die nur den Schluss auf die Zugehörigkeit zu einer anderen Religion oder Weltanschauung zulässt, von der aber sonst kein gezielter beeinflussender Effekt ausgeht. Das gilt in Fällen der vorliegenden Art gerade deshalb, weil nicht ein dem Staat zurechenbares glaubensgeleitetes Verhalten in Rede steht, sondern eine erkennbar individuelle Grundrechtsausübung (vgl. BVerfG a. a. O.).
(cc) Darüber hinaus steht auch der staatliche Erziehungsauftrag (Art. 7 Abs. 1 GG), der unter Wahrung der Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität zu erfüllen ist, der Betätigung der positiven Glaubensfreiheit der Pädagoginnen durch das Tragen eines islamischen Kopftuchs nicht generell entgegen. Er vermag ein Verbot solchen äußeren Verhaltens, das auf ein nachvollziehbar als imperativ verstandenes Glaubensgebot zurückgeht, erst dann zu rechtfertigen, wenn eine hinreichend konkrete Gefahr für den zur Erfüllung des Erziehungsauftrags notwendigen Schulfrieden oder die staatliche Neutralität feststellbar ist (vgl. BVerfG a. a. O.).
Das Grundgesetz begründet für den Staat als Heimstatt aller Staatsbürger in Art. 4 Abs. 1, Art. 3 Abs. 3 Satz 1, Art. 33 Abs. 3 GG sowie durch Art. 136 Abs. 1 und 4 und Art. 137 Abs. 1 WRV in Verbindung mit Art. 140 GG die Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität. Es verwehrt die Einführung staatskirchlicher Rechtsformen und untersagt die Privilegierung bestimmter Bekenntnisse ebenso wie die Ausgrenzung Andersgläubiger. Der Staat hat auf eine am Gleichheitssatz orientierte Behandlung der verschiedenen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu achten und darf sich nicht mit einer bestimmten Religionsgemeinschaft identifizieren. Der freiheitliche Staat des Grundgesetzes ist gekennzeichnet von Offenheit gegenüber der Vielfalt weltanschaulich-religiöser Überzeugungen und gründet dies auf ein Menschenbild, das von der Würde des Menschen und der freien Entfaltung der Persönlichkeit in Selbstbestimmung und Eigenverantwortung geprägt ist (vgl. BVerfG a. a. O. m. w. N.).
Die dem Staat gebotene weltanschaulich-religiöse Neutralität ist indessen nicht als eine distanzierende im Sinne einer strikten Trennung von Staat und Kirche zu verstehen, sondern als eine offene und übergreifende, die Glaubensfreiheit für alle Bekenntnisse gleichermaßen fördernde Haltung. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gebietet auch im positiven Sinn, den Raum für die aktive Betätigung der Glaubensüberzeugung und die Verwirklichung der autonomen Persönlichkeit auf weltanschaulich-religiösem Gebiet zu sichern. Der Staat darf lediglich keine gezielte Beeinflussung im Dienste einer bestimmten politischen, ideologischen oder weltanschaulichen Richtung betreiben oder sich durch von ihm ausgehende oder ihm zuzurechnende Maßnahmen ausdrücklich oder konkludent mit einem bestimmten Glauben oder einer bestimmten Weltanschauung identifizieren und dadurch den religiösen Frieden in einer Gesellschaft von sich aus gefährden. Auch verwehrt es der Grundsatz weltanschaulich-religiöser Neutralität dem Staat, Glauben und Lehre einer Religionsgemeinschaft als solche zu bewerten (vgl. BVerfG a. a. O. m. w. N.).
Dies gilt auch für den vom Staat in Vorsorge genommenen Bereich der Schule, für den seiner Natur nach religiöse und weltanschauliche Vorstellungen von jeher relevant waren. Danach sind etwa christliche Bezüge bei der Gestaltung der öffentlichen Schule nicht ausgeschlossen; die Schule muss aber auch für andere weltanschauliche und religiöse Inhalte und Werte offen sein. Weil Bezüge zu verschiedenen Religionen und Weltanschauungen bei der Gestaltung der öffentlichen Schule möglich sind, ist für sich genommen auch die bloß am äußeren Erscheinungsbild hervortretende Sichtbarkeit religiöser oder weltanschaulicher Zugehörigkeit einzelner Lehrkräfte - unabhängig davon, welche Religion oder Weltanschauung im Einzelfall betroffen ist - durch die dem Staat gebotene weltanschaulich-religiöse Neutralität nicht ohne Weiteres ausgeschlossen. In dieser Offenheit bewahrt der freiheitliche Staat des Grundgesetzes seine religiöse und weltanschauliche Neutralität (vgl. BVerfG a. a. O. m. w. N.).
(d) Im vorliegenden Fall verdrängt § 2 Satz 1 NeutrG in unangemessener Weise das Grundrecht der Klägerin aus Art. 4 Satz 1 und 2 GG. Wie oben unter (c) ausgeführt wurde, ist mit dem Tragen eines Kopftuches durch einzelne Lehrerinnen - anders als dies beim staatlich verantworteten Kreuz oder Kruzifix im Schulzimmer der Fall ist - keine Identifizierung des Staates mit einem bestimmten Glauben verbunden. Auch eine Wertung in dem Sinne, dass das glaubensgeleitete Verhalten der Lehrerinnen schulseits als vorbildhaft angesehen und schon deshalb der Schulfrieden oder die staatliche Neutralität gefährdet oder gestört werden könnte, ist einer entsprechenden Duldung durch den Dienstherrn nicht beizulegen. Hinzu kommt, dass die Klägerin einem nachvollziehbar als verpflichtend empfundenen Glaubensgebot Folge leistet. Dadurch enthält ihre Glaubensfreiheit in der Abwägung mit dem Grundrechten der Schülerinnen und Schüler sowie der Eltern, die der weltanschaulich-religiös neutrale Staat auch im schulischen Bereich schützen muss, ein erheblich größeres Gewicht als dies bei einer disponiblen Glaubensregel der Fall wäre (vgl. entsprechend BVerfG a. a. O.).
dd) Aufgrund der Rechtsprechung des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts zu den Kopftuchverboten in öffentlichen Schulen und öffentlichen Kindertagesstätten und aufgrund der Ausführungen oben unter cc) bestehen erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Regelung in § 2 Satz 1 NeutrG.
Einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gem. § 100 Abs. 1 GG durch die erkennende Kammer bedurfte es jedoch nicht, weil die Regelung in § 2 Satz 1 NeutrG verfassungskonform ausgelegt werden kann.
Eine einschränkende Auslegung des § 2 Satz 1 NeutrG ist möglich und von Verfassungs wegen geboten.
(1) Eine verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen dient der Vermeidung einer Normverwerfung und ist damit dem Gesichtspunkt der größtmöglichen Schonung der Gesetzgebung geschuldet. Sie nimmt Rücksicht darauf, dass die Norm auch andere Anwendungsbereiche hat, die sich von der jeweiligen Fallgestaltung unterscheiden. Der einschränkenden Auslegung eines pauschalen Kopftuchverbots steht nicht entgegen, dass dem Gesetzgeber entstehungsgeschichtlich ein Kopftuchverbot als typischer Anwendungsfall der Vorschrift vorgeschwebt hat. Der Norm kann dennoch ein weniger weitreichender Anwendungsbereich zuerkannt werden. Die verfassungskonforme Auslegung findet ihre Grenzen dort, wo sie zum Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch treten würde. Der Respekt vor dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber verbietet es, im Wege der Auslegung einem nach Sinn und Wortlaut eindeutigen Gesetz einen entgegengesetzten Sinn beizulegen oder den normativen Gehalt einer Vorschrift grundlegend neu zu bestimmen (vgl. BVerfG, 27.01.2015, 1 BvR 471/10 und 1 BvR 1181/10 a. a. O. und BVerfG, 18.10.2016, 1 BvR 354/11 a. a. O.).
(2) § 2 Satz 1 NeutrG war dahin auszulegen, dass Voraussetzung für das Verbot des Tragens von auffallend religiös geprägten Kleidungsstücken nicht nur das Vorliegen einer abstrakten, sondern eine hinreichend konkrete Gefahr für die religiöse Neutralität der öffentlichen Schulen gegenüber den Schülern und/oder für den Schulfrieden ausgehen muss.
(a) Von jeher geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass es für die Auslegung einer Norm auf den in dieser zum Ausdruck kommenden objektivierten Willen des Gesetzgebers ankommt, so wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist. Nicht entscheidend ist dagegen die subjektive Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe oder einzelner ihrer Mitglieder. Der Entstehungsgeschichte kommt für die Auslegung zwar grundsätzlich nur insofern Bedeutung zu, als sie die Richtigkeit einer nach den angegebenen Grundsätzen ermittelten Auslegung bestätigt oder Zweifel behebt, die auf dem angegebenen Weg allein nicht ausgeräumt werden können. Vorarbeiten für ein Gesetz können daher in der Regel bloß unterstützend verwertet, die in den Gesetzgebungsmaterialien dokumentierten Vorstellungen der gesetzgebenden Instanzen nicht mit dem objektiven Gesetzesinhalt gleichgesetzt werden. Für die Erfassung des objektiven Willens des Gesetzgebers sind vielmehr alle anerkannten Auslegungsmethoden heranzuziehen, das heißt die grammatikalische, systematische, teleologische und historische Auslegung. Diese Methoden ergänzen sich gegenseitig, wobei keine einen unbedingten Vorrang vor einer anderen hat (vgl. z.B. BVerfG, 31.03.2016, 2 BvR 1576/13, NVwZ-RR 2016, 521 m. w. N.).
(b) Nach dem Wortlaut des § 2 Satz 1 NeutrG handelt es sich zwar um ein pauschales - und damit an sich verfassungswidriges - Verbot. Die systematische und die teleologische Auslegung lässt jedoch eine einschränkende Auslegung dahin zu, dass das Verbot nur bei Vorliegen einer konkreten Gefahr gilt. § 3 Satz 2 NeutrG lässt nämlich Ausnahmen vom Verbot des § 2 Satz 1 NeutrG zu. Danach kann die oberste Dienstbehörde Ausnahmen zulassen, wenn dadurch die weltanschaulich-religiöse Neutralität der öffentlichen Schulen gegenüber Schülerinnen und Schülern nicht infrage gestellt und der Schulfrieden nicht gefährdet oder gestört wird. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich, dass es dem Gesetzgeber darum ging, die gesetzliche Grundlage für ein Kopftuchverbot zur Gefahrenabwehr zu schaffen, nachdem der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts in der Entscheidung vom 24. September 2003 (2 BvR 1436/02, BVerfGE 108, 282) entschieden hatte, ein Kopftuchverbot an öffentlichen Schulen ohne gesetzliche Grundlage sei verfassungswidrig.
Somit kann § 2 Satz 1 i. V. m. § 3 Satz 2 NeutrG dahin ausgelegt werden, dass das beklagte Land Lehrkräften das Tragen religiös geprägter Kleidungsstücke dann untersagen kann, wenn dadurch die weltanschaulich-religiöse Neutralität einer öffentlichen Schule oder sämtlicher öffentlicher Schulen in einem bestimmten Bezirk gegenüber Schülerinnen und Schülern gefährdet oder gestört wird.
Unter Zugrundelegung der Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in der Entscheidung vom 27. Januar 2015 (1 BvR 471/10 und 1 BvR 1181/10) kann dies beispielsweise in Situationen denkbar sein, in denen - insbesondere von älteren Schülern oder Eltern - über die Frage des richtigen religiösen Verhaltens sehr kontroverse Positionen mit Nachdruck vertreten und in einer Weise in die Schule hineingetragen würden, welche die schulischen Abläufe und die Erfüllung des staatlichen Erziehungsauftrages ernsthaft beeinträchtigten, sofern die Sichtbarkeit religiöser Überzeugungen und Bekleidungspraktiken diesen Konflikt erzeugte oder schürte.
Ferner kann ein verfassungsrechtlich anzuerkennendes Bedürfnis bestehen, äußere religiöse Bekundungen nicht erst in einem konkreten Einzelfall, sondern etwa für bestimmte Schulen oder Schulbezirke über eine gewisse Zeit auch allgemeiner zu unterbinden. Dies kann dann der Fall sein, wenn in bestimmten Schulen oder Schulbezirken aufgrund substanzieller Konfliktlagen über das richtige religiöse Verhalten bereichspezifisch die Schwelle zu einer hinreichend konkreten Gefährdung oder Störung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität in einer beachtlichen Zahl von Fällen erreicht ist (vgl. BVerfG a. a. O.).
ee) Das beklagte Land hat im vorliegenden Fall nicht behauptet, dass das äußere Erscheinungsbild gerade der Klägerin zu einer hinreichend konkreten Gefährdung oder Störung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität führe oder wesentlich dazu beitrage.
Das beklagte Land hat auch nicht behauptet, dass in den Schulen aller Berliner Bezirke aufgrund substantieller Konfliktlagen über das richtige religiöse Verhalten bereichspezifisch die Schwelle zu einer hinreichend konkreten Gefährdung oder Störung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität in einer beachtlichen Zahl von Fällen erreicht wurde. Die vom Arbeitsgericht in der angefochtenen Entscheidung zitierte Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg zu einem Berliner Gymnasium schildert anschaulich ein solches Beispiel. Es ist jedoch nicht erkennbar, dass solche Zustände in sämtlichen Berliner Schulen herrschen. Dies mag in Bezirken wie z. B. Kreuzberg, Neukölln oder im Wedding der Fall sein, in denen möglicherweise die Mehrzahl der Schüler einen Migrationshintergrund hat und möglicherweise in der Überzahl dem islamischen Glauben angehört. Aufgrund welcher Tatsachen aber solche substantiellen Konfliktlagen beispielsweise auch in Frohnau, Dahlem, Grunewald oder Schmargendorf bestehen könnten, ist nicht ersichtlich.
Schließlich hat das beklagte Land auch nicht behauptet, das von der Klägerin zusätzlich zu dem Tragen des islamischen Kopftuches durch ein bestimmtes Verhalten oder andere Umstände eine konkrete Gefahr ausgehen könnte, wie z. B. gewichtige verbale Äußerungen oder ein offenes werbendes Verhalten (vgl. hierzu z. B. BVerfG, 27.01.2015, 1 BvR 471/10 und 1 BvR 1181/10 und BVerfG, 18.10.2016, 1 BvR 354/11, jew. a. a. O.).
Das beklagte Land hat sich - nach seiner Rechtsauffassung konsequent - auf die Regelung in § 2 Satz 1 NeutrG berufen, die nach ihrem Wortlaut das Vorliegen einer konkreten Gefahr nicht verlangt.
Auch in der mündlichen Verhandlung über die Berufung hat das beklagte Land nicht behauptet, von der Klägerin gehe - abgesehen von ihrem Kopftuch - eine konkrete Gefahr aus und das beklagte Land hat auch in der mündlichen Verhandlung nicht etwa behauptet, in sämtlichen Berliner Schulen bestünden dauerhaft substantielle religiöse Konfliktlagen.
5.) Gem. § 15 Abs. 2 AGG war der Klägerin eine angemessene Entschädigung zuzusprechen.
a) Bei der Beurteilung der angemessenen Höhe der festzusetzenden Entschädigung gem. § 15 Abs. 2 AGG sind alle Umstände des Einzelfalles, wie etwa die Art und Schwere der Benachteiligung, ihre Dauer und Folgen, der Anlass und der Beweggrund des Handelns und der Sanktionszweck der Entschädigungsnorm zu berücksichtigen. Die Entschädigung muss einen tatsächlichen und wirksamen rechtlichen Schutz gewährleisten. Die Härte der Sanktionen muss der Schwere des Verstoßes entsprechen, indem sie insbesondere eine wirklich abschreckende Wirkung gegenüber dem Arbeitgeber gewährleistet, zugleich aber den allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt (vgl. z. B. BAG, 19.05.2016, 8 AZR 470/14, NZA 2016, 1395; BAG, 17.12.2015, 8 AZR 421/14, NZA 2016, 888 und BAG, 22.01.2009, 8 AZR 906/07, NZA 2009, 945, jew. m. w. N.).
b) Im vorliegenden Fall war zunächst zu berücksichtigen, dass die Klägerin eine Benachteiligung wegen ihrer ausgeübten Religion erlitten hat, indem ihr das beklagte Land die Beschäftigung als Lehrerin an einer allgemeinbildenden Schule der Primarstufe verwehrt hat, obwohl in diesem Bereich ein erheblicher Einstellungsbedarf bestand. Zu berücksichtigen war aber auch, dass die Klägerin zwar nicht aufgrund des „Castings“ vom 29. April 2015, aber aufgrund des „Castings“ vom 27. Mai 2015 hätte eingestellt werden können. Bei diesem zweiten „Casting“ suchte das beklagte Land unstreitig nicht nur Grundschullehrer, sondern auch Lehrer für Berufsschulen, in denen die Klägerin gem. § 3 Satz 1 NeutrG ohne weiteres mit Kopftuch hätte unterrichten können. Um diese Einstellungsmöglichkeit brachte sich die Klägerin selbst, indem sie trotz der Einladung nicht erschien. Zudem hätte die Klägerin nach ihrem eigenen Vortrag die Elternzeit nur für die Beschäftigung an einer Grundschule vorzeitig beendet. Die Klägerin nahm auch nicht den im Kammertermin vor dem Arbeitsgericht am 14. April 2016 angebotenen Arbeitsvertrag an, ebenso wenig wie den in der mündlichen Verhandlung über die Berufung vom 9. Februar 2017 angebotenen Arbeitsvertrag. Zwischen den Parteien ist aber unstreitig, dass die Klägerin bei der Annahme eines der Angebote vom Unterricht in der Primarstufe und der Sekundarstufe I an allgemeinbildenden Schulen allein aufgrund ihres islamischen Kopftuches ausgeschlossen worden wäre.
Des Weiteren war zu berücksichtigen, dass sich das beklagte Land bei der Ablehnung der Beschäftigung der Klägerin in einer Grundschule lediglich an das geltende Neutralitätsgesetz halten wollte und aus seiner Sicht gehalten hat, denn das Neutralitätsgesetz sieht nach dem Wortlaut des § 2 Satz 1 ein pauschales Kopftuchverbot u. a. an Grundschulen vor. Dieses Gesetz war aufgrund der Entscheidung des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 24. September 2003 (2 BvR 1436/02) verabschiedet worden. Das beklagte Land hatte aber aufgrund der Entscheidung des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Januar 2015 (1 BvR 471/10 und 1 BvR 1181/10) Veranlassung, das Neutralitätsgesetz auf seine Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen, denn der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hatte ein im Bundesland Nordrhein-Westfalen landesweit geltendes gesetzliches Verbot religiöser Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild schon wegen einer bloß abstrakten Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität für unverhältnismäßig gehalten und eine einschränkende Auslegung der Verbotsnorm vorgenommen. Diese Entscheidung war zum Zeitpunkt des „Castings“ vom 29. April 2015 jedenfalls im Ergebnis bekannt und die Klägerin berief sich während des „Castings“ sogar ausdrücklich auf diese Entscheidung. Daraufhin wurde der Klägerin nicht etwa beispielsweise erklärt, man werde rechtlich prüfen lassen, ob sie nunmehr trotz des Kopftuchs eine der zu besetzenden Stellen als Grundschullehrerin erhalten könne. Stattdessen vertrat und vertritt das beklagte Land die Ansicht, die Klägerin dürfe mit einem islamischen Kopftuch nicht an einer Grundschule unterrichten, obwohl der wissenschaftliche Parlamentsdienst des Berliner Abgeordnetenhauses in seinem Gutachten vom 25. Juli 2015 sogar zu dem Ergebnis gekommen war, § 2 Satz 1 NeutrG könne nicht verfassungskonform ausgelegt und müsse geändert werden. Eine solche Änderung hatte das beklagte Land auch zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vom 9. Februar 2017 noch nicht vorgenommen.
Unter Berücksichtigung der oben näher ausgeführten Tatsachen, dass der Klägerin nicht die Einstellung als Lehrerin, sondern nur die gewünschte und mögliche Beschäftigung an einer Grundschule versagt wurde, obwohl die erste Kopftuchentscheidung des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts schon bekannt war und weil die Benachteiligung der Klägerin wegen ihres Kopftuchs andauert, hielt die Kammer eine Entschädigung in Höhe von zwei Monatsverdiensten für angemessen, aber auch für ausreichend. Unstreitig wäre die Klägerin als Grundschullehrerin mit einer Vergütung gemäß Entgeltgruppe E11 Stufe 5 TV-L eingestellt worden, was einem monatlichen Bruttogehalt von 4.340,-- € entsprach.
I. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 92 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. ZPO.
II. Die Revision wurde für das beklagte Land gem. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen.
III. Die Zulassung der Revision für die Klägerin kam gem. § 72 Abs. 2 ArbGG nicht in Betracht. Hinsichtlich der Höhe der Entschädigung handelt es sich um eine am Einzelfall orientierte Entscheidung ohne grundsätzliche rechtliche Bedeutung. Eine Divergenz zu anderen obergerichtlichen Entscheidungen ist nicht erkennbar.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen dieses Urteil kann von dem beklagten Land bei dem
Bundesarbeitsgericht,
Hugo-Preuß-Platz 1, 99084 Erfurt
(Postadresse: 99113 Erfurt),
Revision eingelegt werden.
Die Revision muss innerhalb
einer Notfrist von einem Monat
schriftlich beim Bundesarbeitsgericht eingelegt werden.
Sie ist gleichzeitig oder innerhalb
einer Frist von zwei Monaten
schriftlich zu begründen.
Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgesetzten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.
Die Revisionsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Revision gerichtet wird und die Erklärung enthalten, dass gegen dieses Urteil Revision eingelegt werde.
Die Revisionsschrift und die Revisionsbegründung müssen von einem Prozessbevollmächtigten unterzeichnet sein. Als solche sind außer Rechtsanwälten nur folgende Stellen zugelassen, die zudem durch Personen mit Befähigung zum Richteramt handeln müssen:
· Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
· juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der vorgenannten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
Für die Klägerin ist kein Rechtsmittel gegeben.
Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde gem. § 72 a ArbGG wird hingewiesen.
Der Schriftform wird auch durch Einreichung eines elektronischen Dokuments i. S. d. § 46c ArbGG genügt. Nähere Informationen dazu finden sich auf der Internetseite des Bundesarbeitsgerichts unter www.bundesarbeitsgericht.de.
Hinweis der Geschäftsstelle
Das Bundesarbeitsgericht bittet, sämtliche Schriftsätze in siebenfacher Ausfertigung einzureichen.