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20.03.2017 · IWW-Abrufnummer 192599

Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt: Urteil vom 23.08.2016 – 2 Sa 109/16


In dem Rechtsstreit

- Kläger und Berufungsbeklagter -

Prozessbevollmächtigte:

gegen

- Beklagte und Berufungsklägerin -

Prozessbevollmächtigte:

hat die 2. Kammer des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt auf die mündliche Verhandlung vom 23. August 2016 durch den Vizepräsidenten des Landesarbeitsgerichts B... als Vorsitzenden und die ehrenamtliche Richterin S... sowie den ehrenamtlichen Richter G... als Beisitzer für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung der Beklagten und Berufungsklägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts H. vom 24. 02. 2016 - 3 Ca 1815/15 NMB - bzgl. seiner Ziffern 2. und 4. abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 66,80 € brutto nebst Zinsen i. H. v. 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.11. 2015 zu zahlen.

2. Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

3. Von den Kosten des Rechtsstreites haben der Kläger 9/10 und die Beklagte 1/10 zu tragen.

4. Die Revision wird zugelassen.



Tatbestand



Die Parteien streiten sich im bestehenden Arbeitsverhältnis über Ansprüche des Klägers auf Nachzahlung von (Mindestlohn-)Arbeitsvergütung für die Monate Januar bis September 2015.



Der im ... geborene Kläger ist seit dem 15. 02. 2010 in anrechenbarer Weise bei der Beklagten bzw. der Rechtsvorgängerin - der Fa. W... GmbH - als Kraftfahrer beschäftigt. Der mit der Fa. W... GmbH geschlossene Arbeitsvertrag (Bl. 5 ff. d. A.) gilt auch bei der Beklagten gemäß § 613 a Abs. 1 ArbGG nunmehr als unbefristeter Arbeitsvertrag fort.



In § 4 des Arbeitsvertrages der Parteien vom 15.02.2010 ist unter anderem vereinbart:



"...



§ 4 Entlohnung



Für seine Arbeit erhält der Mitarbeiter folgende Entlohnung:

Anfangsgehalt: 1.295,00 € sowie eine IPD (Immerda-Prämie) in Höhe von 180,00 € sowie O. u. S. (Ordnung u. Sauberkeit-Prämie) 50,00 € Leergutprämie 155,00 € plus Spesenabrechnung (bei Krankheit und Urlaub kein Anspruch) ab dem 4. Monat Grundgehalt 1.400,00 € nach dem 1. Jahr Grundgehalt 1.605,00 €.



An dem Grundgehalt von 1.605,00 € brutto mtl. hat sich bisher nichts geändert. Auf das Arbeitsverhältnis findet kein Tarifvertrag Anwendung.



Die "Immerda-Prämie" wird für die lückenlose Anwesenheit des Arbeitnehmers im Betrieb gezahlt; sie wird insbesondere im Fall der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers nicht gezahlt. Im Fall von Erholungsurlaubs hat der Kläger diese Prämie erhalten. Im Fall der Krankheit wurde die Entgeltfortzahlung ausschließlich nach dem Grundlohn errechnet.



Der Kläger transportierte als LKW-Fahrer auch loses Frischfleisch; daher muss der LKW aus hygienischen Gründen nach Gebrauch gereinigt werden. Aus diesem Grund trägt der Kläger bei den Kunden Dienstbekleidung, die von der Beklagten gestellt und gereinigt wird.



Bei den Kunden tauscht der Kläger u. a. Transportpaletten, Kisten und Haken. Gibt der Kunde solche Transportbehältnisse nicht im gleichen Umfang zurück, stellt er über die Differenz eine entsprechende Quittung aus.



Mit Wirkung vom 01. 09. 2011 kürzte die Beklagte die vereinbarte "Immerda-Prämie" i. H. v. 180,00 € brutto um 85,00 € brutto und zahlte fortan nur noch monatlich 95,00 € brutto. Mit Schreiben seines jetzigen Prozessbevollmächtigten vom 08. 06. 2015 (Bl. 14 d. A.) forderte der Kläger die Nachzahlung der "Immerda-Prämie" rückwirkend ab Januar 2011. Die Beklagte reagierte auf dieses Schreiben nicht.



Am 18.08.2015 erhob der Kläger beim Arbeitsgericht Klage, in deren Rahmen er zunächst nur die Nachzahlung der "Immerda-Prämie" für den Zeitraum von Januar 2012 bis einschließlich Juli 2015 i. H. v. 95,00 € br. monatlich geltend machte. Im Rahmen einer Klageerweiterung vom 29.10.2015 verlangte er Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns ab dem 01. 01. 2015 i. H. v. 8,50 € brutto je Stunde. Insgesamt begehrte er für den Zeitraum von Januar bis September 2015 mit Ausnahme des Februars eine Mindestlohndifferenz i. H. v. 1.440,00 € brutto.



Der Kläger arbeitete in den Monaten Januar bis September 2015 jeweils 9,6 Stunden arbeitstäglich im Rahmen einer 5-Tage-Woche (48 h/Woche). Im Januar und von März bis April sowie im Juni und September 2015 arbeitete er an 22 Arbeitstagen, im Mai und August 2015 an jeweils 21 Arbeitstagen und im Juli 2015 an 23 Arbeitstagen.



Soweit im Berufungsverfahren noch streitgegenständlich meint der Kläger, dass die in § 4 des Arbeitsvertrages vereinbarte monatliche "Immerda-Prämie" von 180,00 € brutto, die Prämie für Ordnung und Sauberkeit i. H. v. 50,00 € brutto monatlich sowie die Prämie für die Leergutbearbeitung in Höhe von 155,00 € brutto monatlich nicht auf den Mindestlohnanspruch i. H. v. 8,50 € brutto anzurechnen sei.



Insgesamt ergebe sich für den streitgegenständlichen Zeitraum folgende Berechnung:

Januar 22 Arbeitstage x 9,6 Stunden x 8,50 € = 1.795,20 € Differenz: 190,20 € März 22 Arbeitstage x 9,6 Stunden x 8,50 € = 1.795,20 € Differenz: 190,20 € April 22 Arbeitstage x 9,6 Stunden x 8,50 € = 1.795,20 € Differenz: 190,20 € Mai 21 Arbeitstage x 9,6 Stunden x 8,50 € = 1.713,60 € Differenz: 108,60 € Juni 22 Arbeitstage x 9,6 Stunden x 8,50 € = 1.795,20 € Differenz: 190,20 € Juli 23 Arbeitstage x 9,6 Stunden x 8,50 € = 1.876,80 € Differenz: 271,80 € August 21 Arbeitstage x 9,6 Stunden x 8,50 € = 1.713,60 € Differenz: 108,60 € September 22 Arbeitstage x 9,6 Stunden x 8,50 € = 1.795,20 € Differenz: 190,20 €



Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,



1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 3.655,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hierauf seit Rechtshängigkeit der Klage zu zahlen;



2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.440,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hierauf seit Rechtshängigkeit zu zahlen.



Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,



die Klage abzuweisen.



Die Beklagte hält die Klage insgesamt für unbegründet.



Bezüglich der nachgeforderten "Immerda-Prämie" seien die Ansprüche weitgehend verfallen, da sie nicht rechtzeitig innerhalb der in § 14 des Arbeitsvertrages vereinbarten Ausschlussfrist geltend gemacht worden seien.



Im Übrigen habe die Beklagte die Zahlung des gesetzlichen Mindestlohnes erfüllt. Bei der Erfüllung des gesetzlichen Mindestlohnes sei nicht lediglich die Grundvergütung zu berücksichtigen, sondern auch der monatliche Bruttobetrag der "Immerda-Prämie" sowie die Leistung für Ordnung und Sauberkeit i. H. v. 50,00 € brutto monatlich als auch die Zahlung für die korrekte Abwicklung des Leergutes i. H. v. weiteren 155,00 € brutto monatlich.



Das Arbeitsgericht hat der Klage hinsichtlich der Nachzahlung der "Immerda-Prämie" lediglich für die Zeit von Februar 2015 - Juli 2015 - mithin i. H. v. 6 x 85,00 € brutto = 510,00 € brutto - stattgegeben. Die geltend gemachten Ansprüche auf Nachzahlung der "Immerda-Prämie" für die Zeit von Januar 2012 bis Januar 2015 stünden dem Kläger dagegen nicht mehr zu. Diese Ansprüche seien nach § 14 Abs. 1 des Arbeitsvertrages der Parteien verfallen.



Dagegen stehe dem Kläger der geltend gemachte Mindestlohnanspruch i. H. v. 1.440,00 € brutto für die Zeit von Januar - September 2015 im vollen Umfang gemäß § 611 Abs. 1 BGB i. V. m. § 1 MiLoG zu. Nach dem insoweit unbestrittenen und nach § 138 Abs. 3 ZPO zugestandenen Vortrag habe der Kläger im Januar, März, April, Juni und September 2015 jeweils an 22 Arbeitstagen 9,6 Stunden, im Juli 220,8 Stunden und im Mai sowie August 2015 jeweils 201,6 Stunden gearbeitet. Multipliziert mit dem gesetzlichen Mindestlohn i. H. v. 8,50 € brutto pro Stunde, ergebe sich für die Monate Januar und März bis April sowie Juni und September 2015 jeweils ein Anspruch auf Mindestlohn i. H. v. 1.795,20 € brutto und für Mai und August i. H. v. 1.713,60 € brutto sowie für Juli 2015 i. H. v. 1.876,80 € brutto.



Da die "Immerda-Prämie" sowie die weiteren Zulagen für Ordnung und Sauberkeit bzw. das Leergut nicht auf den Mindestlohn anrechenbar seien, ergäben sich Vergütungsdifferenzen i. H. v. 5 x 190,20 € für die Monate Januar und März bis April sowie Juni und September 2015, i. H. v. 2 x 108,60 € für die Monate Mai und August 2015 und i. H. v. 271,80 € brutto für Juli 2015, mithin die Gesamtforderung i. H. v. 1.440,00 € brutto. Der Zinsanspruch ergebe sich aus §§ 288 Abs. 1, 291 BGB, da Rechtshängigkeit der Klage mit der Zustellung am 03. 11. 2015 eintrat. Nach Auffassung des Arbeitsgerichtes seien die genannten Prämien für die Anwesenheit, die Ordnung und Sauberkeit und die Abwicklung des Leergutes keine Leistungen, die die Normalleistung des Klägers abdeckten, sondern honorierten vielmehr Umstände bzw. die Art und Weise der Arbeitsleistung. Die "Immerda-Prämie" belohne den Umstand, dass der betreffende Arbeitnehmer keine krankheitsbedingten Ausfalltage aufweise und setze damit einen Anreiz, dass der Arbeitnehmer möglichst immer anwesend sei. Die Sauberkeits- und die Leergutprämie belohnten die Tatsache, dass der Arbeitnehmer seine Arbeiten in bestimmter - guter - Qualität erbringe. Die Problematik der Geltendmachung von Ansprüchen innerhalb der vertraglichen Ausschlussfristen stelle sich bei Ansprüchen auf Zahlung des gesetzlichen Mindestlohnes nicht, wie sich aus § 3 S. 1 MiLoG ergebe.



Das Urteil des Arbeitsgerichtes ist der Beklagten und Berufungsklägerin am 03. 03. 2016 (vgl. Bl. 75 d. A.) zugestellt worden.



Hiergegen hat die Beklagte anwaltlich vertreten durch Schriftsatz vom 31. 03. 2016 am 31. 03. 2016 umfassend Berufung eingelegt.



Mit Schriftsatz vom 02. 05. 2016 beantragte die Beklagte die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 03. 06. 2016, was antragsgemäß durch Beschluss des Landesarbeitsgerichts vom 02. 05. 2016 geschah. Die Berufungsbegründung der Beklagten ging am 02. 06. 2016 bei dem Landesarbeitsgericht ein, vgl. Bl. 89 d. A..



Mit der Berufung begehrt die Beklagte die Abänderung des erstinstanzlichen Urteils teilweise, nämlich die Klageabweisung hinsichtlich der Ziffer 2. bzgl. der vorgenommenen Verurteilung zur Zahlung des Mindestlohnes i. H. v. 1.440,00 € brutto zzgl. Zinsen.



Die "Immerda-Prämie" werde für die lückenlose Erbringung der Arbeitsleistung im Kalendermonat gezahlt. Die Sauberkeitsprämie i. H. v. 50,00 € brutto werde gewährt, wenn der Arbeitnehmer sein Arbeitsgerät sauber halte. Die Leergutprämie betreffe die korrekte Leergutabwicklung. Diese Prämien seien auf den Mindestlohnanspruch i. H. v. 8,50 € brutto pro Stunde anrechenbar. Eine Anrechnung sei möglich, wenn Zulagen oder Zuschläge zusammen mit anderen Leistungen des Arbeitgebers ihrem Zweck nach diejenige Arbeitsleistung des Arbeitnehmers entlohnten, die mit dem Mindestlohn zu vergüten sei. Danach seien lediglich Zuschläge für Mehrarbeit, Akkordprämien, Qualitätsprämien sowie Zahlungen für Überstunden, Sonn- und Feiertage, für die Arbeit unter erschwerten oder gefährlichen Bedingungen und Zahlungen, die aufgrund zusätzlich erbrachter Tätigkeit geleistet würden und nicht die Normalleistung des Arbeitnehmers vergüten sollen, nicht anrechenbar. Vorliegend würden die Prämien jedoch für die Normalleistung des Klägers gezahlt.



Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt zweitinstanzlich:



Die Klage wird unter teilweiser Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts vom 24.02.2016, Aktenzeichen 3 Ca 1815/15 NMB, i. H. v. weiteren 1.440,00 € brutto nebst Zinsen i. H. v. 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.11. 2015 abgewiesen.



Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt zweitinstanzlich,



die Berufung zurückzuweisen.



Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil.



Die "Immerda-Prämie" werde nicht für die Normalleistung des Klägers gezahlt, sondern für besondere Umstände der Arbeitsleistung. Sie solle vielmehr den Anreiz erhöhen, immer anwesend zu sein. Die Prämie honoriere daher die Tatsache, dass der Arbeitnehmer ohne größere Fehlzeiten und daher auch bei leichten Erkrankungen lückenlos zur Verfügung stehe. Die "Immerda-Prämie" diene damit funktional nicht dem gleichen Zweck wie das Arbeitsentgelt. Sie solle auch die Abrechnung für den Beklagten erleichtern. Hierfür spreche auch die Tatsache, dass diese Prämie i. H. v. 180,00 € brutto nicht für die einzelne Arbeitsstunde, sondern als monatlicher Betrag gezahlt werde.



Die Sauberkeits- und Ordnungsprämie werde gezahlt, sofern der Arbeitnehmer sein Fahrzeug sauber halte. Sie stelle somit eine Qualitätsprämie dar, die nicht auf die Normalleistung ziele.



Auch die Leergutprämie werde für eine überdurchschnittliche Leistung gezahlt und erfasse damit nicht eine Normalleistung des Klägers.



Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.



Entscheidungsgründe



I.



1.



Die Berufung der Beklagten ist insoweit nicht zulässig, als die zunächst unbegrenzt eingelegte Berufung auch die Abänderung der Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von 510,00 € brutto an den Kläger gemäß Ziffer 1. des streitgegenständlichen Urteils erfasst. Insoweit hat die Beklagte zwar rechtzeitig Berufung eingelegt, diese jedoch nicht binnen der Frist des § 66 Abs. 1 ArbGG - nämlich binnen zwei Monaten nach Zustellung des erstinstanzlichen Urteils - begründet. Daher war die Berufung hinsichtlich dieses Teils unzulässig.



2.



Hingegen ist die Berufung statthaft und zulässig, soweit es um die Zahlung von 1.440,00 € brutto hinsichtlich der Ziffer 2. des streitgegenständlichen Urteils des Arbeitsgerichts H. vom 24. 02. 2016 - die Zahlung des Mindestlohnes - für die Zeit vom Januar bis September 2015 geht. Insoweit hat die Beklagte die Berufung rechtzeitig eingelegt, insoweit die Form gewahrt und die Berufung form- und fristgerecht nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist ordnungsgemäß begründet.



II.



Die Berufung ist teilweise begründet. Die Beklagte schuldet dem Kläger für die Zeit von Januar und März bis September 2015 einen Mindestlohn i. H. v. 66,80 € brutto zzgl. Zinsen i. H. v. 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 04. 11. 2015 für den Monat Juli 2015. Die weitergehende Berufung ist dagegen nicht begründet.



1.



Gemäß § 611 Abs. 1 BGB i. V. m. § 1 Abs. 1 und 2 MiLoG hat der Kläger ab dem 01. 01. 2015 Anspruch auf 8,50 € brutto je Zeitstunde seiner Tätigkeit.



Im Januar und von März bis April, im Juni sowie September 2015 arbeitete der Kläger jeweils 211,2 Stunden monatlich, im Mai und August 2015 jeweils 201,6 Stunden monatlich und im Juli 2015 220,8 Stunden. Diese Stunden sind von dem Beklagten nicht bestritten worden und damit gemäß § 138 Abs. 3 ZPO unstreitig, weil zugestanden.



Unter Berücksichtigung eines Mindestlohnes von 8,50 € brutto je Zeitstunde errechnet sich somit für die Monate Januar, März bis April 2015 sowie für Juni und September 2015 ein Mindestlohnanspruch i. H. v. je 1.795,20 € brutto (211,2 Stunden x 8,50 € brutto). Für die Monate Mai und August 2015 beträgt der Mindestlohnanspruch des Klägers jeweils 1.713,60 € brutto (201,6 Stunden x 8,50 € brutto). Im Juli ergibt sich ein Mindestlohnanspruch i. H. v. 1.876,80 € brutto (220,8 Stunden x 8,50 € brutto).



2.



Auf diesen Mindestlohn war zunächst der gezahlte Grundlohn i. H. v. 1.605,00 € brutto anzurechnen. Darüber hinaus war auf den Mindestlohnanspruch des Klägers die Prämie für Reinigung und Ordnung i. H. v. jeweils 50,00 € brutto sowie die so genannte Leergutprämie i. H. v. 155,00 € brutto monatlich anzurechnen.



a) Die Frage, welche Leistungen des Arbeitgebers als Bestandteil des Mindestlohnes anzusehen und welche Leistungen zusätzlich zu gewähren sind, legt das MiLoG nicht ausdrücklich fest. Der Bundesrat hatte zwar im Gesetzgebungsverfahren darum gebeten, dass klargestellt werden solle, ob und welche Lohnbestandteile auf das (Mindest-)Stundenentgelt anzurechnen seien, weil durch die fehlende Konkretisierung die Gefahr bestehe, dass durch Um- bzw. Anrechnung von Entgeltbestandteilen der Mindestlohn unterlaufen werden könne. Es bedürfe der Klarstellung, dass u. a. Zahlungen, die eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer als Ausgleich für zusätzliche Leistungen erhalte, wenn auf Verlangen ein Mehr an Arbeit oder Arbeitsstunden unter besonderen Bedingungen geleistet würden, nicht auf den Mindestlohn angerechnet werden (BT-Drucksache 18/1558, S. 61). Dennoch hielt die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung eine Konkretisierung nicht für geboten (vgl. aaO., S. 67 f.). Im Einzelnen verwies die Bundesregierung auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zur Entsenderichtlinie und darauf hin, dass die dort entwickelten Kriterien auch auf den gesetzlichen Mindestlohn zu übertragen seien. Konkret hatte die Bundesregierung dazu Folgendes ausgeführt:



"Nach den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofes zur Entsende-Richtlinie bestimmt sich daher auch, welche Vergütungsbestandteile in den Mindestlohn einzubeziehen sind. Vom Arbeitgeber gezahlte Zulagen müssen nach den Entscheidungen vom 14. April 2005 (C-341/02 Kommission/Deutschland) und vom 07. November 2013 (C-522/12-Isbir) als Bestandteil des Mindestlohnes anerkannt werden, wenn sie nicht das Verhältnis zwischen der Leistung des Arbeitnehmers und der von ihm erhaltenen Gegenleistung verändern. Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn die Zulagen oder Zuschläge zusammen mit anderen Leistungen des Arbeitgebers ihren Zweck nach diejenige Arbeitsleistung des Arbeitnehmers entgelten sollen, die mit dem Mindestlohn zu vergüten ist. Die in der Stellungnahme des Bundesrates genannten Zahlungen, die eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer als Ausgleich für zusätzliche Leistungen erhält, wenn sie oder er auf Verlangen ein Mehr an Arbeit oder Arbeitsstunden unter besonderen Bedingungen leistet, sind nach diesen Kriterien nicht berücksichtigungsfähig. Dies gilt etwa für Zulagen/Zuschläge, die voraussetzen, dass die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer zu besonderen (Tages-)Zeiten arbeitet, unter besonders unangenehmen, beschwerlichen, körperlich oder psychisch besonders belastenden oder gefährlichen Umständen arbeitet, sowie Mehrarbeit pro Zeiteinheit leistet oder eine besondere Qualität der Arbeit erbringt."



In Teilen des Schrifttums wird mit Verweis auf die Existenzsicherungsfunktion des allgemeinen Mindestlohnes die Auffassung vertreten, dass sämtliche Zahlungen des Arbeitgebers auf den Mindestlohn angerechnet werden können, mit denen die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers vergütet wird (vgl. z. B. Bayreuther, NZA 2014, 865, 868 f.; Schweibert/Leßmann, DB 2014, 1866 sowie Sittard, NZA 2014, 951, 952. Eine Differenzierung zwischen mindestlohnrelevanten Zahlungen für die Normalleistung und Zahlungen für "Zusatzleistungen" findet nach dieser Ansicht nicht statt. Nach anderer Ansicht können Entgeltzahlungen des Arbeitgebers, die der Entlohnung von besonderen - über die Normalleistung hinausgehenden - Leistungen dienen, nicht auf den Mindestlohn angerechnet werden, da sie nicht funktional äquivalent sind, vgl. Däubler, NJW 2014, 1924, 1926, Franzen in: ErfK, MiLoG, § 1 Rz. 14 sowie Jöris/von Steinau-Steinrück, BB 2014, 2101, 2103.



Der letzten Auffassung ist zuzustimmen. Würden auch Entgeltzahlungen für besondere Leistungen des Arbeitnehmers auf den Mindestlohn angerechnet, würde der Arbeitnehmer allein für seine Normalleistungen letztlich ein Arbeitsentgelt unterhalb des Mindestlohnes erhalten können. Auch die historische Auslegung des MiLoG zeigt, dass Entgeltzahlungen für besondere Leistungen des Arbeitnehmers nicht auf den Mindestlohn angerechnet werden können. Die Bundesregierung ist nämlich in ihrer Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates zum Gesetzentwurf davon ausgegangen, dass durch die Rechtsprechung des EuGH und BAG bereits hinreichend geklärt sei, dass als Bestandteil des Mindestlohnes solche Zahlungen nicht anerkannt werden können, die der Arbeitnehmer als Ausgleich für zusätzliche Leistungen erhält, vgl. Riechert/Nimmerjahn MiLoG, 2015, § 1 Rz. 117; Thüsing, MiLoG und Arbeitnehmerentsendegesetz, § 1 MiLoG, Rz. 108.



Mit der Zahlung einer Zulage oder eines Zuschlages kann der gesetzliche Mindestlohn nicht erfüllt werden, wenn die Zulage oder der Zuschlag eine Gegenleistung für ein Mehr an Arbeitsleistung bzw. für eine Arbeit unter besonderen oder erschwerten Bedingungen darstellt. Der Leistungszweck lässt sich dabei nicht pauschal für die Zulage einer bestimmten Art feststellen. Es ist jeweils durch Auslegung der zu Grunde liegenden vertraglichen Regelung festzustellen, ob mit der Zulage die Normalleistung oder eine besondere Leistung des Arbeitnehmers vergütet werden soll. Hat die Leistung ihren Rechtsgrund in einer arbeitsvertraglichen Vereinbarung, hat die Auslegung nach §§ 133, 157 BGB vom objektiven Empfängerhorizont nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte zu erfolgen. Zu berücksichtigen ist, ob die konkret zugesagte Zulage nach der Verkehrssitte üblicherweise als Gegenleistung für die Normalleistung oder für eine Zusatzleistung angesehen wird, vgl. BAG, Urteil vom 16. 04. 2014 - 4 AZR 802/11 -. Wird eine Sonderzahlung ohne Nennung weiterer Anspruchsvoraussetzungen gezahlt, ist im Zweifel davon auszugehen, dass mit ihr lediglich eine zusätzliche Vergütung für die geleistete Arbeit bezweckt wird, vgl. BAG, Urteil vom 18. 01. 2012 - 10 AZR 667/10 -.



b) Unter Berücksichtigung dieser Maßgaben stellen die Prämie für Sauberkeit und Ordnung sowie die Leergutprämie zusätzliche Leistungen für die Normalleistung des Klägers dar.



aa) Die Leergutprämie soll die korrekte Abwicklung des Tausches von Paletten, Kisten und Haken gewährleisten. Hierzu erteilt der Kunde der Beklagten entweder entsprechende "Schuldscheine" für die Übernahme entsprechender Sachen der Beklagten bzw. gewährt Paletten, Kisten und Haken in entsprechendem Umfang zurück. Dies soll der Arbeitnehmer überwachen. Der Kläger ist Kraftfahrer. Er transportiert Fleisch. Die korrekte Ablieferung des Fleisches aber auch der Paletten und sonstigen Ausrüstungsgegenstände gehört damit zur Normalleistung eines Kraftfahrers, der Ware von A nach B verbringt. Die Abgabe von Waren - im vorliegenden Fall auch von Paletten, Kisten und Haken - und das entsprechende Quittierenlassen ist der übliche Vorgang einer Warenanlieferung beim Kunden gegen entsprechenden Nachweis. Eine besondere Leistung kann darin nicht gesehen werden.



bb) Gleiches gilt auch für die Reinigungsprämie. Diese wird - nach Klarstellung durch den Kläger - ausschließlich für die Reinigung des LKW's gezahlt. Da der LKW Hygienevorschriften unterliegt - mit ihm wird auch Frischfleisch transportiert - gehört die entsprechende Reinigung des LKW's ebenfalls zur Normalleistung eines solchen Kraftfahrers. Denn die unterbliebene Reinigung führt zu Verstößen gegen Hygieneüberlegungen. Eine besonders gute Reinigung wird insoweit nicht geschuldet, sondern lediglich eine mittlerer Art und Güte. Eine überobligatorische Reinigung in Qualität oder Umfang ergibt sich aus der arbeitsvertraglichen Vereinbarung auch unter Berücksichtigung der Verkehrssitte nicht.



cc) Dagegen honoriert die "Immerda-Prämie" keine Normalleistung. Mit dieser Prämie soll die durchgängige Anwesenheit des Arbeitnehmers gewährleistet werden. Sie soll jedenfalls dazu beitragen, dass Arbeitnehmer bei leichteren Unpässlichkeiten nicht zu Hause bleiben und sich krank melden. Leichtfertige Krankmeldungen sollen somit vermieden werden. Zwar gehört die Anwesenheit des Arbeitnehmers zur Normalleistung. Auch mag man einräumen, dass der Arbeitgeber mit einer Anwesenheitsprämie - wie vorliegend - bezweckt, die Anwesenheit des Arbeitnehmers am Arbeitsplatz zu honorieren und leichtfertigen Krankmeldungen vorzubeugen. Allerdings ergibt sich aus der arbeitsvertraglichen Vereinbarung nicht, dass lediglich leichtfertige Erkrankungen vermieden werden sollen. Nach dem Wortlaut ist auch denkbar, dass mit dieser Prämie eine Anwesenheit am Arbeitsplatz bezweckt werden soll, selbst wenn der Arbeitnehmer objektiv erkrankt ist. Diese Überlegung könnte z. B. ein Arbeitnehmer anstellen, der am letzten Tag eines Monats erkrankt und dadurch - in Folge seines Fehlens - die "Immerda-Prämie" verlieren würde. Erfasst diese Prämie nach ihrem Wortlaut, der insoweit nicht eingeschränkt ist, auch solche Fälle, wird diese Prämie nicht mehr ausschließlich für die Normalleistung des Arbeitnehmers gezahlt, denn es gehört nicht zur Normalleistung, dass der Arbeitnehmer auch bei objektiver Erkrankung zur Arbeit kommt. Die "Immerda-Prämie" von 180,00 € brutto monatlich ist daher auf den Mindestlohnanspruch nicht anrechenbar. Die Auffassung von Riechert/Nimmerjahn, aaO., Rz. 128, überzeugt daher nicht.



c) Insgesamt ergibt sich folgende Betrachtungsweise:



d) Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 288 Abs. 1, 291 BGB. Der Anspruch war daher ab dem 04. 11. 2015 zu verzinsen.



III.



Die Kostenentscheidung entspricht dem jeweiligen Obsiegen und Unterliegen und trifft den Kläger zu 9/10 und die Beklagte zu 1/10. Der Kläger gewinnt letztendlich nur mit 576,80 €(510,-- zzgl. 66,80).



IV.



Die Revision war zuzulassen; die Sache hat grundsätzliche Bedeutung für die Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe des MiLoG in § 1 Abs. 1, 2.

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