21.07.2006 · IWW-Abrufnummer 062123
Oberlandesgericht Thüringen: Beschluss vom 31.05.2006 – 1 Ss 82/06
Eine ?Benutzung eines Mobiltelefons? im Sinne des § 23 Abs. 1a StVO liegt nicht nur dann vor, wenn das Gerät zum Telefonieren verwendet wird, sondern auch bei jeder anderen bestimmungsgemäßen Verwen-dung, insbesondere ? wie hier ? beim Gebrauch als Diktiergerät.
1 Ss 82/06
630 Js 203133/04 ? 1 OwiAG Sömmerda
9170843442043 Thür. Polizeiverwaltungsamt
THÜRINGER OBERLANDESGERICHT
Beschluss
In dem Bußgeldverfahren XXX
w e g e n Verkehrsordnungswidrigkeit
hat auf die zugelassene Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Sömmerda vom 10.11.2005,
der Senat für Bußgeldsachen des Thüringer Oberlandesgerichts durch
Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Schwerdtfeger,
Richter am Oberlandesgericht Schulze und
Richterin am Landgericht Schade
am 31. Mai 2006
b e s c h l o s s e n:
Die Rechtsbeschwerde wird auf Kosten des Betroffenen mit der Maßgabe verworfen, dass der Betroffene der fahrlässigen Überschreitung der innerhalb geschlossener Ortschaft zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 10 km/h in Tateinheit mit vorsätzlicher Benutzung eines Mobiltelefons durch Halten des Mobiltelefons schuldig ist.
G r ü n d e :
I.
Das Thüringer Polizeiverwaltungsamt ? Zentrale Bußgeldstelle ? setzte gegen den Betroffen wegen zweier am 12.06.2004 begangener Ordnungswidrigkeiten - Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaft um 10 km/h und verbotswidriges Benutzens eines Mobiltelefons - eine Geldbuße in Höhe von 50,- ? fest. Gegen diesen am 03.09.2004 zugestellten Bußgeldbescheid legte der Betroffene durch seinen Verteidiger am 13.09.2004 Einspruch ein.
Daraufhin verurteilte ihn das Amtsgericht Sömmerda am 10.11.2005 in Anwesenheit wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerorts um 10 km/h in Tateinheit mit fahrlässigem verbotswidrigen Benutzen eines Mobiltelefons durch Aufnehmen desselben beim Führen eines Kraftfahrzeugs zu einer Geldbuße in Höhe von 50,- ?.
Am 17.11.2005 beantragte der Betroffene durch seinen Verteidiger, die Rechtsbeschwerde gegen dieses Urteil zuzulassen. Das mit Gründen versehene schriftlich abgefasste Urteil wurde dem Verteidiger des Betroffenen am 21.12.2005 zugestellt. Der Betroffene begründete die Rechtsbeschwerde am 20.01.2006 durch seinen Verteidiger mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts.
Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 11.04.2006 beantragt, den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.
Mit Beschluss vom 15.05.2006 ist die Rechtsbeschwerde zugelassen und die Sache auf den Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen worden.
II.
Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Das Amtsgericht hat die folgenden tatsächlichen Feststellungen getroffen:
?Der Betroffene befuhr am 12.06.2004 um 10.56 Uhr als Führer des PKW mit dem amtlichen Kennzeichen ... die B 85 (Ortsdurchfahrt) in O. im Landkreis S. mit einer Geschwindigkeit von 60 km/h. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit ist dort auf 50 km/h begrenzt. Dies hätte der Betroffene erkennen und diese Geschwindigkeit auch einhalten können. Während der Fahrt hielt der Betroffene zum oben genannten Zeitpunkt ein Mobiltelefon des Fabrikats M. in der zum rechten Ohr geführten rechten Hand und sprach Informationen auf das Gerät. Das Mobiltelefon verfügte über eine Diktierfunktion. Die SIM-Karte war dem Mobiltelefon entnommen worden, so dass es nicht zum Telefonieren benutzt werden konnte.?
2. Diese Feststellungen tragen die Verurteilung wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaft um 10 km/h gemäß §§ 3 Abs. 3 Satz 1, 49 Abs. 1 Nr. 3 StVO, § 24 StVG.
Es bedurfte keiner Feststellungen zum Messverfahren und zu dem in Abzug gebrachten Toleranzwert, da der Betroffene für das Amtsgericht glaubhaft eingeräumt hat, die ihm zur Last gelegte Geschwindigkeit gefahren zu sein.
3. Ebenfalls zutreffend hat das Amtsgericht aufgrund der getroffenen tatsächlichen Feststellung angenommen, dass der Betroffene den objektiven Tatbestand des Benutzens eines Mobiltelefons mittels Haltens des Mobiltelefons gemäß §§ 23 Abs. 1a Satz 1, 49 Abs. 1 Nr. 22 StVO, § 24 StVG erfüllt hat.
Eine ?Benutzung eines Mobiltelefons? im Sinne dieser Vorschrift liegt nicht nur dann vor, wenn das Gerät zum Telefonieren verwendet wird, sondern auch bei jeder anderen bestimmungsgemäßen Verwendung, insbesondere ? wie hier ? beim Gebrauch als Diktiergerät.
Der Gesetzeswortlaut steht dieser Auslegung nicht entgegen, sondern legt sie eher nahe (ebenso OLG Köln VRS 109, 287, 288; OLG Hamm NZV 2003, 98, 99; Schäpe, Anmerkung zu OLG Köln DAR 2005, 695 und OLG Hamm DAR 2005, 639, DAR 2005, 696, 697). Der Begriff der Benutzung schließt nach dem allgemeinen Sprachgebrauch die Inanspruchnahme sämtlicher Bedienfunktionen der nach üblichem Verständnis als Mobiltelefon bezeichneten Geräte ein.
Dafür, dass das Mobiltelefon ?als Telefon? genutzt werden müsse (so Scheffler NZV 2006, 128, 129) ist dem Gesetzeswortlaut nichts zu entnehmen. Wenn der Verordnungsgeber den Anwendungsbereich der Norm in dieser Weise hätte einschränken wollen, wäre dies unschwer durch eine entsprechende Fassung des Textes möglich gewesen.
Den Gesetzesmaterialien ist im Gegenteil eindeutig zu entnehmen, dass der Verordnungsgeber nicht allein das Telefonieren ohne Freisprechanlage untersagen wollte. So heißt es in der Begründung zur Einführung der Regelung des § 23 Abs. 1a StVO durch Artikel 1 Nr. 4b der 33. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften (BR-Drucks. 599/00 S. 18 ff.): ?Die Benutzung schließt neben dem Gespräch im öffentlichen Fernsprechnetz sämtliche Bedienfunktionen, wie das Anwählen, die Versendung von Kurznachrichten oder das Abrufen von Daten im Internet etc. ein.?
Auch der Gesetzeszweck fordert eine Erstreckung des Verbots auf jegliche Art der bestimmungsgemäßen Benutzung eines Mobiltelefons durch Aufnehmen oder Halten des Gerätes während der Fahrt.
Mit der Einführung der Verbotsnorm wollte der Verordnungsgeber gewährleisten, ?dass der Fahrzeugführer während der Benutzung des Mobil- oder Autotelefons beide Hände für die Bewältigung der Fahraufgabe frei hat?. Die von der Benutzung eines Mobiltelefons ausgehende mentale Überlastung und Ablenkung von der eigentlichen Fahraufgabe sollte nach dem Willen des Verordnungsgebers auf ein hinnehmbares Maß vermindert werden, indem die Benutzung des Gerätes während der Fahrt nur noch dann gestattet ist, wenn beide Hände für die eigentlichen Fahraufgaben zur Verfügung stehen (a.a.O., S. 19; siehe auch OLG Hamm NZV 2003, 98, 99.; VRS 109, 129, 130f).
Eine mentale Überlastung und Ablenkung des Fahrers geht nicht allein von der Benutzung des Mobiltelefons als Telefon aus, sondern unter Umständen in noch stärkerem Maße von seiner Verwendung als Organizer, Internetzugang oder Diktiergerät. Insbesondere das Formulieren eines Textes beim Diktat erfordert nach allgemeiner Lebenserfahrung in aller Regel wesentlich mehr Konzentration ? und führt damit zwangsläufig zu einer stärkeren Ablenkung ? als ein normales Telefongespräch.
Die Vorschrift und ihre hier vorgenommene Auslegung begegnen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Insbesondere verstößt es nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, dass der Verordnungsgeber die Benutzung anderer Geräte oder die Vornahme sonstiger Tätigkeiten, die es bedingen, dass nicht beide Hände für die eigentlichen Fahraufgabe zur Verfügung stehen (z.B. Bedienung des Radiogerätes, Rauchen, Verzehr von Speisen und Getränken), nicht ebenso verboten hat.
Die Benutzung einer bestimmungsgemäßen Funktion eines Mobiltelefons während der Fahrt unterscheidet sich von der Verwendung sonstiger Geräte und der Vornahme anderer eine Hand des Fahrers beanspruchender Tätigkeiten typischer Weise durch die höhere Intensität der Ablenkung des Fahrers sowohl in zeitlicher als auch in mentaler Hinsicht und ? in Bezug auf die Benutzung sonstiger Geräte (etwa von Navigationsgeräten) - auch durch die massenhafte Verbreitung von Mobiltelefonen sowie die Üblichkeit ihres intensiven Gebrauchs während der Fahrt (dies räumt auch Scheffler, a.a.O. S. 128, ein).
4. Nicht nachvollziehbar und damit fehlerhaft ist das angefochtene Urteil hingegen bezüglich der inneren Tatseite des Verstoßes gegen das Verbot der Benutzung eines Mobiltelefons.
Zwar ist hinzunehmen, dass das Amtsgericht keine ausdrücklichen tatsächlichen Feststellungen zur inneren Tatseite getroffen hat. Denn angesichts der vom Amtsgericht für glaubhaft erachteten Einlassung des Betroffenen, derzufolge das Mobiltelefon hier als Diktiergerät vom Fahrzeugführer während einer Fahrt mit einer Geschwindigkeit von 60 km/h verwendet wurde, ist nicht denkbar, dass der Betroffene das Gerät un-bewusst oder ungewollt in Gebrauch genommen hat.
Fehlerhaft ist in Anbetracht dessen aber die rechtliche Schlussfolgerung des Amtsgerichts, dass dieses Verhalten bloß als fahrlässig zu bewerten sei. Ein verbotswidriges Benutzen eines Mobiltelefons während der Fahrt kann regelmäßig nur vorsätzlich begangen werden (siehe Senatsbeschluss vom 06.09.2004, 1 Ss 138/04, NStZ-RR 2005, 23). Das gilt sowohl für das Telefonieren als auch für die anderweitige bestimmungsgemäße Benutzung des Mobiltelefons.
Da sich dieser Rechtsfehler jedoch nicht zum Nachteil des Betroffenen ausgewirkt hat und weitere Feststellungen zur inneren Tatseite in einer neuen Hauptverhandlung nicht zu erwarten sind, hat der Senat von einer Aufhebung des Urteils abgesehen und lediglich den Schuldspruch hinsichtlich der Schuldform abgeändert.
5. Dass der Betroffene sich hinsichtlich des Verbotes der Benutzung eines Mobiltelefons als Diktiergerät während der Fahrt in einem Verbotsirrtum befunden haben könnte, hat das Amtsgericht ausdrücklich in Rechnung gestellt und hat diesen Verbotsirrtum mit nicht zu beanstandender Begr ündung als vermeidbar betrachtet.
6. Die Höhe der Geldbuße von 50,- ? für die tateinheitliche Begehung der fahrlässigen Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit und der vorsätzlichen verbotswidrigen Benutzung eines Mobiltelefons ist auch bei Vorliegen eines vermeidbaren Verbotsirrtums angemessen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO; 46 Abs. 1 OWiG.