23.09.2009 · IWW-Abrufnummer 093111
Europäischer Gerichtshof: Urteil vom 10.09.2009 – C-269/07
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)
10. September 2009(*)
„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Freizügigkeit der Arbeitnehmer – Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 – Altersvorsorgezulage – Unbeschränkte Steuerpflicht“
In der Rechtssache C‑269/07
betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 226 EG, eingereicht am 6. Juni 2007,
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch R. Lyal und W. Mölls als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Klägerin,
gegen
Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch C. Blaschke und M. Lumma als Bevollmächtigte im Beistand von Rechtsanwalt D. Wellisch, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Beklagte,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans, der Richter K. Schiemann, J. Makarczyk und L. Bay Larsen (Berichterstatter) sowie der Richterin C. Toader,
Generalanwalt: J. Mazák,
Kanzler: R. Şereş, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 17. Dezember 2008,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 31. März 2009
folgendes
Urteil
Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften klagt auf Feststellung, dass die Bundesrepublik Deutschland durch die Einführung und Beibehaltung der Vorschriften zur ergänzenden Altersvorsorge in den §§ 79 bis 99 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 39 EG und Art. 7 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl. L 257, S. 2) sowie aus den Art. 12 EG und 18 EG verstoßen hat, soweit diese Vorschriften
– Grenzarbeitnehmern (und deren Ehegatten) die Zulageberechtigung verweigern, falls sie in Deutschland nicht unbeschränkt steuerpflichtig sind,
– es nicht zulassen, dass das geförderte Kapital für eine eigenen Wohnzwecken dienende Wohnung im eigenen Haus verwendet wird, falls diese nicht in Deutschland belegen ist, und
– vorsehen, dass die Förderung bei Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht zurückzuzahlen ist.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
Art. 7 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 1612/68 lautet:
„(1) Ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, darf auf Grund seiner Staatsangehörigkeit im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten hinsichtlich der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, insbesondere im Hinblick auf Entlohnung, Kündigung und, falls er arbeitslos geworden ist, im Hinblick auf berufliche Wiedereingliederung oder Wiedereinstellung, nicht anders behandelt werden als die inländischen Arbeitnehmer.
(2) Er genießt dort die gleichen sozialen und steuerlichen Vergünstigungen wie die inländischen Arbeitnehmer.“
Nationales Recht
In § 1 EStG heißt es:
„(1) Natürliche Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, sind unbeschränkt einkommensteuerpflichtig …
…
(3) Auf Antrag werden auch natürliche Personen als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt, die im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, soweit sie inländische Einkünfte im Sinne des § 49 haben. Dies gilt nur, wenn ihre Einkünfte im Kalenderjahr mindestens zu 90 Prozent der deutschen Einkommensteuer unterliegen oder die nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte nicht mehr als 6 136 Euro im Kalenderjahr betragen …
…“
Nach § 10a Abs. 1 EStG können in der gesetzlichen Rentenversicherung Pflichtversicherte jährlich Altersvorsorgebeiträge zuzüglich der nach den §§ 79 ff. EStG zustehenden Zulage bis zu einem bestimmten Höchstbetrag als Sonderausgaben abziehen. Er sieht vor, dass neben den in der gesetzlichen Rentenversicherung Pflichtversicherten weitere Personengruppen als Versicherte in diesem Sinne behandelt werden können. § 10a Abs. 2 EStG regelt das Verhältnis zwischen dem Abzug der Beiträge zur ergänzenden Altersvorsorge als Sonderausgaben und der Altersvorsorgezulage gemäß § 79 EStG und schreibt die Anwendung der für den Steuerpflichtigen günstigeren Regelung vor.
§ 79 EStG („Zulageberechtigte“) bestimmt:
„Nach § 10a Abs. 1 begünstigte unbeschränkt steuerpflichtige Personen haben Anspruch auf eine Altersvorsorgezulage (Zulage). Liegen bei Ehegatten die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 vor und ist nur ein Ehegatte nach Satz 1 begünstigt, so ist auch der andere Ehegatte zulageberechtigt, wenn ein auf seinen Namen lautender Altersvorsorgevertrag besteht.“
Nach § 83 EStG („Altersvorsorgezulage“) wird in Abhängigkeit von den geleisteten Altersvorsorgebeiträgen eine Zulage gezahlt, die sich aus einer Grundzulage und einer Kinderzulage zusammensetzt.
Aus § 84 EStG ergibt sich, welche Grundzulage jeder Zulageberechtigte erhält.
Aus § 85 EStG geht hervor, wie hoch die Kinderzulage ist, die der Empfänger der Grundzulage für Kinder, für die ihm Kindergeld ausgezahlt wird, beanspruchen kann.
In § 92a EStG („Verwendung für eine eigenen Wohnzwecken dienende Wohnung im eigenen Haus“) heißt es:
„(1) Der Zulageberechtigte kann das in einem Altersvorsorgevertrag gebildete und nach § 10a oder diesem Abschnitt geförderte Kapital in Höhe von insgesamt mindestens 10 000 Euro unmittelbar für die Anschaffung oder Herstellung einer zu eigenen Wohnzwecken dienenden Wohnung in einem im Inland belegenen eigenen Haus oder einer im Inland belegenen, zu eigenen Wohnzwecken dienenden eigenen Eigentumswohnung verwenden (Altersvorsorge- Eigenheimbetrag). Insgesamt dürfen höchstens 50 000 Euro nach Satz 1 verwendet werden.
…“
Nach § 93 EStG („Schädliche Verwendung“) muss der Zulageberechtigte im Fall einer schädlichen Verwendung des geförderten Altersvorsorgevermögens die empfangenen Zulagen und die gemäß § 10a EStG als Sonderausgaben abgezogenen Beträge zurückzahlen. § 94 EStG regelt das Verfahren bei einer solchen schädlichen Verwendung.
§ 95 EStG („Beendigung der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht des Zulageberechtigten“) sieht vor:
„(1) Endet die unbeschränkte Steuerpflicht des Zulageberechtigten durch Aufgabe des inländischen Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts oder wird für das Beitragsjahr kein Antrag nach § 1 Abs. 3 gestellt, gelten die §§ 93 und 94 entsprechend.
(2) Auf Antrag des Zulageberechtigten ist der Rückzahlungsbetrag (§ 93 Abs. 1 Satz 1) zunächst bis zum Beginn der Auszahlung (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 des Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetzes) zu stunden. Die Stundung ist zu verlängern, wenn der Rückzahlungsbetrag mit mindestens 15 Prozent der Leistungen aus dem Altersvorsorgevertrag getilgt wird. Stundungszinsen werden nicht erhoben …
(3) Wird in den Fällen des Absatzes 1 die unbeschränkte Steuerpflicht erneut begründet oder der Antrag nach § 1 Abs. 3 gestellt, ist bei Stundung des Rückzahlungsbetrags dieser von der zentralen Stelle zu erlassen …“
Vorverfahren
Da nach Ansicht der Kommission die Vorschriften zur ergänzenden Altersvorsorge in den §§ 79 bis 99 EStG nicht mit dem Gemeinschaftsrecht in Einklang stehen, übersandte sie der Bundesrepublik Deutschland hierzu am 16. Dezember 2003 eine schriftliche Aufforderung zur Äußerung; die Bundesrepublik antwortete darauf mit Schreiben vom 19. Februar 2004, in dem sie eine Verletzung des Gemeinschaftsrechts in Abrede stellte.
Mit Schreiben vom 19. Februar 2005 übersandte die Kommission der Bundesrepublik Deutschland eine mit Gründen versehene Stellungnahme, verbunden mit der Aufforderung, binnen zwei Monaten ab Zugang der Stellungnahme die Maßnahmen zu ergreifen, die erforderlich sind, um dieser nachzukommen. Mit Schreiben vom 20. Februar 2006 antwortete die Bundesrepublik Deutschland auf diese mit Gründen versehene Stellungnahme.
Da die Kommission die Antwort der deutschen Behörden nicht als befriedigend ansah, beschloss sie am 1. Juni 2007, die vorliegende Klage zu erheben.
Zur Klage
Die Klage der Kommission stützt sich auf drei Rügen. Erstens trägt sie vor, dass die deutschen Rechtsvorschriften, soweit sie den in Deutschland nicht unbeschränkt steuerpflichtigen Grenzarbeitnehmern die Zulageberechtigung versagten, eine mit Art. 39 EG und Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1612/68 unvereinbare mittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit darstellten. Zweitens handele es sich bei dem Verbot, das geförderte Kapital für die Anschaffung oder Herstellung einer eigenen Wohnzwecken dienenden Wohnung im eigenen Haus zu verwenden, falls diese nicht in der Bundesrepublik Deutschland belegen sei, um eine mit Art. 39 EG und Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1612/68 unvereinbare mittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit. Drittens verstoße die Rückzahlungspflicht bei Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht gegen die Art. 12 EG, 18 EG und 39 EG und gegen Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1612/68.
Zur ersten Rüge
Vorbringen der Parteien
Nach Ansicht der Kommission stellt die in § 79 EStG für den Anspruch auf Gewährung einer Altersvorsorgezulage aufgestellte Voraussetzung der unbeschränkten Steuerpflicht des Begünstigten in Deutschland eine mit Art. 39 EG und Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1612/68 unvereinbare verschleierte Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit dar.
Sie ist im Wesentlichen der Auffassung, dass es sich bei der Altersvorsorgezulage nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs um eine „soziale Vergünstigung“ im Sinne von Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1612/68 handele. Die Zulage werde den Begünstigten „hauptsächlich“ wegen ihrer objektiven Arbeitnehmereigenschaft gewährt. Da die Altersvorsorgeverträge eingeführt worden seien, um die gesetzliche Rente, deren Niveau abgesenkt worden sei, zu ergänzen, solle die Zulage die Beitragszahlung unterstützen und somit den Betroffenen während ihrer Berufstätigkeit beim Aufbau einer ergänzenden Rente helfen.
Der Begriff der sozialen Vergünstigung erfasse nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs jedenfalls auch Vorteile, die wegen des Wohnsitzes des Begünstigten im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats gewährt würden, wie es hier der Fall sei. Diese Erwägungen in der Rechtsprechung entsprächen der Zielsetzung von Art. 7 der Verordnung Nr. 1612/68, die Mobilität innerhalb der Europäischen Gemeinschaft zu erleichtern. Wenn den Bewohnern eines Mitgliedstaats Leistungen erbracht würden, könne sich dies nämlich auf die vom Arbeitsmarkt dieses Staates ausgehende Anziehungskraft auswirken und damit die Mobilität fördern. Grenzarbeitnehmer befänden sich bezüglich der Vorschriften über die Altersvorsorge in derselben Situation wie Arbeitnehmer mit Wohnsitz in Deutschland und seien in gleicher Weise vom sinkenden Niveau der gesetzlichen Renten des deutschen Systems betroffen, in das sie Beiträge einzahlten. § 79 EStG unterscheide jedoch zwischen diesen beiden Gruppen von Arbeitnehmern, da die Gewährung der Altersvorsorgezulage an die unbeschränkte Steuerpflicht des Begünstigten in Deutschland anknüpfe. Diese Voraussetzung der unbeschränkten Steuerpflicht sei angesichts von § 1 EStG gleichbedeutend mit einem Wohnsitzerfordernis in Deutschland und schließe daher Grenzarbeitnehmer von der Zulageberechtigung aus.
Die Grenzarbeitnehmer, die meist keine deutschen Staatsangehörigen seien und deren Einkommen nach bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen, wie sie die Bundesrepublik Deutschland u. a. mit der Französischen Republik und der Republik Österreich geschlossen habe, in ihrem Wohnsitzstaat besteuert werde, würden nicht als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt. Sie könnten folglich nicht in den Genuss der Altersvorsorgezulage kommen und seien Opfer einer verschleierten Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit. Die Grenzarbeitnehmer könnten auch nicht gemäß § 1 Abs. 3 EStG beantragen, als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt zu werden, denn durch die genannten Abkommen sei die Besteuerung ihrer in Deutschland erzielten Einkünfte ausschließlich einem anderen Mitgliedstaat zugewiesen worden.
Dem Argument der Bundesrepublik Deutschland, da kein Zwang bestehe, Altersvorsorgeverträge zu schließen, könne die fragliche Zulage nicht als soziale Vergünstigung eingestuft werden, sei entgegenzuhalten, dass die Einstufung als soziale Vergünstigung nicht davon abhänge, ob die Zulage Teil eines obligatorischen oder fakultativen Systems sei. Auch ein fakultatives System könne zur Ergänzung eines Systems der Pflichtversicherung beitragen; genau das sei hier der Fall.
Die Erwägungen, die dem Vorwurf einer Diskriminierung zugrunde lägen, kämen unabhängig von der Einstufung der Zulage als „soziale“ oder „steuerliche“ Vergünstigung zum Tragen; entscheidend sei in beiden Fällen, dass die Situation der deutschen Arbeitnehmer ebenso wie die der Grenzgänger durch ihre Zugehörigkeit zur gesetzlichen Rentenversicherung und die damit zusammenhängende künftige Rentenentwicklung gekennzeichnet sei. Die Ratio des Urteils vom 14. Februar 1995, Schumacker (C‑279/93, Slg. 1995, I‑225), führe zur Gleichstellung der Grenzarbeitnehmer mit Gebietsansässigen und nicht zu deren Unterscheidung. Da die erwähnten Arbeitnehmer aufgrund der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (ABl. L 149, S. 2), dem deutschen Rentensystem zwingend angeschlossen seien, sollte dieses System als Anknüpfungspunkt gewählt werden und nicht der steuerliche Status der Betroffenen.
Wie sich aus dem Urteil vom 11. August 1995, Wielockx (C‑80/94, Slg. 1995, I‑2493), und insbesondere aus Art. 21 Abs. 1 des Musterabkommens der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (Bericht des Fiskalausschusses der OECD, 1977) ergebe, sei das auf die steuerliche Kohärenz gestützte Argument der Bundesrepublik Deutschland unzutreffend. Ein Mitgliedstaat könne sich auf ein solches Argument nicht berufen, wenn er selbst ein Doppelbesteuerungsabkommen geschlossen habe, wonach er zwar ausländische Renten im Inland ansässiger Personen, nicht aber inländische Renten im Ausland ansässiger Personen besteuern dürfe.
Zudem stelle die Kinderzulage gemäß § 85 EStG eine soziale Vergünstigung dar, die ebenfalls in nichtdiskriminierender Weise gewährt werden müsse, so dass es auch gegen Art. 39 Abs. 2 EG und Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1612/68 verstoße, dass die Gewährung dieses Vorteils von der unbeschränkten Steuerpflicht abhängig gemacht werde.
Schließlich ergebe sich aus einer ständigen Rechtsprechung und insbesondere aus den Urteilen vom 30. September 1975, Cristini (32/75, Slg. 1975, 1085), vom 26. Februar 1992, Bernini (C‑3/90, Slg. 1992, I‑1071), und vom 8. Juni 1999, Meeusen (C‑337/97, Slg. 1999, I‑3289), dass das in § 79 EStG geregelte abgeleitete Recht des Ehegatten eines Begünstigten auf eine Altersvorsorgezulage ebenfalls gegen Art. 39 Abs. 2 EG und Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1612/68 verstoße. Das Erfordernis eines Wohnsitzes des Ehegatten im Inland führe nämlich zu einer verschleierten Beschränkung aufgrund der Staatsangehörigkeit, da im Fall von Grenzgängern, die regelmäßig keine Angehörigen des Staates seien, in dem sie ihre Berufstätigkeit ausübten, die Familienmitglieder im Allgemeinen im Wohnsitzstaat des Arbeitnehmers ansässig seien.
Die Bundesrepublik Deutschland sieht in dem in § 79 EStG aufgestellten Erfordernis der unbeschränkten Steuerpflicht in Deutschland keinen Verstoß gegen Art. 39 EG oder Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1612/68.
Die Altersvorsorgezulage sei keine soziale Vergünstigung im Sinne von Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1612/68, sondern eine steuerliche Vergünstigung.
Die Zulage werde den Berechtigten nämlich nicht wegen ihrer objektiven Arbeitnehmereigenschaft gewährt. Nach § 10a Abs. 1 EStG, auf den § 79 EStG verweise, werde die Zulageberechtigung erstens nicht ausdrücklich davon abhängig gemacht, dass es sich bei dem Betreffenden um einen Arbeitnehmer im Sinne des Gemeinschaftsrechts handele, zweitens gelte diese Vergünstigung auch für Selbständige und drittens sei eine beachtliche Gruppe von Arbeitnehmern, wie z. B. Ärzte, in berufsständischen Versorgungssystemen pflichtversichert und habe nicht die Möglichkeit zur Nutzung des Sonderausgabenabzugs nach § 10a EStG.
Die Gewährung der Zulage knüpfe auch nicht an den Wohnsitz im Inland an. Die Versicherungspflicht gemäß § 10a EStG richte sich nach dem Ort der Beschäftigung und nicht nach dem Wohnsitz, wie aus Art. 13 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 1408/71 folge.
Anders als bei den durch eine Beitragspflicht gekennzeichneten gesetzlichen Sozialversicherungssystemen sei notwendige Bedingung für die Zulageberechtigung der freiwillige Abschluss eines Altersvorsorgevertrags mit einem privaten Anbieter.
Entgegen dem Vorbringen der Kommission könne aus der Motivation des Gesetzgebers nicht zwingend auf die rechtliche Einordnung der getroffenen Maßnahme geschlossen werden. Zum Zweck der Förderung einer privaten Altersvorsorge habe sich der deutsche Gesetzgeber eindeutig für einen steuerrechtlichen Weg entschieden, auch wenn er sich von sozialen Erwägungen habe leiten lassen.
Die Altersvorsorgezulage sei eine steuerliche Vergünstigung im Sinne von Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1612/68. Wegen des Anspruchs auf die Zulage nehme § 79 EStG auf § 10a Abs. 1 EStG Bezug, und ihre Inanspruchnahme hänge von der Möglichkeit zum Sonderausgabenabzug nach § 10a EStG ab, der die zentrale Norm dieses klassischen Instruments des Steuerrechts sei. Die enge Verknüpfung zwischen Sonderausgabenabzug und Altersvorsorgezulage folge nicht nur aus den Bezugnahmen im Gesetzestext, sondern auch daraus, dass die Zulage eine Vorauszahlung auf die Steuerermäßigung sei.
Wie sich aus dem Urteil Schumacker ergebe, liege keine gemeinschaftsrechtlich verbotene Ungleichbehandlung vor, weil sich Gebietsansässige und Gebietsfremde in Bezug auf die direkten Steuern in der Regel nicht in einer vergleichbaren Situation befänden, da das Einkommen, das ein Gebietsfremder im Hoheitsgebiet eines Staates erziele, meist nur einen Teil seiner Gesamteinkünfte darstelle, deren Schwerpunkt an seinem Wohnort liege, und da die persönliche Steuerkraft des Gebietsfremden am leichtesten an dem Ort beurteilt werden könne, an dem der Mittelpunkt seiner persönlichen Interessen und seiner Vermögensinteressen liege; dies sei in der Regel der Ort seines gewöhnlichen Aufenthalts.
Daher obliege es grundsätzlich dem Wohnsitzstaat und nicht dem Beschäftigungsstaat, die persönliche Situation des gebietsfremden Arbeitnehmers zu berücksichtigen. Wie sich aus dem Urteil vom 14. September 1999, Gschwind (C‑391/97, Slg. 1999, I‑5451), ergebe, könne ein Grenzgänger, wenn er mehr als 90 % seiner Einkünfte in Deutschland beziehe, nach § 1 Abs. 3 EStG beantragen, dort als unbeschränkt Steuerpflichtiger behandelt zu werden, und habe damit die Möglichkeit zum Abzug von Sonderausgaben. Mangels Besteuerungsbefugnis sei die Bundesrepublik Deutschland nicht verpflichtet, den Grenzgängern, deren Einkünfte ausschließlich im Wohnsitzstaat besteuert würden, eine steuerliche Vergünstigung zu gewähren, mit der der Aufbau einer ergänzenden Rente gefördert werden solle.
Im Übrigen liege auch bei Heranziehung der Maßstäbe, die der Gerichtshof für die Gewährung sozialer Vergünstigungen aufgestellt habe, keine verbotene Ungleichbehandlung durch die streitigen nationalen Vorschriften vor. Der deutsche Gesetzgeber wolle diejenigen Personen, die eine hinreichend enge Bindung zur deutschen Gesellschaft im Sinne des Urteils vom 18. Juli 2007, Geven (C‑213/05, Slg. 2007, I‑6347, Randnr. 28), aufwiesen, beim Aufbau einer individuellen Altersvorsorge unterstützen, ohne die Gewährung der fraglichen Vergünstigungen strikt an den Wohnsitz im Inland zu knüpfen. Bei den Grenzarbeitnehmern, die den Doppelbesteuerungsabkommen unterlägen, fehle es an einer solchen Bindung; sie würden vielmehr in rechtlicher Hinsicht umfassend ihrem Wohnsitzstaat zugeordnet.
Auch bei der den Ehegatten gewährten Zulage liege keine verbotene Ungleichbehandlung vor, da der nicht in Deutschland wohnhafte Ehegatte ebenfalls die Möglichkeit habe, sich als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandeln zu lassen, sofern 90 % der gemeinsamen Einkünfte der Ehegatten in Deutschland erzielt würden oder die ausländischen Einkünfte der Ehegatten 12 272 Euro nicht überstiegen.
Schließlich beruft sich die Bundesrepublik Deutschland zur Rechtfertigung hilfsweise auf Gründe der steuerlichen Kohärenz. Die Vergünstigung in Form der Altersvorsorgezulage gemäß § 79 EStG und des Sonderausgabenabzugs nach § 10a Abs. 1 EStG werde durch die spätere Besteuerung der Leistungen aus dem Altersvorsorgevertrag nach § 22 Nr. 5 EStG ausgeglichen.
Würdigung durch den Gerichtshof
Zunächst ist festzustellen, dass die vorliegende Rüge allein die Situation der Grenzarbeitnehmer betrifft, deren Einkommen nach einem Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und anderen Mitgliedstaaten ausschließlich in ihrem Wohnsitzstaat besteuert wird. Sodann ist hervorzuheben, dass die von der Kommission gerügte Vertragsverletzung die Gewährung der in § 79 EStG vorgesehenen Altersvorsorgezulage durch den deutschen Staat betrifft und nicht die in § 10a Abs. 1 EStG geregelte Möglichkeit, Altersvorsorgebeiträge als Sonderausgaben abzuziehen. Schließlich ist daran zu erinnern, dass sich die vorliegende Rüge der Kommission nicht nur auf die Gewährung der fraglichen Zulage für Arbeitnehmer bezieht, sondern auch auf die Kinderzulage und die abgeleitete Zulage für den Ehegatten des Begünstigten.
In Bezug auf die Gewährung der Altersvorsorgezulage für Arbeitnehmer streiten die Kommission und die Bundesrepublik Deutschland darüber, ob sie als soziale oder als steuerliche Vergünstigung im Sinne von Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1612/68 einzustufen ist.
Der Begriff „soziale Vergünstigung“ deckt nach ständiger Rechtsprechung alle Vergünstigungen ab, die – ob sie an einen Arbeitsvertrag anknüpfen oder nicht – den inländischen Arbeitnehmern hauptsächlich wegen ihrer objektiven Arbeitnehmereigenschaft oder einfach wegen ihres gewöhnlichen Wohnsitzes im Inland gewährt werden und deren Erstreckung auf Arbeitnehmer aus anderen Mitgliedstaaten deshalb geeignet erscheint, ihre Mobilität innerhalb der Gemeinschaft zu erleichtern (Urteile vom 12. Mai 1998, Martínez Sala, C‑85/96, Slg. 1998, I‑2691, Randnr. 25, und vom 11. September 2007, Hendrix, C‑287/05, Slg. 2007, I‑6909, Randnr. 48). Hierzu hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass der Begriff „soziale Vergünstigung“ im Sinne von Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1612/68 auch die Gewährung des durch die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats garantierten Einkommens für ältere Personen umfasst (vgl. Urteile vom 12. Juli 1984, Castelli, 261/83, Slg. 1984, 3199, Randnr. 11, und vom 6. Juni 1985, Frascogna, 157/84, Slg. 1985, 1739, Randnr. 22).
Um die Altersvorsorgezulage als soziale oder steuerliche Vergünstigung einstufen zu können, müssen, wie der Generalanwalt in Nr. 40 seiner Schlussanträge ausführt, Zweck und Voraussetzungen ihrer Gewährung untersucht werden.
Nach den Akten liegen der Altersvorsorgezulage soziale Erwägungen zugrunde. Sie wurde nämlich geschaffen, um die künftige Absenkung des Niveaus der gesetzlichen Rente zu kompensieren, und ist zu diesem Zweck als finanzielle Hilfe ausgestaltet, die den Betroffenen einen Anreiz für den Aufbau einer ergänzenden Rente während ihrer gesamten Berufstätigkeit geben soll.
Die Zulage wird nach § 10a EStG, auf den § 79 EStG verweist, in erster Linie den in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversicherten Arbeitnehmern gewährt, da sie als Erste von der Absenkung des Niveaus der gesetzlichen Rente betroffen sind. Sie wird unabhängig vom Einkommen des Begünstigten gewährt, und ihre Höhe hängt sowohl von den aufgrund des Altersvorsorgevertrags gezahlten Beiträgen als auch von der Zahl der Kinder ab, für die dem Begünstigten Kindergeld ausgezahlt wird. Der Anspruch auf die Zulage entsteht mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Altersvorsorgebeiträge geleistet worden sind.
Die Altersvorsorgezulage ist folglich eine soziale Vergünstigung, die den Arbeitnehmern hauptsächlich wegen ihrer objektiven Arbeitnehmereigenschaft gewährt wird.
Keines der von der Bundesrepublik Deutschland vorgetragenen Argumente kann diese Feststellung in Frage stellen.
Die unstreitige Tatsache, dass nach § 10a EStG auch andere Personen, die nicht die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des Gemeinschaftsrechts besitzen, zulageberechtigt sind, kann ihr nicht den Charakter als soziale Vergünstigung nehmen, da der Begriff der sozialen Vergünstigung, wie sich aus Randnr. 39 des vorliegenden Urteils ergibt, keine Anknüpfung an einen Arbeitsvertrag voraussetzt.
Die Zulageberechtigung anderer Personengruppen, die keine Arbeitnehmer sind, belegt im Übrigen, dass der in Bezug auf Arbeitnehmer verfolgte soziale Zweck auf andere Personengruppen erstreckt wurde, die sich hinsichtlich des gesetzlichen Rentensystems in einer ähnlichen Lage befinden.
Der von der Bundesrepublik Deutschland angeführte Umstand, dass der Abschluss eines Altersvorsorgevertrags mit einem privaten Anbieter und die anschließende Zahlung der vereinbarten Beiträge ihrem Wesen nach freiwillig sind, kann an der Einstufung der fraglichen Zulage als soziale Vergünstigung nichts ändern, da diese Einstufung nicht davon abhängt, dass das System, das die Vergünstigung gewährt, obligatorischen Charakter hat.
Dem Vorbringen der Bundesrepublik Deutschland, dass die Altersvorsorgezulage eine steuerliche Vergünstigung darstelle, da sie eine Vorauszahlung auf die Steuerersparnis sei, die sich aus der Anwendung von § 10a EStG ergebe, kann nicht gefolgt werden.
Die vorliegende Rüge bezieht sich nämlich nicht auf die in § 10a EStG geregelte Möglichkeit, die Altersvorsorgebeiträge zuzüglich der Zulage als Sonderausgaben abzuziehen, sondern auf die in § 79 EStG vorgesehene Altersvorsorgezulage als positive Leistung des deutschen Staats, ungeachtet jeder Abzugsmöglichkeit. Die Zulage stellt eine Mindestförderung dar, die unabhängig von den Einkünften des Begünstigten einen Anreiz für den Aufbau einer ergänzenden Rente schaffen soll und Bestandteil des Altersvorsorgekapitals wird.
Die Möglichkeit zum Abzug der Altersvorsorgebeiträge stellt einen gesonderten Vorteil dar, der es unter bestimmten Bedingungen ermöglicht, eine zusätzliche Steuerersparnis in Höhe der Differenz zwischen dem Zulagenbetrag und der Ersparnis aufgrund des Abzugs nach § 10a EStG zu erzielen. Die Abzugsmöglichkeit nach § 10a EStG kann folglich an der sozialen Natur der Altersvorsorgezulage nichts ändern.
Nunmehr ist zu prüfen, ob die Tatsache, dass die Gewährung der Altersvorsorgezulage als soziale Vergünstigung im Sinne von Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1612/68 davon abhängt, dass der Arbeitnehmer in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig ist, eine Diskriminierung im Sinne des Gemeinschaftsrechts darstellt.
Insoweit ist daran zu erinnern, dass nach Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1612/68 ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten die gleichen sozialen Vergünstigungen genießt wie die inländischen Arbeitnehmer. Nach ständiger Rechtsprechung können sich Grenzarbeitnehmer ebenso wie alle anderen von Art. 7 erfassten Arbeitnehmer auf diese Vorschrift berufen (Urteil Geven, Randnr. 15).
Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs verbietet der Grundsatz der Gleichbehandlung, der sowohl in Art. 39 EG als auch in Art. 7 der Verordnung Nr. 1612/68 niedergelegt ist, nicht nur offensichtliche Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit, sondern auch alle verschleierten Formen der Diskriminierung, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungskriterien de facto zum gleichen Ergebnis führen (vgl. u. a. Urteile vom 27. November 1997, Meints, C‑57/96, Slg. 1997, I‑6689, Randnr. 44, und vom 24. September 1998, Kommission/Frankreich, C‑35/97, Slg. 1998, I‑5325, Randnr. 37).
Eine Vorschrift des nationalen Rechts ist, sofern sie nicht objektiv gerechtfertigt ist und in angemessenem Verhältnis zum verfolgten Zweck steht, als mittelbar diskriminierend anzusehen, wenn sie sich ihrem Wesen nach stärker auf Wanderarbeitnehmer als auf inländische Arbeitnehmer auswirken kann und folglich die Gefahr besteht, dass sie Wanderarbeitnehmer besonders benachteiligt (Urteile Meints, Randnr. 45, und Kommission/Frankreich, Randnr. 38).
Im vorliegenden Fall hängt die Gewährung der Altersvorsorgezulage nach § 79 EStG von der unbeschränkten Steuerpflicht in Deutschland ab. In Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig sind natürliche Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben (§ 1 Abs. 1 EStG) oder die einen Antrag nach § 1 Abs. 3 EStG gestellt haben und die dort genannten strengen Voraussetzungen erfüllen.
Die Arbeitnehmer, auf die sich die vorliegende Rüge bezieht, sind aber Grenzarbeitnehmer, deren Einkommen nach bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen, die die Bundesrepublik Deutschland geschlossen hat, ausschließlich in ihrem Wohnsitzstaat besteuert wird. Folglich haben diese Arbeitnehmer nicht die Möglichkeit, nach § 1 Abs. 3 EStG den unbeschränkt Steuerpflichtigen gleichgestellt zu werden, wie die Beklagte im Übrigen einräumt. Unter diesen Umständen kommt die Voraussetzung der unbeschränkten Steuerpflicht in Deutschland einem Wohnsitzerfordernis gleich.
Infolgedessen sind die fraglichen Grenzarbeitnehmer, die definitionsgemäß in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, von der Inanspruchnahme der Altersvorsorgezulage ausgeschlossen.
Hinzu kommt, dass diese Grenzarbeitnehmer meist Angehörige eines anderen Mitgliedstaats sind, so dass die Arbeitnehmer deutscher Staatsangehörigkeit die Voraussetzung der unbeschränkten Steuerpflicht in Deutschland eher erfüllen als die betreffenden Grenzarbeitnehmer, was die Bundesrepublik Deutschland im Übrigen nicht bestreitet.
Dass die Gewährung der Altersvorsorgezulage von einer Voraussetzung abhängig gemacht wird, die einem Wohnsitzerfordernis gleichkommt, verstößt somit gegen Art. 39 EG und Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1612/68.
Diese Feststellung kann nicht durch das auf das Urteil Geven gestützte Vorbringen der Bundesrepublik Deutschland in Frage gestellt werden, wonach das Fehlen einer hinreichend engen Bindung zur deutschen Gesellschaft die Versagung einer sozialen Vergünstigung rechtfertigen könne. Nach den §§ 10a Abs. 1 und 79 EStG muss der Arbeitnehmer nämlich, um in den Genuss der Altersvorsorgezulage kommen zu können, u. a. in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert sein. Diese Pflichtversicherung im deutschen Sozialversicherungssystem, die gewährleistet, dass die Arbeitnehmer Sozialversicherungsbeiträge an dieses System entrichten, stellt eine Bindung zur deutschen Gesellschaft dar, die hinreichend eng ist, um es den Grenzarbeitnehmern zu ermöglichen, in den Genuss der fraglichen sozialen Vergünstigung zu kommen.
Zum Nachweis des Fehlens einer Diskriminierung kann sich der beklagte Mitgliedstaat auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Grenzarbeitnehmer die Möglichkeit hätten, im Mitgliedstaat ihres Wohnsitzes ähnliche oder sogar vorteilhaftere Zulagen in Anspruch zu nehmen. Die fragliche Altersvorsorgezulage ist nämlich keine Vergünstigung in Form eines an die Besteuerung des Einkommens in Deutschland geknüpften Steuerabzugs, sondern eine Mindestförderung des deutschen Staats, um den Arbeitnehmern einen Anreiz für den Aufbau einer ergänzenden privaten Rente zum Ausgleich der Absenkung des Niveaus der gesetzlichen Rente zu geben. Dass die Grenzarbeitnehmer möglicherweise in den Genuss von Steuererleichterungen in ihrem Wohnsitzstaat kommen, beseitigt nicht ihre Ungleichbehandlung in Bezug auf die Gewährung der Altersvorsorgezulage.
Die Bundesrepublik Deutschland macht hilfsweise geltend, die Ungleichbehandlung sei aus Gründen der Kohärenz des Steuersystems gerechtfertigt.
Hierzu genügt die Feststellung, dass – wenn man unterstellt, dass eine solche Diskriminierung bei der Gew ährung einer sozialen Vergünstigung aus Gründen der steuerlichen Kohärenz gerechtfertigt sein könnte – diese Rechtfertigung im vorliegenden Fall nicht greifen kann, da die steuerliche Kohärenz auf der Grundlage bilateraler Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und anderen Mitgliedstaaten gewahrt wird (vgl. analog dazu Urteil Wielockx, Randnr. 25).
Was die Gewährung der Kinderzulage nach § 85 EStG anbelangt, so verstößt das Erfordernis einer unbeschränkten Steuerpflicht in Deutschland aus denselben Gründen gegen Art. 39 Abs. 2 EG und Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1612/68.
In Bezug auf die in § 79 EStG vorgesehene abgeleitete Altersvorsorgezulage für den Ehegatten des Begünstigten ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Ehegatte eines Arbeitnehmers, der unter die Verordnung Nr. 1612/68 fällt, mittelbarer Nutznießer der dem Wanderarbeitnehmer in Art. 7 Abs. 2 der Verordnung zuerkannten Gleichbehandlung ist und folglich Anspruch auf die abgeleitete Zulage erheben kann, wenn sie für den Wanderarbeitnehmer eine soziale Vergünstigung darstellt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Juli 2007, Hartmann, C‑212/05, Slg. 2007, I‑6303, Randnr. 25).
Dies ist hier der Fall. Eine Leistung wie die abgeleitete Altersvorsorgezulage, mit der der Aufbau einer ergänzenden Rente für den Ehegatten des Arbeitnehmers finanziell unterstützt wird, vermag die Situation der Eheleute in Bezug auf ihre künftigen Altersrenten zu verbessern und kommt dem Arbeitnehmer insofern zugute, als sie zur Schaffung von Voraussetzungen beiträgt, die die Altersrisiken in seiner Familie abdecken sollen. Eine solche Zulage stellt daher für die betreffenden Grenzarbeitnehmer eine soziale Vergünstigung im Sinne von Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1612/68 dar.
Wie sich aus § 79 EStG in Verbindung mit § 26 Abs. 1 EStG ergibt, muss aber auch der Ehegatte des Arbeitnehmers in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig sein, um in den Genuss der abgeleiteten Zulage zu kommen. Da im vorliegenden Fall die Voraussetzung der unbeschränkten Steuerpflicht in Deutschland einem Wohnsitzerfordernis im Sinne von § 1 EStG gleichkommt, benachteiligt sie insbesondere Grenzarbeitnehmer, die ihren Wohnsitz definitionsgemäß in einem anderen Mitgliedstaat haben, wo im Allgemeinen auch ihre Familienangehörigen wohnen (Urteil Meeusen, Randnr. 24).
§ 79 EStG stellt somit dadurch, dass er die Gewährung der Altersvorsorgezulage für Ehegatten von deren unbeschränkter Steuerpflicht in Deutschland abhängig macht, eine mit Art. 39 EG und Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1612/68 unvereinbare mittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit dar.
Aus dem Vorstehenden folgt, dass die erste Rüge begründet ist und dass die Bundesrepublik Deutschland durch die Einführung und Beibehaltung der Vorschriften zur ergänzenden Altersvorsorge in den §§ 79 bis 99 EStG gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 39 EG und Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1612/68 verstoßen hat, soweit diese Vorschriften Grenzarbeitnehmern und deren Ehegatten die Zulageberechtigung verweigern, falls sie in Deutschland nicht unbeschränkt steuerpflichtig sind.
Zur zweiten Rüge
Vorbringen der Parteien
Die Kommission trägt vor, die in § 92a EStG für die Möglichkeit, das geförderte Kapital in bestimmten Grenzen zur Anschaffung oder Herstellung einer zu eigenen Wohnzwecken dienenden Wohnung zu verwenden, aufgestellte Voraussetzung, dass die Immobilie im Inland belegen sei, mache es Grenzarbeitnehmern unmöglich, ihr angespartes Kapital für die Anschaffung oder Herstellung einer solchen Wohnung in einem an die Bundesrepublik Deutschland angrenzenden Gebiet zu verwenden. Eine solche ungünstige Behandlung von Grenzarbeitnehmern stelle eine mittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit dar und verstoße damit gegen Art. 39 Abs. 2 EG und Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1612/68. Das Diskriminierungsverbot im Bereich der Freizügigkeit der Arbeitnehmer kenne keinen Vorbehalt für De-minimis-Fälle.
Das Argument der Bundesrepublik Deutschland, ausländische Arbeitnehmer würden durch die streitigen Vorschriften nicht benachteiligt, da sich die Ma ßnahme in gleicher Weise auf Wanderarbeitnehmer und auf deutsche Arbeitnehmer auswirke, gehe fehl. Die bloße Tatsache, dass die Grenzgänger eine große Personengruppe bildeten und in den meisten Fällen nicht nach Deutschland, ihrem Beschäftigungsland, umzögen, spreche dafür, dass sie dazu neigten, Wohnungseigentum in ihrem Wohnsitzstaat zu erwerben, während deutsche Arbeitnehmer nur ausnahmsweise bereit seien, Wohnungseigentum im Ausland zu erwerben. Wie sich aus Daten zu den Grenzgängerströmen und aus der Rechtsprechung, insbesondere dem Urteil vom 21. Februar 2006, Ritter-Coulais (C‑152/03, Slg. 2006, I‑1711, Randnr. 36), ergebe, seien allgemein Gebietsfremde häufiger als Gebietsansässige Eigentümer einer außerhalb des deutschen Hoheitsgebiets liegenden Immobilie.
Die Bundesrepublik Deutschland bestreitet, dass das Erfordernis, das geförderte Kapital für den Erwerb von in Deutschland belegenem Wohnraum zu nutzen, eine mittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit darstelle. Sowohl deutsche Arbeitnehmer als auch Arbeitnehmer aus anderen Mitgliedstaaten, die ihren Wohnsitz außerhalb des Gebiets der Bundesrepublik Deutschland hätten, könnten die Altersvorsorgezulage nicht zur Anschaffung oder Herstellung von Wohnungseigentum im Ausland verwenden.
Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer werde durch § 92a EStG nicht beschränkt, da sich diese Bestimmung nicht auf die Arbeitsplatzwahl auswirke. Andernfalls wären sämtliche Vergünstigungen, die nur im Beschäftigungs-, nicht aber im Wohnsitzstaat gewährt würden, mögliche Beschränkungen der Freizügigkeit der Arbeitnehmer.
Hilfsweise macht die Bundesrepublik Deutschland geltend, sowohl eine Ungleichbehandlung als auch eine Beschränkung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer seien jedenfalls aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses wie der Anerkennung der Wohnungsbauförderung oder der Sicherung eines hinreichenden Wohnraumbestands und dem Schutz des nationalen Sozialversicherungssystems gerechtfertigt.
Würdigung durch den Gerichtshof
Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission in der mündlichen Verhandlung klargestellt hat, dass sich die vorliegende Rüge nicht nur auf die Grenzarbeitnehmer bezieht, deren Einkommen ausschließlich im Wohnsitzstaat besteuert wird, sondern auf alle Grenzarbeitnehmer.
Im Rahmen dieser Rüge ist zu prüfen, ob – wie die Kommission geltend macht – § 92a EStG, indem er die Verwendung des geförderten Kapitals für die Anschaffung oder Herstellung einer zu eigenen Wohnzwecken dienenden Wohnung von der Voraussetzung abhängig macht, dass die Immobilie in Deutschland belegen ist, die Möglichkeit beschränkt, eine soziale Vergünstigung in Anspruch zu nehmen, und eine gegen Art. 39 EG und Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1612/68 verstoßende mittelbare Diskriminierung darstellt.
Nach § 92a EStG kann der Zulageberechtigte das in einem Altersvorsorgevertrag gebildete und geförderte Kapital in Höhe von bis zu 50 000 Euro für die Anschaffung oder Herstellung einer im Inland belegenen, zu eigenen Wohnzwecken dienenden eigenen Wohnung verwenden.
Das geförderte Kapital kann demnach nicht für die Anschaffung oder Herstellung einer Wohnung verwendet werden, die in einer Grenzregion außerhalb des deutschen Hoheitsgebiets belegen ist.
Die Bundesrepublik Deutschland trägt zwar zu Recht vor, dass weder deutsche Arbeitnehmer noch Grenzarbeitnehmer dieses Kapital für die Anschaffung oder Herstellung von Wohnungseigentum außerhalb des deutschen Hoheitsgebiets verwenden können und dass § 92a EStG nicht unmittelbar auf Gebietsfremde Bezug nimmt, doch sind diese häufiger als Gebietsansässige am Erwerb einer außerhalb des deutschen Hoheitsgebiets liegenden Wohnung interessiert (vgl. in diesem Sinne Urteil Ritter-Coulais, Randnr. 36).
Folglich werden Grenzarbeitnehmer durch § 92a EStG ungünstiger behandelt als Arbeitnehmer, die in Deutschland wohnen; er stellt somit eine mittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit dar.
Sodann ist zu prüfen, ob die ungünstige Behandlung von Grenzarbeitnehmern – wie die Bundesrepublik Deutschland geltend macht – durch das Ziel der Sicherung eines hinreichenden Wohnungsangebots und der Erhaltung des nationalen Sozialversicherungssystems gerechtfertigt ist.
Zum Ziel, ein hinreichendes Wohnungsangebot zu sichern, ist – sofern man unterstellt, dass ein solches Ziel einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses bildet – festzustellen, dass die in § 92a EStG aufgestellte Voraussetzung, wonach die anzuschaffende oder herzustellende Wohnung in Deutschland belegen sein muss, jedenfalls über das hinausgeht, was zur Erreichung des genannten Ziels erforderlich ist, da es ebenso erreicht werden könnte, wenn die Grenzarbeitnehmer ihren Wohnsitz weiterhin im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats und nicht in Deutschland hätten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Januar 2008, Kommission/Deutschland, C‑152/05, Slg. 2008, Randnrn. 27 und 28).
Im Übrigen kann dem auf die Gefahr eines Konflikts mit der Wohnungspolitik anderer Mitgliedstaaten gestützten Argument der Beklagten nicht gefolgt werden; eine solche Gefahr ist hier nicht dargetan worden, da sich die Bundesrepublik Deutschland auf die allgemeine Angabe beschränkt, dass bei einer Ausdehnung der Verwendungsmöglichkeit des Altersvorsorgekapitals auf die Anschaffung oder Herstellung einer Wohnung im Gebiet anderer Mitgliedstaaten deren Wohnungspolitik vereitelt werden könnte.
Was den Schutz des nationalen Sozialversicherungssystems angeht, so kann nach dem Urteil vom 11. Januar 2007, ITC (C‑208/05, Slg. 2007, I‑181, Randnr. 43), eine erhebliche Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts eines Systems der sozialen Sicherheit einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellen. Eine solche Gefährdung ist im vorliegenden Fall jedoch nicht dargetan. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich nämlich auf die Angabe beschränkt, dass den Begünstigten, wenn sie über Wohnraum verfügten, der in ihrem Eigentum stehe, im Ruhestand keine Belastung durch Mietkosten drohe und dass sie keine Sozialleistungen in Anspruch nehmen müssten. Überdies lässt sich dieses Ziel in gleicher Weise erreichen, wenn das Altersvorsorgekapital für die Anschaffung einer Wohnung außerhalb des deutschen Hoheitsgebiets verwendet werden kann.
Aus dem Vorstehenden folgt, dass die vorliegende Rüge begründet ist und dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 39 EG und Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1612/68 verstoßen hat, dass sie Grenzarbeitnehmern nicht gestattet, das geförderte Kapital für die Anschaffung oder Herstellung einer zu eigenen Wohnzwecken dienenden Wohnung zu verwenden, falls diese nicht in Deutschland belegen ist.
Zur dritten Rüge
Vorbringen der Parteien
Die Kommission ist der Ansicht, dass die nach § 95 EStG in Verbindung mit den §§ 93 und 94 EStG bestehende Verpflichtung zur Rückzahlung der Altersvorsorgezulage bei Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht gegen Art. 39 EG und Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1612/68 sowie gegen die Art. 12 EG und 18 EG verstoße.
Was erstens die Freizügigkeit der Arbeitnehmer angehe, so stelle die fragliche Regelung insofern eine mittelbare Diskriminierung dar, als sie alle Grenzarbeitnehmer und sonstigen Wanderarbeitnehmer erfasse, obwohl dies die beiden Gruppen von Arbeitnehmern seien, die – anders als deutsche Arbeitnehmer – am häufigsten und insbesondere dann, wenn sie zu einem Arbeitsplatz in einem anderen Mitgliedstaat wechselten, Gefahr liefen, ihre unbeschränkte Steuerpflicht in Deutschland zu verlieren. Ferner könne die fragliche Regelung den Wert der Zulage für die Wanderarbeitnehmer von vornherein verringern, da sie möglicherweise von Anfang an auf die Beantragung der Zulage verzichteten, um eine spätere Rückzahlung zu vermeiden.
Die fraglichen Vorschriften beeinträchtigten auch die Freizügigkeit der Arbeitnehmer. Wie ein Vergleich mit dem Urteil vom 11. März 2004, de Lasteyrie du Saillant (C‑9/02, Slg. 2004, I‑2409), zeige, würden Arbeitnehmer, die in Deutschland arbeiteten, aber außerhalb dieses Mitgliedstaats wohnten, schlechter gestellt als diejenigen, die in Deutschland blieben, denn wenn sich die erstgenannten Arbeitnehmer dafür entschieden, außerhalb der Bundesrepublik Deutschland zu wohnen, greife dieser Mitgliedstaat auf bestimmte ihrer Vermögenswerte zu.
Der Unterschied zwischen beiden Sachverhalten, der darin bestehe, dass Personen, die Deutschland verließen, die Altersvorsorgezulage zurückzahlen müssten, sobald ihre unbeschränkte Steuerpflicht in diesem Staat ende, während bei Personen, die in Deutschland blieben, später die gezahlten Leistungen besteuert würden, ändere nichts an der Einschätzung der Kommission, da dieser Unterschied erst nach mehreren Jahrzehnten eintrete und keinen Einfluss auf die abschreckende Wirkung der Rückzahlungspflicht habe.
Auch wenn die Rückzahlungsmodalitäten die Härte der fraglichen Regelung abmildern könnten, änderten sie nichts am Prinzip der Rückzahlung der Zulage.
Überdies könne die fehlende Befugnis der Bundesrepublik Deutschland für die Besteuerung der künftigen Leistungen an Personen, die ihr Hoheitsgebiet verließen, nicht als eine auf die steuerliche Kohärenz gestützte Rechtfertigung herangezogen werden, da diese bereits durch die bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen gewährleistet werde.
Zweitens stelle die Rückzahlungspflicht zum einen eine mit Art. 12 EG unvereinbare verschleierte Diskriminierung dar, weil sie in erster Linie Ausländer treffe. Diese Einschätzung beruhe auf der Feststellung, dass es hauptsächlich ausländische Arbeitnehmer seien, die nach Beendigung ihrer Tätigkeit in Deutschland diesen Mitgliedstaat verließen, wobei sie im Allgemeinen in ihr Heimatland zurückkehrten, während es nicht sehr oft vorkomme, dass inländische Arbeitnehmer beschlössen, ihren Ruhestand im Ausland zu verbringen. Zum anderen sei auch Art. 18 EG verletzt. Die Rückzahlungspflicht schrecke die Bürger der Europäischen Union unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit, also auch deutsche Staatsangehörige, davon ab, ihren Wohnsitz in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen.
Die Bundesrepublik Deutschland bestreitet, dass § 95 EStG den Grundsatz der Freizügigkeit der Arbeitnehmer sowie die Art. 12 EG und 18 EG verletzt.
Sie macht zunächst geltend, dass die Rückzahlungspflicht im Fall der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht kein wirkliches Hindernis für die Freizügigkeit der Arbeitnehmer oder anderer Bürger sei, da sie nicht geeignet sei, die Betroffenen von einem Arbeitsplatzwechsel oder einem Wegzug ins Ausland abzuhalten. Der Zulageberechtigte müsse nämlich lediglich die Zulagen im Sinne der §§ 79 ff. EStG und die Steuerermäßigungen durch den Sonderausgabenabzug nach § 10a EStG zurückzahlen. Eine zusätzliche „Wegzugbesteuerung“, wie sie Gegenstand des Urteils de Lasteyrie du Saillant und des Urteils vom 7. September 2006, N (C‑470/04, Slg. 2006, I‑7409), gewesen sei, sei nicht vorgesehen.
Nach § 95 Abs. 2 EStG könne die Rückzahlung auf Antrag des Steuerpflichtigen bis zum Beginn der Leistungen aus dem Altersvorsorgevertrag ausgesetzt und in Raten von höchstens 15 % der Rentenzahlungen aufgrund des Vertrags getilgt werden, was dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit gebe, seinen Arbeitsplatz und Wohnsitz ohne unmittelbare finanzielle Belastung zu verlagern. Außerdem entfalle die Rückzahlungspflicht des Betroffenen, wenn er in Deutschland erneut unbeschränkt steuerpflichtig werde. Nach dem Urteil N könne eine Stundung ohne Leistung einer Sicherheit den beschränkenden Charakter einer an das Verlassen des Hoheitsgebiets anknüpfenden Zahlungspflicht beseitigen.
Wie sich anhand mehrerer Beispiele belegen lasse, bringe die Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht weder für Grenzarbeitnehmer noch für andere Bürger finanzielle Nachteile mit sich, die die Annahme einer verschleierten Diskriminierung rechtfertigen könnten. Die Begünstigten, deren unbeschränkte Steuerpflicht in Deutschland ende, seien zwar verpflichtet, die erhaltene steuerliche Förderung zurückzuzahlen, doch entfalle die nachgelagerte Besteuerung der Leistungen aus dem Altersvorsorgevertrag, auf die sie aufgrund der von ihnen bis zum Ende ihrer unbeschränkten Steuerpflicht erbrachten Zahlungen Anspruch hätten. Die Rückzahlungspflicht werde durch mindestens gleichwertige finanzielle Vorteile ausgeglichen.
Hilfsweise schließlich macht die Bundesrepublik Deutschland geltend, dass auch die Regelung in § 95 EStG aus Gründen der steuerlichen Kohärenz gerechtfertigt sei.
Würdigung durch den Gerichtshof
Zu dem Teil der Rüge, der sich auf den diskriminierenden Charakter der Rückzahlungspflicht im Fall der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht bezieht, ist darauf hinzuweisen, dass Art. 12 EG, der ein allgemeines Verbot jeder Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit ausspricht, nach der Rechtsprechung in eigenständiger Weise nur auf gemeinschaftsrechtlich geregelte Sachverhalte angewendet werden kann, für die der EG-Vertrag keine besonderen Diskriminierungsverbote vorsieht (vgl. u. a. Urteile vom 30. Mai 1989, Kommission/Griechenland, 305/87, Slg. 1989, 1461, Randnrn. 12 und 13, und vom 11. Oktober 2007, Hollmann, C‑443/06, Slg. 2007, I‑8491, Randnr. 28).
Das Diskriminierungsverbot wurde aber für den Bereich der Freizügigkeit der Arbeitnehmer durch Art. 39 EG und Art. 7 der Verordnung Nr. 1612/68 umgesetzt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Juli 2008, Raccanelli, C‑94/07, Slg. 2008, I‑0000, Randnr. 45).
Folglich ist anhand der beiden letztgenannten Vorschriften die Behandlung der Arbeitnehmer, die in Deutschland bleiben, mit der Behandlung der Arbeitnehmer zu vergleichen, die das deutsche Hoheitsgebiet verlassen.
Nach den §§ 93 bis 95 EStG muss der Zulageberechtigte, dessen unbeschränkte Steuerpflicht durch Aufgabe des inländischen Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts endet, die erhaltenen Altersvorsorgezulagen und gegebenenfalls die nach § 10a EStG als Sonderausgaben geltend gemachten Beträge zurückzahlen.
Im vorliegenden Fall besteht aber bei Wanderarbeitnehmern, die im Allgemeinen ausländische Staatsangehörige sind, eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass sie das deutsche Hoheitsgebiet verlassen, um in einem anderen Mitgliedstaat zu arbeiten und zu wohnen, und damit eine höhere Wahrscheinlichkeit für die Beendigung ihrer unbeschränkten Steuerpflicht in Deutschland. Bei ausländischen Arbeitnehmern ist daher eine ungünstige Behandlung wahrscheinlicher als bei deutschen Arbeitnehmern.
Überdies können die streitigen Vorschriften den Wert der Zulage allein für Wanderarbeitnehmer verringern. Es lässt sich nämlich nicht ausschließen, dass Wanderarbeitnehmer, die vermeiden wollen, dass sie die Altersvorsorgezulage später, wenn ihre unbeschränkte Steuerpflicht in Deutschland endet, zurückzahlen müssen, von vornherein auf den Erhalt dieser Zulage verzichten. In einem solchen Fall ist dann jeder Ausgleich der künftigen Absenkung des Niveaus der deutschen gesetzlichen Rente ausgeschlossen.
Folglich stellen die streitigen Vorschriften eine mittelbare Diskriminierung der Wanderarbeitnehmer dar.
Diese Feststellung kann nicht durch den von der Bundesrepublik Deutschland angeführten Umstand in Frage gestellt werden, dass die späteren Leistungen aufgrund des Altersvorsorgevertrags in Deutschland nicht besteuert werden, wenn die Arbeitnehmer das deutsche Hoheitsgebiet verlassen. Dieser Umstand ist irrelevant, da die Befugnis zur Besteuerung dieser Leistungen aufgrund von bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und anderen Mitgliedstaaten diesen Mitgliedstaaten zusteht, was die Bundesrepublik Deutschland im Übrigen einräumt. Die Tatsache, dass Arbeitnehmer, die in Deutschland bleiben, die Leistungen – möglicherweise erst nach Jahrzehnten – versteuern müssen, ist im Übrigen nicht vergleichbar mit der Rückzahlungspflicht, die diejenigen, die Deutschland verlassen, gleich bei Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht in Deutschland trifft.
Zu dem Teil der Rüge, der sich auf den abschreckenden Charakter der Rückzahlungspflicht im Fall der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht in Deutschland bezieht, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass Art. 18 EG, in dem das Recht jedes Unionsbürgers, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, in allgemeiner Form niedergelegt ist, nach ständiger Rechtsprechung in Art. 39 EG einen besonderen Ausdruck in Bezug auf die Freizügigkeit der Arbeitnehmer findet (Urteil Hendrix, Randnr. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Vorschriften, die einen Angehörigen eines Mitgliedstaats daran hindern oder davon abhalten, seinen Herkunftsstaat zu verlassen und damit von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch zu machen, stellen daher Beeinträchtigungen dieser Freiheit dar, auch wenn sie unabhängig von der Staatsangehörigkeit der betroffenen Arbeitnehmer Anwendung finden (vgl. Urteil ITC, Randnr. 33, und Urteil vom 26. Oktober 2006, Kommission/Portugal, C‑345/05, Slg. 2006, I‑10633, Randnr. 16).
Es wäre nämlich mit dem Recht auf Freizügigkeit unvereinbar, wenn ein Arbeitnehmer oder Arbeitsuchender in dem Mitgliedstaat, dem er angehört, ungünstiger behandelt werden dürfte als er behandelt würde, wenn er nicht von den Erleichterungen Gebrauch gemacht hätte, die ihm der Vertrag im Bereich der Freizügigkeit gewährt (Urteil ITC, Randnr. 34).
Da die streitigen Vorschriften die Zulageberechtigten verpflichten, bei Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht in Deutschland die von diesem Staat erhaltene Altersvorsorgezulage zurückzuzahlen, befindet sich jeder deutsche Arbeitnehmer, der von seinem Recht auf Freizügigkeit nach Art. 39 EG und insbesondere von dem Recht, sich in einem anderen Mitgliedstaat niederzulassen, Gebrauch machen will, in einer ungünstigeren Situation als ein Arbeitnehmer, der seinen inländischen Wohnsitz beibehält und weiterhin in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig ist. Diese unterschiedliche Behandlung ist geeignet, Arbeitnehmer deutscher Staatsangehörigkeit davon abzuhalten, eine Berufstätigkeit im Ausland auszuüben.
Die Prüfung der in den streitigen Vorschriften vorgesehenen Rückzahlungsmodalitäten bestätigt entgegen dem Vorbringen des beklagten Staats dieses Ergebnis. Zum einen können diese Modalitäten zwar die Härte der Regelung abmildern, benachteiligen aber weiterhin die Arbeitnehmer, die allein wegen der Verlegung ihres Wohnsitzes in einen anderen Mitgliedstaat in Deutschland nicht mehr unbeschränkt steuerpflichtig sind. Zum anderen kann der Rückzahlungsbetrag zwar bis zum Beginn der Auszahlung der Leistungen zinslos gestundet werden, doch erfolgt diese Stundung nicht automatisch, sondern nur auf Antrag des Zulageberechtigten. Außerdem kann die Stundung zwar nach Beginn der Auszahlung verlängert werden, doch setzt dies voraus, dass mindestens 15 % der Leistungen aus dem Altersvorsorgevertrag getilgt werden. Diese Rückzahlungsmodalitäten haben insofern eine beschränkende Wirkung, als sie den Zulageberechtigten an der Nutzung einer sozialen Vergünstigung hindern (vgl. in diesem Sinne Urteil N, Randnr. 36).
Auch der von der Bundesrepublik Deutschland angeführte Umstand, dass nach § 95 Abs. 3 EStG ein gestundeter Rückzahlungsbetrag erlassen wird, wenn der Betroffene erneut unbeschränkt steuerpflichtig wird, bestätigt die abschreckende Wirkung der streitigen Vorschriften. § 95 Abs. 3 EStG hebt die abschreckende Wirkung auf Arbeitnehmer, die sich dauerhaft in einem anderen Mitgliedstaat aufhalten, nämlich nicht auf, denn auch wenn der Rückzahlungsbetrag erlassen wird, falls sie erneut unbeschränkt steuerpflichtig werden, sind ihnen die bereits zurückgezahlten Zulagebeträge endgültig verloren gegangen.
Unter diesen Umständen kann die Rückzahlungspflicht, die sich aus den §§ 93 bis 95 EStG ergibt, die Freizügigkeit der Arbeitnehmer beeinträchtigen.
Die Bundesrepublik Deutschland trägt noch vor, die Rückzahlungspflicht sei aus Gründen der Kohärenz ihres Steuersystems gerechtfertigt. Da die steuerliche Kohärenz jedoch auf der Grundlage bilateraler Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und anderen Mitgliedstaaten gewahrt wird, kann sie sich nicht mit Erfolg auf eine solche Rechtfertigung berufen (vgl. in diesem Sinne Urteil Wielockx, Randnr. 25).
Folglich verstoßen die streitigen Vorschriften gegen Art. 39 EG und Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1612/68.
Das Gleiche gilt hinsichtlich nicht wirtschaftlich tätiger Personen aus denselben Gründen für die Rüge eines Verstoßes gegen Art. 18 EG.
Aus dem Vorstehenden folgt, dass die dritte Rüge begründet ist und dass die Bundesrepublik Deutschland folglich dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Art. 18 EG und 39 EG sowie aus Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1612/68 verstoßen hat, dass nach den §§ 93 bis 95 EStG die Zulage bei Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht in Deutschland zurückzuzahlen ist.
Kosten
Nach Art. 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission die Verurteilung der Bundesrepublik Deutschland beantragt hat und diese mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Bundesrepublik Deutschland hat durch die Einführung und Beibehaltung der Vorschriften zur ergänzenden Altersvorsorge in den §§ 79 bis 99 des Einkommensteuergesetzes gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 39 EG und Art. 7 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft sowie aus Art. 18 EG verstoßen, soweit diese Vorschriften
– Grenzarbeitnehmern und deren Ehegatten die Altersvorsorgezulage verweigern, falls sie in Deutschland nicht unbeschränkt steuerpflichtig sind,
– Grenzarbeitnehmern nicht gestatten, das geförderte Kapital für die Anschaffung oder Herstellung einer zu eigenen Wohnzwecken dienenden Wohnung zu verwenden, falls diese nicht in Deutschland belegen ist, und
– vorsehen, dass die Zulage bei Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht in Deutschland zurückzuzahlen ist.
2. Die Bundesrepublik Deutschland trägt die Kosten.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg