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14.03.2013 · IWW-Abrufnummer 130874

Oberlandesgericht Hamm: Urteil vom 09.11.2012 – I-26 U 142/09

1. Bei dem Auftreten von plötzlichen, stechenden Kopfschmerzen hat sich die Befunderhebung auch auf den Ausschluss einer Subarachnoidalblutung einschließlich ihrer Vorstufe Warning Leak zu erstrecken.

2. Die Ergebnisse der Anamnese und Befundung sind dokumentationspflichtig.


Oberlandesgericht Hamm

I-26 U 142/09

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung des Klägers wird das am 26.08.2009 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Paderborn abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger alle unvorhersehbaren immateriellen Schäden zu ersetzen sowie alle materiellen Schäden, letztere, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder noch übergehen werden.

Im Übrigen ist der Klageanspruch dem Grunde nach gerechtfertigt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger hat von der Beklagten wegen vermeintlicher ärztlicher Behandlungsfehler in der Hauptsache die Zahlung eines mit mindestens 50.000,00 € für angemessen gehaltenen Schmerzensgeldes, den Ersatz materieller Schäden in Höhe von 34.280,00 € und die Feststellung weitergehender Ersatzpflicht begehrt.

Er befand sich am 13.07.2005 berufsbedingt in L2. Aufgrund des Auftretens von Kopfschmerzen, deren Charakteristik streitig ist, wurde er mit einem Rettungswagen in das Krankenhaus der Beklagten verbracht. Die dort diensthabende Assistenzärztin Dr. C stellte die Diagnose „Spannungskopfschmerz“, verabreichte ein Schmerzmittel und entließ den Kläger nach Rücksprache mit einem erfahrenen Kollegen wieder.

Am 26.07.2005 erlitt der Kläger eine Subarachnoidalblutung, die ihn zu einem schweren Pflegefall gemacht hat.

Der Kläger hat zunächst Klage gegen das ihn am 26.07.2005 behandelnde W-Krankenhaus und den dortigen Chefarzt Dr. Q2 erhoben; insoweit ist die Klage rechtskräftig abgewiesen.

Mit der vorliegenden Klage – Klageerweiterung des o.a. Verfahrens, das abgetrennt worden ist – hat der Kläger Ansprüche gegen das am 13.07.2005 behandelnde Städt. Krankenhaus L2 mit der Behauptung erhoben, dass sich am 13.07.2005 ein sog. „Warning Leak“ als Vorstufe der späteren Subarachnoidalblutung ereignet habe. Dies sei behandlungsfehlerhaft nicht erkannt und nicht entsprechend behandelt worden.

Das Landgericht hat zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 100.000 € und zur Zahlung materiellen Schadensersatzes in Höhe von 34.280 € verurteilt sowie festgestellt, dass die Beklagte zum Ersatz der weiteren zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden verpflichtet sei.

Behandlungsfehlerhaft sei am 13.7.2005 nicht erkannt worden, dass bei dem Kläger eine erste Subarachnoidalblutung als "warning leak" stattgefunden habe. Die stattdessen gestellte Diagnose eines Spannungskopfschmerzes hätte dagegen nur gestellt werden dürfen, wenn zuvor die Möglichkeit einer Subarachnoidalblutung ausgeschlossen worden wäre.

Dagegen richten sich die Berufungen beider Parteien:

Die Beklagte erstrebt mit ihrer Berufung die Abweisung der Klage.

Ein Befunderhebungsfehler sei ihr nicht anzulasten. Eine weitergehende Befundung in Richtung auf eine SAB sei nicht angezeigt gewesen. Insbesondere seien typische Leitsymptome wie Meningismus, Übelkeit, Erbrechen, Desorientierung, Veränderungen im EKG und neurologische Ausfälle nicht gegeben gewesen. Überdies habe sich bei dem Kläger atypisch sein Zustand durch die Gabe des Schmerzmittels Novaminsulfon verbessert. Er habe bereits am Nachmittag weiterarbeiten können. Zudem sei der Kopfschmerz frontopartial aufgetreten. Dementsprechend hätten auch die Nachbehandler eine SAB nicht in Betracht gezogen.

Mögliche Ansprüche seien jedenfalls verjährt.

Die Beklagte beantragt,

die Klage unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Paderborn vom 26.08.2009, 4 O 378/08, abzuweisen.

Der Kläger und die Streithelfer beantragen,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Sie verteidigen die landgerichtliche Entscheidung zum Grunde der zuerkannten Ansprüche.

Der Kläger begehrt mit seiner Berufung darüber hinaus eine Erhöhung des Schmerzensgeldes auf 200.000 €. Ein Schmerzensgeld in dieser Höhe sei bei dem zutreffend durch das Landgericht festgestellten Folgen gerechtfertigt. Darüber hinaus verlangt der Kläger die Zuerkennung einer Entschädigung für die Pflegeleistungen, die von seiner Ehefrau erbracht würden. Diese beliefen sich bei einem täglichen Pflegeaufwand von mindestens 4 Stunden und einem Stundensatz von mindestens acht Euro für den Zeitraum vom 2006 bis einschließlich 2009 auf 46.720 €. Er trägt ergänzend zum Pflegebedarf vor .

Der Kläger beantragt,

1. unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Paderborn vom 26.08.2009 die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 200.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.08.2008 sowie 34.280,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.04.2009 zu zahlen,

2. die Beklagte zu verurteilen, 46.720,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Zustellung zu zahlen.

3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger alle immateriellen und materiellen Schäden zu erstatten, die aufgrund der Behandlung im Zeitraum Juli 2005 entstehen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Die Berufung des Klägers sei hinsichtlich des Schmerzensgeldbegehrens bereits unzulässig, weil dieser durch das landgerichtlichen Urteil nicht beschwert sei. Er habe bereits mehr zuerkannt bekommen, als er beantragt habe. Auch der erstmals gestellte Antrag auf Vergütung von Pflegeleistungen sei unzulässig. Die darin liegende Klageerweiterung sei mangels zulässiger Berufung unzulässig. Der Antrag sei unbegründet, weil mögliche Ansprüche bereits auf die gesetzliche Krankenkasse oder Pflegeversicherung übergegangen seien. Darüber hinaus werde der Anspruch nach Grund und Höhe bestritten.

Der Senat hat die Betreuerin des Klägers persönlich angehört und Beweis erhoben durch mündliche Anhörung des Prof. Dr. L. Wegen der Einzelheiten wird auf den Berichterstattervermerk zum Senatstermin vom 03.09.2010 verwiesen. Darüber hinaus hat der Senat ein schriftliches Gutachten des Internisten Dr. u eingeholt, das dieser im Senatstermin vom 27.09.2011 mündlich erläutert hat. Wegen des Ergebnisses wird auf den Berichterstattervermerk zu diesem Senatstermin Bezug genommen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes, insbesondere des genauen Wortlautes der erstinstanzlich gestellten Anträge, wird auf die angefochtene Entscheidung und die zu den Gerichtsakten gereichten Schrfitsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig; die Berufung des Klägers ist als Anschlussberufung zulässig.

Die von dem Kläger geltend gemachten Zahlungsansprüche sind dem Grunde nach gemäß den §§ 611, 281, 823, 249 ff. BGB gegeben. Hierüber war durch Grundurteil zu entscheiden, weil die Ansprüche der Höhe nach noch nicht entscheidungsreif sind.

Überdies ist festzustellen, dass die Beklagte zum Ersatz der weiteren Schäden in dem erkannten Umfang verpflichtet ist, § 256 ZPO.

1.

Der Kläger hat gegen die Beklagte gem. § 611, 281, 823, 253 Abs.2 BGB dem Grunde nach einen Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld.

a.

Der Beklagten ist anlässlich der Behandlung von 13.07.2005 ein Befunderhebungsfehler unterlaufen, weil die notwendige Befundung in Richtung auf eine Subarachnoidalblutung in Form eines Warning Leak unterblieben ist.

aa.

Nach den plausiblen Ausführungen des für die Bewertung der Folgen einschlägigen neurologischen Sachverständigen Prof. Dr. L hat am 13.7.2005 eine solche spontane subarachnoidale Blutung in Form eines Warning Leaks aus folgenden Gründen stattgefunden:

Bei dem Kläger haben am 13.7.2005 zumindest mittelstarke Kopfschmerzen vorgelegen. Am 26.7.2005 wurde eine kleine Subarachnoidalblutung nachgewiesen. In der CT- Angiographie v. 27.7.2005 wurde ein Aneurysma nachgewiesen. Nach der Angiographie hat sich sodann eine erneute schwere SAB ereignet.

Der internistische Sachverständige Dr. u verweist darauf, dass der später erhobene MRT-Befund eine frühere Blutung nachgewiesen hat. Dass diese frühere Blutung zu einem anderen als dem hier fraglichen Zeitpunkt stattgefunden hat, ist nicht ersichtlich.

bb.

Diese SAB ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme durch die internistische Begutachtung seitens des Sachverständigen Dr. u von den Mitarbeitern der Beklagten aufgrund eines Befunderhebungsfehler nicht erkannt worden. Für diese hat am 13.7.2005 Veranlassung zu weitergehender Befundung bestanden:

Als maßgebliches Symptom einer SAB ist eine plötzliche Steigerung und Heftigkeit eines Kopfschmerzes anzusehen. Dabei wird der Bereich des im Aufnahmebefund dokumentierten Spannungskopfschmerzes verlassen, der durch einen sich wiederholenden, leichten bis mittleren Schmerz, mit drückender Schmerzqualität und ohne Verstärkung durch Routineaktivitäten wie Gehen oder Bücken gekennzeichnet ist.

Bei dem Kläger ist ein solcher plötzlicher und heftiger Kopfschmerz aufgetreten, der über die Qualität eines Spannungskopfschmerzes hinausgegangen ist.

Dies folgt aus der Aussage des Arbeitskollegen des Klägers, des Zeugen E, der bei seiner Vernehmung ausgesagt hat, dass der Kläger mit schmerzverzerrtem Gesicht über starke Kopfschmerzen geklagt habe, die plötzlich nach dem Bücken aufgetreten seien. Bestätigt wird das dadurch, dass die Ehefrau des Klägers geschildert hat, dass ihr Ehemann nach eigenen Angaben ihr gegenüber erst leichtere Kopfschmerzen gehabt hat und er sich hingesetzt und eine Kopfschmerztablette genommen habe, dann aber beim Aufstehen ganz heftige Kopfschmerzen bekommen habe.

Auf dieser Basis, die sich bei der gebotenen genauen Befragung des Patienten ergeben hätte, hat aus der maßgeblichen internistischer Sicht Veranlassung zu weiterer Befundung in Richtung auf eine SAB bestanden. Eine solche hätte gegebenenfalls ausgeschlossen werden müssen.

Auch die sonstigen Gesamtumstände machten eine weitergehende Befundung nicht entbehrlich:

Selbst wenn früher schon Spannungskopfschmerzen aufgetreten sein sollten, hat der Kopfschmerz am 13.7.2005 eine plötzlich deutlich veränderte Qualität gehabt, die über einen Spannungskopfschmerz hinausging. Es kommt deshalb nicht darauf an, ob der Kläger entsprechend der Behauptung der Beklagten früher schon Kopfschmerzen gehabt hat und deshalb Aspirin bei sich führte.

Es ist auch unerheblich, dass der Rettungssanitäter, der Zeuge S, bei seiner Vernehmung die Angaben im RTW-Protokoll bestätigt hat, wonach mittelstarke Schmerzen angegeben worden sind. Denn nach den plausiblen Ausführungen des internistischen Sachverständigen Dr. u spricht diese geringere Schmerzeinstufung nicht gegen eine SAB, weil die Stärke subjektiv unterschiedlich empfunden, auf Befragen unterschiedlich angegeben wird, und eine SAB auch nicht in die voller Schmerzhöhe erreichen muss. Das gilt insbesondere dann, wenn die SAB nur wie vorliegend in Form eines Warning Leak stattgefunden hat.

Die Beklagte beruft sich ohne Erfolg darauf, dass bei dem Kläger kein Meningismus (Nackensteife) vorgelegen hat. Denn der internistische Sachverständige Dr. u hat erklärt, dass ein solcher am Tage der Blutung nicht vorliegen musste, sondern sich in der Regel erst später entwickelt und bei einer kleinen Blutung auch gar nicht entstehen musste.

Auch das Fehlen von Übelkeit, Erbrechen, Desorientierung und neurologischen Ausfällen spricht nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. U nicht gegen eine SAB; diese Beeinträchtigungen müssen nicht zwingend vorliegen.

Auch die Verbesserung des Zustandes nach der Gabe des Schmerzmittels Novaminsulfon ist zwar untypisch, stellt aber auf der Basis der Erklärungen des Sachverständigen Dr. U kein diagnostisches Kriterium für den Ausschluss einer SAB dar.

EKG-Ergebnisse sind nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. U bei einer kleinen Blutung nicht richtungsweisend, ebenso wenig, dass der Kopfschmerz frontopartial angesiedelt war und der Kläger am Nachmittag weitergearbeitet hat.

Dass bei dem Kläger orthopädisch eine C1-Blockade vorgelegen haben soll, entband die Beklagte nicht von dem diagnostischen Ausschluss einer SAB. Denn auch Patienten mit einer solchen Blockade können eine SAB erleiden.

Die Beklagte beruft sich erfolglos darauf, dass auch die Nachbehandler an eine SAB nicht gedacht haben. Denn unterstellte Fehler anderer Behandler entlasten die Beklagte nicht.

cc.

Auf dieser Basis ist eine hinreichende weitergehende Befundung nicht erfolgt, obwohl diese dem medizinischen Standard entsprochen hätte.

(1)

Zum einen ist eine eingehende Anamnese zu den Einzelheiten des aufgetretenen Kopfschmerzes erforderlich gewesen.

Es erscheint überzeugend, dass der internistische Sachverständige Dr. U eine Abgrenzung stechender Kopfschmerzen gegenüber drückenden Kopfschmerzen und die Dokumentation der dazu erhobenen Befunde für erforderlich gehalten hat. Es hätte danach die Frage gestellt werden müssen, ob die für eine SAB sprechenden stechenden Kopfschmerzen schon einmal aufgetreten sind. Die behandelnde Ärztin hätte dabei von der schwerstmöglichen Erkrankung, also einer SAB, ausgehen müssen und diese vor der Bewertung als Spannungskopfschmerz ausschließen müssen.

(2)

Auf dieser Basis liegt ein Befunderhebungsfehler vor:

Denn das Aufnahmeprotokoll der Dr. C verzeichnet nur plötzlich aufgetretene stechende Kopfschmerzen. Dies stellt ein gewichtiges Indiz dafür dar, dass eine weitergehende Befragung - insbesondere die Frage nach dem früheren Auftreten solcher stechenden Kopfschmerzen -nicht stattgefunden hat. Denn der Sachverständige Dr. U hat die Dokumentation der dazu erhobenen Befunde für erforderlich gehalten. Das erscheint plausibel, weil auch für Nachbehandler entscheidend ist, dass und auf welcher Basis bereits in Richtung auf eine SAB befundet worden ist. Mangels weitergehender Dokumentation ist deshalb zunächst davon auszugehen, dass die Anamnese nicht in dem erforderlichen Umfang durchgeführt worden ist.

Die Aussage der Zeugin C führt nicht zum gegenteiligen Ergebnis. Sie belegt vielmehr sogar unabhängig von einer Indizwirkung einer Dokumentationspflicht, dass eine ausreichende Anamnese nicht erfolgt ist. Die Zeugin hat bei ihrer Vernehmung an das konkrete Geschehen keine Erinnerung mehr gehabt. Sie hat allerdings bekundet, dass sie Angaben des Patienten wie "mir platzt der Kopf" dokumentiert hätte. Das spricht gerade dafür, dass sie die erhobenen Befunde für dokumentationswürdig angesehen hat. Das wiederum spricht dagegen, dass im konkreten Fall maßgebliche weitere Befunde erhoben worden sind. Denn sonst hätte die Zeugin sie nach den eigenen Angaben dokumentiert. Auch die von der Zeugin im Nachhinein angegebenen Grundlagen der Diagnose eines Spannungskopfschmerzes stellen nicht auf die entscheidende Frage schon früher aufgetretener stechende Kopfschmerzen ab. Die Zeugin konnte auch nicht sagen, ob sie überhaupt an eine SAB gedacht hat.

Der Senat ist deshalb davon überzeugt, dass die maßgeblichen Fragen zu den Einzelheiten des Kopfschmerzes nicht gestellt worden sind.

b.

Es ist auch davon auszugehen, dass das Unterlassen der hinreichenden Anamnese ursächlich dafür gewesen ist, dass sich mangels rechtzeitiger Reaktion auf das Warning Leaks später das Rezidiv im W-Krankenhaus mit dem daraus resultierenden Schaden ereignet hat.

Beweispflichtig für die Kausalität ist grundsätzlich der Geschädigte. Vorliegend kommt dem Kläger aber eine Beweislastumkehr zugute:

Eine Beweislasterleichterung ist nicht nur bei einem groben, sondern auch bei einem einfachen Befunderhebungsfehler gerechtfertigt, wenn die unterlassene Befunderhebung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu einem reaktionspflichtigen Befund geführt hätte und sich die Verkennung des Befundes oder das Verhalten des Arztes auf der Basis dieses Ergebnisses als grob fehlerhaft darstellen würde (vgl. etwa Urteil des BGH v. 13.09.2011 - VI ZR 144/10 - Juris-Veröffentlichung unter Rz.8).

Eine solche Situation hat hier vorgelegen.

Nach den Ausführungen des insoweit maßgeblichen internistischen Sachverständigen Dr. U hat lediglich ein einfacher Behandlungsfehler vorgelegen. Das erscheint bei einem Abstellen auf die Schwierigkeit der zu bewertenden Situation unter Berücksichtigung der immerhin erhobenen Befunde plausibel.

Die notwendige Befundung hätte aber mit überwiegender Wahrscheinlichkeit der Entdeckung der SAB geführt. Nach den Ausführungen des neurologischen Sachverständigen in seinem schriftllichen Gutachten wäre auf der Basis der ausreichenden Anamnese eine CT-Angiographie durchgeführt worden, die eine SAB in 95 % aller Fälle zeigt. Wenn diese unauffällig gewesen wäre, wäre gemäß den Leitlinien zwingend eine Liquoruntersuchung nach der Lumbalpunktion durchzuführt worden. Letztlich wäre damit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine SAB nachgewiesen worden.

Eine Nichtreaktion darauf wäre völlig unverständlich gewesen. Denn die Operationschancen waren am 13.07.05 besser als in der Folgezeit, die OP am 13.07.05 am risikolosesten. Die günstigste Zeit zur neuroradiologischen Intervention war unmittelbar nach der Subarachnoidalblutung und vor dem Einsetzen der Gefäßspasmen. Die Heilungschancen wären dann sehr groß gewesen; die Therapie- und Heilungsmöglichkeiten wären um vieles besser gewesen; nur das Risiko der Intervention hätte bestanden. Am 13.05.20 war noch Stadium 1 gegeben, am 23.07.05 dann Stadium 2-3, am 27.05.05 dann Stadium 4-5 nach Hunt und Hess. Die Rezidivblutung hätte nach Auffassung des neurologischen Sachverständigen in seinem schriftlichen Gutachten verhindert werden können. Die tatsächlich erfolgte bloße Gabe des Schmerzmittels wäre dann aber ebenfalls grob fehlerhaft gewesen.

Dasselbe gilt dann auch für eine Verkennung eines nach einer Anghiographie oder Liquoruntersuchung eindeutigen Befundes.

Es ist deshalb nach Beweislastgrundsätzen davon auszugehen, dass die spätere große Blutung im W-Krankenhaus, die zu den gravierenden Beeinträchtigungen des Klägers geführt hat, vermieden worden wäre.

Dass es sich insoweit um einen so fernliegenden, nahezu ausgeschlossenen Kausalzusammenhang gehandelt hat, dass ausnahmsweise eine Beweislastumkehr nicht gerechtfertigt erscheint (vgl. etwa das Urteil des BGH v.13.01.1998 – VI ZR 242/96 – Juris-Veröffentlichung unter Rz.11), ist aus den soeben genannten Gründen dagegen nicht festzustellen.

c.

Die Ansprüche des Klägers sind auch nicht verjährt; die nunmehr von der Beklagte erhobene Einrede greift nicht durch.

Die unstreitigen Tatsachen führen dazu, dass die Verjährung nicht eingetreten ist. Es gilt die 3-jährige Verjährungsfrist des § 199 Abs.1 BGB. Sie hätte selbst bei sofortiger grob fahrlässiger Unkenntnis des Abweichens vom medizinischen Standard frühestens mit Ablauf des Jahres 2005 zu laufen begonnen, weil sich das haftungsbegründende Geschehen im Juli 2005 ereignet hat. Die Verjährung hätte deshalb frühestens mit dem Ende des Jahres 2008 eintreten können. Die Klage gegen die Beklagte ist aber bereits am 24.07.2008 eingegangen, sodann rechtzeitig zugestellt worden und hat die Verjährung aller Ansprüche gehemmt.

Nur ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass grob fahrlässige Unkenntnis ohnehin erst später vorgelegen haben könnte, weil noch im September 2006 die Gutachterkommission das Vorliegen eines Behandlungsfehlers verneint hat.

d.

Die Haftung dem Grunde nach ist somit gegeben. Es steht auch fest, dass dem Kläger ein Schmerzensgeld in irgendeiner Höhe zusteht. Der Höhe nach ist der Rechtsstreit dagegen noch nicht entscheidungsreif, weil sich das Schmerzensgeld nach den Umständen bemisst, die zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung gegeben und für die Zukunft vorhersehbar sind. Vorliegend bedarf es für die Frage der konkreten bisherigen Entwicklung des Gesundheitszustandes des Klägers noch weiterer Beweisaufnahme.

2.

Die Beklagte ist dem Grunde nach gemäß § 842 BGB verpflichtet, dem Kläger die entstandenen Erwerbsschaden zu ersetzen. Insoweit wird zur Haftung auf die Ausführungen zu 1. verwiesen.

Der Höhe nach dieser Ausspruch noch nicht entscheidungsreif, weil sich der Erwerbsschaden nach der Differenz zwischen dem zu erwartenden Gehalt und den erhaltenen Ersatzleistungen bemisst. Dass irgendein ersatzfähiger Schaden besteht, steht fest, weil die Rentenleistungen unterhalb des damaligen Gehaltes liegen. Die Höhe der Rentenleistungen ist dagegen noch nicht nachgewiesen.

3.

Dem Kläger steht gegen die Beklagte gemäß § 843 BGB dem Grunde nach ein Anspruch auf Zahlung von Pflegeaufwand zu.

Die grundsätzliche Haftung steht aus den Gründen zu 1. fest. Ein ersatzfähiger Schaden ist gegeben. Zu den vermehrten Bedürfnissen gehören auch die Aufwendungen für Pflegepersonal (Palandt-Sprau, BGB, 71. Auflage, § 843 BGB, Rz.3). Zwar führt hier die Ehefrau des Klägers nach ihren Angaben zur Zeit die Pflege selbst durch. Insoweit liegt aber nach Auffassung des Senates auf der Basis der Angaben in dem SGBXI-Gutachten vom 24.01.2008 zumindest teilweise eine Tätigkeit vor, die nicht unter die eheliche Beistandspflicht fällt und deshalb vergütungspflichtig ist. Der Anspruch ist der Höhe nach noch nicht entscheidungsreif.

Gemäß der Bescheinigung der K vom 29.12.2011 wurden die dort genannten Entgelte gezahlt, während die Kostenaufstellung des Hauses D vom 03.01.2012 höhere Kosten ausweist. Die konkrete Anspruchshöhe ist aber noch klärungsbedürftig.

4.

Darüber hinaus ist festzustellen, dass die Beklagte in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche weiteren Schäden zu ersetzen.

Die Haftung ist aus den unter 1. erörterten Gründen gegeben. Die Entstehung weiterer ersatzfähiger materieller Schäden ist zu erwarten, weil die Ansprüche zu 2. und 3. nicht die Zukunft abdecken. Auch die Entstehung weiterer nicht vorhersehbarer immaterieller Schäden erscheint vor dem Hintergund möglicher negativer Veränderungen des Gesundheitszustandes hinreichend wahrscheinlich.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr.11 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch keine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert.

RechtsgebietBGBVorschriftenBGB § 611; BGB § 823 Abs.1

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