Gläubigerstrategie
So verhindern Sie den Missbrauch des Vollstreckungsschutzes nach § 765a ZPO
von Dipl.-Rechtspfleger Peter Mock, Koblenz
Folgende Situation tritt häufig auf: DerGläubiger hat nach langer Verfahrensdauer endlich einenRäumungstitel erwirkt. Nun will er vollstrecken. Der Schuldnerberuft sich aber auf Vollstreckungsschutz gemäß § 765aZPO. Das Vollstreckungsgericht fordert den Gläubiger zurStellungnahme auf und stellt die Vollstreckung einstweilen ein. DerSchuldner hat sein Ziel, die Zwangsvollstreckung zu boykottieren,zunächst erreicht. Dabei sind die Voraussetzungen einesVollstreckungsschutzes an strenge Maßstäbe geknüpft,die allerdings von den Gerichten oft nicht beachtet werden. Derfolgende Beitrag erläutert, wie Sie den Missbrauch durch denSchuldner verhindern und zu Ihrem titulierten Recht kommen.
Die Härteklausel gilt als Ausnahmeregelung für alle Vollstreckungsarten
Häufigster Anwendungsbereich des –für die gesamte Vollstreckung anwendbaren –Vollstreckungsschutzes nach § 765a ZPO ist die Zwangsversteigerungund die Räumungsvollstreckung. Aus dem Gesetz ergibt sicheindeutig, dass es sich dabei um eine absolute Ausnahmeregelung handelt.
Praxishinweis: BerufenSie sich als Gläubiger bei Ihrer Stellungnahme für dasGericht auf diesen Ausnahmecharakter. Verdeutlichen Sie, dass sehrstrenge Bewertungsmaßstäbe vorliegen müssen BGH NJW65, 2107. Zu beachten ist, dass sich der Schuldner darüber hinausgegen eine ganz konkrete Vollstreckungsmaßnahme wehren muss OLGKöln NJW 94, 1743. Er darf sich nicht gegen die Vollstreckung imAllgemeinen wenden.
Wann ist ein Vollstreckungsschutzantrag begründet?
Das Vollstreckungsgericht muss alleBegründetheitsvoraussetzungen des § 765a ZPO einer strengenPrüfung unterziehen. Dabei ist auf Folgendes zu achten:
- Interessen des Schuldners müssen höher wiegen als die des Gläubigers
Der Schuldner muss darlegen, weshalb sein Ziel, die Vollstreckung zuverhindern, höherwertiger anzusetzen ist, als der berechtigte undtitulierte Anspruch des Gläubigers. Die rechtliche Position desGläubigers ist von vornherein stärker als die des Schuldners BVerfGNJW 79, 2607. Das Gericht muss zwischen den Interessen des Gläubigersund des Schuldners eine Abwägung vornehmen. Wird Vollstreckungsschutzbewilligt, muss der Schuldner mit seinem Wunsch, die Vollstreckung zuverhindern, eindeutig dem Gläubiger gegenüber im Vorteil sein LGBraunschweig DGVZ 91, 187. Dies muss aus der getroffenen Entscheidungdes Gerichts hervorgehen.
Praxishinweis: Geradebei der Räumungsvollstreckung ist oft zu beobachten, dassSchuldner Verwandte vorschieben, um Räumungsschutz durchzusetzen.So wird etwa die hochbetagte Mutter des Schuldners zumRäumungstermin in die Wohnung gesetzt, um auf diese WeiseRäumungsschutz zu erlangen. Solche Belange Dritter sind jedochgrundsätzlich vom Schutzgedanken und der damit verbundenenInteressenabwägung nicht umfasst und können daher nur imEinzelfall zu Gunsten des Schuldners berücksichtigt werdenMusielak/Lackmann, ZPO, 3. Aufl., § 765a Rn. 11.
- Für den Schuldner muss im Einzelfall eine sittenwidrige Härte gegeben sein
Widerspricht die Zwangsvollstreckung dem Anstandsgefühl derAllgemeinheit und führt sie darüber hinaus zu einem ganz und garuntragbaren Ergebnis, ist sie objektiv gesehenen sittenwidrig. Nachhöchstrichterlicher Rechtsprechung müssen bei der Beurteilung dieserFrage die Vollstreckungsgerichte die Wertentscheidungen des GG und dieGrundrechte eines Schuldners zwingend berücksichtigen BVerfG NJW 79,2607. Erst bei Würdigung all dieser Umstände kann in besondersgelagerten Einzelfällen eine zeitweilige Einstellung einerVollstreckungsmaßnahme erfolgen.
Praxishinweis: Nachdieser Entscheidung des BVerfG ist eine Sittenwidrigkeit in der Regelgegeben, wenn die Menschenwürde, die persönliche Freiheitoder das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit tangiertsind. Als Einzelfälle hat die Rechtsprechung in diesemZusammenhang anerkannt: Notwendigkeit eines kurzfristigenZwischenumzugs LG Koblenz JurBüro 97, 553; Musielak/Lackmann,ZPO, 3. Aufl., § 765a Rn. 15, fortgeschrittene Schwangerschaftund altersbedingte Gebrechlichkeit LG Bonn NJW-RR 90, 973; AG LandauNJW 93, 2249.
Besonderheiten gelten bei der Zwangsräumung
Der praktische Hauptanwendungsfall des § 765aZPO besteht im Bereich der Räumungsvollstreckung. Hierbei hat derGläubiger auf folgende Besonderheiten zu achten:
- Schutzantrag ist grundsätzlich nur befristet möglich
Bei einer Räumungsvollstreckung ist neben den zuvor genanntenBedingungen aus Gläubigersicht noch die Regelung des § 765a Abs. 3 ZPObedeutsam. Hiernach kann der Antrag des Schuldners bereits aus formalenGründen als unzulässig zurückgewiesen werden. Dies ist der Fall, wennder Antrag nicht spätestens zwei Wochen berechnet nach § 222 Abs. 1, 2ZPO, §§ 187-193 BGB vor dem durch den vom Gerichtsvollzieherfestgesetzten Räumungstermin gestellt wird. DieseGläubiger-Schutzfrist, die keine Notfrist darstellt, soll nutzloseSpeditionskosten dadurch verhindern, dass dieser darauf vertrauen darf,dass die Räumung zügig durchgeführt wird. Der Schuldner muss also denBeginn und den Nichtablauf der Frist nachweisen, indem er zum Beispieldie Räumungsmitteilung des Gerichtsvollziehers vorlegt.
Praxishinweis: DiePraxis lehrt, dass viele Schuldner diese Frist nicht einhalten undeinen Räumungsschutzantrag erst kurz vor dem Räumungsterminstellen. Diese Tatsache sollten Sie als Gläubiger nutzen und demVollstreckungsgericht unmissverständlich klarmachen, dass derAntrag bei Fristversäumnis ohne sachliche Prüfung –zwingend Musielak/Lackmann, a.a.O. – zurückzuweisen ist.
Ausnahmsweise kann Antrag auch nach Fristablauf gestellt werden
Nach dem Gesetzeswortlaut ist jedoch –ausnahmsweise – ein verspätet gestellterRäumungsschutzantrag zulässig, wenn
- die Antragsgründe erst nach Ablauf der Zwei-Wochen-Fristentstanden sind. Dies könnte der Fall sein, wenn der Schuldnereinen Mietvertrag abschließt, der kurz nach demRäumungstermin beginnt, oder er schwer erkrankt;
- derSchuldner an einer rechtzeitigen Antragstellung verhindert war, etwawenn ihn der Gerichtsvollzieher verspätet über denbevorstehenden Räumungstermin informiert hat.
Praxishinweis:Hierunter ist nicht der Fall zu verstehen, dass der Schuldner infolgeKrankheit keinen Antrag stellen konnte. Es ist nämlich stets zuprüfen, ob dies bei rechtzeitiger Einschaltung eines Rechtsanwaltsmöglich gewesen wäre Zöller/Stöber, ZPO, 23.Aufl., § 765a Rn. 19. Gläubiger sollten daher unbedingt beiverspäteter Antragstellung prüfen, ob ein Ausnahmefallvorliegt.
§ 765a ZPO kann durch andere Regelungen ausgeschlossen sein
Der Gläubiger sollte wissen, dass einVollstreckungsschutzantrag nach § 765a ZPO grundsätzlich nurzulässig ist, wenn schuldnerische Belange nicht mittels andererrechtlicher Möglichkeiten durchsetzbar sind vgl.Musielak/Lackmann, a.a.O., § 765a Rn. 15. Bei derRäumungsvollstreckung kommen drei Alternativen in Betracht:
- Räumungsfrist-Verfahren durch Prozessgericht
Unter den Voraussetzungen des § 721 ZPO kann das Prozessgericht beiUrteilen nach Interessenabwägung auf Antrag oder von Amts wegen demSchuldner eine angemessene – auch verlängerbare – Räumungsfristgewähren. Die Höchstfrist beträgt maximal ein Jahr. Der Schuldner sollsich rechtzeitig Ersatzwohnraum besorgen können.
Praxishinweis: DieRegelung des § 721 ZPO ist insbesondere im Verfahren nach §765a ZPO bedeutungsvoll: Oft tragen Schuldner vor, sie würdenkeinen Wohnraum finden, obwohl zuvor schon eine Frist nach § 721ZPO gewährt wurde. Die Möglichkeit, dann noch eineVerlängerung über § 765a ZPO zu bekommen, stehenfür den Schuldner äußerst schlecht. Eine Ausnahmedürfte gegebenenfalls bestehen, wenn die Lage auf demWohnungsmarkt katastrophal ist. Dies ist momentan jedoch nicht derFall. Ebenfalls von Bedeutung können sein: Gesundheitszustand,fortgeschrittene Schwangerschaft, familiäre Situation hohe Anzahlvon Kindern, Behinderung, Dauer der Mietzeit vgl. Musielak/Lackman,a.a.O., § 721 Rn. 5 m.w.N..
- Vollstreckung bei Räumungsvergleichen
Soll die Vollstreckung auf Grund eines Prozess- oder Anwaltsvergleichserfolgen, ist § 794a ZPO zu beachten: Hiernach kann nur auf Antrag –gleichfalls nach Interessenabwägung – dem Schuldner vom AG eineangemessene Räumungsfrist bis zu einem Jahr gewährt werden. Der Antragmuss spätestens zwei Wochen vor dem vereinbarten Räumungstermingestellt werden, wobei bei einer Fristversäumnis eine Wiedereinsetzungmöglich ist.
Praxishinweis: Da derSchuldner sich durch einen Vergleich letztlich freiwillig zurRäumung verpflichtet hat, sind strengere Maßstäbeanzusetzen, als dies bei § 721 ZPO der Fall ist. Daher kann eineRäumungsfrist nur gewährt werden, wenn zum Zeitpunkt desVergleichsabschlusses die Umstände, die dazu führen, eineFristverlängerung zu beantragen, nicht vorgelegen habenMusielak/Lackmann, a.a.O., § 794a Rn. 5.
- Widerspruch des Schuldners gegen Wohnraumkündigung
Bevor es zur Räumungsklage und anschließender Vollstreckung durch denGläubiger kommt, sollte er bei einem Antrag nach § 765a ZPO prüfen, obder Schuldner von seinem Widerspruchsrecht nach § 574 BGB Gebrauchgemacht hat. Hiernach kann der Schuldner als Mieter einerWohnraumkündigung seitens des Vermieters als Gläubiger widersprechen,wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für ihn, seine Familie odereinen anderen Angehörigen seines Haushalts eine Härte bedeuten würde,die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermietersnicht zu rechtfertigen ist. Insbesondere wenn angemessenerErsatzwohnraum nicht zu zumutbaren Bedingungen beschafft werden kann,liegt eine solche Härte vor § 574 Abs. 2 BGB. Die Gründe für eineHärte sind in der Regel die, die auch im Rahmen des § 765a ZPO zuprüfen sind.
Praxishinweis: ImRäumungsprozess sind nur Gründe zu berücksichtigen, dieim Kündigungsschreiben genannt wurden § 573 Abs. 3, §574 Abs. 3 BGB. Mit anderen Argumenten kann der Schuldner sich imVollstreckungsverfahren nicht mehr auf § 765a ZPO berufen.Insofern stehen die Präklusion und die Rechtskraft desRäumungsurteils dem Begehren des Schuldners entgegen.
Schuldner kann sich nicht auf Suizidgefahr und Gebrechlichkeit berufen
Viele Gerichte stellen bei Berufen aufaltersbedingte Gebrechlichkeit oder Suizidgefahr die Vollstreckunglieber – dauerhaft – ein, als für den Tod desSchuldners verantwortlich zu sein. Somit ist der Titel häufignutzlos. Aber auch hier gilt: Der titulierte Räumungsanspruch istprinzipiell vorrangig OLG Köln WM 87, 1347; Schneider,JurBüro 94, 321. Dem Gläubiger kann die psychischeVerfassung des Schuldners nicht angelastet werden.
Dürfte der Schuldner dauerhaft in der zuräumenden Wohnung bleiben, würde der Gläubiger letztlichin ein Dauerschuldverhältnis gezwungen und damit Aufgaben derAllgemeinheit übernehmen OLG Düsseldorf NJW-RR 86, 1512; LGBraunschweig DGVZ 91, 187; Walker/Gruß, NJW 96, 352. Deshalbmuss selbst bei Suizidgefahr und Gebrechlichkeit eineInteressenabwägung erfolgen.
Quelle: Vollstreckung effektiv - Ausgabe 09/2002, Seite 130