21.02.2014 · IWW-Abrufnummer 140352
Landgericht Berlin: Urteil vom 25.01.2013 – 23 O 238/11
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landgericht Berlin
Im Namen des Volkes
Urteil
Geschäftsnummer: 23 O 238/11
verkündet am : 25.01.2013
In dem Rechtsstreit XXX
hat die Zivilkammer 23 des Landgerichts Berlin in 10589 Berlin, Tegeler Weg 17 - 21 auf die mündliche Verhandlung vom 12.10.2012 durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht Dr. xxx als Einzelrichter für Recht erkannt:
1. Es wird festgestellt, dass der zwischen den Parteien geschlossene Krankenversicherungsvertrag, Versicherungsnummer KK-▄ fortbesteht und insbesondere nicht durch den Rücktritt und die Kündigung der Beklagten vom 13.4.2010 beendet worden ist.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtlichen Schaden zu ersetzen, den er durch den fehlerhaften Rat zum Wechsel von der ▄ Krankenversicherung AG zur Beklagten erlitten hat.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.023,16 € nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 29.6.2011 zu zahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages zuzüglich 20 % vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
Die Parteien streiten über den Fortbestand eines privaten Krankheitskostenversicherungsvertrages und Schadensersatzansprüche aus Anlass des Wechsels des Klägers von der ▄ Krankenversicherung AG zur Beklagten.
Der am 24.3.1950 geborene Kläger war seit dem 1.11.1992 bei der ▄ Krankenversicherung AG privat krankenversichert.
Mit Rechnungen vom 11.6, 28.6. und 31.7.2007 (Anlage K 14 ) rechnete das “▄” Dres. C▄ u.a. dem Kläger am 4.6., 5.6. (Krankheits- und Befundbericht), 8.6. (Beratung mind. 10 min), 27.6., 28.6. und 11.7.2007 erbrachte Leistungen ab. Als Diagnosen finden sich dort u.a. “Varizen der unteren Extremitäten (…), Atherosklerose der Carotiden, Atherosklerose der Aorta, Ausschluss einer Stenose oder Verschluss der supraaortalen Gefäße, Ausschluss Bacuaortenaneurysma u. Thrombose …”
Mit Rechnung vom 8.1.2008 (Anlage K 14 ) rechneten die Dres. B▄ u.a. dem Kläger am 19.11., 6.12., 10.12. und 13.12.2007 erbrachte ärztliche Leistungen ab. Als Diagnosen sind dort u.a. angegeben “statische Myalgie (…) Gelenkridigitäten beide Hüftgelenke, Aortenskelrose, Elongation”.
Gemäß Nachtrag zum Versicherungsschein vom 10.11.2008 (Anlage K 1) betrug die Prämie bei der ▄ Krankenversicherung AG ab dem 1.1.2009 insges. 529,98 €, wovon auf die Krankheitskostenversicherung 484,92 € entfielen.
Am 2.6.2009 forderte der Kläger aufgrund eines Werbeangebots der “▄ GmbH”, der Gebietsvertretung der Beklagten, ein persönliches Krankenversicherungsangebot an (Anlagen K 2 und K 3).
Am 25.6.2009 beantragte er auf einem Antragsformular der Beklagten eine Private Kranken- und Pflegeversicherung. Das Antragsformular füllte der Mitarbeiter der Beklagten G▄ L▄ aus. Der Kläger beantwortete lediglich die ihm vom Versicherungsvertreter der Beklagten gestellten Fragen.
Unter Nr. 6. des Antragsformulars, “Angaben zum Gesundheitszustand” finden sich die Gesundheitsfragen. Vor den Fragen ist in Fettdruck u.a. der Hinweis abgedruckt:
“… Die Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht kann den Versicherer berechtigen, (je nach Verschulden) vom Vertrag zurückzutreten, ihn zu kündigen oder anzupassen, was unter Umständen zur Leistungsfreiheit des Versicherers (auch für bereits eingetretene Versicherungsfälle) führen – Einzelheiten siehe “Hinweis nach § 19 Absatz 5 …” auf der Antragsrückseite. …”
Die Gesundheitsfragen sind verneint, bis auf die Frage
“Erfolgte in den letzten fünf Jahren eine ambulante oder stationäre Untersuchung (auch Kontrolluntersuchung), Beratung, Behandlung oder Operation?”,
die bejaht ist und ergänzend u.a. mit
“Vorsorgeuntersuchung oB. Hausarzt …”
beantwortet ist.
Wegen weiterer Einzelheiten des Antragsformulars wird auf die Anlage K 4 verwiesen.
Das Formular “Beratungsdokumentation zur Krankenversicherung” lautet auszugsweise:
“I. Gesprächsteilnehmer
(…)
Datum des Gesprächs 25.6.09
II. Anlass des Gesprächs ist die Beratung zum Produkt”
Angekreuzt “ Private Krankenvollversicherung (…)
III. Aktuelle Kundenangaben siehe Antrag
(…)
IV. Beratungsergebnis (Empfehlung und Begründung)
Von den in Betracht kommenden Produkten wird nach den konkreten Angaben/Wünschen des Kunden empfohlen, einen Vertrag über folgende Risiken abzuschließen (…)” sodann sind dort die letztlich vom Kläger beantragten Produkte angekreuzt.
Mit Übersendung des Versicherungsscheins vom 2.7.2009 (Anlage K 5) nahm die Beklagte den Antrag – letztlich in der Fassung des Versicherungsscheins vom 1.2.2010 (Anlage K 11) – mit Versicherungsbeginn am 1.1.2010 an.
Anfang 2010 erlitt der Kläger einen Schlaganfall.
Im Rahmen der Leistungsprüfung erklärte die Beklagte unter dem 13.4.2010 den Rücktritt hilfsweise die Kündigung des Vertrages (Anlage K 12). Zur Begründung führte sie dort aus:
“Mittlerweile haben wir erfahren, dass Sie in der Zeit bis Antragstellung behandelt wurden. Ärztliche Untersuchungen und Behandlungen erfolgten
- vom 19.112007 - 13.12.2007 in der Praxis Dres. B▄/M▄ u.a. wg. Gelenkrigiditäten beide Hüftgelenke und Aortensklerose
- vom 04.06.2007 - 11.07.2007 im ▄ Dres. C▄i/S▄ wegen Varizen der unteren Extremitäten, Atherosklerose der Carotiden, Atherosklerose der Aorta sowie Stamm- u. Perforansvarikosis. (…)”.
Der Kläger meint im Wesentlichen:
Ein Rücktritts- und Kündigungsrecht stünden der Beklagten mangels ordnungsgemäßer Belehrung nach § 19 Abs. 5 S. 1 VVG nicht zu. Erforderlich dafür sei ein Extrablatt, an dem es fehle. Jedenfalls sei der Kurzhinweis vor den Gesundheitsfragen nicht vollständig und der eigentliche Hinweis auf der Rückseite nicht hinreichend hervorgehoben.
Im Übrigen habe die Beklagte die Informationen, auf die sie sich stützt, unter Verstoß gegen § 213 VVG erlangt, da die Schweigepflichtentbindungserklärung (Anlage K 14) zu pauschal sei.
Der Kläger beantragt mit seiner am 28.6.2011 der Beklagten zugestellten Klage,
1. festzustellen, dass der zwischen ihnen geschlossene Krankenversicherungsvertrag, Versicherungsnummer KK-▄ fortbesteht und insbesondere nicht durch den Rücktritt und die Kündigung der Beklagten vom 13.4.2010 aufgehoben worden ist,
2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtlichen Schaden zu ersetzen, den er durch den fehlerhaften Rat zum Wechsel von der ▄ Krankenversicherung AG zur Beklagten erlitten hat,
3. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.023,16 € nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte behauptet insbesondere:
Der Kläger habe gegenüber dem Vermittler L▄ nur angegeben, was im Antrag steht. Die Verödung der Varizen sei nicht angegeben worden; es sei vom Vermittler L▄ dazu auch nicht erklärt worden, alte Kamellen interessierten nicht.
Bei Kenntnis der Arteriosklerose wäre der Antrag nicht angenommen worden; auf die hierzu eingereichten Anlage B 2 und 3 wird verwiesen. Auch die Gelenkrigidität und Varizen seien für die Entscheidung über den Vertragsschluss von Bedeutung.
Über den Verlust der Alterungsrückstellung sei gesprochen worden
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet.
Der Kläger kann von der Beklagten die begehrten Feststellungen verlangen: Die Feststellung des Fortbestandes des zwischen den Parteien wirksam geschlossenen Krankenversicherungsvertrages zur Versicherungsnummer KK-▄ war auszusprechen, da weder ein wirksamer Rücktritt noch eine (hilfsweise erklärte) wirksame Kündigung vorliegen (1.). Dem Kläger steht gegen die Beklagte auch ein Schadensersatzanspruch wegen nicht ordnungsgemäßer Beratung nach § 6 Abs. 1, 5 VVG zu (2.).
1. Der von der Beklagten mit Schreiben vom 13.4.2010 erklärte Rücktritt und die hilfsweise erklärte Kündigung des Krankenversicherungsvertrages sind nicht wirksam. Der Beklagten stehen weder ein Rücktritts- noch ein Kündigungsrecht § 19 Abs. 2, 3 VVG zu. Der Kläger hat die vorvertragliche Anzeigepflicht nicht verletzt. Der Versicherer kann nach § 19 Abs. 2, 3 VVG nur vom Vertrag zurücktreten oder ihn kündigen, wenn der (zukünftige) Versicherungsnehmer seine vorvertragliche Anzeigepflicht nach § 19 Abs. 1 VVG verletzt hat. Eine vorvertragliche Anzeigepflicht des Klägers bestand aber nicht.
Nach § 19 Abs. 1 S. 1 VVG trifft den Versicherungsnehmer eine vorvertragliche Anzeigepflicht u. a. nur, wenn und soweit der Versicherer ihn “in Textform gefragt hat”. Entsprechend der gesetzlichen Definition in § 126b BGB ist der Textform Genüge getan, wenn die Fragen dem Versicherungsnehmer in einer zur dauerhaften Wiedergabe in Schriftzeichen geeigneten Weise gestellt werden (so zu Recht Langheid in Römer/Langheid, VVG, 3. Aufl. 2012, § 19 VVG, Rn. 56). Textform erfordert damit dass der (zukünftige) Versicherungsnehmer die Fragen verkörpert vor Augen hat, sie also ggf. mitlesen kann, unabhängig davon, ob er sie auch tatsächlich mitliest. Dieses Verständnis entspricht nicht nur dem klaren Wortlaut der gesetzlichen Regelung, der von Fragen in Textform spricht, sondern auch deren Sinn und Zweck. Das Erfordernis der Textform soll der Rechtssicherheit dienen (BT-Drs. 16/3945, S. 64). Hat der Versicherungsnehmer die Fragen des Versicherers vor sich, kann er sehen, was dieser wissen will und ob es ggf. mit dem übereinstimmt, was der Versicherungsvertreter ihn fragt. Damit wird gerade bei der in der Praxis typischen Antragssituation, in der der Versicherungsvertreter die Fragen stellt bzw. vorliest, dem zukünftigen Versicherungsnehmer die Möglichkeit gegeben zu überprüfen, ob ihm die Fragen vollständig und richtig gestellt werden und damit für ihn Rechtssicherheit geschaffen. Das bloße Vorlesen der Antragsfragen durch den Versicherungsvertreter, ohne dass der Versicherungsnehmer die praktische Möglichkeit hat, dabei selbst die Fragen zu sehen, genügt daher dem Textformerfordernis nicht (so auch Marlow in Marlow/Spuhl, Das neue VVG kompakt, 4. Aufl. 2010, Rn. 159; a.A. z.B. Knappmann in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechtshanddbuch, 2. Aufl. 2009, § 14, Rn. 20, der es beim Vorlesen der Fragen genügen lässt, wenn dieses einer sorgsamen nicht unter Zeitdruck stehenden und gegebenenfalls durch klärende Rückfragen ergänzten Lektüre des Fragentextes gleichzusetzen ist; Schimikowski in Rüffer/Halbach/Schimikowski, 2. Aufl. 2011, § 19 VVG, Rn. 11 mwN., dem es ausreicht, wenn dem Versicherungsnehmer nach dem Ausfüllen des Antrages eine Kopie des Antragsformulars ausgehändigt wird, das den Fragenkatalog enthält, und er gleichzeitig aufgefordert wird, sich die Fragen und Antworten sorgfältig durchzulesen und ggf Angaben zu korrigieren; nach Langheid in MünchKomm VVG, 1. Aufl. 2010, § 19 Rn. 67 und ders. in Römer/Langheid aaO., § 19 VVG, Rn. 57 soll das bloße Vorlesen aus einem Notebook genügen). Etwa die nachträgliche Überlassung des ausgefüllten Fragebogens genügt demnach grundsätzlich nicht, da die Fragen zu dieser Zeit aus der Sicht des Versicherungsnehmers nicht mehr gestellt, sondern schon beantwortet sind.
Die Beklagte hat sich trotz gerichtlichen Hinweises vom 15.6.2011, dass sie u.a. dazu vortragen müsse, dass der Kläger in Textform gefragt worden ist, allein darauf beschränkt, vorzubringen, ihr Versicherungsvertreter habe den Antrag aufgenommen. Danach bleibt aber völlig offen, ob der Kläger die Fragen bei der Antragsaufnahme vor Augen hatte. Nach den Ausführungen des Klägers, er habe lediglich die ihm vom Versicherungsvertreter der Beklagten gestellten Fragen beantwortet, wäre es zur Erfüllung des Textformerfordernisses zumindest notwendig gewesen, dass er im Zeitpunkt der Fragestellung die Möglichkeit hatte, die verkörpert vorhandenen Fragen zu sehen. Dazu fehlt es aber jeglichem Vorbringen. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass in Textform gefragt worden ist, trifft den Versicherer, der für die Verletzung der Anzeigepflicht die Beweislast trägt (§ 69 Abs. 3 S. 2 VVG). Dieser Darlegungslast hat die Beklagte nicht erfüllt.
Damit kam es auf weiteres nicht mehr an; insbesondere auch nicht darauf, dass damit zugleich keine ordnungsgemäße Belehrung im Zeitpunkt der Fragen iSv. § 19 Abs. 5 S. 1 VVG vorlag.
2. Dem Kläger steht daneben gegen die Beklagte ein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der Beratungspflicht nach § 6 Abs. 1, 5 VVG zu.
a) Die Beklagte hat ihre Beratungspflicht verletzt.
Die Beklagte hatte Anlass den Kläger - durch ihren Versicherungsvertreter - zu beraten. Die Umdeckung einer langjährig bestehenden privaten Krankenversicherung eines älteren Versicherungsnehmers begründet wegen der Aufgabe des bestehenden Versicherungsschutzes Beratungsanlass. Die Beklagte hätte den Kläger in jedem Fall darüber beraten müssen, dass der Wechsel zum vollständigen Verlust der beim bisherigen Versicherer aufgebauten sog. Altersrückstellungen führt, da die Voraussetzungen von § 204 Abs. 1 Nr. 2 VVG nicht gegeben sind, und zur Konsequenz hat, dass bei ihr als neuem Versicherer – mangels Altersrückstellungen - die Prämien wegen des Alters deutlich schneller und höher steigen können als beim alten Versicherer.
Dass eine solche Beratung erfolgt ist, trägt die Beklagte selbst nicht vor. Allein dass Über den Verlust der Alterungsrückstellung sei gesprochen worden, genügt schon im Ansatz für die Darlegung einer ordnungsgemäßen Beratung nicht.
b) Von der Verschuldensvermutung des § 6 Abs. 5 S. 2 VVG hat sie sich nicht entlastet.
c) Für den Kläger streitet die Vermutung beratungsrichtigen Verhaltens. Danach ist zu vermuten, dass bei ordnungsgemäßer Beratung seinen Krankenversicherungsvertrag bei der ▄ Krankenversicherungs AG nicht gekündigt hätte.
d) Er ist daher von der Beklagten so zu stellen, wie er stünde, wenn der Krankenversicherungsvertrag bei der ▄ Krankenversicherungs AG fortbestehen würde (§ 249 Abs. 1 BGB). Da der Beklagten eine Naturalrestitution nicht möglich ist, kommt eine Entschädigung in Geld in Betracht (§ 251 Abs. 1 BGB). Nach Maßgabe der vom Kläger zitierten Entscheidung des BGH v. 11.5.2006, III ZR 228/05, VersR 2006, 1072 besteht sein Schaden in einer etwaigen Prämiendifferenz zwischen den von ihm jetzt gezahlten Prämien und den an seinen alten Versicherer sonst zu leistenden Beiträgen. Da sich dieser erst zukünftig beziffern lässt, ist der von ihm beschrittene Weg der Feststellungsklage auch zulässig.
Dem Kläger steht ein Anspruch auf Ersatz der geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten iHv. 1.23,16 € nach § 280 BGB zu.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1, 2 ZPO.