· Kündigungsrecht
#MeToo & Co. ‒ sexuelle Belästigung: Eine Gesellschaftsdebatte erreicht Arbeitgeber
von Hannah Berse, IWW Institut
| Mit dem Sex-Skandal um Hollywood-Produzent Harvey Weinstein kam ein Stein ins Rollen, der eine Lawine ausgelöst hat: Bei Twitter subsumieren sich seit Wochen unter #MeToo zahlreiche Offenbarungen von Frauen, die auch am Arbeitsplatz sexuell belästigt wurden. CE Chef easy fasst zusammen, wie Sie Belästigungs-Beschwerden managen. |
Was zählt als sexuelle Belästigung?
Was auf Twitter unter #MeToo derzeit stattfindet, sorgt bei manchen für Entsetzen, andere sind verunsichert, manche schütteln nur mit dem Kopf. In jedem Fall sorgt diese Gesellschaftsdebatte für Verwirrung. Hier der Link zur Twitter-Seite ‒ mit dem die Diskussion ihren Anfang nahm ...
If you’ve been sexually harassed or assaulted write ‘me too’ as a reply to this tweet. pic.twitter.com/k2oeCiUf9n
— Alyssa Milano (@Alyssa_Milano) 15. Oktober 2017
Doch was ist am Arbeitsplatz erlaubt, ist ein Flirt bereits eine Unverschämtheit? Das Gesetz gibt Orientierung, aber die individuelle Grenze kann nur zwischenmenschlich gezogen werden.
Im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (§ 3 Abs. 4 AGG) zählen zur sexuellen Belästigung
- unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen,
- sexuell bestimmte körperliche Berührungen,
- Bemerkungen sexuellen Inhalts und
- Unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen.
Als Geschäftsführer haben Sie die Schutzpflicht
§ 12 Abs. 1 AGG schreibt vor, dass Sie Ihre Mitarbeiter vor sexueller Belästigung in Ihrem Unternehmen schützen müssen. Daher ist es sinnvoll, den Sachverhalt so schnell wie möglich zu klären. Suchen Sie dafür am besten das persönliche Gespräch, sowohl mit der belästigten als auch mit der belästigenden Person. Nur so stellen Sie sicher, dass nicht bei jeder obszönen Bemerkung der Gang zum Gericht angesteuert wird.
Hinweis | Sexuelle Belästigung gilt als Störung des Betriebsfriedens. Der Arbeitnehmer verstößt damit gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten. Die Belästigung muss zudem in Verbindung mit der Arbeit stehen ‒ und dazu zählen auch Betriebsreisen und -feiern.
Die Arbeitnehmervertreter haben das Thema natürlich auch auf dem Zettel. Handeln Sie daher, bevor die Mitarbeiter zur Gewerkschaft oder dem Betriebsrat rennen! Laden Sie Personen, die sich in der Opfer-Rolle fühlen, schnell zum persönlichen Gespräch ein. Seien Sie hoch seriös ‒ repräsentieren Sie mit menschlichem Interesse die Haltung Ihres Unternehmens.
Arbeitshilfe / Vertrauliches Gespräch mit betroffener Person |
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Sie kennen nun die eine Seite der Medaille. Widmen Sie sich jetzt der anderen Seite: dem Beschuldigten. Auch hier hilft ein vertrauensvolles Gespräch.
Arbeitshilfe / Vertrauliches Gespräch mit beschuldigter Person |
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Das Ergebnis ist der beschwerdeführenden Person innerhalb von zwei Wochen mitzuteilen und ‒ zumindest bei einer Zurückweisung der Beschwerde ‒ zu begründen.
Dokumentieren Sie alle Vorgänge. Die Beschwerde sollte getrennt von den Personalakten aufbewahrt werden.
Rechte des betroffenen Mitarbeiters
Der belästigte Arbeitnehmer hat das Recht zur Leistungsverweigerung (§ 14 AGG). Er kann seine Tätigkeit ohne Verlust des Arbeitsentgelts einstellen, wenn dies zu seinem eigenen Schutz notwendig ist.
Hinweis | Handeln Sie immer unverzüglich, sobald Sie Kenntnis von dem Vorgang erhalten. Sie verlieren sonst nicht nur den Arbeitnehmer, es kann auch teuer für Sie werden. Denn je nach Schwere des Vorfalls, hat die belästigte Person Ansprüche auf Schadensersatz (§ 15 Abs. 1 AGG) und Schmerzensgeld (§ 15 Abs. 2 Satz 1 AGG).
Wann ist die Kündigung eine Option?
Es gibt keine pauschalen Richtlinien dafür, wann Kündigungen bei sexueller Belästigung angebracht sind. Bei harmlosen Fällen reicht oft eine Abmahnung oder eine Versetzung, um das Verhalten der Person zu ändern.
Wenn Sie das Vertrauen des Beschwerdeführers wahren wollen, ziehen Sie eine Kündigung in Betracht. Selbst fristlose Kündigungen können gerechtfertigt sein ‒ zum Beispiel bei wiederholten Belästigungen oder schwerwiegendem Fehlverhalten.
TIPP | Auch lange zurückliegende Vorfälle können bestraft werden. Öffnet sich einer Ihrer Mitarbeiter erst nach einigen Monaten oder auch Jahren, dann gilt die zweiwöchige Kündigungsfrist erst ab dem Zeitpunkt, an dem Sie von dem Vorfall erfahren.
Doch nicht jede ausgesprochene Kündigung ist gerechtfertigt, wie das Fallbeispiel zeigt.
Fallbeispiel
Ein Kfz-Mechaniker trifft in einem der Sozialräume eine Mitarbeiterin eines externen Reinigungsunternehmens. Sie unterhalten sich, währenddessen macht er ihr Komplimente zu ihrer Oberweite und berührt sie anschließend. Die Reinigungskraft teilt ihm mit, dass sie dies nicht wünsche, und er lässt sofort von ihr ab. Der Arbeitgeber kündigt seinem Mitarbeiter, der eine Kündigungsschutzklage einreicht. Das LAG gibt ihm Recht.
Die Entscheidungsgründe
Der Arbeitnehmer habe sich nach dem Vorfall ausdrücklich entschuldigt und erklärt, dass es sich dabei um einen einmaligen „Ausrutscher“ gehandelt habe. Er habe klargestellt, dass ihm diese Tat wesensfremd sei und er in diesem Moment die Kontrolle über sich verloren habe. Außerdem habe er sich bei der Reinigungskraft entschuldigt und ihr freiwillig Schmerzensgeld gezahlt.
Die Kündigung wurde als unwirksam erklärt (Bundesarbeitsgericht, Urteil v. 20.11.2014 Az. 2 AZR 651/13).
Prävention: Verhindern Sie sexuelle Belästigung!
Um sexuelle Belästigung zu unterbinden, eignen sich folgende Maßnahmen:
- Beschwerdestelle: Jedes Unternehmen ist in der Pflicht, eine Beschwerdestelle einzurichten (§12 Abs. 5 Satz 1 AGG). Die Beschwerdestelle hat jeder Beschwerde nachzukommen und sie Ihnen mitzuteilen.
TIPPS |
- Soweit Sie keine Beschwerdestelle im Unternehmen haben, könnten Sie von Betriebsräten oder Gewerkschaftern gefordert sein, dem nachzukommen. Verweigern Sie das nicht! Das AGG schreibt die Bestimmung einer Beschwerdestelle vor. Auch Sie können persönlich die Beschwerdestelle sein.
- Der Kollege, der die Beschwerdestelle führt, sollte geschult sein. Wenn es ein Gewerkschafter ist, kann er sich dort auch ausbilden lassen. Das spart Ihnen die Arbeit. Am Ende sind Sie als Arbeitgeber immer der Entscheider. Lassen Sie sich in jedem Einzelfall vollständig informieren!
- Laut Maßregelungsverbot (§ 612a BGB) dürfen Sie keinen Mitarbeiter, der sich beschwert, nachteilig behandeln. Das bedeutet: Auch Kollegen, die mit jeder Kleinigkeit zur Beschwerdestelle rennen, dürfen Sie nicht benachteiligen.
- Betriebsvereinbarung: Viele Mitarbeiter wissen nicht, wo die Grenze zu ziehen ist. Den Inhalt einer Betriebsvereinbarung können Sie mit den Arbeitnehmervertretern abstimmen ‒ und Saktionen definieren.
Kommunizieren Sie alle Maßnahmen: Gehen Sie mit gutem Beispiel voran und ermutigen Sie Ihre Mitarbeiter, Ihnen Vertrauen zu schenken.
Übrigens: 81 Prozent der Beschäftigten wissen nicht, dass ihr Arbeitgeber verpflichtet ist, sie aktiv vor sexueller Belästigung zu schützen. 70 Prozent kennen keine präsente Ansprechperson in ihrem Unternehmen. Nur jeder Zehnte erwähnt die Existenz einer Vereinbarung bzw. eines Leitbildes. Das ergab eine repräsentative Befragung zum Thema sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz der Antidiskrimierungsstelle des Bundes aus dem Jahr 2014 mit 1.000 Befragten.
Weiterführende Hinweise
- PDF-Download: Broschüre der Antidiskriminierungsstelle ‒ Abruf-Nr. 45042627
- RTF-Download: Muster für „Aufhebungsvertrag“ Abruf-Nr. 44972053
- RTF-Download: Muster für „Abwicklungsvertrag“ Abruf-Nr. 44972055