· Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
Arbeitgeberkündigung: Anscheinsbeweis der für die Dauer der Kündigungsfrist ausgestellten AU ist in der Regel nicht erschüttert
| In der Regel ist der Anscheinsbeweis einer AU für die Dauer der Kündigungsfrist bei einer Arbeitgeberkündigung nicht erschüttert. |
Das folgt aus einer Entscheidung des LAG Niedersachsen. In dem zugrunde liegenden Fall stritten die Parteien über Entgeltfortzahlungsansprüche aus dem beendeten Arbeitsverhältnis.
Der Kläger war vom 16.3.21 bis 31.5.22 Arbeitnehmer der Beklagten, die ihn zuletzt am 21.4.22 beschäftigte. Er meldete sich am 2.5.22 krank und legte nachfolgende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen seines behandelnden Arztes für den Zeitraum ab dem 2.5.22 bis zum 31.5.22 mit unterschiedlichen Diagnosen vor. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 2.5.22, dem Kläger zugegangen am 3.5.22, ordentlich zum 31.5.22. Wegen der Koinzidenz der Krankschreibung und der Kündigung verweigerte sie die Entgeltfortzahlung.
Das Arbeitsgericht Hildesheim gab der Klage mit Urteil vom 26.10.22 (2 Ca 190/22) mit der Begründung statt, dass der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht durch die Arbeitgeberin erschüttert worden sei.
Die hiergegen eingelegte Berufung der Arbeitgeberin beim LAG Niedersachsen blieb erfolglos. Dieses führte in seinem Urteil aus: Der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung könne auch dadurch erschüttert werden, dass der Arbeitnehmer sich im Falle des Erhalts einer arbeitgeberseitigen Kündigung unmittelbar zeitlich nachfolgend ‒ „postwendend“ ‒ krankmeldet bzw. eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung einreicht. Dies gelte insbesondere, wenn lückenlos der gesamte Zeitraum der Kündigungsfrist ‒ auch durch mehrere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ‒ abgedeckt werde. Melde sich zunächst der Arbeitnehmer krank und erhalte er erst sodann eine arbeitgeberseitige Kündigung, fehle es an dem für die Erschütterung des Beweiswertes der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung notwendigen Kausalzusammenhang. Allein die Tatsache, dass ein Arbeitnehmer bis zur Beendigung eines Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig krankgeschrieben ist, am unmittelbar darauffolgenden Tag gesundet und bei einem anderen Arbeitgeber zu arbeiten beginnt, erschüttert in der Regel ohne Hinzutreten weiterer Umstände den Beweiswert von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nicht.
Die zugelassene Revision ist derzeit beim BAG zum Aktenzeichen 5 AZR 137/23 anhängig.
Quelle | LAG Niedersachsen, Urteil vom 8.3.23, 8 Sa 859/22