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· Personalmanagement | Industrie 4.0

Partizipation, Collaborative work, Netzwerk und Kultur ‒ Führungsmodelle in der Digitalisierung

Bild: © Alexander Limbach - stock.adobe.com

von Raschid Bouabba, MBA, Unternehmensberatung, Berlin

| 15 Mio. Arbeitsplätze hängen in Deutschland an der produzierenden Wirtschaft. Nach der Digitalisierung der Kommunikation wird nun auch die Wirtschaft digital: Industrie 4.0 ist in aller Munde. CE Chef easy liefert einen Grundlagenbeitrag und skizziert die Zukunft des Personalmanagements „4.0“. Denn auch die Arbeitnehmer stehen im digitalen Wandel. Die betriebliche Investition ist eine Herausforderung ‒ die verantwortungsvolle und neu gedachte Personalentwicklung eine andere. |

Das steckt hinter der Digitalisierung

Die Kurz-Übersicht soll ihnen den Pragmatismus verleihen, sich der Thematik zu öffnen: Es muss ja in Ihrem Umfeld nicht gleich in Science Fiction ausarten:

 

  • Die Digitalisierung der Wirtschaft
Industrie 4.0
Personalmanagement 4.0
  • Individualisierung der Produkte
  • Enge Bindung zwischen Kunden und Lieferanten
  • Intelligente Monitoring- und Entscheidungsprozesse
  • Optimierung in Produktion und Logistik
  • Weniger Planen ‒ Chancen nutzen
  • Kollaboratives Arbeiten im Netzwerk
  • Partizipative Führungskultur
  • Flexible Arbeitsmodelle
 

Industrie 4.0 ‒ Digitalisierung ist keine Science Fiction

Das Schlagwort Industrie 4.0 skizziert diese Entwicklung:

  • Kommunikation von Produkten und Produktionsanlagen
  • Reparaturen/Services werden von den Produkten selbst veranlasst
  • Vernetzung von Mensch, Maschine und Fertigungsprozess
  • Produktion ist immer auch digitale Information und Kommunikation
  • Künstliche Intelligenz löst Regelprozesse selbstständig

 

Technologisches Ziel

Industrie 4.0 bestimmt die gesamte Lebensphase eines Produktes: von der Idee über die Entwicklung, Fertigung, Nutzung und Wartung bis hin zum Recycling.

 

Beachten Sie | Welche Schritte Sie in Richtung Science-Fiction-Fabrik in welchem Tempo vollziehen, bestimmen Sie, Ihre Branche und Ihr Wettbewerbsumfeld.

 

TIPP | Kennen Sie das Potenzial für Ihr Unternehmen von Industrie 4.0? Welche betrieblichen Veränderungen werden ausgelöst? Antworten hierauf gibt der kostenfreie Praxis-Check „Potenzialanalyse Arbeit 4.0“ auf der Internetseite der „Offensive Mittelstand ‒ Gut für Deutschland“.

 

CE Chef easy fokussiert nachfolgend das Personalmanagement 4.0. Die idealisierte Vorstellung soll Ihnen Optionen aufzeigen, in welchen Schritten Sie welche Zukunfts-Maßnahmen etablieren können. Dabei liegt die Betonung auf den Chancen.

Personalmanagement 4.0 ‒ ein großes Handlungsfeld

Den Mutigen gehört die Zukunft. Der Mitarbeiter von morgen denkt in Chancen ‒ er agiert offen, probiert Dinge aus, bricht Regeln, macht Fehler und lernt daraus.

 

Diese Kernkompetenzen werden ‒ so schätzen Experten ‒ bereits 2025 in höchstem Maße nachgefragt:

 

Fahigkeit 1: Rollenflexibilität (Führungskraft, Mentor, Coach, Experte, Berater, Kollege ...)

Gefragte Eigenschaften sind Hierarchieunabhängigkeit, partizipatives Verhalten und die Fähigkeit, vernetzt arbeiten zu können.

 

Anforderungen an Business Development und Fehlermanagement:

  • Mitarbeiter sollen Entscheidungen auch revidieren dürfen.
  • Fehler werden als Hilfe zum Erreichen des idealen Ergebnisses betrachtet.
  • In der Korrektur stecken Entwicklungschancen für die Organisation.
  • Fehler können den Lernprozess verstärken.

 

Fähigkeit 2: Informationsmanagement (Wissen allein ist nicht relevant)

  • Mitarbeiter müssen Informationen filtern, strukturieren, systematisieren.
  • Es geht um die Wertschöpfung von anwendungsbereitem Wissen und des effizienten und effektiven Einsatzes von Wissen.

Handlungsfelder

 

Die Kurz-Übersicht macht den Handlungsbedarf überschaubar. Die individuellen Anforderungen werden im Anschluss als Optimum skizziert:

 

  • Handlungsfelder
Personalführung
Innovation
Kultur
Flexibilität
  • Partizipation schaffen (Verantwortung teilen)
  • Vertrauen haben
  • Collaborative work
  • Mitunternehmertum
  • informelles Lernen
  • Eigenverantwortung Veränderungsprozess Arbeiten im Netzwerk
  • Arbeitsort
  • Arbeitszeit
  • Arbeitsaufgabe

Faire und verlässliche Arbeitsbedingungen

 

Führung 4.0 schafft Partizipation

Das Top-Management muss Partizipation initiieren, kommunizieren und vorleben.

 

Verantwortung teilen / Vertrauen schenken

  • Das Erfolgskonzept von morgen ist das Denken im „Wir“. Die Führungskraft fordert aktiv alternative Meinungen ein, nutzt sie und setzt dabei auf Wertschätzung.
  • Führungskräfte erwarten, dass andere das gleiche Grundverständnis haben. Als Chef müssen Sie Ihren Mitarbeitern dabei einen Vertrauensvorschuss schenken ‒ in die Fähigkeiten, Kompetenzen und Loyalität.
  • Gleichzeitig muss der einzelne Mitarbeiter dem Vertrauen und der Verantwortung durch sein tägliches Denken und Handeln gerecht werden.

 

Partizipation braucht Spielregeln

Machen Sie es sich nicht so schwer: Erarbeiten Sie solche Spielregeln auch partizipativ! „Welche Spielregeln brauchen wir, um gemeinsam effektiv arbeiten zu können und Entscheidungen treffen zu können? Wie sehen sie aus?“

 

  • Modell „Kultur des lösungsorientierten Scheiterns“

Mutige Mitarbeiter geben Einblick in ihre „bad practices“ und werden dafür wertgeschätzt.

 

Beispiel: In Berlin existiert eine Plattform, auf der junge Startup-Unternehmer über Ihre Misserfolge berichten. Entscheidungen werden auf diese Weise so dezentral wie möglich getroffen.

 

  • Manager fungieren nicht mehr als Alleinentscheider, sondern als Moderatoren des Entscheidungsprozesses.
  • Die Expertise liegt im Kollektiv, in und außerhalb der Organisation und damit im Netzwerk und sie soll zur Entscheidungsfindung genutzt werden.

 

Gefahr: Dieses Vorgehen kann zu Konfliktsituationen mit der „alten“ Generation führen, für die Partizipation und Vernetzung keine Selbstverständlichkeit sind.

 

Aufgabe für das Personalmanagement: Sie müssen Ihre Kollegen auf dem Weg zum partizipativen Unternehmen begleiten und dabei vermutlich „an die Hand nehmen“.

 

Herausforderung: Um das Ziel zu erreichen, sind flexible Karriereperspektiven und gestalterische Freiräume zu schaffen ‒ und das unabhängig von festen Berufsbildern!

 

Innovation 4.0 (Collaborative work)

Innovation entsteht zunehmend durch Kollaboration (Collaborative work). Verschiedene Perspektiven werden in Betracht gezogen:

 

Interdisziplinäres Arbeiten: Herrschaftswissen wird aufgegeben

Informationstransparenz ist dabei Grundlage von Entscheidungen. Ziel ist, dass sich der einzelne Mitarbeiter mit seinen Aufgaben nachvollziehbar identifiziert.

 

Das Unternehmen wird intelligenter

Die Gesamtheit des impliziten Wissens, die Gesamtheit der Fähigkeiten / Erfahrungen und die Gesamtheit der Beziehungen im Netzwerk werden für das Unternehmen nutzbar. Durch die Vernetzung werden informelle Lernprozesse angestoßen. Eine Kernkompetenz im Jahr 2025 wird „Veränderungsleidenschaft“ sein, um Spaß daran zu haben mit der immer schneller werdenden technologischen Entwicklung mitzumachen und sich immer wieder wechselnden Themen und unterschiedlichen Perspektiven (Generalist vs. Spezialist) zu stellen!

Kultur 4.0 (Teamarbeit im Netzwerk)

Treten Sie raus aus der Komfortzone! Anerkennung entsteht durch Transparenz und Selbstverantwortung.

 

Unternehmenssteuerung: Schaffen von Möglichkeiten statt Kontrolle

Mitarbeiter sind nach innen wie nach außen vernetzt. Förden Sie Unternehmereigenschaften: Sie sind der Wissenstreiber, Netzwerker, Coach und Motivator.

 

Team-Spirit und Teamerfolge sind neue Werte

Eine Teamkultur, die Sicherheit bietet, ermöglicht offene Kommunikation und offenen Umgang mit Fehlern. So können positive Veränderungen entstehen. Führungsleistung und Ergebnisse werden im Kollektiv gemessen und honoriert. Die Motivation der Führungskraft ist nicht Status und Geld, sondern „Spaß am Führen“.

 

Kein Hierarchie: Führung erfolgt durch Erfahrung und Kompetenz

Mitarbeiter können unterschiedliche Rollen einnehmen, je nach Ziel und Projektstatus. Die Unternehmenskultur der Zukunft erfordert gegenseitiges Informations- und Knowledge-sharing über alle Unternehmensebenen.

 

Weil das Unternehmen auf Kommunikationsmedien und Plattformen setzt, ist der Austausch der Mitglieder unabhängig von Standort und Zeit möglich. Dabei wird verstecktes Know-how und Talent in der Firma sichtbar.

 

Kollaborative / partizipative Arbeitsformen lassen Schwächen zu

Die Arbeit in Netzwerken und die Integration in eine Peer Group bieten für Situationen der Unklarheit Halt. Visionen und Ziele geben Orientierung ‒ und werden über partizipative Prozesse jederzeit anpassbar.

 

Mitarbeiter agieren als Mitunternehmer

Idealerweise besitzen Mitarbeiter Unternehmensanteile und werden so am Erfolg beteiligt. So erwächst Gestaltungswille der die Unternehmensstrategie beeinflusst.

 

Mitarbeiter sind der entscheidende Recruiting-Kanal

Im Idealzustand vereint die Unternehmenskultur private und berufliche Interessen aller Mitarbeiter. Durch die Vernetzung nach außen werden Ihre Mitarbeiter Botschafter, Gestalter und Multiplikatoren für Ihr Unternehmen.

 

Transparenz und Geschwindigkeit der Netzwerkkommunikation sind KPIs.

Die veränderte Selbstorganisationskompetenz liefert eine auf die Anforderung von Home-Office angepasste Fähigkeit zur Priorisierung von Zielen, Aufgaben und Abläufen.

Flexibilität 4.0

Flexibilität bedeutet flache Organisationsstrukturen, arbeiten auf Augenhöhe, Freiraum für mentale Flexibilität und deren Akzeptanz sowie Freiraum für die Selbstbestimmung vom Arbeitsort und Zeit (Home-office).

 

Für ein partizipatives und vernetztes Arbeiten ist es notwendig, dass die Sicherheit des Arbeitsplatzes gewährleistet ist, die Visionen allen Mitarbeitern bewusst sind sowie eine Kultur gegenseitigen Vertrauens gelebt wird. Die Sicherheit und Struktur darf die Flexibilität nicht einschränken, gleichzeitig darf die Flexibilität die Sicherheit und Struktur nicht aushebeln. Entscheidungen und Entscheidungswege müssen nachvollziehbar und transparent sein, Funktionen und Hierarchien verlieren an Bedeutung und werden sukzessive ersetzt durch Aufgabenorientierung und in interdisziplinäre Projekte eingebunden.

 

Es wird ein Freiraum benötigt, der von Vertrauen geprägt ist und Führen auf Augenhöhe ermöglicht. Der Entscheidungsprozess ist transparent für die Mitglieder der Organisation. Informationen über Vision und Unternehmensstrategie werden verständlich übermittelt, um Partizipation in konkreten Entscheidungssituationen zu gestalten.

 

Als Führungskraft führen Sie einen kontinuierlichen Dialog mit Mitarbeitern, als Coach, Mitarbeiterentwickler, Feedback-Geber und Motivator. Entscheidungen werden im Konsens getroffen statt als Kompromiss. Das erfordert das Aufgeben von Positionen zugunsten der Bedürfnisse.

Herausforderungen an die Arbeitswelt

Die Arbeitswelt wird sich durch Industrie 4.0 und die zunehmende Digitalisierung der Wirtschaft deutlich verändern. Die Kommunikation in den Fabriken der Zukunft verläuft naht- und drahtlos und ermöglicht eine effizientere Interaktion zwischen Beschäftigten und intelligenten Produktionsmaschinen.

 

Diese Entwicklung eröffnet Chancen für eine Neuorganisation der Arbeit, zum Beispiel für gesundheitsfreundlich gestaltete Arbeitsorte sowie flexiblere und familienfreundliche Arbeitszeitregelungen. Gleichzeitig gilt es Standards, beispielsweise in der Aus- und Weiterbildung, zu prüfen und sie an neue Anforderungen anzupassen.

 

FAZIT | Industrie 4.0 kann den Beschäftigten neue Gestaltungspielräume eröffnen und erfordert gut ausgebildete Fachkräfte mit entsprechenden Qualifikationen.

 

Die Darstellung dieser idealisierten Wirklichkeit eines Miteinanders darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Sie als Chef eben auch mit Unzulänglichkeiten, Unverantwortlichkeiten und schädlichem Mitarbeiterverhalten konfrontiert werden. Wenn Sie einerseits Vertrauensvorschuss geben, werden Sie aus dem Team ein Feedback bekommen. Wenn Fehlverhalten stattfindet, zieht das psychologisch ganz andere Kreise. Vergessen Sie daher nie den Faktor Mensch, der auch Verhaltensweisen wie Missgunst, Neid, Mobbing und Intransparenz entwickeln kann. Wäre es nicht so, stünde der Wandel für ein geradezu kommunistisches Weltbild, getreu dem Motto: „Jeder nach seinen Fähigkeiten und jedem nach seinen Bedürfnissen.“ Damit wäre wohl zu viel versprochen.

 
  • Industrieentwicklung: Die 4 Stufen zur Digitalisierung der Wirtschaft

Industrie 1.0 (entstehende Produktion)

  • beginnende Industriegesellschaft, erste Organisation von Arbeitern.
  • Mit der Einführung der Dampfmaschine und mechanischer Produktionsanlagen veränderten sich Ende des 18. Jahrhunderts nicht nur die Produktionsweise, sondern auch die Gesellschaftsstrukturen und das Selbstverständnis der sich herausbildenden Klassen.

 

Industrie 2.0 (Sozialversicherung wird eingeführt)

  • Wird getrieben von der beginnenden Massenproduktion und den Anfängen des Wohlfahrtsstaates am Ende des 19. Jahrhunderts.
  • Die Industrialisierung bringt neue soziale Probleme mit sich und wirft grundlegende soziale Fragen auf. Es entstehen die ersten gesetzlichen Sozialversicherungen im Deutschen Reich.

 

Industrie 3.0 (Sozialpartnerschaft wird begründet)

  • Umfasst die Zeit der Konsolidierung des Sozialstaats und der Arbeitnehmerrechte auf Grundlage der Sozialen Marktwirtschaft.
  • Arbeitgeber und Arbeitnehmer verhandeln sozialpartnerschaftlich auf Augenhöhe miteinander.
  • Die Wahrnehmung gemeinsamer Interessen steht im Betrieb wie auch unter den Arbeitnehmern insgesamt außer Frage. Später folgte die Infragestellung sozialer Rechte durch zunehmenden Wettbewerbsdruck und Deregulierung.
  • Seit den 80er Jahren wird die Produktion durch den Einsatz von Informationstechnologie und Elektronik weiter automatisiert, der Anteil von Dienstleistungen nimmt stark zu und nationale Märkte öffnen sich infolge von Europäisierung und Globalisierung.

 

Industrie 4.0 (Beteiligung, Netzwerk, Arbeit und Privatsphäre verbinden sich)

  • Seit Beginn des 21. Jahrhunderts zeichnet sich erneut ein grundlegender Wandel der Produktionsweise ab.
  • Die wachsende Vernetzung und zunehmende Kooperation von Mensch und Maschine ändert nicht nur die Art, wie wir produzieren, sondern schafft auch ganz neue Produkte und Dienstleistungen.
  • Durch den kulturellen und gesellschaftlichen Wandel entstehen neue Ansprüche an Arbeit, auch die Nachfrage nach Produkten und Dienstleistungen verändert sich.
  • Je mehr sich die Wirtschaft digitalisiert und vernetzt, desto mehr Schnittstellen ergeben sich ‒ in Entwicklung, Produktion und Vertrieb, national und global.
 
Quelle: ID 45811477