14.06.2022 · IWW-Abrufnummer 229718
Arbeitsgericht Siegburg: Urteil vom 17.03.2022 – 5 Ca 1849/21
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Arbeitsgericht Siegburg
Tenor:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.3. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.100,00 € festgesetzt.
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T a t b e s t a n d :
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Die Parteien stritten um die Wirksamkeit der außerordentlichen fristlosen Kündigung vom 06.10.2021.
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Der am .1998 geborene Kläger schloss am xxx mit dem Beklagten mit Wirkung ab 06.07.2020 ein Ausbildungsverhältnis zum Sport- und Gesundheitstrainer auf der Basis des BBiG ab. Das Bruttomonatsgehalt belief sich zuletzt auf 700,00 €.
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Für den Zeitraum für den 05. bis 07.10.2021 wurde dem Kläger eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausgestellt. Wegen deren Inhalts wird auf Bl. 4 der Akte Bezug genommen. Am 06.10.2021 erschien der Kläger im Fitnessstudio und führte, nachdem er die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung abgegeben hatte, ein intensives Krafttraining durch.
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Mit Schreiben vom 06.10.2021, dem Kläger zugestellt am 06.10.2021, sprach der Beklagte eine fristlose Kündigung des Ausbildungsverhältnisses aus. Wegen des Inhalts des Kündigungsschreibens wird auf Bl. 8 der Akte Bezug genommen.
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Mit der am 20.10.2021 beim Arbeitsgericht Siegburg eingegangenen und dem Beklagten am 23.10.2021 zugestellte Kündigungsschutzklage hat sich der Kläger gegen die Wirksamkeit der Kündigung gewandt.
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Der Kläger ist der Ansicht, dass die Kündigung unwirksam sei. Er habe am 05.12.2021 keine schulische Prüfung verpasst, da das Datum noch gar nicht eingetreten war. Was den weiteren behaupteten Kündigungsgrund angehe, wonach er während seiner Arbeitsunfähigkeit sich genesungswidrig verhalten haben soll, indem er trainierte, sei auch dies nicht vorwerfbar. Ihm sei es am Vormittag des 06.10.2021 wieder so gut gegangen, dass er sich in der Lage gesehen habe, seine arbeitsvertraglichen Verpflichtungen im Rahmen des Ausbildungsvertrages im Betrieb des Beklagten wieder aufzunehmen, weshalb er in Gegenwart und vor den Augen des Beklagten seine Ausbildungstätigkeit im Betrieb des Beklagten durchgeführte habe. Sein pflichtgemäßes Verhalten könne ihm nicht angelastet werden, sodass sich das Ausbildungsverhältnis ungekündigt fortbestehe. Die behaupteten Kündigungsgründe bestreite er mit Nichtwissen.
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Der Kläger beantragte,
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festzustellen, dass das Ausbildungsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung des Beklagten vom 06.10.2021 nicht zum 06.10.2021 beendet wird, sondern über den 06.10.2021 hinaus ungekündigt bis zum Ausbildungsende fortbesteht.
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Der Beklagte beantragte,
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die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte ist der Ansicht, dass die fristlose Kündigung wirksam sei. Der Kläger habe die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung am Mittwoch den 06.10.2021 kommentarlos auf den Tresen des Ausbildungsbetriebes gelegt und ein intensives Krafttraining im Ausbildungsbetrieb durchgeführt, obwohl er arbeitsunfähig gewesen sein soll.
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Für den 05.10.2021 habe für den Kläger ein schulischer Nachprüfungstermin bestanden. Die Nachprüfung hätte am 05.10.2021 und 06.10.2021 stattfinden sollen. Der Kläger habe hierfür wieder nicht gelernt. Er sei zu dem schulischen Prüfungstermin (Nachholtermin) nicht gegangen. Stattdessen habe er sich die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung beschafft. Kommentarlos habe er sie am Mittwoch, den 06.10.2021, im Ausbildungsbetrieb auf die Theke gelegt, wo der Beklagte die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zufällig gefunden habe. Er habe den Kläger zur Rede gestellt, woraufhin dieser ihm erklärt habe, dass er es nicht geschafft habe, den Lernstoff für die Lizenzprüfung zu bearbeiten. Um für den Nachholtermin entschuldigt zu sein, habe er sich die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung beschafft. Er habe auch erklärt, dass er gar nicht krank sei, sondern die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nur als Entschuldigung für das Ausbildungsinstitut benötigt habe.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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I. Der Klageantrag ist unbegründet. Das zwischen den Parteien bestehende Ausbildungsverhältnis ist aufgrund der außerordentlichen fristlosen Kündigung vom 06.10.2021 gemäß § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG wirksam beendet worden.
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Nach § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG kann nach Ablauf der Probezeit beiderseits aus wichtigem Grund ohne Einhalten einer Kündigungsfrist gekündigt werden. Ein wichtiger Grund setzt in Anlehnung an § 626 BGB voraus, dass das Ausbildungsziel erheblich gefährdet und die Fortsetzung des Ausbildungsverhältnisses unzumutbar ist (BAG 12.2.2015, NZA 2015, 741; LAG RhPf 2.3.2017, BeckRS 2017, 106870). Dabei sind das ggf. jugendliche Alter des Auszubildenden (Arbeitsgericht Essen 27.9.2005, NZA-RR 2006, 246) und der Ausbildungszweck des Vertragsverhältnisses zu berücksichtigen (LAG BW 21.3.1966, DB 1966, 747). Die Verhältnismäßigkeitsprüfung hat streng und unter Abwägung aller konkreten Umstände zu erfolgen (BAG 25.10.2012, NZA 2013, 319); der Vortrag pauschaler Vorwürfe genügt nicht (LAG RhPf 24.10.2013, BeckRS 2014, 65476). Pflichtverstöße sind daher nur unter erschwerten Bedingungen als unzumutbar für den Ausbildenden zu bewerten (LAG Köln 8.1.2003, AuR 2003, 235). Eine fristlose Kündigung kurz vor Abschluss der Ausbildung ist kaum noch mögl. (BAG 10.5.1973, BeckRS 1973, 106862; LAG BW 31.10.1996, NZA-RR 1997, 288; LAG Düsseldorf 15.4.1993, BeckRS 1993, 30975426). In jedem Fall ist die Kündigung nur als ultima ratio nach Ausschöpfung aller mögl. pädagogischen Mittel und der Einschaltung des gesetzlichen Vertreters zulässig (LAG BW 21.3.1966 ‒ 4 Sa 81/63). Einer vorherigen Abmahnung (LAG RhPf 25.4.2013, NZA-RR 2013, 406) bedarf es nur ausnahmsweise nicht, wenn der Auszubildende, obwohl ihm die Gefährdung des Ausbildungsverhältnisses klargemacht wird, jede Einsicht in die Tragweite seines Verhaltens vermissen lässt (LAG Köln 11.8.1995, NZA-RR 1996, 128; Fuhlott/Gömöry FA 2012, 133 f.) oder wenn eine Hinnahme des Verhaltens durch den Ausbildenden offensichtl. ausgeschlossen ist (BAG 1.7.1999, NZA 1999, 1270; LAG Bln 22.10.1997, NZA-RR 1998, 442; vgl insg. ErfK/Schlachter, 22. Aufl. 2022, BBiG § 22 Rn. 3).
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Diese Voraussetzungen sind zur Überzeugung der erkennenden Kammer erfüllt. Denn aufgrund des unzulässigen Bestreitens mit Nichtwissen hinsichtlich des substantiierten Sachvortrags des Beklagten bezogen auf die Pflichtverletzung des Klägers, steht zur Überzeugung der erkennenden Kammer fest, dass der Kläger nicht wie behauptet, am 06.10.2021 spontan von der Erkrankung genesen und dann bei dem Beklagten neben dem unstrittig durchgeführten intensiven Krafttraining arbeiten war, sondern vielmehr, dass er niemals krank war und sich die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nur ausstellen ließ, um den für den 05. und 06.10.2021 angesetzten Nachholprüfungen zu entgehen. Ob es sich bei der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung um eine Gefälligkeitsbescheinigung oder aber um eine erschlichene Bescheinigung handelt, ist nicht relevant.
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Das Bestreiten mit Nichtwissen bzgl. der vom Beklagten aufgeworfenen Pflichtverletzung ist gemäß § 138 Abs. 4 ZPO unzulässig, da es sich bei den behaupteten Pflichtverletzungen durchweg um eigene Handlungen des Klägers geht, die Gegenstand seiner eigenen Wahrnehmung gewesen sind. Völlig verzweifelt wirkt der Versuch des Klägers, der erkennenden Kammer weis machen zu wollen, dass es ihm am Vormittag des 06.10.2021 so gut gegangen sei, dass er sich in der Lage gesehen habe, seine arbeitsvertraglichen Verpflichtungen im Rahmen des Ausbildungsvertrages im Betrieb des Beklagten wieder aufzunehmen. Diesen Vortrag muss man sich unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Arbeitsunfähigkeit rückwirkend für den 05.10.2021 bis einschließlich 07.10.2021 ebenfalls am 06.10.2021 ausgestellt wurde, erst einmal auf der Zunge zergehen lassen. Der Kläger will der erkennenden Kammer folglich Glauben machen, dass dessen Arzt ‒ vermutlich früh morgens, denn vormittags will der Kläger ja wieder arbeitsfähig gewesen sein ‒ eine derart starke Fehldiagnose gestellt hat, dass dieser nicht nur fehlerhaft einschätzte, dass der Kläger mindestens bis zum Ablauf des 07.10.2021 arbeitsunfähig erkrankt sein wird, nein der Arzt soll sogar übersehen haben, dass der Kläger wieder innerhalb von ca. 3 ‒ 4 Stunden arbeitsfähig sein wird, nämlich bis zum Vormittag, sprich bis 12:00 Uhr. Wie dies mit der die AU-begründenden Diagnose ICD-10 ‒ Code B86 G in Einklang zu bringen sein soll, erscheint völlig schleierhaft. Denn bei B86 G handelt es sich um einen Befall durch Krätzmilben. Für befallene Patienten gilt in Deutschland nach § 34 Abs. 1 Nr. 17 Infektionsschutzgesetz bereits bei Verdacht ein Verbot des Aufenthalts und Arbeitens in Gemeinschaftseinrichtungen, wozu Fitnessstudios zählen.
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Dieses Vorgehen des Klägers gefährdet das Ausbildungsziel erheblich und macht dem Beklagten die Fortsetzung des Ausbildungsverhältnisses unzumutbar. Dies, da das Vorgehen des Klägers zielgerichtet zur Vermeidung einer Nachholprüfung erfolgte. Zudem stellt das Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit eine derart schwerwiegende Pflichtverletzung dar, dass durch sie das Vertrauen des Beklagten in seinen Auszubildenden gänzlich zerstört wird. Dies, unabhängig von dem damit einhergehenden (ggf. nur versuchten) Betrug bezogen auf die Entgeltfortzahlung, wegen der Dreistigkeit, sich der Nachprüfung unter Zuhilfenahme einer falschen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu entziehen. Auch wirkt sich das Alter des Klägers nicht zu dessen Gunsten aus, da er mit über 23 Jahren nicht mehr jugendlichen Alters ist. Es handelt sich bei ihm um einen jungen Erwachsenen, der sich seiner Handlungen und deren Konsequenzen bewusst sein muss. Die Kündigung erfolgte auch nicht kurz vor Abschluss der Ausbildung, sondern kurz nach dem ersten Ausbildungsjahr. Einer Abmahnung bedarf es in diesem Fall nicht, da eine Hinnahme des Verhaltens durch den Beklagten offensichtlich ausgeschlossen ist. Kein Auszubildender darf davon ausgehen, dass dessen Ausbilder es hinnimmt, falsche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt zu bekommen, um sich den anstehenden Prüfungen, insbesondere wenn es sich um Nachholprüfungen handelt, zu entziehen.
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Die Kündigung erfolgte schriftlich und unter Angabe der Kündigungsgründe, sodass die Kündigung nicht gemäß § 22 Abs. 3 BBiG unwirksam ist. Dass der Beklagte sich in der Kündigungserklärung bzgl. des Datums verschrieb, ist unbeachtlich. Den Parteien ist klar, dass am 06.10.2021 noch keine Prüfung am 05.12.2021 verpasst worden sein kann. Zudem wussten beide, dass die Nachholprüfung für den 05.10.2021 angesetzt war, sodass nur dieses Datum gemeint sein konnte.
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Die Kündigungsfrist von zwei Wochen gemäß § 22 Abs. 4 Satz 1 BBiG ist eingehalten. Die Vorlage der falschen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und das Schwänzen der Nachholprüfung erfolgten am 05./06.10.2021, die Kündigung ging dem Kläger am 06.10.2021 zu.
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II. Die Berufung ist nicht gesondert zuzulassen. Zulassungsgründe nach § 64 Abs. 3 ArbGG sind nicht gegeben.
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III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG in Verbindung mit § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Als unterlegene Partei trägt der Kläger die Kosten des Rechtsstreits.
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IV. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 61 Abs. 1, 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG und § 3 ZPO.