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· Rente / Doppelbesteuerung

Rentenbesteuerung: Greift der Fiskus doch zweimal zu? Musterklage beim Bundesverfassungsgericht

Bild: ©Wilfried Pohnke - pixabay.com

von Jörg Thole, Chefredakteur, IWW Institut

| Greift der Fiskus bei der Rentenbesteuerung doch zweimal zu? Der Bundesfinanzhof (BFH) hat zwar verneint, dass dies generell so ist (BFH vom 31.05.2021 Az: X R 20/19, X R 33/19). Doch interessant ist die Rechenformel, die das Gericht dazu aufgestellt hat. Nach der könnten künftige Rentner ab Eintrittsjahr 2025 von der Doppelbesteuerung betroffen sein. Der Bund der Steuerzahler (BdSt) begleitet deshalb eine Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht (als Musterklage). Das Bundesfinanzministerium (BMF) hat indes noch nicht reagiert. Da es bislang keinen Vorläufigkeitsvermerk genehmigt hat, sollten Sie ggf. den Mustereinspruch nutzen. |

Rückschau: Die BFH-Urteile vom 31.05.2021

Das war der Vorwurf der Kläger: Der Staat besteuert Renten unzulässig zweimal ‒ erst bei den Beiträgen, dann bei der Rente! In den konkreten Fällen ging es um zwei Rentner-Paare. Die zentrale Frage war, ob während des Erwerbslebens Rentenversicherungsbeiträge aus bereits versteuertem Einkommen gezahlt wurden und bei Rentenauszahlung die Rente erneut besteuert wird ‒ das wäre verfassungswidrig!

 

Einer der Kläger war zuerst Angestellter und später selbstständiger Zahnarzt. Neben der gesetzlichen Rente und dem Versorgungswerk für Zahnärzte hatte er auch in mehrere private Rentenversicherungen eingezahlt. Das Finanzgericht in Kassel hat schließlich eine Doppelbesteuerung festgestellt, der BFH verneinte diese aber.

 

Umstitten war vor allem, wie zu errechnen ist, ob doppelt besteuert wird: Der BFH hat daraufhin eine Rechenformel entwickelt ‒ ohne in die Tiefen der Finanzmatemathik einzusteigen. Das Gericht widerspricht mit seiner Formel aber bereits der Vorgehensweise der Finanzverwaltung. So sei z. B. der Grundfreibetrag den Rentnern nicht als steuerfreier Rentenzufluss anzurechnen. Auch der Werbungskosten-Pauschbetrag, der Sonderausgabenabzug für die Beiträge der Rentner zur Kranken- und Pflegeversicherung, die steuerfreien bzw. nicht steuerbaren Beitragsanteile des Rentenversicherungsträgers zur Krankenversicherung der Rentner sowie der Sonderausgaben-Pauschbetrag seien Posten, die nach Ansicht des BFH nicht nochmals besteuert werden dürfen.

Jetzt läuft die Verfassungsbeschwerde

Im Juni haben beide Kläger-Paare beim Bundesverfassungsgericht Beschwerde eingereicht. Unter anderem kritisieren die Musterkläger, dass bei der Berechnung für die Ehemänner auch eine potenzielle Witwenrente eingerechnet wird. Daher kommt es bei verheirateten Senioren seltener zu einer Doppelbesteuerung. Dies benachteilige sie gegenüber unverheirateten Personen. Das Bundesverfassungsgericht muss nun prüfen, ob es die Beschwerden annimmt. Die Aktenzeichen sind nun registriert: Az. 2 BvR 1143/21 und Az. 2 BvR 1140/21.

 

TIPP | Eigentlich ist jetzt das Bundesfinanzministerium (BMF) auch am Zug: Erwartet wird, dass eine Verwaltungsanweisung zu den Urteilen kommt. Daraus könnten sich ggf. weitere praktische Handlungsempfehlungen ergeben.

 

Mustereinspruch oder Vorläufigkeitsvermerk!

Der BdSt bietet Senioren, die von der Doppelbesteuerung betroffen sind bzw. eine solche vermuten, einen Mustereinspruch an.

 

Beachten Sie | Der BdSt hat das BMF gebeten, einen Vorläufigkeitsvermerk zu erteilen. Kommt das Ministerium dieser Bitte nach, müssten Senioren keinen Einspruch mehr einlegen. Ihr Steuerbescheid bliebe bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von Amts wegen offen. Dies würde unnötige Einspruchsverfahren vermeiden.

 

Arbeitshilfe / Mustereinspruch des BdSt

Absender(Name, Anschrift)

 

Finanzamt(Anschrift)

Ort, Datum

 

Name des Steuerzahlers:1

Steuernummerund Steuer-Idnr:

 

---------------------------------

 

Einspruch2 gegen den Bescheid über Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag ..... (Jahr) vom.... (konkretes Datum des Steuerbescheids)

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

hiermit lege ich (legen wir) Einspruch gegen den Bescheid über Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag vom .... (Datum) ein. Ich beantrage (wir beantragen) im Weiteren das Ruhen des Verfahrens nach § 363 Abs. 2 Abgabenordnung.

 

Begründung3:

In meinem (in unserem) zu versteuernden Einkommen sind Renteneinkünfte enthalten, die bereits in der Einzahlungsphase besteuert wurden. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu entschieden, dass Renteneinkünfte, soweit diese aus bereits versteuerten Einkommen stammen, in der Rentenphase nicht noch einmal besteuert werden dürfen (Urteil vom 06.03.2002, Az. 2 BvL 17/99).

 

Die geltende Besteuerung der Rente wird dem nicht gerecht, da es in meinen (unserem) Fall zu einer Zweifachbesteuerung kommt. Ich verweise (wir verweisen) dabei auf die laufenden Verfassungsbeschwerden beim Bundesverfassungsgericht (Az. 2 BvR 1143/21 und 2 BvR 1140/21). Mit diesen Verfassungsbeschwerden soll geklärt werden, ob die vom Bundesfinanzhof in den Urteilen vom 19. Mai 2021 (Az. X R 20/19 und X R 33/19) aufgestellte Rechenformel zur Doppelbesteuerung von Renten die Senioren in ihren Grundrechten verletzt. Zudem ist beim Finanzgericht des Saarlandes ein weiteres Gerichtsverfahren unter dem Az. 3 K 1072/20 anhängig.

 

Bis zur Klärung der offenen Rechtsfragen beantrage ich, mein Verfahren ruhen zu lassen.

 

Mit freundlichen Grüßen

(Unterschrift bzw. bei zusammenveranlagten Ehepaaren Unterschriften)

 

1) Bei zusammenveranlagten Ehepaaren beide Namen angeben. Es müssen dann auch beide Partner unterschreiben.

2) Ein Einspruch muss innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Steuerbescheides schriftlich beim Finanzamt eingelegt wer-den. Das ist kostenfrei. DerEinspruch kann nur eingelegt werden, wenn man bereits eine Rente erhält, die besteuert wird.

3) Seit dem Jahr 2005 unterliegen Renten einer stärkeren Besteuerung. Dies allein führt jedoch noch nicht zu einer sogenannten Doppelbesteuerung. Der Fall einer Zweifachbesteuerung liegt vor, wenn Einzahlungen in die Rentenversicherung aus bereits ver-steuertem Einkommen eingezahlt wurden und die Rente bei Auszahlung erneut besteuert wird, beispielsweise freiwillig höhere Rentenversicherungsbeiträge eingezahlt wurden oder bei Freiberuflernund ehemaligenSelbstständigen, die keinen steuerfreien Arbeitgeberanteil erhielten.

 

Das BMF will auch keine Doppelbesteuerung, heißt es ...

Das BMF hatte am 03.06.2021 in einer ersten offiziellen Reaktion auf die beiden BFH-Urteile klargestellt, dass „es eine Doppelbesteuerung weder jetzt noch in Zukunft“ geben dürfe. Eine Doppelbesteuerung könnte laut BMF z. B. durch eine Rentensteuerreform vermieden werden, indem die für 2025 geplante vollständige Absetzbarkeit der Einzahlungen in die Rentenkasse während der Erwerbsphase vorgezogen wird.

 

Der BdSt will außerdem prüfen lassen, ob angesichts der BFH-Vorgaben nicht derzeit schon bei Steuerzahlern, die erst kürzlich in Rente gegangen sind, eine Doppelbesteuerung vorliegt.

Prüfen Sie, ob Sie betroffen sein könnten

Der BFH hat einige Parameter genannt, wann eine Doppelbesteuerung vorliegt. Dies sei bei Senioren der Fall,

  • die erst kürzlich in Rente gegangen sind,
  • selbstständig tätig waren und damit keine steuerfreien Arbeitgeberanteile erhalten haben,
  • unverheiratet sind,
  • und männlich, weil ihre statistische Lebenserwartung dann kürzer ist.

 

Dabei müssen prinzipiell mehrere der genannten Voraussetzungen vorliegen, aber nicht zwingend alle vier. Das heißt: Es könnten zum Beispiel auch unverheiratete Frauen, die nach einer Freiberuflertätigkeit erst kürzlich in Rente gingen, doppelt belastet sein. Dies hänge stets von der individuellenErwerbs- und Rentenbiografie ab. Ehemalige Arbeitnehmer seien nach der Rechenformel des Bundesfinanzhofs momentan eher nicht betroffen.

 

Checkliste / Das könnten Sie als Pensionär tun

  • Wenn Sie bereits Einspruch eingelegt hatten, sollten Sie die Reaktion des Finanzamtes abwarten.
  • Wer erst kürzlich seinen Steuerbescheid bekam und zu der Fallgruppe der doppelt besteuerten Personen gehört, kann gegen seinen Steuerbescheid Einspruch (Mustereinspruch, siehe oben) einlegen. Das ist nur innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Bescheides möglich.
  • Soweit Sie Einspruch einlegen, sollten Sie aber auch anhand ihrer Unterlagen nachweisen können, dass eine Zweifachbesteuerung vorliegt. Dazu sind in der Regel die früheren Steuerbescheide erforderlich (Konsultieren Sie Ihren Steuerberater)
  • Diejenigen, die nach der Rechenformel des Bundesfinanzhofs nicht von einer Doppelbesteuerung betroffen sind, eine solche jedoch bei sich vermuten, können ihren Ein-spruch mit den laufenden Verfassungsbeschwerdenbegründen und das Ruhen des Verfahrens beantragen.
  • Ein Einspruch gegen bestandskräftige Bescheide, die bereits älter als ein Monat sind, ist unzulässig.

 

Quelle | BdSt

 

Beachten Sie | Wenn Sie noch berufstätig sind, können erstmal nichts unternehmen, da Sie noch keine Rente erhalten. Aber: Weil Sie auch Gefahr laufen, später betroffen zu sein, sieht der BdSt die Rechtsprechung als Aufforderung an den Gesetzgeber, die bestehenden Regeln zu überarbeiten, um eine Zweifachbesteuerung von vorne herein zu vermeiden. „Das soll nach der Bundestagwahl im Herbst 2021 angepackt werden. Ob von der Reform auch Senioren profitieren, die bereits eine Rente erhalten, bleibt abzuwarten“, heißt es. Der BdSt schlägt vor, die Übergangsfrist zur nachgelagerten Besteuerung zuverlängern: Statt im Jahr 2040 sollte der Systemwechsel erst 2070 vollständig vollzogen werden. Zudem sollten Rentenerhöhungen nicht wie bislang zu 100 Prozent in die Besteuerung einbezogen werden.

 

Quellen |

  • PM des BdSt vom 14.07.2021 Rechtsstreit um Rentenbesteuerung geht nach Karlsruhe
  • BMF zur Entscheidung des Bundesfinanzhofs zur Rentenbesteuerung vom 03.06.2021
Quelle: ID 47507246