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· EU-Beschluss

Zeitumstellung: 2021 ist Schluss damit ‒ Pro und Contra: Sommerzeit brachte keine Vorteile

Bild: © tarasov_vl - stock.adobe.com

von Jörg Thole, Chefredakteur, IWW Institut

| Am Sonntag ist es wieder soweit, die Sommerzeit beginnt: Die Uhr wird um 02:00 Uhr eine Stunde vorgestellt. Das EU-Parlament hat indes mit 410 Ja- und 192 Nein-Stimmen am 26.03.2019 die Abschaffung der Zeitumstellung ab 2021 beschlossen. Die Nationalstaaten der Europäischen Union müssen nun für sich entscheiden, ob die Winterzeit oder die Sommerzeit bleiben soll. CE Chef easy erkundet Licht und Schatten ‒ aus Sicht der Wirtschaft, der Experten und des Volkes. |

Zeitumstellung: In Deutschland unbeliebt

Nachdem EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker Mitte 2018 für die Abschaffung der Zeitumstellung im EU-Parlament geworben hatte, reagierte die EU mit einer Bürgerbefragung. In Europa haben an dieser Online-Umfrage 4,6 Millionen Menschen teilgenommen (3,1 Millionen davon allein aus Deutschland). Ergebnis: 84 Prozent wollten keine Zeitumstellung mehr ‒ und die Mehrheit will die Sommerzeit behalten. Letzteres dürfte aber vor allem auf die Teilnahmestärke der Deutschen zurückzuführen sein, weswegen das EU-Parlament es nun den Nationalstaaten überlässt, ob sie nun dauerhaft Sommer- oder Winterzeit einführen wollen. Unklar ist indes, ob es 2021 dann einen Stichtag zur Bekanntgabe der Entscheidungen gibt oder ob jedes Land irgendwann entscheidet und damit u.U. chaotische Zustände auslöst.

 

In Deutschland hat sich seit Jahren die Meinung verfestigt, dass die Zeitumstellung Unsinn ist. Das zeigt diese Statistik der DAK. Streitig ist dagegen, ob die Sommerzeit oder die Winterzeit die bessere Wahl für die Menschen ist.

 

Statistik: Halten Sie die Zeitumstellung generell für sinnvoll? | Statista

 

Zeitumstellung ‒ Pro und Contra: Volkswille ist Sommerzeit

Folgt das deutsche Parlament dem Volkswillen aus der Umfrage, so wird ab 2021 wohl die Sommerzeit dauerhaft gelten. Doch das ist nicht unumstritten. (Es wäre nicht Deutschland, wenn es nicht angriffslustige und scharfzüngige Kritiker einer dauerhaften Sommerzeit gäbe.)

 

Pro und Contra: Manche Experten sind für Winterzeit

Chronobiologe Till Roenneberg vom Institut für Medizinische Psychologie der Universität München zum Beispiel warnt in der Welt vor einem „Cloxit“ und sieht riesige Probleme: „Man erhöht die Wahrscheinlichkeit für Diabetes, Depressionen, Schlaf- und Lernprobleme ‒ das heißt, wir Europäer werden dicker, dümmer und grantiger.“ Düster fügt er an: „Jedes Land, das das nicht macht, wird uns akademisch überholen.“ Vor allem Schüler und Studenten hätten zu wenig Schlaf, um das Gelernte verarbeiten zu können.

 

  • Die Botschaft in einem Satz

Wer zu spät ins Bett geht, weil es abends länger hell ist und morgens bei länger anhaltender Dunkelheit raus muss, hat größere Probleme.

 

Doch was Roenneberg nicht so stark beleuchtet, ist die innere Uhr, die sich an verschiedene Gegebenheiten anpassen kann.

 

Pro und Contra: Zeitumstellung an sich ist schädlich

Einig sind sich die meisten Experten, dass der Wechsel von Sommer- zur Winterzeit (und umgekehrt) das gravierendste Problem ist. Die massive Störung des Biorhythmus‘ ist unumstritten.

 

In Deutschland wurde die Sommerzeit zuletzt 1980 eingeführt ‒ Am letzten März-Wochenende wird die Uhr eine Stunde vor- und Ende Oktober wieder auf Winterzeit zurückgestellt. Das hat Auswirkungen auf das Gehirn: Mediziner sprechen dabei vom „zirkadianen“ Rhythmus, der dem Körper ‒ hormonell gesteuert ‒ intuitiv sagt, wann er aufwachen soll. Im Gehirn (dem Nukleus suprachiasmaticus) werden morgendliche Lichtsignale umgewandelt und führen zu vermehrten Cortisol-Ausschüttung. Folge: Die Wachphase setzt ein. Umgekehrt wird bei zunehmender Dunkelheit mehr Melatonin ausgeschüttet, was müde macht.

 

Zeitumstellung ist wie ein Jetlag

Bis sich die innere Uhr an den neuen Rhythmus gewöhnt hat, erleiden viele Menschen eine Art „Jetlag“: Müdigkeit und Unwohlsein sind dabei die kleinsten Probleme. Statistiken zeigen sogar, dass die Zahl der Verkehrsunfälle in den Tagen der Umstellung steigt. Gerade ältere Menschen erleiden zudem regelmäßig massive Einschlafstörungen, leiden an Schwindel, Antriebslosigkeit oder Konzentrationsproblemen ‒ mit der Folge, dass Herzkreislaufgefäße gefährdet sind. Das führt zu Risikobereitschaften in Gesundheitswirtschaft und Pflegeeinrichtungen.

Auswirkungen auf die Wirtschaft

Die Idee der Zeitumstellung war: Durch bessere Ausnutzung des Tageslichts soll Energie gespart werden. Die Rechnung ging nicht auf.

 

Das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag hat 2016 eine Bilanz zur Sommerzeit erarbeitet.

 

Das Ziel Energieeinsparung wurde „vermutlich verfehlt“

Die möglichen und tatsächlichen Energieeinsparungen sind allenfalls „minimal und folglich zu vernachlässigen“, heißt es. Viele bisherige Schlussfolgerungen seien das Ergebnis von Erwartungen oder basierten auf beschränkten Annahmen.

 

Bezweifelt werden auch die früheren Studienergebnisse innerhalb der EU, weil sich diese auf die Situation in Deutschland nicht einfach übertragen lassen. Zu groß seien die Unterschiede bei den Bedürfnissen nach Beleuchtung, Wärmehaushalt oder Klimatisierung. Hinzu komme eine technologische Spreizung bei den in den Ländern verwendeten Heizsystemen oder Energieverbrauchern.

 

Herausforderung für Land- und Forstwirte und auch für die Bauwirtschaft

Vor allem Wirtschaftszweige, die „im Freien“ arbeiten, sind von der Verschiebung der Taglichtphasen betroffen. Dazu zählen

  • Landwirtschaft,
  • Forstwirtschaft,
  • Freizeit- und Tourismus sowie die
  • Bauwirtschaft.

 

In der Bauwirtschaft erfordert die Umstellung der Zeit regelmäßig organisatorische Umstellungen wegen der veränderten Lichtverhältnisse.

 

In der Landwirtschaft ist das ähnlich. Speziell in der Tierhaltung berichten Landwirte, dass insbesondere Milchkühe auf die Umstellung sensibel reagieren. Der Deutsche Bauernverband berichtet, dass die Kühe sanft an die neuen Melkzeiten zu gewöhnen seien.

 

Die Freizeit-und Tourismuswirtschaft profitiert insbesondere von der Sommerzeit. Die längere Tageshelligkeit begünstigt alle Freizeitaktivitäten unter freiem Himmel ‒ und bedient damit die hohe Nachfrage. Die Berater stellen jedoch infrage, ob die Sommerzeit nicht auch eine „abträgliche Wirkung“ auf den Betrieb von Indoorsport- und -freizeitanlagen (z. B. Sporthallen, Fitnessstudios, Kino- und Theatersäle) haben kann.

 

Schienenverkehr: Eine Stunde Bangen

Die eigentliche Umstellung der Uhren belaste dagegen solche Wirtschaftssektoren, die dadurch Ihre Betriebsabläufe und Organisation immer wieder neu ausrichten müssen. Besonders betroffen: Der Schienenverkehr. Nicht nur, dass die Zeitverschiebung eine ‒ über Jahre geübte ‒Unfallvermeidungsstrategie im Zugverkehr erfordert; auch die Bahnkunden sind regelmäßig verunsichert, ob der Verkehr am Folgetag reibungslos funktioniert.

 

So bereitet die Deutschen Bahn die Zeitumstellung saisonal vor:

 

Technikfolgen-Schätzer beklagen spärliche Datenbasis

Um die schlechte Datenbasis zu verbessern, starteten die Technikfolgen-Schätzer des Bundestags Anfragen bei 143 Wirtschaftsverbände, Berufsvertretungen und Gewerkschaften. Die Rücklaufquote war jedoch dürftig. Einzig für das Baugewerbe wurde in einer überschlägigen Abschätzung für die Sommermonate eine leichte Produktivitätsminderung dokumentiert, weil es morgens später hell wird. Die Einbußen lägen über die gesamte Branche gerechnet bei 30 Mio. Euro.

 

FAZIT | Wirtschaftsanalyse

Die Sommerzeit wird in den Branchen der Wirtschaft aktuell kaum mehr diskutiert. Durch den Gewöhnungseffekt seit 1980 führt die Thematik in keiner Branche zu erhöhtem Diskussionsbedarf. Mit der Entscheidung zur Abschaffung der Zeitumstellung sind jedoch für einige Unternehmen die Weichen in Richtung kleiner Erleichterungen gestellt.

 

Rechtseinordnung

Die Sommerzeit ist in der Richtlinie 2000/84/EG für alle Mitgliedstaaten verbindlich und auf unbegrenzte Dauer festgeschrieben. Das erforderliche Gesetzgebungsverfahren regelt Artikel 294 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV).

 

Änderungen sind grundsätzlich möglich durch

  • Initiative der EU-Kommission (Artikel 114 Absatz 1 AEUV),
  • gegebenenfalls aufgrund neuer wissenschaftlicher Ergebnisse gemäß Artikel 114 Absatz 3 AEUV;
  • nach Aufforderung des Europäischen Parlaments gemäß Artikel 225 AEUV;
  • nach Aufforderung des Rates gemäß Artikel 241 AEUV;
  • als Reaktion auf eine Europäische Bürgerinitiative gemäß Artikel 11 Absatz 4 des Vertrags über die Europäische Union (EUV).

 

Status quo

  • EU-Kommissionspräsident Juncker startete im Sommer 2018 eine EU-weite Befragung
  • Ergebnis: klares Plädoyer gegen die Zeitumstellung (84 Prozent).
  • Das EU-Parlament hat am 26.03.19 für die Abschaffung der Zeitumstellung gestimmt (410 Ja- und 192 Nein-Stimmen).
  • Nun sind die Nationalstaaten gefordert, zu entscheiden, welche Zeit in ihrem Land gelten soll.

 

  • Historie zur Zeitumstellung (Sommerzeit)
  • Zeit des ersten Weltkriegs: Deutschland führt als erstes Land der Welt die Sommerzeit ein ‒ das hatte kriegswirtschaftlichen Gründe. Weitere Staaten folgten.
  • Zeit des Zweiten Weltkriegs: Wieder wurde die Zeit angepasst.
  • 1950: Die Zeitumstellung wird in den meisten Ländern wieder abgeschafft.
  • 1973 (Ölkrise): Etliche europäische Länder führen die Sommerzeit aus energiepolitischen Gründen ein: Das Tageslicht sollte besser genutzt und dadurch Energie gespart werden.
  • 1980: Sowohl die Bundesrepublik Deutschland als auch die Deutsche Demokratische Republik schlossen sich den anderen europäischen Ländern an: Es ging aber weniger um Energieeinsparungen, sondern vorrangig um eine einheitliche Zeitregelung mit den Nachbarstaaten ‒ im Sinne des europäischen Binnenmarktes (Verabschiedung der Richtlinie 80/737/EWG).
  • 1996: Verabschiedung der Richtlinie 94/21/EG
  • 2001: Richtlinie 2000/84/EG für alle Mitgliedstaaten verbindlich und auf unbegrenzte Dauer festgeschrieben.

 

Quelle | Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag

 
Quelle: ID 45829878