· Schweizer Modell
Mehr arbeiten, weniger Urlaub ‒ So kann Deutschland nach der Krise auf Kurs kommen
von Jörg Thole, Chefredakteur, IWW Institut
| Ein Ländervergleich zeigt: Die Deutschen haben noch Wachstumspotenzial ‒ und könnten so die gravierenden Haushaltslöcher ‒ ausgelöst durch die Corona-Hilfspolitik ‒ stopfen und Steuererhöhungen vermeiden. In einer Kurzstudie rechnet das IW Institut der deutschen Wirtschaft vor, was im Wahlkampf Zündstoff liefert: Würde die Erwerbstätigenquote um 2,5 Prozent steigen und die Arbeitszeit um 11 Prozent, hätte das auf 10-Jahres-Sicht 8 Prozent mehr BIP und bis zu 16 Prozent weniger Schulden zur Folge. Im Klartext: Mehr arbeiten, weniger Urlaub ‒ so wie die Schweiz! |
Politiker scheuen im Wahlkampf unpolpuläre „Belastungsthemen“ wie der Teufel das Weihwasser: Gerade die richtige Zeit, um die Politiker mit dieser neuen Kurzstudie zu konfrontieren. Denn so wie es aussieht, hat das Land gar nicht so viele Optionen, wenn man bilanziert, welche finanzielle Last sich der Staat in einem Jahr „Coronakrise“ aufgebürdet hat. Hinzu kommt die Demografie, nach der die Zahl der Erwerbsfähigen von heute fast 50 Mio. bis 2030 auf 46 Mio. sinken wird (Prognose des Statistisches Bundesamts).
Das IW gibt sich kritisch
- Die Hoffnung der Politik, aus dem Corona-Schuldenberg herauszuwachsen, sei naiv.
- Sehr ambitionierte Reformen müssten stattfinden, um in einer alternden Gesellschaft und angesichts des anstehenden Strukturwandels weitere Erwerbstätigkeit zu mobilisieren.
Die „goldene Dekade“ endete mit Corona
Zehn Jahre habe Deutschland einen Beschäftigungsboom erlebt, die Löhne stiegen, die Steuern sprudelten ‒ das Staatssäckel wurde gut gefüllt, die „schwarze Null“ stand. Die Staatsschuldenquote sank von 80 auf 60 Prozent ‒ bis 2019. Dann kam Corona: 2020 sank das BIP bereits 5 Prozent, die Zahl der Erwerbstätigen schrumpfte um über 1 Prozent, das Arbeitsvolumen brach um 4.7 Prozent ein.
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So wird Wachstum wieder möglich
Das IW hat sich Schweden und die Schweiz als beschäftigungspolitische Erfolgsmodelle herangezogen - und mit Deutschland verglichen.
Dieses Arbeitsmarktpotenzial kann Deutschland aktivieren:
Im Vergleich mit der Schweiz wird deutlich: Die Arbeitnehmer dort arbeiten nicht nur mehr Stunden pro Woche, sondern haben auch 1,5 Wochen weniger Urlaub.
Die Fakten (IW)
- Die Jahresarbeitszeit (Wochenarbeitszeit und Arbeitswochen) liegt in Schweden um 7 Prozent und in der Schweiz um 11 Prozent höher als in Deutschland.
- Eine Steigerung der Erwerbsbeteiligung um 2,5 Prozentpunkte würde das Arbeitsvolumen um 1,83 Milliarden Stunden in Deutschland erhöhen.
- Überträgt man die schweizerische Wochenarbeitszeit und die Jahresarbeitswochen auf das deutsche Arbeitsmarktmodell ergibt sich ein Potenzial von 7,7 Milliarden Stunden (4,7 Millionen Vollzeitäquivalente).
Lösungsansätze
Das IW stellt harte Lösungsansätze vor:
- Abbau unfreiwilliger Teilzeit
- Angleichung der Wochenarbeitszeit der Frauen an die der Männer (dabei erforderlich: Optimierung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie)
- Beschäftigungsanreize im Steuersystem erhöhen
Simulation mit Steigerung der Arbeitszeit und Erwerbstätigenquote
- Die Steigerung der Arbeitszeit kann das BIP um 6 Prozent erhöhen.
- Der Anstieg der Erwerbstätigenquote kann nochmal 2 Prozent bewirken.
Höheres BIP beschleunigt Entschuldungsprozess
Die Schuldenstandsquote könne nach 10 Jahren um knapp 5 bis gut 16 Prozentpunkte unter dem Niveau liegen, das sich bei Beibehaltung des heutigen Niveaus der Arbeitszeit und der Erwerbstätigenquote abzeichnet.
FAZIT DES IW | Beträchtliche Wachstumszugewinne sind denkbar, wenn sich Deutschland für mehr Arbeit und weniger Urlaub entscheiden könnte. Nahezu 5 Prozentpunkte der Schuldenstandsquote könnten abgebaut werden.
Würde sich die Politik zu mutigen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen durchringen, wäre das gesteigerte Produktionspotenzial der wohl entscheidende Beitrag zur Senkung der gestiegenen Schuldenstandsquote. Das jedoch sei kein Selbstläufer, so das IW. |
Quelle |
IW Kurzbericht 37/2021 vom 14.06.2021 (von Galina Kolev/Thomas Obst)
Bezugsliteratur: Hüther, IW-Policy Paper, Nr. 3/2019; Hüther, Markos, Obst, IW-Policy Paper, Nr. 10/2021)