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Beschluss vom 08.12.2022 · IWW-Abrufnummer 233067

Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - Aktenzeichen 4 TaBV 7/22

Eine Einigungsstelle über die Grundsätze der Verteilung eines Entgelterhöhungsbudgets wird nicht dadurch offensichtlich unzuständig, dass der Arbeitgeber zeitgleich mit der Bereitstellung des Budgets mitteilt, Verteilungsgrundsätze aus einer bereits gekündigten, aber noch nachwirkenden Betriebsvereinbarung anzuwenden. Der Regelungsgegenstand der Einigungsstelle ist jedenfalls vor dem Inkrafttreten der Entgelterhöhung nicht erledigt. Die nachwirkende Regelung kann zumindest bis dahin noch abgelöst werden.


Im Beschlussverfahren mit den Beteiligten
1.
- Antragstellerin/Beschwerdegegnerin/Beteiligte -
Verf.-Bev.:
2.
- Antragsgegner/Beschwerdeführer/Beteiligter -
Verf.-Bev.:
hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 4. Kammer - durch den
Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Stöbe auf die Anhörung der Beteiligten vom 07.12.2022 am 08.12.2022
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Beschwerde der Beteiligten zu 2 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 13.10.2022 (2 BV 155/22) wird zurückgewiesen.



Gründe



A



Die Beteiligten streiten über die Errichtung einer Einigungsstelle.



Im Unternehmen der Beteiligten zu 2 (nachfolgend: Arbeitgeber) findet eine Gesamtbetriebsvereinbarung "Gehaltssystem" vom 30. Juli 2019 (Bl. 5 bis 13 der arbeitsgerichtlichen Akte) Anwendung, welche unter Nr. III rahmenmäßig regelt, wie Entgelterhöhungsbudgets, über die der Arbeitgeber jährlich entscheidet, verteilt werden sollen. Diese Gesamtbetriebsvereinbarung wurde vom Beteiligten zu 1 (nachfolgend: Gesamtbetriebsrat) aufgrund einer Beschlussfassung vom 14. Juli 2022 zum 31. Oktober 2022 gekündigt. Der Arbeitgeber wurde zu Neuverhandlungen aufgefordert.



Es fanden zwischen den Beteiligten Neuverhandlungen statt, die jedoch bislang hauptsächlich eine vom Gesamtbetriebsrat vor dem Hintergrund der derzeitigen Inflation gewünschte Sonderregelung für das Fiskaljahr 2023 zum Gegenstand hatten. Der Arbeitgeber wünscht keine Sonderregelung.



Der Gesamtbetriebsrat erklärte die Verhandlungen mit Schreiben vom 22. August 2022 für gescheitert. Er teilte dem Arbeitgeber mit, die Bildung einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand "GBV Gehaltssystem" beschlossen zu haben.



Die Beteiligten konnten sich nicht auf die Bildung einer Einigungsstelle einigen, weshalb der Gesamtbetriebsrat auf der Grundlage der Beschlussfassung vom 22. August 2022 am 31. August 2022 vorliegendes Verfahren einleitete, mit welchem er die Einsetzung einer Einigungsstelle für den Regelungsgegenstand "Verteilungsgrundsätze des Budgets für Entgelterhöhungen Fiskaljahr 2023" beantragte.



Nachdem der Arbeitgeber im Verfahren rügte, dass der nunmehr beantragte Regelungsgegenstand für die einzusetzende Einigungsstelle nicht identisch sei mit dem Regelungsgegenstand aus der Beschlussfassung vom 22. August 2022, fasste der Betriebsrat am 27. September 2022 einen genehmigenden Beschluss, mit welchem der Verfahrensbevollmächtigte beauftragt wurde, das Beschlussverfahren zur Einsetzung der Einigungsstelle "Verteilungsgrundsätze des Budgets Entgelterhöhungen Fiskaljahr 2023" beim Arbeitsgericht einzuleiten.



Zu der Gesamtbetriebsratssitzung vom 27. September 2022 wurden sämtliche Gesamtbetriebsratsmitglieder am 20. September 2022 unter Beifügung einer Tagesordnung eingeladen. Die Tagesordnung wurde mit an alle Gesamtbetriebsratsmitglieder gerichteten E-Mail vom 26. September 2022, 15:43 Uhr ergänzt um den Tagesordnungspunkt der (genehmigenden) Beschlussfassung zur Einleitung des vorliegend streitigen Beschlussverfahrens. An der Sitzung am 27. September 2022 haben alle Gesamtbetriebsratsmitglieder, bzw. Ersatzmitglieder teilgenommen mit Ausnahme des Mitglieds C. S. aus H.. Diese ist in der Teilnehmerliste als "verhindert", "Business, nicht nachladefähig" bezeichnet. Frau S. nahm deshalb nicht an der Sitzung teil, weil sie sich dienstlich bei einem Kunden befand. Die Änderung/Ergänzung der Tagesordnung wurde zu Beginn der Sitzung einstimmig angenommen. Der vorgeschlagene Beschluss wurde ebenfalls einstimmig angenommen.



Mit Schreiben vom 12. November 2022 (Bl. 33 der LAG-Akte) teilte der Arbeitgeber dem Gesamtbetriebsrat mit, dass das Gehaltserhöhungsbudget 3,5 Prozent betrage. Er teilte zugleich mit, das Erhöhungsbudget entsprechend den Regelungen aus der gekündigten Gesamtbetriebsvereinbarung bereits verteilt zu haben. Er bat den Gesamtbetriebsrat um die in Nr. III c der Gesamtbetriebsvereinbarung vorgesehene Bestätigung der rechnerischen Richtigkeit der Erhöhungsmatrix. Eine solche Bestätigung gab der Gesamtbetriebsrat nicht ab.



Der Gesamtbetriebsrat vertrat die Auffassung, ihm stehe ein Mitbestimmungsrecht gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG zu.



Der Gesamtbetriebsrat beantragte:



Der Arbeitgeber beantragte,



Der Arbeitgeber berief sich erstinstanzlich darauf, dass die Verhandlungen noch nicht gescheitert seien. Dem Gesamtbetriebsrat fehle es deshalb am Rechtsschutzbedürfnis.



Außerdem hielt der Arbeitgeber die Einigungsstelle für (seinerzeit noch) offensichtlich unzuständig, da zum Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung noch nicht festgestanden habe, ob überhaupt ein Entgelterhöhungsbudget zur Verfügung gestellt werde.



Mit der Einsetzung des Herrn Direktor des Arbeitsgerichts X. als Vorsitzenden der Einigungsstelle erklärte sich der Arbeitgeber nicht einverstanden



Das Arbeitsgericht setzte mit Beschluss vom 13. Oktober 2022 die beantragte Einigungsstelle unter dem Vorsitz des Direktors des Arbeitsgerichts X. ein. Die Anzahl der Beisitzer wurde auf je drei bestimmt. Das Arbeitsgericht führte aus, die Verfahrenseinleitung und die Bevollmächtigung des Verfahrensbevollmächtigten des Gesamtbetriebsrats seien jedenfalls durch die genehmigende Beschlussfassung vom 27. September 2022 gedeckt. Angesichts erfolgter Verhandlungen zwischen den Beteiligten läge ein Rechtsschutzbedürfnis vor, zumal die Frage, ob die Verhandlungen gescheitert sind, der subjektiven Einschätzung der Betriebspartner unterliege. Die Einigungsstelle sei nicht offensichtlich unzuständig. Das Mitbestimmungsrecht beruhe auf § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG. Aus dem Schreiben des Arbeitgebers vom 25. August 2022 und auch aus der Gesamtbetriebsvereinbarung selbst ergebe sich, dass mit einem Budget für 2023 zu rechnen gewesen sei. Dies ergebe sich zudem aus einer E-Mail der Arbeitsdirektorin des Arbeitgebers vom 19. August 2022. Nachvollziehbare Einwände gegen den vorgeschlagenen Vorsitzenden X. seien keine vorgebracht worden.



Dieser Beschluss wurde dem Arbeitgeber am 14. Oktober 2022 zugestellt. Hiergegen richtet sich die vorliegende Beschwerde des Arbeitgebers, die am 28. Oktober 2022 beim Landesarbeitsgericht einging und zugleich begründet wurde.



Der Arbeitgeber beanstandet eine Verletzung materiellen Rechts.



Er beanstandet zuletzt noch die Ordnungsgemäßheit der Beschlussfassung des Gesamtbetriebsrats vom 27. September 2022. Die Ergänzung der Tagesordnung am 26. September 2022 sei nicht mehr rechtzeitig gewesen. Dies habe sich wegen des Fehlens des Gesamtbetriebsratsmitglieds Frau S. in der Sitzung vom 27. September 2022 auch ausgewirkt.



Außerdem meint er zuletzt, dass der Regelungsgegenstand, für welchen die Einigungsstelle gebildet werden solle, sich mittlerweile erledigt habe. Wie dem Gesamtbetriebsrat mit Schreiben vom 12. November 2022 mitgeteilt, sei der Arbeitgeber schließlich nach Bereitstellung des Budgets gehalten gewesen, in Anwendung der nachwirkenden Gesamtbetriebsvereinbarung eine Verteilung vorzunehmen. Dies sei den Mitarbeitern auch bereits kommuniziert worden.



Mit dem Vorsitzenden X. erklärt sich der Arbeitgeber weiterhin nicht einverstanden. Allein deshalb sei von dessen Bestellung abzusehen. Eine Benennung von Gründen sei entbehrlich, um nicht die Verhandlung unter diesem Vorsitzenden zu belasten, sollte dieser doch eingesetzt werden.



Der Arbeitgeber beantragt:



Der Gesamtbetriebsrat beantragt,



Der Gesamtbetriebsrat hält die Verfahrenseinleitung für ordnungsgemäß. Schließlich sei die Ergänzung der Tagesordnung am 27. September 2022 einstimmig gebilligt worden.



Er meint, der Arbeitgeber könne nicht während des laufenden Einigungsstelleneinsetzungsverfahrens den Regelungsgegenstand durch einseitige Verteilung in Anwendung der nur noch nachwirkenden Gesamtbetriebsvereinbarung entziehen. Dies verstoße gegen den Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit.



Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrags der Beteiligten wird auf die wechselseitigen Schriftsätze und auf das Protokoll des Anhörungstermins vom 7. Dezember 2022 Bezug genommen.



B



Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und begründete und auch im Übrigen zulässige Beschwerde des Arbeitgebers ist nicht begründet.



Das Arbeitsgericht hat die Einigungsstelle zu Recht eingesetzt.



I.



Der Antrag ist zulässig.



1. Die Verfahrenseinleitung ist durch eine ordnungsgemäße Beschlussfassung des Gesamtbetriebsrats gedeckt.



a) Die Einleitung eines arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens und die Beauftragung eines Rechtsanwalts bedürfen eines ordnungsgemäßen Beschlusses des Gesamtbetriebsrats. Ohne entsprechenden Beschluss des Gesamtbetriebsrats ist der Gesamtbetriebsratsvorsitzende nicht befugt, das Beschlussverfahren im Namen des Gesamtbetriebsrats, den er nur im Rahmen der gefassten Beschlüsse vertritt (§ 51 Abs. 1 Satz 1, § 26 Abs. 2 Satz 1 BetrVG), durchzuführen. Ohne Beschluss des Gesamtbetriebsrats über die Beauftragung eines Rechtsanwalts besitzt dieser nicht die erforderliche Prozessvollmacht. Das Gericht hat den Mangel der Legitimation des gesetzlichen Vertreters nach § 56 Abs. 1 ZPO von Amts wegen und den Mangel der Prozessvollmacht nach § 88 Abs. 2 ZPO auf Rüge zu berücksichtigen. Ist die Beschlussfassung unterblieben oder fehlerhaft erfolgt, ist der für den Gesamtbetriebsrat gestellte Antrag als unzulässig abzuweisen. Der Gesamtbetriebsrat kann die bereits erfolgte Einleitung eines Beschlussverfahrens und die bereits erfolgte Beauftragung eines Verfahrensbevollmächtigten allerdings genehmigen. Die Genehmigung durch eine nachträgliche Beschlussfassung ist bis zum Ergehen einer Prozessentscheidung, durch die der Antrag zu Recht als unzulässig abgewiesen wird, möglich. Der Nachweis über die bis zum Zeitpunkt der Prozessentscheidung erfolgte Beschlussfassung kann noch im Rechtsmittelverfahren geführt werden (BAG 4. November 2015 - 7 ABR 61/13 -).



b) Ob die Verfahrenseinleitung durch die Beschlussfassung des Gesamtbetriebsrats vom 22. August 2022 gedeckt war, kann dahinstehen. Die Verfahrenseinleitung und die Bestellung des Verfahrensbevollmächtigten wurde jedenfalls durch die erneute Beschlussfassung des Gesamtbetriebsrats vom 27. September 2022 genehmigt.



c) Die Beschlussfassung vom 27. September 2022 erfolgte auch ordnungsgemäß.



aa) Die Wirksamkeit eines in einer Betriebsratssitzung gefassten Betriebsratsbeschlusses setzt voraus, dass die Betriebsratsmitglieder nach § 29 Abs. 2 Satz 3 BetrVG vom Vorsitzenden rechtzeitig unter Mitteilung der Tagesordnung zur Betriebsratssitzung geladen wurden. Die Vorschrift des § 29 Abs. 2 Satz 3 BetrVG dient mittelbar der Willensbildung des Betriebsrats, indem sie dem einzelnen Betriebsratsmitglied eine sachgerechte Sitzungsvorbereitung ermöglichen und ihn vor unbedachten und unvorbereiteten Entscheidungen schützen soll. Die rechtzeitige Ladung unter Übermittlung der Tagesordnung soll ihm Gelegenheit geben, sich ein Bild über die zu treffenden Entscheidungen zu machen und ihm die Möglichkeit eröffnen, sich sachgerecht und ordnungsgemäß auf die Betriebsratssitzung vorbereiten zu können. Damit wird eine demokratischen Grundprinzipien gerecht werdende Willensbildung des Betriebsrats gewährleistet und der Gefahr einer Überrumpelung einzelner Betriebsratsmitglieder bei der Beratung und anschließenden Abstimmung entgegengewirkt. Erfolgt die Ladung zu einer Betriebsratssitzung ohne Übermittlung der Tagesordnung, liegt ein evidenter Gesetzesverstoß vor (BAG 22. November 2017 - 7 ABR 46/16 -).



Eine mangels Übermittlung der Tagesordnung iSd. § 29 Abs. 2 Satz 3 BetrVG verfahrensfehlerhafte Ladung zu einer Betriebsratssitzung kann durch die ordnungsgemäß geladenen Mitglieder und Ersatzmitglieder des Betriebsrats in der Betriebsratssitzung geheilt werden, wenn der Betriebsrat beschlussfähig iSd. § 33 Abs. 2 BetrVG ist und die Anwesenden einstimmig beschließen, über einen Regelungsgegenstand zu beraten und abzustimmen. Das Erfordernis der Einstimmigkeit schützt das einzelne Betriebsratsmitglied davor, über betriebsverfassungsrechtliche Angelegenheiten befinden zu müssen, mit denen es sich aus seiner Sicht noch nicht angemessen befasst und noch keine abschließende Meinung gebildet hat. Um diesen Schutz zu erreichen, wird von dem einzelnen Betriebsratsmitglied lediglich verlangt, der Ergänzung oder der Erstellung einer bisher nicht vorhandenen Tagesordnung ohne Begründung die Zustimmung zu verweigern. Bereits dadurch wird der Betriebsrat an einer abschließenden Willensbildung in der betreffenden Angelegenheit gehindert. Dagegen genügt es nicht, wenn die anwesenden Betriebsratsmitglieder mit einfacher oder qualifizierter Mehrheit für die Ergänzung oder Aufstellung einer Tagesordnung stimmen. Dadurch wird die eigenständige Willensbildung des einzelnen Betriebsratsmitglieds nicht hinreichend geschützt. Vielmehr wäre es auf die Unterstützung anderer Mitglieder des Betriebsrats angewiesen. Dem soll die Verfahrensvorschrift des § 29 Abs. 2 Satz 3 BetrVG aber gerade entgegenwirken. Der einstimmige Beschluss kann von dem nach Maßgabe von § 33 Abs. 2 BetrVG beschlussfähigen Betriebsrat gefasst werden. Das vollständige Erscheinen aller Mitglieder des Betriebsrats ist nicht erforderlich. Der Normzweck des § 29 Abs. 2 Satz 3 BetrVG verlangt keine Einschränkung der allgemeinen Regelung über die Beschlussfähigkeit des Betriebsrats, wenn dieser über die Ergänzung oder Aufstellung einer Tagesordnung in der laufenden Betriebsratssitzung zu entscheiden hat. Diesem wird vielmehr durch das Einstimmigkeitserfordernis hinreichend Rechnung getragen (BAG 22. November 2017 - 7 ABR 46/16 -; BAG 22. Januar 2014 - 7 AS 6/13 -).



bb) Vorliegend wurden die Mitglieder des Gesamtbetriebsrats unstreitig am 20. September 2022 unter Beifügung einer Tagesordnung zur Gesamtbetriebsratssitzung am 27. September 2022 geladen. Dies war rechtzeitig. Diese Ladung beinhaltete jedoch den Tagesordnungspunkt zur Genehmigung der Verfahrenseinleitung des hier streitgegenständlichen Verfahrens noch nicht. Dieser Tagesordnungspunkt wurde den Gesamtbetriebsratsmitgliedern erst gemeinsam mit einer ergänzten Tagesordnung am Vortag der Sitzung um 15:46 Uhr zugeleitet. Es spricht viel dafür, dass dies nicht mehr rechtzeitig war.



Jedoch wurde die Ergänzung der Tagesordnung von den anwesenden Gesamtbetriebsratsmitgliedern bei bestehender Beschlussfähigkeit einstimmig angenommen. Dass das Gesamtbetriebsratsmitglied Frau S. nicht anwesend war, ist unerheblich.



cc) Die Beschlussfassung ist auch nicht deshalb unwirksam, weil für die nicht erschienene Frau S. kein Ersatzmitglied geladen wurde.



(1) Die ordnungsgemäß zur Gesamtbetriebsratssitzung geladene Frau S. war an einer Sitzungsteilnahme am 27. September 2022 nämlich unstreitig nicht zeitweilig verhindert iSv. § 25 Abs. 1 BetrVG. Sie zog lediglich "Business"-Angelegenheiten, namentlich ein Kundengespräch, ihrer Amtspflicht zur Sitzungsteilnahme vor. Sie war also unentschuldigt. Ein Ersatzmitglied hätte, selbst bei Kenntnis des Vorsitzenden des Gesamtbetriebsrats von einer beabsichtigten Nichtteilnahme der Frau S., nicht geladen werden dürfen.



(2) Selbst wenn man aber davon ausgehen wollte, dass ein Verhinderungsfall bei Frau S. vorgelegen hätte, hätte ein Ersatzmitglied nicht mehr zur Verfügung gestanden, welches hätte geladen werden können. Das Ersatzmitglied N. P. war nämlich wegen Urlaubs verhindert. Das weitere Ersatzmitglied C. H. nahm an der Sitzung teil als Vertreter für das wegen Urlaubs verhinderte reguläre Mitglied E. K.. Weitere H. Ersatzmitglieder gibt es nicht.



2. Dem Betriebsrat steht auch ein Rechtsschutzbedürfnis zur Seite.



a) Für die Bildung einer Einigungsstelle nach § 100 ArbGG fehlt grundsätzlich das Rechtsschutzinteresse, wenn die Betriebsparteien in einer beteiligungspflichtigen Angelegenheit nicht den nach § 74 Abs. 1 Satz 2 BetrVG vorgesehenen Versuch einer gütlichen Einigung unternommen, sondern sofort die Einigungsstelle angerufen haben. Ein Rechtsschutzinteresse besteht nur, wenn der Antragsteller geltend macht, dass entweder die Gegenseite Verhandlungen über das Regelungsverlangen ausdrücklich oder konkludent verweigert hat oder mit Verständigungswillen geführte Verhandlungen gescheitert sind (BAG 18. März 2015 - 7 ABR 4/13 -; LAG München 13. Dezember 2021 - 3 TaBV 59/21-). Von den Betriebsparteien wird abverlangt, dass sie mit dem ernsten Willen zur Einigung eine Beilegung der Streitigkeit versucht haben (Pfeiffer in Spengler/Hahn/Pfeiffer Betriebliche Einigungsstelle 2. Aufl. Kap. 4 Rn. 21). Ob die Gegenseite Verhandlungen verweigert oder mit Verständigungswillen geführte Verhandlungen gescheitert sind, bleibt der subjektiven Einschätzung jedes Betriebspartners überlassen, die nicht offensichtlich unbegründet sein darf. Anderenfalls würde der in § 100 ArbGG zugrundeliegende Beschleunigungszweck konterkariert werden, nach dem beim Auftreten von Meinungsverschiedenheiten in einer mitbestimmungspflichtigen Angelegenheit möglichst rasch eine formal funktionsfähige Einigungsstelle zur Verfügung gestellt werden soll. Zudem hätte es die verhandlungsunwillige Partei durch geschicktes Taktieren in der Hand, die Einsetzung einer Einigungsstelle längere Zeit zu blockieren (LAG München 13. Dezember 2021 - 3 TaBV 59/21 -).



b) Vorliegend haben unstreitig vier Verhandlungsrunden stattgefunden. Richtig ist zwar, dass eine Neuregelung der Gesamtbetriebsvereinbarung "Gehaltssystem" noch nicht in Gänze ausverhandelt wurde. Jedenfalls zum Teilbereich "Verteilungsgrundsätze über eine Entgelterhöhung für das Fiskaljahr 2023" in Form einer Sonderregelung fanden Verhandlungen statt, die sogar unstreitig zu keiner Einigung führten. Dies ergibt sich sogar aus dem eigenen Schreiben des Arbeitgebers vom 25. August 2022. Der Arbeitgeber beharrt darauf, keine ausschließlich für das Jahr 2023 betreffende Sonderregelung zu wünschen. Die Einschätzung des Gesamtbetriebsrats, dass insoweit ein Scheitern der Verhandlungen vorlag, ist jedenfalls nicht offensichtlich unbegründet.



II.



Der Antrag des Gesamtbetriebsrats auf Einsetzung der Einigungsstelle ist auch begründet.



1. Nach § 100 Abs. 1 Satz 1 ArbGG iVm. § 76 Abs. 2 Satz 2 und 3 BetrVG hat das Arbeitsgericht die Person des Vorsitzenden der Einigungsstelle zu bestellen, wenn darüber eine Einigung zwischen den Betriebsparteien nicht zustande kommt. Das Arbeitsgericht entscheidet auch, wenn kein Einverständnis über die Zahl der Beisitzer erzielt wird. Nach § 100 Abs. 1 Satz 2 ArbGG können die Anträge wegen fehlender Zuständigkeit der Einigungsstelle nur zurückgewiesen werden, wenn die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig ist. Im Bereich des erzwingbaren Einigungsstellenverfahrens (§ 76 Abs. 5 Satz 1 BetrVG) ist von einer offensichtlichen Unzuständigkeit auszugehen, wenn die streitige Regelungsfragen nach fachkundiger Beurteilung durch das Gericht sofort erkennbar unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats unterliegt (LAG Baden-Württemberg 9. März 2022 - 19 TaBV 1/22 -). Diese weitgehende Einschränkung der Zuständigkeitsprüfung erklärt sich aus der Besonderheit des Verfahrens zur Errichtung einer Einigungsstelle. Dieses Verfahren ist darauf angelegt, den Betriebsparteien möglichst rasch eine funktionsfähige Einigungsstelle zur Verfügung zu stellen (LAG Baden-Württemberg 30. September 2010 - 15 TaBV 4/10 -).



2. Die Einigungsstelle ist in Anwendung dieser Grundsätze nicht deshalb offensichtlich unzuständig, weil das geltend gemachte Mitbestimmungsrecht dem Gesamtbetriebsrat nicht zustünde.



a) Nach § 50 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist der Gesamtbetriebsrat für eine Angelegenheit, die das Gesamtunternehmen oder mehrere Betriebe betrifft, originär zuständig, wenn ein zwingendes Erfordernis für eine betriebsübergreifende Regelung besteht. Dieses Erfordernis kann sich aus technischen oder rechtlichen Gründen ergeben. Davon ist etwa auszugehen, wenn der Arbeitgeber im Bereich der freiwilligen Mitbestimmung zu einer Maßnahme, Regelung oder Leistung nur betriebsübergreifend bereit ist. Wenn der Arbeitgeber mitbestimmungsfrei darüber entscheiden kann, ob er eine Leistung überhaupt erbringt, kann er sie von einer überbetrieblichen Regelung abhängig machen und so die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats für den Abschluss einer entsprechenden Betriebsvereinbarung herbeiführen. Die bloße Zweckmäßigkeit oder der Wunsch nach einer unternehmenseinheitlichen Regelung ist dagegen nicht geeignet, in Angelegenheiten der zwingenden Mitbestimmung die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats zu begründen (BAG 18. Mai 2010 - 1 ABR 96/08 -; BAG 23. März 2010 - 1 ABR 82/06 -). Bietet der Arbeitgeber an, sich zu jährlichen Gehaltsanpassungen nach einem bestimmten Schema zu verpflichten, und knüpft er dies an die Bedingung einer unternehmensweiten Regelung, so begründet dies die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats. Es handelt sich um eine freiwillige Leistung, da der Arbeitgeber zwar auch bei einer fehlenden Tarifbindung zur Zahlung einer Vergütung, nicht aber zu deren regelmäßiger Anpassung verpflichtet ist (LAG Düsseldorf 17. Juni 2016 - 6 TaBV 20/16 -; LAG Hamm 26. April 2013 - 13 TaBV 21/13 -).



b) So liegt der Fall auch hier. Der Arbeitgeber möchte den Entgelterhöhungs"topf" nur zur Verfügung stellen, wenn die Verteilung unternehmenseinheitlich erfolgt. Dies ergibt sich schon aus der bisherigen Gesamtbetriebsvereinbarung.



3. Dem Gesamtbetriebsrat steht auch ein Mitbestimmungsrecht zu.



a) Das Mitbestimmungsrecht beruht auf § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG.



b) Die Frage, ob die vom Arbeitgeber erstinstanzlich noch reklamierte fehlende Endgültigkeit der Zurverfügungstellung eines Entgelterhöhungsbudgets zu einer offensichtlichen Unbegründetheit hätte führen können, muss nicht mehr beantwortet werden. Denn mittlerweile hat der Arbeitgeber dem Betriebsrat mit E-Mail vom 12. November 2022 die Entscheidung mitgeteilt, dass (wie auch schon mit E-Mails vom 19. August 2022 und 25. August 2022 vorangekündigt) "die 3,5 % Gehaltserhöhung bestehen bleibt".



4. Es ist auch nicht mittlerweile eine offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle dadurch eingetreten, weil sich der Regelungsgegenstand, über den die Einigungsstelle befinden soll, erledigt hätte.



a) Ist eine mitbestimmungspflichtige Maßnahme bereits endgültig beschlossen und durchgeführt, so wird die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig (so zumindest bei bereits durchgeführten Betriebsänderungen vor Abschluss eines Interessenausgleichs: LAG Nürnberg 12. Dezember 2018 - 4 TaBV 19/18 -; LAG Hamm 6. September 2010 - 10 TaBV 51/10 -). Grund für eine solche offensichtliche Unzuständigkeit ist, dass die Ausübung des Mitbestimmungsrechts bei bereits unumkehrbar durchgeführter Maßnahme "ins Leere" ginge.



b) Eine solche Situation, dass die Ausübung des Mitbestimmungsrechts durch den Gesamtbetriebsrat "ins Leere" ginge, liegt derzeit (noch) nicht vor, jedenfalls nicht offensichtlich.



aa) Der Arbeitgeber hat zwar Recht, wenn er darauf verweist, dass er aktuell mangels ablösender Regelung noch aufgrund der Nachwirkung der gekündigten Gesamtbetriebsvereinbarung (§ 77 Abs. 6 BetrVG, Nr. X c GBV) an diese gebunden ist. Dies bedeutet aber nicht, dass diese Regelung derzeit nicht mehr durch eine Neuregelung abgelöst werden könnte. Eine Anspruchsbegründung auf eine Entgelterhöhung mit unmittelbarer und zwingender Wirkung (§ 77 Abs. 3 BetrVG) bei den Mitarbeitern kommt ausweislich der Regelung in Nr. IV der Gesamtbetriebsvereinbarung nämlich ohnehin frühestens zum 1. Januar 2023 in Betracht. Denn erst zu diesem Zeitpunkt sollen Gehaltserhöhungen "wirksam" werden. Unabhängig von der betrieblichen Kommunikation seitens des Arbeitgebers kann mindestens bis dahin noch eine anderweitige ablösende Regelung getroffen werden.



bb) Hinzu kommt, dass die Entgeltansprüche der Mitarbeiter monatlich fällig werden, im Fiskaljahr 2023 somit zwölfmal. Ohne die Frage eines Rückwirkungsverbots vorliegend prüfen zu wollen, ist jedenfalls nicht offensichtlich ausgeschlossen, dass selbst wenn für einzelne Monate Entgelterhöhungen schon ausgezahlt worden sein sollten, bevor es zu einer Neuregelung kommt, eine solche zumindest für die Folgemonate getroffen werden könnte. Die Nachwirkung gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG soll schließlich nur eine Überbrückungsfunktion (Hessisches LAG 5. August 2019 - 16 TaBV 50/19 -) bieten bis zum Abschluss einer Neuregelung mit gemäß § 77 Abs. 3 BetrVG unmittelbar und zwingender Wirkung.



cc) Außerdem ist das Verfahren gem. Nr. IV c letzter Satz der Gesamtbetriebsvereinbarung noch nicht abgeschlossen. Der Gesamtbetriebsrat hat trotz Aufforderung durch den Arbeitgeber die Richtigkeit der mitgeteilten Erhöhungsmatrix nicht bestätigt. Der Gesamtbetriebsrat hat somit keinen Beitrag geleistet, aus dem abgeleitet werden könnte, dass auch er eine Verteilung auf der Grundlage der nachwirkenden Gesamtbetriebsvereinbarung als abschließend vorgenommen betrachten wollte.



5. Auch die Einsetzung von Herrn Direktor des Arbeitsgerichts X. als Vorsitzenden dieser Einigungsstelle ist nicht zu beanstanden.



a) Die Einigungsstelle besteht aus einer gleichen Anzahl von Beisitzern, die vom Arbeitgeber und Betriebsrat bestellt werden, und einem unparteiischen Vorsitzenden, auf dessen Person sich beide Seiten einigen müssen. Kommt eine Einigung über die Person des Vorsitzenden nicht zustande, so bestellt ihn das Arbeitsgericht (§ 76 Abs. 2 Satz 1 und 2 BetrVG). Maßgebend für die Ermessensentscheidung hinsichtlich der Person des unparteiischen Vorsitzenden ist, dass dieser über die erforderliche Rechts- und Sachkunde verfügt und unparteiisch ist. Im Übrigen ist das Gericht bei der Auswahl der zu bestellenden Person unter Beachtung der Grenzen des § 100 Abs. 1 Satz 5 ArbGG grundsätzlich frei und an die Vorschläge der Beteiligten nicht gebunden (LAG Baden-Württemberg 30. September 2010 - 15 TaBV 4/10 -).



Streitig ist, wie zu verfahren ist, wenn die vom Antragsteller benannte Person von einem anderen Beteiligten abgelehnt wird.



Teilweise wird vertreten, dass ein vorgeschlagener Vorsitzender von der Gegenseite auch ohne Nennung eines Grundes abgelehnt werden könne. Damit solle zum einen ein Wettbewerb um den ersten Vorschlag verhindert werden. Außerdem sei das aufzubauendem Vertrauensverhältnis fragil. Dieses Vertrauen wäre erheblich beeinträchtigt, wenn die ablehnende Partei gezwungen wäre, ihre Gründe offenzulegen, die aus Ihrer Sicht gegen die von der anderen Betriebspartei benannte Person sprechen (LAG Hamburg 27. November 2019 - 5 TaBV 11/19 -).



Diese Auffassung überzeugt nicht. Ein bloßes "Nein", nur schlagwortartige Einwände oder reine Mutmaßungen sind nicht ausreichend. Vielmehr sind zumindest aus subjektiver Sicht der jeweils anderen Betriebsparteien nachvollziehbare, auf Tatsachen beruhende Einwände bzw. verifizierbare Bedenken erforderlich. Denn es gibt kein schützenswertes Interesse, einen Vorschlag ohne beachtlichen Grund nur deshalb abzulehnen und der vorgeschlagenen Person das erforderliche Vertrauen vorzuenthalten, weil der Vorschlag von der jeweils anderen Betriebspartei kommt. Anderenfalls bestünde die Gefahr, dass die in Betracht kommenden Kandidatinnen und Kandidaten ohne jeden Grund in Misskredit gebracht oder mit einem "Gegnerfavoritenmakel" versehen werden. Dies ist mit der Rolle und Funktion der oder des Vorsitzenden als unabhängig und unparteiisch agierende Person nicht zu vereinbaren (LAG Berlin-Brandenburg 18. Juni 2015 - 21 TaBV 745/15 -; LAG Baden-Württemberg 30. September 2010 - 15 TaBV 4/10 -). Zudem wäre die antragstellende Betriebspartei, wenn sie eine bestimmte Person für die Übernahme des Vorsitzes im konkreten Einzelfall für besonders geeignet hält, gezwungen, diesen Vorschlag zunächst zurückzuhalten und stattdessen eine andere, nicht favorisierte Person vorzuschlagen und dessen Einverständnis einzuholen, um dann, wenn die andere Betriebspartei den Vorschlag routinemäßig abgelehnt hat, die eigentlich favorisierte Person ins Spiel zu bringen. Die Notwendigkeit eines solchen taktischen Vorgehens ist weder der antragstellenden Betriebspartei, noch den betroffenen Kandidatinnen oder Kandidaten zumutbar und passt auch nicht zu einem förmlichen rechtsstaatlichen Verfahren (LAG Berlin-Brandenburg 18. Juni 2015 - 21 TaBV 745/15 -).



b) Vorliegend hat der Arbeitgeber keinerlei konkrete Einwände gegen die Bestellung von Herrn X. als Vorsitzenden vorgebracht. An dessen Qualifikation bestehen keine Zweifel. Es handelt sich um einen erfahrenen Einigungsstellenvorsitzenden.



6. Mit der Bestellung von drei Beisitzern je Seite bestand beiderseitiges Einverständnis.



III.



1. Diese Entscheidung ergeht gemäß § 100 Abs. 2 Satz 3 ArbGG durch den Vorsitzenden der Beschwerdekammer.



2. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei, § 2 Abs. 2 GKG.

Stöbe

Vorschriften§ 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG, § 51 Abs. 1 Satz 1, § 26 Abs. 2 Satz 1 BetrVG, § 56 Abs. 1 ZPO, § 88 Abs. 2 ZPO, § 29 Abs. 2 Satz 3 BetrVG, § 33 Abs. 2 BetrVG, § 25 Abs. 1 BetrVG, § 100 ArbGG, § 74 Abs. 1 Satz 2 BetrVG, § 100 Abs. 1 Satz 1 ArbGG, § 76 Abs. 2 Satz 2 und 3 BetrVG, § 100 Abs. 1 Satz 2 ArbGG, § 76 Abs. 5 Satz 1 BetrVG, § 50 Abs. 1 Satz 1 BetrVG, § 77 Abs. 6 BetrVG, § 77 Abs. 3 BetrVG, § 76 Abs. 2 Satz 1 und 2 BetrVG, § 100 Abs. 1 Satz 5 ArbGG, § 100 Abs. 2 Satz 3 ArbGG, § 2 Abs. 2 GKG