Beschluss vom 14.12.2022 · IWW-Abrufnummer 233150
Landesarbeitsgericht Thüringen - Aktenzeichen 4 Ta 74/22
1. Die sofortige Beschwerde gegen einen Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschluss gem. § 127 Abs. 2 ZPO ist Rechtsmittel im Sinne von § 9 Abs. 5 ArbGG, über welches zu belehren ist.
2. Unterbleibt die Belehrung nach § 9 Abs. 5 ArbGG oder ist diese fehlerhaft, beträgt die Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde 1 Jahr seit Zustellung des Beschlusses.
3. Versäumt das Gericht eine*n anwaltlich nicht vertretene Antragsteller*in, die*der ausdrücklich um Hinweis bittet, falls die schriftsätzlich mitgeteilten - unvollständigen - Angaben zum Einkommen nicht ausreichen, auf die Notwendigkeit der Verwendung des amtlichen Vordrucks zur Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und die Notwendigkeit der Vollständigkeit dieser Erklärung hinzuweisen, können die Angaben noch im Beschwerderechtszug ausnahmsweise nach Abschluss der Instanz, für die Prozesskostenhilfe beantragt war, nachgeholt werden. Die Bewilligung ist in diesem Falle rückwirkend möglich.
Tenor:
Auf sofortige Beschwerde der Klägerin hin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Erfurt vom 01.08.2022 - 2 Ca 1530/21 - i. d. F. des Nichtabhilfebeschlusses vom 07.09.2022 geändert.
Der Klägerin wird ab dem 21.09.2021 Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug ohne Verpflichtung zur Ratenzahlung bewilligt.
Gründe
I.
Mit am 21.09.2021 eingegangenen Schriftsatz hat die Klägerin Klage erhoben und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt. Sie hat einige Ausführungen zu ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen gemacht und am Ende um einen Hinweis für den Fall, dass noch weitere Angaben nötig seien, gebeten. Das Gericht hat mit Verfügung vom 30.09.2021 darauf hingewiesen, dass für den Fall, dass eine Anwaltsbeiordnung gewünscht sei, ein solcher benannt werden müsse.
In diesem Hinweis hat das Gericht darauf hingewiesen, dass der zu beauftragende Anwalt dann über die Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe beraten würde.
Am 17.11.2021 fand ein Gütetermin beim Arbeitsgericht statt zu dem Klägerin nicht erschienen war und die Klage per Versäumnisurteil abgewiesen wurde. Dieses Versäumnisurteil ist rechtskräftig geworden.
Mit Beschluss vom 01.08.2022 hat das Arbeitsgericht den Antrag auf Prozesskostenhilfe zurückgewiesen mit der Begründung, es sei keine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zur Akte gereicht worden. Der Beschluss enthält eine Rechtsmittelbelehrung über eine sofortige Beschwerde mit dem Hinweis auf eine Notfrist von 2 Wochen.
Dieser Beschluss ist der Klägerin am 05.08.2022 zugestellt worden. Mit am 17.08.2022 eingegangenen Schriftsatz, welcher nicht unterschrieben war, hat die Klägerin sofortige Beschwerde erhoben, der das Gericht mit Beschluss vom 07.09.2022 nicht abgeholfen und dem Thüringer Landesarbeitsgericht als Beschwerdegericht vorgelegt hat mit dem Hinweis darauf, dass innerhalb der 2-wöchigen Beschwerdefrist keine unterzeichnete Beschwerde eingegangen sei.
Nachdem das LAG diesen Hinweis zunächst aufgenommen hatte und dem Beschwerdegericht später aufgefallen war, dass die Rechtsmittelbelehrung des Arbeitsgerichts eine 2-wöchige Notfrist für die Erhebung der Beschwerde beinhaltete hat das Gericht darauf hingewiesen, dass die Unterschrift noch nachgeholt werden könne.
Daraufhin hat die Klägerin mit am 30.11.2022 beim Thüringer Landesarbeitsgericht eingegangenen und unterschriebenen Schriftsatz gebeten, die letzten Hinweise noch zu konkretisieren und nachgefragt, auf welchen Zeitpunkt sich die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse beziehen solle.
Nach weiterer Erläuterung der Hinweise hat die Klägerin dann mit am 09.12.2022 innerhalb der nachgelassenen Frist eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Anlagen eingereicht, auf die Bezug genommen wird (Bl. B16 bis B35 des PKH-Beiheftes).
II.
1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig. Sie ist rechtzeitig formgerecht eingegangen.
Die Frist für die sofortige Beschwerde betrug hier ein Jahr ab Zustellung, weil die angefochtene Entscheidung eine unzutreffende Rechtsmittelbelehrung enthielt.
Gemäß § 9 Abs. 5 ArbGG enthalten alle mit einem befristeten Rechtsmittel anfechtbaren Entscheidungen eine Belehrung über das Rechtsmittel. Die sofortige Beschwerde ist ein Rechtsmittel (statt vieler GMP/Müller-Glöge ArbGG § 78 Rn. 2). Nach Satz 4 der Vorschrift verlängert sich die Frist für die Einlegung des Rechtsmittels auf ein Jahr ab Zustellung der Entscheidung, wenn die Belehrung unrichtig erteilt worden ist. Das ist hier der Fall. Die Frist für die sofortige Beschwerde gegen einen ablehnenden PKH-Beschluss beträgt gemäß § 127 Abs. 2 Satz 3 ZPO einen Monat und nicht zwei Wochen.
Der angefochtene Beschluss ist am 05.08.2022 zugestellt worden. Mit dem am 30.11.2022 eingegangen unterschriebenen Schriftsatz ist die Beschwerde formwirksam und fristgerecht erhoben.
Der Schriftsatz vom 30.11.2022 ist als Wiederholung der Beschwerde anzusehen und damit rechtzeitig. Er ist auch formgerecht, weil er unterschrieben ist. Aus dem Schreiben vom 30.11.2022 ergibt sich der eindeutige Wille der Klägerin, nach wie vor den Beschluss des Arbeitsgerichts anzugreifen und eine Änderung herbeizuführen in Richtung einer ratenfreien Prozesskostenhilfebewilligung. Unter Berücksichtigung dessen, dass die Klägerin als Naturpartei selbst agierte, kann dieser Schriftsatz, der auch Bezug nahm auf die bisherigen Hinweise des Gerichts und erkennbar auch die Nachholung der Unterschrift darstellen sollte, nur so verstanden werden, dass damit die Beschwerde im Wesentlichen wiederholt wird.
2. Die Beschwerde ist auch begründet.
Die Klägerin hat gem. § 114 ZPO einen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe, denn sie ist bedürftig im Sinne der Vorschrift (a), ihrer Rechtsverfolgung konnte nicht von vornherein die Erfolgsaussicht abgesprochen werden (b) und die Bewilligung konnte ausnahmsweise rückwirkend nach Abschluss der Instanz, für die sie beantragt war, erfolgen (c).
a) Aufgrund der nunmehr vorgelegten Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ergibt sich die Bedürftigkeit der Klägerin. Sie hat kein einzusetzendes Vermögen hat und auch kein Einkommen, welches ihr die Prozessführung ermöglicht. Die Prozesskostenhilfe war ratenfrei zu bewilligen.
b) Der erhobenen Kündigungsschutzklage konnten die Erfolgsaussichten zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht abgesprochen werden. Der Maßstab hierfür hat sich am Sinn der Prozesskostenhilfe zu orientieren, wofür letztlich auch die Rechtsgedanken aus der Gewährleistung eines fairen Verfahrens, wie sie in Art. 6 EMRK zum Ausdruck kommen, beachtlich sind. Die Prozesskostenhilfe soll sicherstellen, dass eine Partei der grundsätzlich gegebene Rechtsweg nicht allein aus finanziellen Gründen verwehrt bleibt. Deshalb fehlt einer Rechtsverfolgung nur dann die Erfolgsaussicht, wenn feststeht, dass die geltend gemachten Rechte nicht durchsetzbar sind. Hier hat die Klägerin eine nach Auslegung der Klageschrift rechtzeitige Kündigungsschutzklage eingereicht. Diese hatte daher grundsätzlich Erfolgsaussichten, denn offenkundig war der Anwendungsbereich des ersten Abschnitts des Kündigungsschutzgesetzes gem. § 23 Abs. 1 KSchG eröffnet, die Klägerin hat angegeben schon 25 Jahre beschäftigt gewesen zu sein, also länger als 6 Monate (§ 1 Abs. 1 KSchG). Die Klage gilt in Ansehung der Fristeinhaltung (§ 4 KSchG) als rechtzeitig erhoben, denn sie ist innerhalb von 3 Wochen nach Zugang der Kündigung (31.8.2021) bei Gericht eingegangen (21.9.2021) und demnächst (1.10.2021) zugestellt worden (§ 167 ZPO). Einwendungen der für die soziale Rechtfertigung darlegungspflichtigen Beklagten lagen nicht vor.
c) Die Bewilligung konnte hier ausnahmsweise trotz Abschluss der Instanz nach Beendigung des Rechtstreits bezogen auf den Zeitpunkt des Antragseingangs erfolgen.
Normalerweise kann für eine Instanz, die bereits abgeschlossen ist, nicht rückwirkend Prozesskostenhilfe bewilligt werden. Hiervon ist eine Ausnahme zu machen, wenn die fehlende Bewilligungsreife des Antrags auf Versäumnisse des Gerichts zurückgeht. In dem Fall kann auch die Bewilligung auf einen Zeitpunkt vor Einreichung der für die Entscheidungsreife erforderlichen Unterlagen erfolgen.
Grundsätzlich hat eine antragstellende Partei mittels des hierfür vorgesehenen Vordrucks von sich aus ihre Bedürftigkeit im Sinne von § 144 ZPO nachzuweisen. Ist dies erkennbar aus Unkenntnis unterblieben und besteht erkennbar die Bereitschaft, den Antrag zu ergänzen, hat das Gericht auf die notwendige Aufklärung hinzuwirken und seinerseits durch Hinweise- und Auflagen den Versuch zu unternehmen, Bewilligungsreife herbeizuführen (vgl. dazu nur MüKo-ZPO/Wache § 119 Rn. 55 f.). Ohne einer anwaltlich nicht vertretenen Partei, welche zudem noch um Hinweis auf notwendige Ergänzungen ihres Vorbringens bittet und klarstellt, dass der Antrag mit den bisherigen Angaben zunächst zur Fristwahrung eingereicht ist, die erforderlichen Hinweise zu geben, darf der Antrag nicht zurückgewiesen werden.
Danach ist hier die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse berücksichtigungsfähig und die Prozesskostenhilfe ist ausnahmsweise rückwirkend auf den Zeitpunkt der Antragstellung zu bewilligen.
Die Klägerin war anwaltlich nicht vertreten. Sie hat in ihrem Prozesskostenhilfeantrag etwas zu ihren wirtschaftlichen Verhältnissen erklärt, aber nicht das entsprechende Formblatt benutzt. Sie hat allerdings ausdrücklich um Hinweise gebeten, wenn noch Ergänzungen oder weitere Angaben notwendig wären. Sie hat darauf hingewiesen, dass der Antrag zunächst der Fristwahrung diene. In einer solchen Situation hat das Gericht unter Berücksichtigung des Umstandes, dass letztendlich die Prozesskostenhilfe auch im Lichte von Art. 6 EMRK zu sehen ist, eine Naturpartei darauf hinzuweisen, dass der entsprechende amtliche Vordruck auszufüllen ist und Belege mit einzureichen sind und hierfür Gelegenheit zu geben. Ferner ist ein Hinweis erforderlich, dass hierfür eine Frist einzuhalten ist.
Das Gericht hat allerdings hier nur einen Hinweis darauf gegeben, dass für die Anwaltsbeiordnung erforderlich ist, dass die Klägerin einen zur Vertretung bereiten Anwalt benennt und darauf verwiesen, dass dieser die erforderlichen Beratungen vornehmen und Hinweise geben wird.
Das Gericht hätte deshalb durchaus vor abschlägiger Verbescheidung des Prozesskostenhilfeantrages hierauf noch einmal hinweisen und Gelegenheit geben müssen, die Erklärung nachzureichen. Dies konnte im Beschwerderechtszug nachgeholt werden.
Anlass für die Zulassung der Rechtsbeschwerde bestand nicht.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.