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Urteil vom 07.12.2022 · IWW-Abrufnummer 233153

Landesarbeitsgericht Thüringen - Aktenzeichen 4 Sa 123/21

Weist eine Partei den Zugang einer Briefsendung bei der Gegenpartei nach und behauptet, Inhalt sei ein bestimmtes Schreiben (hier: Geltendmachung) gewesen, reicht einfaches Bestreiten des konkreten Inhaltes nicht aus; die Gegenpartei kann und muss erklären, welchen anderen Inhalt die Briefsendung gehabt haben soll.


Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Nordhausen vom 28.4.2021 - 2 Ca 1153/20 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand



Die Parteien streiten über einen Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Zahlung einer Jahressonderzahlung für das Jahr 2019.



Die Klägerin war bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin seit dem 01.09.1983 als Krankenschwester mit einer durchschnittlichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden tätig. Es gab einen auf den 23.04.2020 datierten Einlieferungsbeleg über die Aufgabe einer Briefsendung bei der Post mit der Sendungsnummer ... Gerichtet war dieses Schreiben an die Beklagte. Am 24.04.2020 nahm Frau ..., eine Beschäftigte der Beklagten, eine Briefsendung mit der vorbezeichneten Sendungsnummer an.



Die Klägerin hat behauptet und behauptet noch, in dieser Briefsendung sei ein Schreiben gewesen, mit welchem sie die Beklagte aufgefordert habe, die Sonderzahlung für das Jahr 2019 mit der Mai-Abrechnung 2020 auszuzahlen. Wegen der weiteren Einzelheiten des behaupteten Inhaltes dieses Schreibens wird auf die als Anlage zu den Akten gereichte Kopie hiervon (Bl. 34 der Akte) Bezug genommen.



Wegen des weiteren unstreitigen und streitigen Vorbringens der Parteien im ersten Rechtszug sowie der dort gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (S. 2 und 3 des Entscheidungsabdrucks - Bl. 96 und 97 der Akte) Bezug genommen.



Mit Urteil vom 28.04.2021 hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben und die Beklagte verurteilt, 2.046,82 € brutto nebst Zinsen als Jahressonderzahlung für das Jahr 2019 zu zahlen.



Der Anspruch ergebe sich aus § 20 TVöD. Er sei rechtzeitig geltend gemacht. Hierzu reiche die Geltendmachung in Textform. Diese läge vor. Das Arbeitsgericht sei überzeugt davon, dass in dem der Beklagten zugegangenen Einschreiben mit der im Tatbestand näher bezeichneten Sendungsnummer auch das Aufforderungsschreiben, wie als Anlage zur Klagschrift eingereicht ist, enthalten war.



Gegen dieses ihr am 17.05.2021 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit am 08.06.2021 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit am 13.07.2021 eingegangenen Schriftsatz begründet.



Die Kammer des Arbeitsgerichts sei im entscheidenden Kammertermin vom 28.04.2021 nicht richtig besetzt gewesen. Wegen der Einzelheiten der Rüge des gesetzlichen Richters wird auf das Vorbringen im Berufungsbegründungsschriftsatz vom 13.07.2021 S. 1 - 3 (Bl. 122 - 124 der Akte) Bezug genommen.



Der Anspruch der Klägerin, so er überhaupt bestehe, sei verfallen, weil er nicht rechtzeitig geltend gemacht worden sei. Sie, die Beklagte, habe bestritten, ein Schreiben vom 23.04.2020 erhalten zu haben. Hierüber setzte sich das Arbeitsgericht hinweg in dem es die Klägerin informatorisch angehört habe. Das sei nicht gerechtfertigt. Damit sei die grundsätzliche Beweisverteilung missachtet. Ein Aufforderungsschreiben vom 23.04.2020 sei nicht bei ihr, der Beklagten, eingegangen. Die Angaben der Klägerin in ihrer Anhörung seien nicht mehr als Parteivortrag und nur entsprechend zu würdigen.



Davon abgesehen sei der Anspruch auch nicht begründet. Sie, die Beklagte, habe vor einigen Jahren das Unternehmen von der öffentlichen Verwaltung niedergewirtschaftet übernommen. Deshalb sei es notwendig gewesen, dass alle Mitarbeiter konstruktiv an der Verbesserung der wirtschaftlichen Lage mitgeholfen hätten. Der Betrieb habe nur überleben können, weil die meisten Mitarbeiter auf Sonderzahlungen verzichtet hätten. Die Auszahlung von Jahressonderzahlungen an diejenigen, die dabei nicht mitgemacht hätten, gefährde den Betriebsfrieden und sei eine Ungleichbehandlung. Deshalb sei die Geltendmachung der Jahressonderzahlung durch die Klägerin treuwidrig.



Die Beklagte beantragt,



das Urteil des Arbeitsgerichts Nordhausen vom 28.04.2021 - 2 Ca 1153/20 - aufzuheben und die Klage abzuweisen.



Die Klägerin beantragt,



die Berufung zurückzuweisen.



Der Anspruch sei nicht verfallen, weil er rechtzeitig geltend gemacht worden sei. Sie, die Klägerin, habe dies ausreichend dargelegt. Es sei an der Beklagten mitzuteilen, welchen Inhalt denn ansonsten das am 23.04.2020 zur Post gegebene und am 24.04.2021 von einer Mitarbeiterin der Beklagten entgegen genommene Schreiben gehabt haben solle.



Entscheidungsgründe



Die Berufung ist unbegründet, weil die Klage begründet ist.



Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung einer Jahressonderzahlung für das Jahr 2019 in der ausgeurteilten Höhe nebst Zinsen. Anspruchsgrundlage für den Anspruch ist § 20 TVöD. Anspruchsgrundlage für die Zinsen sind die §§ 286 Abs. 2 Nr. 1, 288 Abs. 1 BGB und § 20 Abs. 5 S. 1, 24 Abs. 1 S. 2 TVöD.



Der TVöD mit den Maßgaben des TVöD-BT-B findet unstreitig Anwendung auf das Arbeitsverhältnis.



Nach § 20 Abs. 1 TVöD. haben Beschäftigte, die am 1. Dezember im Arbeitsverhältnis stehen, einen Anspruch auf Jahressonderzahlung, dessen Höhe sich nach Abs. 2 der Vorschrift richtet. Die Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die in der Berufungsbegründung vorgetragenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten führen nicht dazu, dass der Anspruch untergeht. Der Verzicht anderer Arbeitnehmer führt ebenfalls nicht dazu, dass der Anspruch der Klägerin untergeht. Hierin liegt weder eine treuwidrige Geltendmachung von Ansprüchen noch eine Ungleichbehandlung.



Die Klägerin hat zur Überzeugung der Kammer diesen Anspruch rechtzeitig im Sinne des § 37 TVöD geltend gemacht. Der Anspruch war fällig zum 30.11.2019 (§ 20 Abs. 5 TVöD i.V.m. § 24 Abs. 1 S. 2 TVöD). Die Frist zur Geltendmachung lief am 31.5.2020 ab. Die Kammer ist davon überzeugt, dass die Klägerin am 23.4.2020 ein Schreiben mit dem Inhalt des als Anlage K5 zur Akte gereichten Schreibens zur Post gegeben hat, welches am 24.4.2020 der Beklagten zugegangen ist.



Nach § 286 Abs. 1 ZPO hat das Gericht sich eine Überzeugung von der Wahrheit oder Unwahrheit einer Tatsache zu bilden in freier Beweiswürdigung aufgrund des gesamten Inhalts der mündlichen Verhandlung und einer etwaigen Beweisaufnahme. Daraus folgt zunächst, dass eine Beweisaufnahme nicht zwingend notwendig ist, wenn sich das Gericht eine Überzeugung aufgrund des restlichen Inhalts der mündlichen Verhandlung schon fest bilden kann. So ist es hier. Maßstab für die Überzeugungsbildung ist ein für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit, der vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietet.



Zwischen den Parteien ist nicht streitig, dass die Klägerin am 23.04.2020 eine Briefsendung bei der Post aufgegeben hat und dass genau diese Briefsendung einen Tag später bei der Beklagten eingegangen und von einer Mitarbeiterin entgegengenommen worden ist. Das ergibt sich zur Überzeugung der Kammer daraus, dass ein entsprechender Einlieferungsbeleg und ein entsprechender Auslieferungsbeleg mit den entsprechenden Sendungsnummern, die deckungsgleich sind, nachweislich vorhanden sind. Die Beklagte hat dies nicht wirksam bestritten und ist auch der Behauptung, bei der die Briefsendung annehmenden Person, Frau ..., handele es sich um eine ihrer Mitarbeiterinnen, nicht entgegengetreten. Damit steht fest, dass am 23.4.2020 ein Briefumschlag von der Klägerin an die Beklagte gesandt worden und dort am 24.4.2020 angekommen ist.



Die Klägerin hat vorgetragen, das Schreiben mit dem Inhalt wie auf Bl. 34 der Akte in den unstreitig abgesendeten und bei der Beklagten eingegangenen Briefumschlag getan zu haben. In dem Schreiben hatte Sie Bezug genommen auf ein Versäumnisurteil vom 22.03.2019 sowie ein weiteres Versäumnisurteil vom 20.02.2018, deren Gegenstand jeweils eine Jahressonderzahlung gewesen sei. Ferner hat sie die Beklagte aufgefordert, unverzüglich mit der Mai-Abrechnung das 13. Monatsgehalt nachzuzahlen. Inhaltlich reicht das als Geltendmachung für die Jahressonderzahlung 2019 aus. Es ist erkennbar, dass eine Jahressonderzahlung gemeint ist, wenn auch die Klägerin dies als 13. Monatsgehalt bezeichnet. Das war die übliche Ausdrucksweise für solche Sonderzahlungen im öffentlichen Dienst. Ferner ergibt sich aus dem Geltendmachungszeitpunkt, nämlich vor dem Mai 2020, dass es sich nur um die Jahressonderzahlung 2019 handeln kann. Das ist dem Schreiben unschwer zu entnehmen.



Aus dem Schreiben ergibt sich außerdem, dass die Nachzahlung für den Zeitpunkt der Abrechnung Mai 2020 gefordert ist. Daraus lässt sich zwingend schlussfolgern, dass dieses Schreiben vor dem Zeitpunkt der Mai 2020-Abrechnung erstellt worden sein muss. Daraus wiederum ergibt sich, dass es sehr plausibel ist, dass dieses Schreiben Ende April 2020 gefertigt und auf den Weg gebracht worden ist.



Das einfache Bestreiten, dass dieses Schreiben nicht Inhalt der unstreitig am 24.04.2020 bei der Beklagten eingegangenen Briefsendung gewesen sei, reicht nicht aus. Gemäß § 138 Abs. 2 ZPO muss sich jede Partei vollständig und vor allem, dass sei hier betont, wahrheitsgemäß über das Vorbringen der Gegenseite erklären. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der behauptete Vorgang Gegenstand der Wahrnehmung der anderen Partei sein kann. So ist es hier, die Person, welche die Briefsendung am 24.04.2020 entgegengenommen hat, war unstreitig eine Beschäftigte der Beklagten. Diese muss zwingend zur Kenntnis genommen haben können, ob in dem von ihr entgegengenommenen Briefumschlag Inhalt gewesen ist und wenn ja welcher. Die Beklagte hat somit jede Erkenntnismöglichkeit, einfacher und zumutbarer Art, zu ermitteln, welcher Inhalt ihr am 24.04.2020 zugegangen ist. Sie hätte konkret hierzu vortragen müssen und sagen müssen, wenn nicht das von der Klägerin behauptete Schreiben Inhalt des Briefumschlages gewesen sei, was denn sonst konkret Inhalt des Briefumschlages gewesen sei. Da sie sich hierzu auch nach erneuten Hinweis im zweiten Rechtszug nicht konkret äußern wollte, hat die Kammer keinen Anlass vernünftige Zweifel zu bilden, dass die Behauptung der Klägerin, das Schreiben, mit dem sie für den Monat Mai 2020 die Zahlung einer Jahressonderzahlung für 2019 angemahnt hat, Inhalt des der Beklagten unstreitig zugegangenen Briefumschlages gewesen ist.



Die Rüge der fehlerhaften Besetzung der Kammer des Arbeitsgerichts im Kammertermin vom 28.04.2021 ist unerheblich, weil selbst aus diesem Grund eine Zurückverweisung gemäß § 68 ArbGG ausgeschlossen ist; eine entsprechende Zurückverweisung hat die Beklagte auch gar nicht beantragt.



Die Beklagte trägt als unterlegene Partei gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Berufung.



Anlass für die Zulassung der Revision bestand nicht.

Vorschriften