Beschluss vom 28.12.2022 · IWW-Abrufnummer 233303
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg - Aktenzeichen 2 SHa-EhRi 7013/22
1. Auch das ungebührliche Verhalten eines ehrenamtlichen Richters in der mündlichen Verhandlung kann eine grobe Amtspflichtverletzung im Sinne von § 27 ArbGG darstellen. Handelt es sich nicht um eine beharrliche, sondern um eine singuläre Pflichtverletzung, muss diese so gewichtig sein, dass ein weiteres Festhalten am ehrenamtlichen Richterverhältnis dem Ansehen der Rechtspflege entgegensteht.
2. Ein einmaliges Lachen eines ehrenamtlichen Richters stellt nach diesen Grundsätzen keine grobe Pflichtverletzung dar.
Tenor:
Der Antrag der Antragstellerin vom 30.11.2022, den ehrenamtlichen Richter A seines Amtes zu entheben, wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
In einem Rechtsstreit der Kammer 48 des Arbeitsgerichts Berlin stritten die Parteien im Rahmen eines einstweiligen Verfahrens auf Erlass einer Beschäftigungsverfügung um die Abgabe einer sogenannten Konfliktmineraliendeklaration (CMRT) durch den Verfügungskläger zum Bezug von Rohstoffen bzw. weiterverarbeiteten Rohstoffen durch die Verfügungsbeklagte aus Konfliktregionen, in den Rohstoffe auch unter menschenrechtswidrigen Umständen wie Kinderarbeit gewonnen werden. Der Verfahrensbevollmächtigte der Verfügungsbeklagten erläuterte zu Beginn der Verhandlung die Bedeutung dieser Deklaration und in welchem Zusammenhang diese abzugeben sei, wobei er sich zur Verdeutlichung der Metapher der sogenannten "Rohstoffe wie Blutdiamanten" bediente. In der sich daran anschließenden langen Verhandlung beanstandete der Verfahrensbevollmächtigte der Verfügungsbeklagten mehrfach, dass die Vorsitzende keinen Blickkontakt mit ihm im Dialog halte. Zum Ende der Verhandlung, als sich der Verfahrensbevollmächtigte der Verfügungsbeklagten in einem längeren Austausch mit dem Verfügungskläger befand, lachte der ehrenamtliche Richter A laut über die Ausführungen. Der Verfahrensbevollmächtigte der Verfügungsbeklagten empfand dieses Lachen als ein verletzendes, sich über andere aufschwingendes Lachen. Daraufhin stellte der Verfahrensbevollmächtigte einen Befangenheitsantrag, welchem am 27. Oktober 2022 mit Beschluss der 48. Kammer stattgegeben wurde.
In seiner Stellungnahme zum Befangenheitsantrag äußerte sich der ehrenamtliche Richter am 19. Oktober 2022 wie folgt:
"Es hat angefangen mit dem Begriff "Blutdiamanten". Darauf folgten übertriebene wiederholte Anweisungen des Beklagtenvertreters an die Richterin, ihn anzugucken, wenn sie mit ihm redet. Dies steigerte den Impuls zu lachen, der anfänglich unterdrückt wurde und die insgesamt doch lockere Situation und es wurde zuvor auch von allen Anwälten und vom Kläger gelacht. Und der Versuch, das Lachen zu unterdrücken, gelang mir nicht mehr. Die Kontrolle wurde aufgegeben und ich fand es nicht unpassend in dieser Situation zu lachen."
Der Verfahrensbevollmächtigte der Verfügungsbeklagten beschwerte sich weiter über das Verhalten des ehrenamtlichen Richters, meinte in seiner Mail vom 08. November 2022 an die Präsidentin des Arbeitsgerichts Berlin, dass das Verhalten des ehrenamtlichen Richters eine verfassungswidrige Gesinnung wiedergebe und bat die Präsidentin des Arbeitsgerichts Berlin um Unterrichtung an die zuständige Stelle, worauf diese mit Mail vom 22. November 2022 die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales in Berlin entsprechend unterrichtete.
Die Senatsverwaltung (im Folgenden: Antragstellerin) meint im Rahmen ihrer am 01. Dezember 2022 beim Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg eingegangenen Antragsschrift, dass der ehrenamtliche Richter gemäß § 27 ArbGG seines Amtes zu entheben sei, weil er seine Amtspflichten grob verletzt habe. Zwar handele es sich um einen Grenzfall. Die Antragstellerin sei im Gegensatz zur Auffassung des Verfahrensbevollmächtigten nicht der Auffassung, dass der ehrenamtliche Richter Anzeichen für eine verfassungswidrige Gesinnung offenbare, indem der Begriff "Blutdiamanten" bei ihm einen Impuls zum Lachen gegeben habe. Jedoch habe sich der ehrenamtliche Richter sowohl in der mündlichen Verhandlung als auch in der Stellungnahme unreflektiert und mit mangelnder Ernsthaftigkeit gegenüber dem Amt und mit fehlendem Respekt gegenüber dem Organ der Rechtspflege des Rechtsanwaltes gezeigt. Damit habe er ein Verhalten und ein Persönlichkeitsbild an den Tag gelegt, nicht in der Lage zu sein, seine richterlichen Pflichten zu erfüllen.
Die Antragstellerin beantragt,
den ehrenamtlichen Richter A gemäß §§ 27, 21 Abs. 5 Satz 2 ArbGG seines Amtes zu entheben.
Dem ehrenamtlichen Richter Herrn A wurde Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 21. Dezember 2022 gegeben. Er hat sich daraufhin nicht geäußert.
II.
Der Antrag der Antragstellerin als der nach §§ 27, 20 ArbGG zuständigen Stelle, den ehrenamtlichen Richter A seines Amtes zu entheben, wird zurückgewiesen, weil eine grobe Amtspflichtverletzung im Sinne von § 27 Satz 1 ArbGG nicht vorliegt.
1.
Die Kammer 2 des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg ist gemäß § 27 Satz 2 in Verbindung mit § 21 Abs. 5 Satz 2 ArbGG die für den Antrag auf Amtsenthebung zuständige Kammer nach Ziffer 3.3 Satz 1 GVPl. 2022.
2.
Eine grobe Amtspflichtverletzung liegt hier nicht vor.
a)
Denn die Amtspflichtverletzung muss in ihrem Ausmaß eine grobe sein. Die Bewertung der Verletzung als "grob" hat sowohl nach objektiven als auch nach subjektiven Gesichtspunkten zu erfolgen. Objektiv liegt eine grobe Pflichtverletzung dann vor, wenn es sich im konkreten Fall um einen schwerwiegenden Verstoß gegen eine Amtspflicht handelt, der es erforderlich macht, zur Wahrung des Ansehens der Rechtspflege den Richter seines Amtes zu entheben. Dies kann beispielsweise bei der wiederholten Verletzung der Pflicht zur Wahrung des Beratungsgeheimnisses oder einer beständigen Verweigerung der Eidesleistung der Fall sein (vgl. nur Germelmann/Prütting, ArbGG, 10. Aufl., § 27 Rz. 8 m.w.N.). Dazu kann aber auch das ungebührliche Verhalten bei den Sitzungen zählen (vgl. nur Germelmann/Prütting, a.a.O., Rz. 6 m.w.N.). Grundsätzlich muss aber eine gewisse Beharrlichkeit der Pflichtverletzung vorliegen (vgl. dazu die Entscheidung des OVG Berlin 31.08.1978 - II L 13.78 - DRiZ 1978, 371 f.) oder die singuläre Pflichtverletzung so gewichtig sein, dass ein weiteres Festhalten am ehrenamtlichen Richterverhältnis der Wahrung des Ansehens der Rechtspflege entgegensteht.
b)
Daran fehlt es im vorliegenden Fall. Der ehrenamtliche Richter hat zwar im streitigen Verfügungsverfahren gelacht, und zwar sowohl im Zusammenhang mit dem Begriff der "Blutdiamanten" als auch im Zusammenhang mit der Forderung des Verfahrensbevollmächtigten der Verfügungsbeklagten, dass die Vorsitzende Richterin ihn anzusehen hätte. Allerdings bleibt unwidersprochen und unstrittig, dass auch vor dem Befangenheitsantrag nicht nur der ehrenamtliche Richter, sondern auch andere Verfahrensbeteiligte gelacht haben. Eine Beharrlichkeit der Pflichtverletzung des seit 2019 berufenen ehrenamtlichen Richters oder gar eine verfassungsfeindliche Gesinnung kann die Kammer nicht erkennen. Endlich war die beschriebene Prozesssituation der Auslöser für das - pflichtwidrige - Lachen des ehrenamtlichen Richters und keine Ablehnung in Form eines Auslachens der berechtigten Forderung nach Deklaration von Rohstoffen, die unter menschenunwürdigen Umständen wie etwa Kinderarbeit gewonnen werden.
III.
Das Verfahren nach §§ 27; 21 Abs. 5 ArbGG ist kostenfrei.
IV.
Gegen diesen Beschluss ist ein Rechtsmittel nicht gegeben, § 21 Abs. 5 Satz 4 ArbGG in Verbindung mit § 27 Satz 2 ArbGG.