Urteil vom 22.09.2022 · IWW-Abrufnummer 233409
Landesarbeitsgericht Köln - Aktenzeichen 6 Sa 822/21
Die Grundsätze für die Auslegung einer individualvertraglichen Bezugnahme auf einen Tarifvertrag sind nicht auf die Auslegung einer entsprechenden Vorschrift in einem Firmentarifvertrag übertragbar.
Inhaltsangabe:
Zur Auslegung eines (gekündigten) Firmentarifvertrages, der auf den einheitlichen Manteltarifvertrag für die Eisen-, Metall- und Elektroindustrie in Nordrhein-Westfalen vom 18.12.2003 Bezug nimmt und zur Frage, ob diese Bezugnahme auch für den nachfolgenden Manteltarifvertrag für die Eisen-, Metall- und Elektroindustrie in Nordrhein-Westfalen vom 08.11.2018 wirkt.
Führende Parallelentscheidung zu den wortgleichen Entscheidungen in den Verfahren 6 Sa 823/21; 6 Sa 111/22; 6 Sa 214/22; 6 Sa 215/22; 6 Sa 216/22; 6 Sa 527/22; 6 Sa 528/22; 6 Sa 529/22; 6 Sa 530/22; 6 Sa 531/22; 6 Sa 532/22; 6 Sa 533/22; 6 Sa 534/22; 6 Sa 535/22; 6 Sa 536/22; 6 Sa 537/22; 6 Sa 538/22; 6 Sa 539/22.
Tenor:
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Siegburg vom 10.11.2021 - 3 Ca 1142/21 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über den Anspruch auf Zahlung einer zusätzlichen Urlaubsvergütung für das Jahr 2020. Dabei ist zwischen den Parteien insbesondere streitig, ob sich eine tarifliche Anspruchsgrundlage aus einem inzwischen zum 31.03.2020 gekündigten Firmentarifvertrag ergeben könnte, der auf Flächen-Tarifverträge der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie Bezug nimmt. Einer dieser in Bezug genommenen Flächen-Tarifverträge, der EMTV (Einheitliche Manteltarifvertrag für die Eisen-, Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalen vom 18.12.2003) war bereits zum 01.01.2019 gekündigt worden und wurde zum gleichen Datum durch den MTV (Manteltarifvertrag für die Eisen-, Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalen vom 08.11.2018) abgelöst. Auf diesen MTV nimmt der Firmentarifvertrag seinem Wortlaut nach nicht ausdrücklich Bezug.
Die Beklagte ist nicht Mitglied des Arbeitgeberverbandes, der die Flächentarifverträge EMTV und MTV mit der Industriegewerkschaft Metall, Bezirksleitung NRW, abgeschlossen hatte. Dem gegenüber sind alle Klägerinnen und Kläger, die in diesem und allen anderen Parallelverfahren den besagten Anspruch auf zusätzliche Urlaubsvergütung geltend machen, Mitglieder der IG Metall.
Die Rechtsvorgängerin der Beklagten hat mit der IG Metall mit Datum vom 10.10.2017 einen erstmals zum 31.12.2019 kündbaren "Firmentarifvertrag" abgeschlossen. Dort heißt es auszugsweise wörtlich (Unterstreichungen nur hier):
FIRMEN TARIFVERTAG
§ 2 Anerkennung von Tarifverträgen
(1) Die in der Anlage 1 aufgeführten Tarifverträge für Arbeiter/innen, Angestellte und Auszubildende der Metallindustrie des Tarifgebietes Nordrhein-Westfalen, abgeschlossen zwischen der Industriegewerkschaft Metall Bezirksleitung Nordrhein-Westfalen und dem Verband der Metall- und Elektro-Industrie Nordrhein-Westfalen e.V. gelten in ihrer jeweiligen Fassung für die unter dem jeweiligen Geltungsbereichs aufgeführten Beschäftigten der Firma.
(2) Die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Anerkennungstarifvertrages geltenden Tarifverträge sind in der Anlage bezeichnet, die Bestandteil dieses Tarifvertrages ist.
(3) Der Wortlaut aller in der Anlage aufgeführten Tarifverträge lag den Parteien bei Abschluss dieses Tarifvertrages vor.
[...]
§ 3 Rechtsstatus der Tarifverträge
(1) Die in Bezug genommenen Tarifverträge gelten mit dem jeweils gültigen Rechtsstatus.
(2) Werden diese Tarifverträge oder Teile von ihnen gekündigt, gelten sie auch zwischen den Parteien dieses Anerkennungstarifvertrages als gekündigt.
(3) Forderungen, die zu den in Bezug genommenen Tarifverträgen gestellt werden, gelten auch gegenüber der Partei dieses Tarifvertrages als gestellt.
(4) Arbeitskampffreiheit und Friedenspflicht regelt sich so, als wäre die Firma Mitglied des Arbeitgeberverbandes, der die in Bezug genommenen Tarifverträge abgeschlossen hat."
§ 4 Abweichende Regelungen
(1) Die nachfolgenden vereinbarten abweichenden Regelungen gelten für alle Beschäftigten [...]
(2) Zum Einheitlichen Manteltarifvertrag (EMTV) vom 18.12.2003 werden nachfolgende Abweichungen vereinbart:
1. Abweichend zu § 3 (Arbeits- und Ausbildungszeit wird hinsichtlich der Arbeitszeit vereinbart [...]
2. Abweichend zu § 14 (Zusätzliche Urlaubsvergütung) entfällt für den angegebenen Zeitraum die zusätzliche Urlaubsvergütung in folgender Höhe:
2018 100 %
2019 100 %
(3) Für den bezeichneten Zeitraum entfällt eine Zahlung aus dem Einheitlichen Tarifvertrag über die tarifliche Absicherung eines Teils eines 13. Monatseinkommens (ETV 13. ME) vom 18.12.2003.
(4) Basis für die Entgelterhöhungen gemäß ERA Entgeltabkommen ab 2018 ist die ERA Grundentgelttabelle der Firma N A Service GmbH & Co.
In der in Bezug genommenen Anlage 1 des Firmentarifvertrages heißt es auszugsweise:
ANLAGE 1
als Bestandteil des Firmentarifvertrages zwischen den Firmen [...] und der IG Metall Bezirksleitung Nordrhein-Westfalen
01.1 Einheitliche Manteltarifvertrag für die Eisen-, Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalen vom 18.12.2003
01.2 ERA Entgeltabkommen
01.3 Entgeltrahmenabkommen vom 18.12.2003 inklusive Anlagen 1a, 1b und 2 zum Entgeltrahmenabkommen - Begriffsbestimmungen/Bewertungen vom 18.12.2003
[...]
01.7 Tarifvertrag zur Entgeltsicherung vom 18.12.2003
Der Firmentarifvertrag nimmt also nach seinem Wortlaut ausdrücklich Bezug auf den EMTV und nicht auf den nachfolgenden MTV. Der Firmentarifvertrag regelt in § 4 Abs. 2 einige Abweichungen von dessen Inhalt zum Nachteil der Beschäftigten; dafür verspricht er für seine Laufzeit in § 6 eine Standort- und Beschäftigungssicherung. Nach dem Wortlaut des § 3 des Firmentarifvertrages werden zwar Änderungen der Tarifverträge in Bezug genommen, gleichzeitig aber auch Kündigungen derselben. Eine ausdrückliche Bezugnahme auf Nachfolgetarifverträge findet sich im Firmentarifvertrag nicht. Zwischen den Parteien ist in rechtlicher Hinsicht insbesondere streitig, ob die Bezugnahme auf die Regelungen des EMTV im Wege der Auslegung oder der ergänzenden Auslegung so verstanden werden muss, dass auch die Regelungen des Nachfolge-Tarifvertrag, also diejenigen des MTV, gemeint sein müssen.
Den Firmentarifvertrag kündigte die Arbeitgeberin zum 31.03.2020. Der Einheitliche Manteltarifvertrag für die Eisen-, Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalen vom 18.12.2003 (EMTV), der unter der Nummer 01.1 der Anlage 1 zum Firmentarifvertrag in Bezug genommen worden war, wurde von den Tarifparteien des Flächentarifvertrages (zur Erinnerung: Die Beklagte ist nicht tarifgebunden, sondern hat sich lediglich mit dem Firmentarifvertrag verpflichtet) mit Wirkung zum 01.01.2019 durch den Manteltarifvertrag für die Eisen-, Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalen vom 08.11.2018 (im Folgenden: MTV) ersetzt.
Der EMTV sah in seinem § 14 Abs. 1 einen Anspruch auf eine zusätzliche Urlaubsvergütung vor. Gleiches tut nun der MTV in dessen § 38 Abs. 2. In beiden Tarifvorschriften heißt es unter anderem wörtlich:
Sie erhalten darüber hinaus eine zusätzliche Urlaubsvergütung, die bei 30 Urlaubstagen gemäß [...] je Urlaubstag 2,4 % des monatlichen regelmäßigen Arbeitsentgelts / der regelmäßigen Ausbildungsvergütung ausmacht.
Mit der Klage wurde nun diese zusätzliche Urlaubsvergütung für das Jahr 2020 geltend gemacht. Die Beklagte hat zugesagt, sich nicht auf die tarifvertragliche Ausschlussfrist zu berufen.
Das Arbeitsgericht Siegburg hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, es fehle bereits an einer Anspruchsgrundlage für die Zahlung einer zusätzlichen Urlaubsvergütung. Die Regelungen in § 14 EMTV und § 38 MTV kämen als Anspruchsgrundlage allein nicht in Betracht, da die Beklagte nicht tarifgebunden sei. Beide Regelungen seien allenfalls inkorporierte Teile des Verweisungstarifvertrages (BAG v. 22.02.2012 - 4 AZR 8/10 -), hier also des Firmentarifvertrages. Der Firmentarifvertrag nehme nur auf den EMTV Bezug und nicht auf den MTV. Wegen der Ablösung des EMTV durch den MTV könnten sich die Beschäftigten nicht mehr auf den EMTV berufen. Das ergebe sich aus der Auslegung des Firmentarifvertrages. Ein solcher Verweisungs- oder Anerkennungstarifvertrag solle regelmäßig die fehlende Tarifgebundenheit der Arbeitgeberin ersetzen (BAG 27.09.2017 - 4 AZR 630/15 -). Das ergebe sich hier schon ausdrücklich aus dem Wortlaut des § 3 Abs. 2 des Firmentarifvertrages. Wenn aber damit aufgrund des Firmentarifvertrages die Beklagte so zu behandeln sei, als wenn Tarifgebundenheit vorliege, so sei der EMTV nicht mehr anwendbar. Er wirke auch nicht nach, denn er sei durch eine neue Regelung abgelöst worden, nämlich durch den MTV. Ein Anspruch aus dem MTV komme mangels Bezugnahme durch den Firmentarifvertrag nicht in Betracht. Die Auslegung des Firmentarifvertrages ergebe, dass eine möglicherweise dynamische Bezugnahme nur auf den ausdrücklich in der Anlage zum Firmentarifvertrag genannten EMTV wirken könne, nicht aber auf einen Nachfolgetarifvertrag, wie hier auf den MTV (zum Verhältnis BAT und TV-L: BAG v. 19.05.2010 - 4 AZR 796/08 - Rn. 13). Der MTV sei im Verhältnis zum EMTV nicht eine bloße Änderung oder Fortschreibung, sondern ein neuer Tarifvertrag (zum Verhältnis der hier konkret im Streit stehenden Tarifverträge: BAG v. 11.11.2020 - 4 AZR 210/20 -). Dass die Verweisung nicht nur ändernde sondern auch ersetzende Tarifverträge betreffe, ergebe sich weder aus dem Wortlaut noch aus der Auslegung im Übrigen. Für eine ergänzende Auslegung fehle es an einer notwendigen Regelungslücke. Der vorliegende Fall sei aus mehreren Gründen nicht vergleichbar mit dem Übergang vom BAT auf die Nachfolgeregelungen wie z.B. den TVöD oder den TV-L (dort über entsprechende individual-vertragliche Bezugnahme-Klauseln). Der EMTV habe bei seiner Ablösung durch den MTV noch nicht so lange gegolten wie seinerzeit der BAT; der EMTV sei offenbar bereits im Zeitpunkt des Abschlusses des Firmentarifvertrages gekündigt gewesen; die Regelung in § 3 des Firmentarifvertrages mache deutlich, dass nur die ausdrücklich in Bezug genommenen Tarifverträge gelten sollten, nicht aber die Nachfolge-Tarifverträge; der Firmentarifvertrag habe in der Zeit bis zum Zeitpunkt der ersten Kündbarkeit eine Sonderregelung und Anspruchsausschlüsse vorgesehen, die ebenfalls dafür sprächen, dass nur diese Tarifverträge (mit den geregelten Ausnahmen) gelten sollten und nicht etwa vollständige Nachfolgetarifverträge (ohne Ausnahmen).
Die Berufung gegen dieses klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts Siegburg war rechtzeitig eingelegt und rechtzeitig begründet.
Zur Begründung der Berufung wird vorgetragen, ein Anspruch auf Zahlung des Urlaubsgeldes ergebe sich aus dem den EMTV ablösenden MTV, da die Verweisung des Firmentarifvertrags auch diesen erfasse. Die Verweisungsklausel sei vom Arbeitsgericht zu eng ausgelegt worden. Das Arbeitsgericht habe sich zu sehr am Wortlaut orientiert. Aus dem Sinn und Zweck der Verweisung ergebe sich der Wille der Tarifvertragsparteien, auch künftige Regelungen zu erfassen. Es sei darüber hinaus eine praktisch vernünftige und brauchbare Lösung, die Regelungen des neuen MTV in den Firmentarifvertrag zu inkorporieren. Jedenfalls ergebe sich ein Anspruch aus einer ergänzenden Vertragsauslegung. Die Ablösung des Manteltarifvertrages sei für die Parteien nicht vorhersehbar gewesen und durch die Ablösung eine Regelungslücke entstanden. Hätten die Parteien diesen Umstand bedacht, sei von einer angepassten Verweisungsklausel auszugehen; es liege keine bewusste Regelungslücke vor. Die Parteien hätten sich vielmehr dauerhaft und unabhängig von einer etwaigen Datumsnennung den manteltarifvertraglichen Regelungen unterwerfen wollen. Angesichts der bis zur Kündigung bestehenden Geltungsdauer sei nicht mit einer Ablösung des EMTV zu rechnen gewesen. Wenn eine Bezugnahme auf den MTV nach alledem trotzdem unberücksichtigt bliebe, so sei jedenfalls davon auszugehen, dass der ausdrücklich in Bezug genommene EMTV gemäß § 4 Abs. 5 TVG nachwirke. Die getroffene Abweichungsvereinbarung zeige den Willen, an künftigen manteltariflichen Entwicklungen teilhaben zu wollen. Jedenfalls sei eine Nachwirkung durch Tarifsukzession entstanden, da die Tarifvertragsparteien zum Ausdruck gebracht hätten, den EMTV durch den MTV ersetzen zu wollen.
Es werde beantragt, das streitgegenständliche Urteil des Arbeitsgerichts Siegburg abzuändern und
Die Beklagte beantragt,
Sie verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag. Der aktuelle Firmentarifvertrag nehme allein auf den vormalig geltenden EMTV und nicht auf den MTV Bezug. Ein hiervon abweichender Wille der Tarifparteien könne dem Firmentarifvertrag nicht entnommen werden. Es sei ferner keine Regelungslücke erkennbar. Durch die Vereinbarung, dass die in Bezug genommenen Tarifverträge in ihrem jeweiligen Rechtsstatus gelten sollen, sei ein ersatzloser Wegfall des in Bezug genommenen Tarifvertrages möglich und gewollt gewesen. Ein Anspruch folge ferner nicht aus einer Weitergeltung des EMTV. Gegen eine solche Weitergeltung spreche der eindeutige Wortlaut des Firmentarifvertrages. Eine statische Weitergeltung des EMTV scheitere an § 4 Abs. 5 TVG, da durch § 3 Abs. 1 des Firmentarifvertrages eine Ablösung eingetreten sei und sich kein weiterer Ansatzpunkt für eine statische Weitergeltung finde.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
I. Die Berufung ist zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).
II. Das Rechtsmittel bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils wird daher Bezug genommen. Das gilt auch für die dort zitierte Rechtsprechung und Literatur. Die nachfolgenden Anmerkungen geschehen nur zur Verdeutlichung und Vertiefung und soweit sie durch die Berufungsbegründung veranlasst sind.
Zu verdeutlichen war insbesondere mit Blick auf die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (z.B. BAG v. 22.02.2012 - 4 AZR 8/10 -), dass die Regelungen eines Flächentarifvertrages durch eine firmentarifliche Bezugnahmeklausel zum Inhalt dieses Firmentarifvertrages werden. Es sind die Regelungen dieses Firmentarifvertrages, die für die tarifgebundenen Beschäftigten der Firma unmittelbar und zwingend gelten, nicht die Regelungen des Flächentarifvertrages. Das hat spezifische Auswirkungen auf die Geltung, die Kündigung und ggfls. die Nachwirkung der jeweiligen Tarifvorschrift.
Zu betonen ist mit Blick auf die Berufungsbegründung auch, dass Tarifverträge in ihrem normativen Teil abstrakt-generelle Regelungen bereitstellen. Solche abstrakt-generellen Regelungen sind nicht wie konkret-individuelle Verträge auf der Suche nach dem tatsächlichen Willen der Vertragsschließenden nach §§ 133, 157 BGB auszulegen, sondern nach den Maßstäben, die für die Gesetzesauslegung entwickelt worden sind (vgl. dazu schon BAG v. 21.07.1993 - 4 AZR 468/92 -). Weder die Grundsätze zur falsa demonstratio noch die Grundsätze zum Dissens finden daher Anwendung. Vielmehr kommt dem Wortlaut der Regelung eine herausgehobene Bedeutung zu. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der Abschluss eines Tarifvertrages das Ergebnis einer kollektiv ausgeübten Privatautonomie darstellt. Tarifverträge müssen ihre Regelungsaufgabe täglich in einer kaum überschaubaren Vielzahl von Fällen, nicht selten im Vorhinein Verhalten steuernd, erfüllen. Sie sollen als schriftlich niedergelegter Ausgleich der strukturell widerstreitenden Interessen zugleich die Entstehung von Konflikten im Arbeitsleben für die Dauer ihrer Geltung verhindern. Zur Erfüllung dieser Aufgaben kann es vom Grundsatz her nur darum gehen, dass die den Rechtsnormen unterworfenen aus dem Produkt kollektiv ausgeübten Privatautonomie, nämlich dem Tarifvertrag selbst, erkennen können und müssen, was sie tun und was sie unterlassen sollen, was ihnen zusteht und worauf sie keinen Rechtsanspruch haben. Die Verständnismöglichkeiten der Normunterworfenen müssen auch die Gerichte zugrunde legen. Es ist ausgeschlossen und wäre für die Akzeptanz von Tarifnormen im höchsten Maße gefährlich, würden die Gerichte für Arbeitssachen bei der Inhaltsermittlung von Tarifverträgen auf subjektive Erkenntnisquellen zurückgreifen, die dem Tarifunterworfenen im Normalfall verschlossen sind oder auf die er zumindest typischerweise nicht zurückgreift. Wenn sich die Normunterworfenen nicht auf das verlassen können, "was da steht", weil sie wenig später durch ein Gericht erfahren, dass die Tarifvertragsparteien es ganz anders gemeint haben, werden sie im täglichen Arbeitsleben jede den eigenen Interessen zuwiderlaufende Tarifnorm die Anwendung verweigern, solange sie hierzu nicht durch ein Gericht gezwungen werden (Bepler in: der Tarifvertrag, 2. Auflage, Teil 3 Rn. 31 ff.). Die Grundsätze der Auslegung einer individualvertraglichen Bezugnahme (z.B. auf den BAT) sind daher nicht auf eine tarifvertragliche Bezugnahme übertragbar.
Dies vorausgeschickt ergibt sich hier in der Sache - wie bereits vom Arbeitsgericht erkannt - kein Anspruch auf zusätzliche Urlaubsvergütung aus dem Arbeitsvertrag in Verbindung mit § 611 a Abs. 2 BGB, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG und weiter in Verbindung mit § 2 Abs. 1 des Firmentarifvertrages und den in Bezug genommenen Regelungen in § 14 EMTV oder § 38 MTV.
1. Die Klage war nicht schon deshalb abzuweisen, weil der Firmentarifvertrag im hier relevanten Jahr 2020 gekündigt worden ist, denn seine Rechtsnormen wirken gemäß § 4 Abs. 5 TVG weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden. Lediglich für die ab dem 01.04.2020 neu ins Arbeitsverhältnis oder durch Gewerkschaftseintritt neu in die Tarifbindung eintretende Beschäftigten (gl. BAG, Urteil vom 27. September 2017 - 4 AZR 630/15 -) findet der Firmentarifvertrag keine Anwendung mehr.
2. Ein Entgeltanspruch unmittelbar aus den Tarifnormen des EMTV und des MTV i.V.m. § 611 a Abs. 2 BGB und dem Arbeitsvertrag kommt wie erwähnt mangels Tarifbindung der Beklagten nicht in Betracht. Eine "Geltung" der in Bezug genommenen Tarifverträge (EMTV und MTV) für das hier streitgegenständliche Arbeitsverhältnis nach § 4 Abs. 1 TVG scheidet aus. Unmittelbar und zwingend "gelten" kann wie gezeigt nur der Inhalt der einzelnen Regelungen dieser Tarifverträge als Teil des Firmentarifvertrages, der auf diese Regelungen Bezug nimmt, denn nur mit Blick auf den Firmentarifvertrag ist die Beklagte tarifgebunden.
3. Auch wenn aber nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die Regelungen der in Bezug genommenen Tarifverträge nicht selbst unmittelbar und zwingend gelten, sondern wie ausgeführt als Regelungen des Firmentarifvertrages zu betrachtet sind (z.B. BAG v. 22.02.2012 - 4 AZR 8/10 -), so folgt ein Entgeltanspruch weder aus dem Inhalt des § 14 EMTV noch aus dem Inhalt des § 38 MTV als Teile des Firmentarifvertrages (i.V.m. dem Arbeitsvertrag i.V.m. § 611 a Abs. 2 BGB, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG und § 2 Abs. 1 des Firmentarifvertrages).
a. Die Regelung in § 14 EMTV gehörte im hier streitigen Jahr 2020 nicht zum Inhalt des Firmentarifvertrages, denn diese Regelung war entsprechend des "jeweils gültigen Rechtsstatus" des in Bezug genommenen Flächentarifvertrages iSd § 3 Abs. 2 des Firmentarifvertrages in ihrem Rechtsstatus gekündigt und nicht nachwirkend. Die in der Fläche geltende Wirksamkeit des von der Gewerkschaft und dem Arbeitgeberverband abgeschlossenen Flächentarifvertrages EMTV fand vielmehr mit dessen Kündigung zum 01.01.2019 und mit der gleichzeitigen Ersetzung des EMTV durch den MTV ihr Ende. Der "jeweils gültige Rechtsstatus" im Sinne des § 3 Abs. 2 des Firmentarifvertrages lautete für die Regelung in § 38 EMTV mithin "ungültig".
b. Die Regelung in § 38 MTV ist nicht Inhalt des Firmentarifvertrages geworden. Zwar hat der Flächentarifvertrag MTV den Flächentarifvertrag EMTV abgelöst. Der Firmentarifvertrag nimmt aber keinen Bezug auf diesen ablösenden MTV und dessen Regelungen. Eine solche Bezugnahme ergibt sich weder aus der Auslegung des Tarifwortlauts noch aus einer darüber hinausgehenden ergänzenden Auslegung.
(1.) Die Auslegung des Wortlauts des Firmentarifvertrages erlaubt nicht die Anwendung des Inhalts des § 38 MTV. Für die Auslegung des normativen Teils eines(Firmen-)Tarifvertrages gelten wie bereits erwähnt die Regeln zur Auslegung von Gesetzen. Hierbei ist - ausgehend vom Wortlaut - der maßgebliche Sinn der Normen unter Berücksichtigung des zu erforschenden wirklichen Willens und des beabsichtigten Sinns und Zwecks zu berücksichtigen. Dies muss sich im Wortlaut des auszulegenden Tarifvertrages niedergeschlagen haben. Bei Zweifeln ist diejenige Auslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten und praktisch brauchbaren Lösung führt (z.B. BAG v. 20.06.2018 - 4 AZR 339/17 -). Zur Gewährleistung von Orientierungssicherheit müssen Verweisungsnormen die Klauseln eines Tarifvertrages, auf die verwiesen wird, so genau bezeichnen, dass Irrtümer über Art und Ausmaß der in Bezug genommenen Regelungen ausgeschlossen sind (BAG, Urteil v. 07.06.2006 - 4 AZR 272/05 -).
Wie bereits vom Arbeitsgericht erkannt, kommt nach diesen Grundsätzen eine Anwendung des MTV nicht in Betracht, denn der Wortlaut ist eindeutig und erlaubt keine abweichende Auslegung. Die Formulierung des hier streitigen Firmentarifvertrages entspricht gerade nicht der Formulierung des Tarifvertrages, der der Gegenstand der von der Beklagten zitierten Entscheidung war (BAG v. 11.11.2020 - 4 AZR 210/20 -). In § 5 Abs. 5 des im dortigen Streit relevanten Haustarifvertrages wurden im Wortlaut ausdrücklich nicht nur Änderungen sondern auch "Neufassungen" von Tarifverträgen und "alle neuen Tarifverträge und -bestimmungen" in Bezug genommen. Das geschah hier in § 3 des Firmentarifvertrages gerade nicht. Nach den hier auszulegenden §§ 2 und 3 des Firmentarifvertrages gelten "die in der Anlage 1 aufgeführten Tarifverträge [...] in ihrer jeweiligen Fassung [...] mit dem jeweils gültigen Rechtsstatus" und weiter heißt es: "werden Tarifverträge oder Teile von ihnen gekündigt, gelten sie auch zwischen den Parteien dieses Anerkennungstarifvertrages als gekündigt". Die Worte "Tarifverträge [...] in ihrer jeweiligen Fassung" haben einen anderen Bedeutungsgehalt als die Worte "alle neuen Tarifverträge und -bestimmungen". Die von den klagenden Beschäftigten angenommene Ausweitung der Dynamik "in ihrer jeweiligen Fassung" auf "alle neuen Tarifverträge und -bestimmungen" findet also keine Andeutung im Wortlaut. Das Verständnis der hier klagenden Beschäftigten hat sich nicht im Sinne der zitierten Rechtsprechung "im Wortlaut des auszulegenden Tarifvertrages niedergeschlagen". Der MTV ist ein "neuer" Tarifvertrag in diesem Sinne und nicht nur eine Weiterentwicklung des EMTV mit neuem Etikett, er ist nicht nur eine neue "Fassung". Für diese Feststellung reicht bereits ein Blick auf die beiden Inhaltsverzeichnisse:
Die Auffassung, dass die mit § 2 Abs. 1 des Firmentarifvertrages erfolgte Inbezugnahme der Regelungen in den §§ 1 bis 26 des EMTV mit den Worten "in ihrer jeweiligen Fassung" zur Inbezugnahme der Regelungen in den §§ 1 bis 54 des MTV führen soll, geht weit am Wortlaut des Firmentarifvertrages vorbei. Der MTV ist keine neue Fassung des EMTV, sondern ein neuer Tarifvertrag. Das zeigt schon die Tatsache, dass die Urlaubsvergütung im einen Tarifvertrag in § 14 geregelt ist und im anderen Tarifvertrag in § 38 und das zeigen weiter die im MTV neuen Regelungen zu Datenschutz- und Auskunftsrechten, zur Teilzeit, zur verlängerten Vollzeit, zum mobilen Arbeiten, zu den "Freistellungstagen statt T-ZUG (A)", zum Ausbildungsverhältnis etc.
Die Auslegung des Wortlauts des Firmentarifvertrages endet hier wegen der Eindeutigkeit des Wortlauts. Zur Erinnerung: Nur bei "Zweifeln" ist im weiteren Verlauf der Auslegung diejenige Auslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten und praktisch brauchbaren Lösung führt (z.B. BAG v. 20.06.2018 - 4 AZR339/17 -). Tatsachen, die solche Zweifel sähen könnten, sind nicht ersichtlich.
(2.) Die Regelung in § 38 MTV kommt auch nicht auf dem Wege der ergänzenden Auslegung des Firmentarifvertrages zur Anwendung. Voraussetzung für eine solche Lückenschließung ist eine regulatorische Lücke, die hier nicht ersichtlich ist. Auch in dieser Hinsicht kann auf die Entscheidungsgründe des arbeitsgerichtlichen Urteils Bezug genommen werden. Die Maßgeblichkeit des nach Art. 9 Abs. 3 GG entscheidenden Willens der Tarifparteien für das von ihnen geschaffene Regelwerk wird dann besonders deutlich, wenn der Tariftext für eine bestimmte Frage oder Fallgestaltung auch nach Ausschöpfung aller Auslegungsmittel keine Regelung bereit hält, also insoweit aus der Sicht der Rechtsanwendenden lückenhaft ist (hierzu und im Folgenden: Bepler in: Der Tarifvertrag, 2. Auflage, Teil 3, Rn. 151 ff). Das wäre hier die von den klagenden Beschäftigten vermisste Regelung einer zusätzlichen Urlaubsvergütung. Der ausdrückliche Ausschluss des Anspruchs auf eine zusätzliche Urlaubsvergütung für die Jahre 2018 und 2019 durch § 4 Abs. 2 Nr. 2 des Firmentarifvertrages und die soeben festgestellte Deutlichkeit des Tarifwortlauts zur Beendigung der Wirkung der Regelungen aus dem EMTV und zur Nichteinbeziehung der Regelungen aus dem MTV könnte hier sogar für eine planmäßige Lücke sprechen. Eine solche Annahme könnte durch das im Firmentarifvertrag angelegte Austauschverhältnis "Tarifvertragsanerkennung gegen Beschäftigungssicherung" und durch die zeitliche Befristung der letzteren bestätigt werden. In einem solchen Fall der planmäßigen Lücke scheidet die Lückenfüllung durch die Gerichte von vornherein aus. Doch selbst dann, wenn mit den klagenden Beschäftigten angenommen würde, die Nichtregelung von zusätzlichem Urlaubsentgelt sei von den Tarifvertragsparteien des Firmentarifvertrages nicht gesehen worden, hilft das den klagenden Beschäftigten nicht weiter. Mit Rücksicht auf die den Tarifvertragsparteien vorbehaltene Aufgabe, das Arbeits- und Wirtschaftsleben nach den ihnen angemessen erscheinenden Vorgaben zu gestalten, kommt eine Lückenfüllung durch die Gerichte für Arbeitssachen durch eine bestimmte Ergänzung nur dann in Betracht, wenn nach dem tariflichen Gesamtzusammenhang und/oder zwingenden rechtlichen Vorgaben zweifelsfrei davon auszugehen ist, dass die Tarifvertragsparteien bei Kenntnis der Lücke insoweit überhaupt eine Regelung (BAG v. 11.11.2010- 8 AZR 392/09 -) und dann auch genau diese getroffen hätten (BAG v. 12.12.2013- 8 AZR 942/12 -). Der tarifliche Gesamtzusammenhang des Firmentarifvertrages spricht aber wie gezeigt insgesamt eher für die Annahme, dass zusätzliche Urlaubsvergütung gerade nicht gezahlt werden soll (als Gegenleistung für die Beschäftigungssicherung). Eine Regelungslücke, die dem Plan des Firmentarifvertrages widerspricht, ist mithin nicht erkennbar.
III. Nach allem muss es somit bei der klageabweisenden erstinstanzlichen Entscheidung bleiben. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Gründe für eine Revisionszulassung sind nicht gegeben, da die Entscheidung auf den Umständen des vorliegenden Einzelfalls beruht. Insbesondere hat die Auslegung des Firmentarifvertrages keine grundsätzliche Bedeutung, die über eine Anwendung auf die Firma der Beklagten hinausginge.