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Urteil vom 20.10.2022 · IWW-Abrufnummer 233416

Landesarbeitsgericht Köln - Aktenzeichen 8 Sa 465/22

1. Eine wiederholt verspätete Arbeitsaufnahme trotz einschlägiger Abmahnungen kann geeignet sein, eine verhaltensbedingte Kündigung zu rechtfertigen

2. Nach den Umständen des Einzelfalls kann, um dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu genügen, der Ausspruch einer weiteren Abmahnung vor Ausspruch einer Kündigung auch dann erforderlich sein, wenn bereits mehrere Abmahnungen zu mehreren Pflichtverletzungen erteilt worden sind, diese dem Kläger aber zeitgleich übergeben worden sind. Hinsichtlich ihrer Warnfunktion sind die Abmahnungen in diesem Fall einer einheitlichen Abmahnung, in der mehrere Pflichtverletzungen abgemahnt werden, vergleichbar.


Tenor:
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 16.12.2021 - 1 Ca 2426/21 - wird zurückgewiesen.


2. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.


3. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand



Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer verhaltensbedingten Kündigung.



Der am 1986 geborene Kläger ist bei der Beklagten seit dem 01.09.2017 als Anlagenbediener in der Produktion zu einer durchschnittlichen monatlichen Bruttovergütung in Höhe von 3.000,00 Euro beschäftigt. Bei der Beklagten, die regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt, ist ein Betriebsrat gebildet.



Am 24.03.2021 erteilte die Beklagte dem Kläger drei Abmahnungen, die jeweils den Vorwurf einer verspäteten Arbeitsaufnahme zum Gegenstand hatten. Konkret wurde dem Kläger vorgeworfen, am 06.01.2021 um 6:32 Uhr statt um 6:00 Uhr, am 09.02.2021 um 22:29 Uhr statt um 22:00 Uhr und am 14.03.2021 um 7:17 Uhr statt um 6:00 Uhr zur Arbeit erschienen zu sein. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Abmahnungsschreiben (Bl. 53 ff. d.A.) Bezug genommen.



Am 15.07.2021 nahm der Kläger seine Arbeitstätigkeit erneut 40 Minuten zu spät auf. Aus diesem Anlass fand am 16.08.2021 ein Personalgespräch mit dem Kläger statt, an dem für die Beklagte Frau S (Produktionsleitung) und Frau V (HR Business Partnerin) teilnahmen, und in dem der Kläger zu den Hintergründen seiner Verspätung befragt wurde. Im Nachgang zu diesem Gespräch hörte die Beklagte mit Schreiben vom 16.08.2021 den bei ihr bestehenden Betriebsrat zur beabsichtigten ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung des Klägers an. Am 20.08.2021 erklärte der Betriebsrat, der beabsichtigten Kündigung zu widersprechen. Wegen der Einzelheiten des Widerspruchs wird auf Bl. 56 d.A. Bezug genommen.



Mit Schreiben vom 25.08.2021 kündigte die Beklagte das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis fristgerecht zum 30.09.2021. Gegen diese Kündigung hat sich der Kläger mit seiner am 10.09.2021 beim Arbeitsgericht Aachen eingegangenen Klage gewandt, mit der er zugleich seine Weiterbeschäftigung begehrt hat. Er hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei jedenfalls unverhältnismäßig. Denn zu berücksichtigen sei, dass er am 06.01.2021 unverschuldet zu spät gekommen sei, weil auf dem Weg zur Arbeit sein Auto liegen geblieben sei. Am 09.02.2021 und 15.07.2021 habe er zunächst seine Stempelkarte vergessen und habe zurück nach Hause fahren müssen, um sie zu holen, da er ansonsten keinen Zutritt zum Betrieb erhalten habe. Zu der Verspätung am 14.03.2021 hat der Kläger behauptet, er habe Urlaub gehabt. Zudem habe er sich in allen Verspätungsfällen jeweils 15-20 Minuten vor Schichtbeginn beim jeweiligen Schichtführer telefonisch gemeldet, um seine Verspätung mitzuteilen.



Ferner hat der Kläger die seine Auffassung nach nicht ordnungsgemäß erfolgte Anhörung des Betriebsrats gerügt. Hierzu war er der Ansicht, alleine die Mitteilung, dass er im Zeitraum von Januar bis März 2021 dreimal zu spät zur Arbeit erschienen sei, sei ohne nähere Erläuterung der Umstände nicht ausreichend.



Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass das zwischen der Beklagten und ihm bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 25.08.2021 nicht aufgelöst wird;2. ihn hilfsweise für den Fall des Obsiegens bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Anlagenbediener weiterzubeschäftigen.



Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.



Sie war der Ansicht, die Kündigung sei auf Grund des wiederholten verspäteten Erscheinens zu Arbeit und nach Ausspruch von drei einschlägigen Abmahnungen verhaltensbedingt gerechtfertigt. Sie hat behauptet, der Kläger habe sich an den Tagen, an denen er verspätet zur Arbeit erschienen sei, nicht beim Schichtleiter gemeldet und entschuldigt. Zudem hätten die Verspätungen des Klägers zu Störungen im Betriebsablauf geführt, da anwesende Kollegen die Aufgaben des Klägers hätten übernehmen müssen, was bei diesen zu Mehrarbeit oder Einschränkungen bei der Erfüllung ihrer eigentlichen Aufgaben geführt habe. Zudem sei durch die Verspätungen des Klägers das zur Kontaktreduzierung in der Corona-Pandemie eingeführte "Inselkonzept" gefährdet worden, da es - bedingt durch die Verspätungen - zu Kontakten mit Mitarbeitern anderer Schichten habe kommen können.



Mit Urteil vom 16.12.2021 hat das Arbeitsgericht Aachen der Klage stattgegeben und festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 25.08.2021 nicht aufgelöst worden ist sowie die Beklagte zur Weiterbeschäftigung des Klägers verurteilt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Kündigung sei unverhältnismäßig, weil es vor Ausspruch der Kündigung noch einer weiteren Abmahnung bedurft hätte. Denn da die drei zuvor erteilten Abmahnungen zeitgleich ausgesprochen worden seien, sei deren Warnfunktion abgeschwächt.



Gegen das ihr am 13.01.2022 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 10.02.2022 Berufung eingelegt und diese zugleich begründet. Sie meint, das Arbeitsgericht habe zutreffend eine Pflichtverletzung des Klägers festgestellt, aber zu Unrecht angenommen, dass die Kündigung unverhältnismäßig sei. Insbesondere könnten die drei zeitgleich überreichte Abmahnungen in ihrer Wirkung nicht einer Abmahnung gleichgestellt werden. Im Übrigen hätte im vorliegenden Fall aber auch eine Abmahnung ausgereicht. Hinsichtlich der Verspätung des Klägers vom 14.03.2022 behauptet die Beklagte, der Kläger habe für diesen Tag zwar ursprünglich Urlaub beantragt, diesen aber nicht genehmigt bekommen, was dem Kläger auch mitgeteilt worden sei. Dass die Urlaubsablehnung dem Kläger bekannt gewesen sei, zeige auch die Tatsache, dass er bereits am Vortrag, dem 13.03.2022, für den er ebenfalls erfolglos Urlaub beantragt hatte, zur Arbeit erschienen sei.



Die Beklagte beantragt:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 16. Dezember 2021 - 1 Ca 426/21 - abgeändert und die Klage abgewiesen.



Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.



Er verteidigt das angegriffene Urteil und vertritt weiter die Auffassung, die Kündigung sei unwirksam, weil sich - wie es im Falle mehrerer vorheriger und gleichgelagerter Abmahnungen erforderlich sei - keiner der Abmahnungen entnehmen lasse, dass es sich um die letzte Abmahnung vor Ausspruch einer Kündigung im Wiederholungsfall handele. Dementsprechend habe der Kläger für den Fall einer erneuten Verspätung nicht mit einer Kündigung gerechnet. Der Kläger behauptet weiter, am 14.03.2021 habe er Urlaub gehabt.



Schließlich meint der Kläger, die Betriebsanhörung sei unwirksam, weil dem Anhörungsschreiben die erteilten Abmahnungen nicht beigefügt gewesen seien, so dass sich der Betriebsrat kein umfassendes Bild vom Sachverhalt habe machen können.



Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auch den Inhalt der erst- und zweitinstanzlich gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.



Entscheidungsgründe



I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig, weil sie statthaft (§§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 Buchstabe c) ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).



II. Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht und mit zutreffender Begründung dem Kündigungsschutzantrag sowie dem Weiterbeschäftigungsantrag stattgegeben.



1. Das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis ist durch die Kündigung der Beklagten vom 25.08.2021 nicht aufgelöst worden. Die Kündigung ist gem. § 1 Abs. 1 KSchG unwirksam, da sie sozial nicht gerechtfertigt ist. Sie ist insbesondere nicht durch verhaltensbedingte Gründe im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG bedingt.



a) Eine Kündigung ist iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers bedingt und damit nicht sozial ungerechtfertigt, wenn dieser seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat, eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht und dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers über die Kündigungsfrist hinaus in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile nicht zumutbar ist (BAG, Urteil vom 7. Mai 2020 - 2 AZR 619/19 -, juris; BAG, Urteil vom 16. Dezember 2021 - 2 AZR 356/21 -, Rn. 12, juris).



b) Ein wiederholt verspätetes Erscheinen im Betrieb trotz einschlägiger Abmahnungen kann als Verletzung der Arbeitspflicht - je nach den Umständen des Einzelfalls°- einen zur Kündigung berechtigenden Grund im Verhalten des Arbeitnehmers im Sinn von § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG darstellen (vgl. v. BAG 16. September 2004 - 2 AZR 406/03 - Rn. 28; v. 15. November 2001 - 2 AZR 609/00 - Rn. 36 mwN., jeweils juris; Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 12. Januar 2022 - 7 Sa 228/20 -, Rn. 111, juris).



c) Der Kläger hat am 15.07.2021zum wiederholten Male und trotz vorheriger einschlägiger Abmahnungen seine Arbeitspflicht verletzt, indem er 40 Minuten zu spät zur Arbeit erschienen ist.



Dabei mag dahinstehen, ob die Verspätung des Klägers vom 06.01.2021 auf schuldhaftes Verhalten des Klägers zurückzuführen war oder auf einem Defekt seines Fahrzeugs beruhte, der trotz Anwendung der erforderlichen Sorgfalt von ihm nicht vorhersehbar bzw. nicht vermeidbar war. Denn auch wenn die Verspätung vom 06.01.2021 vom Kläger nicht zu vertreten gewesen sein sollte, lagen jedenfalls am 09.02.2021, 14.03.2021 und 15.07.2021 dem Kläger vorwerfbare Pflichtverletzungen vor. Für den 09.02.2021 und 15.07.2021 ist unstreitig, dass das Zuspätkommen des Klägers darauf zurückzuführen war, dass dieser zunächst seine Stempelkarte vergessen hatte. Auch für die Verspätung des Klägers am 14.03.2021 ist kein rechtfertigender Grund feststellbar. Soweit der Kläger zunächst vorgetragen hatte, er habe am 14.03.2021 Urlaub gehabt, hat die Beklagte im Einzelnen und unter Vorlage entsprechender Unterlagen dargelegt, dass der Kläger für den Zeitraum vom 13. - 16.03.2021 zwar Urlaub beantragt hatte, dieser ihm aber nicht genehmigt worden ist. Dieses sei dem Kläger am 09.03.2021 durch den Schichtleiter Herrn A mitgeteilt worden; folgerichtig sei der Kläger am 13.03.2021 auch zur Arbeit erschienen, wie auch (verspätet) am 14.03.2021. Diesem Vortrag ist der Kläger nicht mehr substantiiert entgegengetreten (§ 138 Abs. 3 ZPO) und hat auch keine anderweitigen Tatsachen, die sein Zuspätkommen am 14.03.2021 rechtfertigen könnten, dargelegt. Es handelt sich auch nicht um nur geringfüge Verspätungen, vielmehr beliefen sich diese auf Zeiträume von 29 bis 77 Minuten.



dd) Dennoch verstößt die Kündigung, wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz; es hätte vor ihrem Ausspruch einer weiteren (einschlägigen) Abmahnung bedurft.



Auch wenn jede einzelne Verspätung des Klägers im Schichtbetrieb in der Produktion zu Störungen im Betriebsablauf und einer Mehrbelastung der anwesenden Kollegen führt, die für den Zeitraum der Verspätung Aufgaben des Klägers zusätzlich übernehmen müssen, war angesichts der eher geringen Schwere der Pflichtverletzung nach Auffassung der Kammer vor Ausspruch der Kündigung eine Abmahnung nicht ausreichend, um einem wiederholten Fehlverhalten des Klägers entgegenzuwirken und ihm die Bedrohung des Arbeitsplatzes zu verdeutlichen. Der Ausspruch jedenfalls einer weiteren Abmahnung war der Beklagten auch zumutbar. Dementsprechend hat auch die Beklagte selbst erst die vierte Verspätung des Klägers zum Anlass für den Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung genommen.



Soweit sie zuvor - betreffend die Verspätungen vom 06.01.2021, 09.02.2021 und 14.03.2021 - drei Abmahnungen ausgesprochen hatte, ist indes zu beachten, dass diese nicht im unmittelbaren Nachgang zu der jeweiligen Pflichtverletzung erfolgten und der Kläger hiernach dennoch mehrfach wieder gegen seine Verpflichtung zur pünktlichen Arbeitsaufnahme verstoßen hätte. Vielmehr bleiben die Verspätungen vom 06.01.2021 und 09.02.2021 zunächst ohne Reaktionen, erst nach der Verspätung vom 14.03.2021 wurden dem Kläger am 24.03.2021 wurden dem Kläger drei Abmahnungen zeitgleich übergeben und die Kündigung auf Grund des nächsten Verspätungsfalls am 15.07.2021 ausgesprochen. Im Unterschied zu der Konstellation, in der der Arbeitnehmer jeweils nach einem (erneuten) Pflichtverstoß abgemahnt wird, hat der Kläger in zeitlicher Hinsicht lediglich eine "Warnung" erhalten. Diese mag zwar auf Grund der mehrfach abgemahnten Pflichtverletzungen von größerem Gewicht sein als in dem Fall, in dem lediglich ein einzelner Pflichtverstoß abgemahnt wird. Die Situation ist insoweit vergleichbar mit derjenigen, in der der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine einheitliche Abmahnung für mehrere Pflichtverstöße erteilt und bei der nächsten gleichgelagerten Pflichtverletzung kündigt. In beiden Fällen wird dem Arbeitnehmer nach der erteilten Warnung keine "zweite Chance" eingeräumt. Einer solchen hätte es, um dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu genügen, nach Auffassung der Kammer in Anbetracht der verhältnismäßig geringen Schwere der Pflichtverletzung aber bedurft, um dem Kläger eine wohlmöglich letzte Gelegenheit zu geben, geeignete Vorkehrungen gegen ein erneutes Vergessen seiner Stempelkarte zu treffen bzw. eine weitere verspätete Arbeitsaufnahme zu vermeiden.



2. Die Kündigung ist zudem gem. § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam, da der bei der Beklagten bestehende Betriebsrat zur beabsichtigten Kündigung des Klägers nicht ordnungsgemäß angehört worden ist.



a) Nach § 102 Abs.1 Satz 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Nach Satz 3 der Norm ist eine ohne vorherige Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung unwirksam. Eine Kündigung ist dabei nicht nur unwirksam, wenn der Arbeitgeber den Betriebsrat überhaupt nicht beteiligt, sondern auch dann, wenn er ihn nicht richtig beteiligt hat, vor allem seiner Unterrichtungspflicht nicht ausführlich genug nachgekommen ist (BAG v. 06.10.2005 - 2 AZR 316/04 - juris).



Der Inhalt der Unterrichtung gemäß § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG ist nach ihrem Sinn und Zweck grundsätzlich subjektiv determiniert (BAG 16.07.2015 - 2 AZR 15/15 - juris Rn. 15; v. 23.10.2014 - 2 AZR 736/13 - juris Rn. 14). Der Betriebsrat soll die Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe überprüfen, um sich über sie eine eigene Meinung bilden zu können (BAG v. 16.07.2015 - 2 AZR 15/15 - juris Rn. 14, v. 23.10.2014 - 2 AZR 736/13 - juris Rn. 15). Der Arbeitgeber muss daher dem Betriebsrat die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben (BAG 16.07.2015 - 2 AZR 15/15 - juris Rn. 15; v. 23.10.2014 - 2 AZR 736/13 - juris Rn. 14). Dem kommt der Arbeitgeber dann nicht nach, wenn er dem Betriebsrat bewusst einen unrichtigen oder unvollständigen - und damit irreführenden - Kündigungssachverhalt schildert, der sich bei der Würdigung durch den Betriebsrat zum Nachteil des Arbeitnehmers auswirken kann (BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 15/15 - juris Rn. 16; 31. Juli 2014 - 2 AZR 407/13 - juris Rn. 46).



b) Diesen Anforderungen wird die Betriebsratsanhörung vom 16.08.2021 nicht gerecht, da sie unvollständig ist. Die Beklagte hat den Betriebsrat mit Anhörungsschreiben vom 16.08.2021 darüber unterrichtet, dass der Kläger am 15.07.2021 seine Arbeit 40 Minuten zu spät aufgenommen hat, wofür er in einem am 16.08.2021 geführten Gespräch keinen rechtfertigenden Grund habe nennen können. Bereits zuvor habe er im Zeitraum Januar bis März 2021 an drei Tagen verspätet die Arbeit aufgenommen, wofür er am 24.03.2021 drei Abmahnungen erhalten habe. Die Beklagte hat aber nicht mitgeteilt, auf welches zeitliche Ausmaß sich die abgemahnten Verspätungsfälle beliefen. Dieser Informationen hätte es aber bedurft, um den Betriebsrat in die Lage zu versetzen, die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe zu überprüfen und um sich eine eigene Meinung bilden zu können.



Unzureichend ist auch die Angabe, der Kläger habe für den 15.07.2021 keinen Grund nennen können, der eine Verspätung rechtfertigen würde. Denn insoweit hat die Beklagte lediglich ihre Bewertung eines Gesprächs mit dem Kläger mitgeteilt. Für den Betriebsrat war bereits nicht erkennbar, ob der Kläger überhaupt eine Erklärung abgegeben hat, noch - sollte er sich geäußert haben - welche Ursache er für die verspätete Arbeitsaufnahme benannt hat. Ohne Kenntnis des Inhalts der vom Kläger tatsächlich abgegebenen Erklärungen war der Betriebsrat aber gehindert, sich eine eigene Meinung über den Kündigungssachverhalt zu bilden und eine eigene, sachgerechte Bewertung zu treffen. Entsprechendes gilt für die vorangegangenen Verspätungsfälle, die Gegenstand der drei Abmahnungen vom 24.03.2021 waren. Auch insoweit fehlt es an Angaben zum Hintergrund der jeweiligen Verspätungen.



III. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 64 Abs. 6 ArbGG, 97 Abs. 1 ZPO.



IV. Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben, da die Entscheidung auf den Umständen des vorliegenden Einzelfalls beruht.

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