Urteil vom 22.11.2022 · IWW-Abrufnummer 233546
Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern - Aktenzeichen 5 Sa 40/22
1. Die Tarifvertragsparteien können bei der Festlegung von Kriterien für die Bemessung von Vergütungsbestandteilen den in der Vergangenheit absolvierten Beschäftigungszeiten eines Arbeitnehmers, die dieser unmittelbar bei seinem Arbeitgeber erbracht hat, größere Bedeutung beimessen als denjenigen, die er bei einem anderen Arbeitgeber erbracht hat.
2. Eine im Hinblick auf die Einstufung bislang tarifvertraglich zulässige vollständige Anrechnung von Vorbeschäftigungszeiten kann in einem Folgetarifvertrag aufgehoben oder auf bestimmte Zeiträume begrenzt werden. Das gilt erst recht, wenn der Folgetarifvertrag die Stufenlaufzeit insgesamt verkürzt.
3. Eine nach dem bisherigen Tarifrecht bei der Einstufung vorgenommene Anrechnung von Vorbeschäftigungszeiten führt als solche noch nicht zu einem arbeitsvertraglichen Anspruch darauf, dass diese Vorbeschäftigungszeiten unabhängig von späteren tarifvertraglichen Regelungen dauerhaft zu berücksichtigen sind.
Tenor:
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stralsund vom 25.01.2022 - 1 Ca 63/21 - abgeändert: Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Stufenzuordnung nach einem an die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes angelehnten Haustarifvertrag.
Die im April 1968 geborene Klägerin nahm am 01.09.1986 in einem D. Krankenhaus die Ausbildung zur Krankenschwester auf und wurde dort anschließend in dieser Tätigkeit weiterbeschäftigt. Unmittelbar vor ihrem Wechsel zur Beklagten war sie 19 Jahre in einem konfessionell getragenen Krankenhaus in C. als Krankenschwester beschäftigt, wo sie nach den dort anzuwendenden Arbeitsvertragsrichtlinien vergütet wurde.
Gegenstand des Einstellungsgesprächs bei der Beklagten in Oktober 2015, an dem die Personal- und die Pflegedienstleiterin teilnahmen, war auch die bisherige Vergütung der Klägerin. Die Klägerin verwies auf die beim vorherigen Arbeitgeber bereits erreichte Endstufe. Die Personalleiterin erklärte sich bereit, der Klägerin auch bei der Beklagten eine Vergütung nach der höchsten Stufe zu gewähren. Im Anschluss daran übersandte die Beklagte der Klägerin den auf 15.10.2015 datierten Arbeitsvertrag über eine befristete Beschäftigung als Krankenschwester im Pflegedienst, Bereich ITS, mit Arbeitsbeginn am 01.01.2016. In dem Arbeitsvertrag heißt es:
"...
§ 1 Geltende Bestimmungen
Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich nach den im Folgenden genannten Haustarifverträgen zwischen dem Arbeitgeber und der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) in der jeweils geltenden Fassung:
• Manteltarifvertrag für nichtärztliche Beschäftigte der B.-K. R.-D. GmbH,
• Vergütungstarifvertrag B.-K. R.-D. GmbH,
• Tarifvertrag über eine Zuwendung für nichtärztliche Beschäftigte der B.-K. R.-D. GmbH,
• Tarifvertrag über Vermögenswirksame Leistungen für nichtärztliche Beschäftigte der B.-K. R.-D. GmbH.
§ 2 Tätigkeit, Beginn und Dauer des Arbeitsverhältnisses, Vorbeschäftigungszeiten, Probezeit
...
§ 4 Vergütung
(1) Der Arbeitnehmer wird in die Vergütungsgruppe Kr. VI, Fallgruppe 17, Stufe 9 entsprechend den Regelungen des unter § 1 genannten Mantel- und Vergütungstarifvertrages (Anlage 4 zum Vergütungstarifvertrag) eingruppiert und eingestuft.
(2) Die Vergütung richtet sich nach den Bestimmungen der unter § 1 genannten Tarifverträge.
(3) Die in Absatz 1 dieses Paragraphen genannte Eingruppierung und die Einstufung sind lediglich deklaratorisch und können für den Fall, dass die Eingruppierung und/oder die Einstufung unzutreffend erfolgt sind, mit Wirkung für die Zukunft geändert werden.
§ 5 Besondere Vereinbarungen
(1) Folgende besondere Vereinbarungen wurden getroffen:
Teilnahme am Schicht- bzw. Wechselschichtdienst entsprechend Dienstplan.
§ 6 Allgemeine Bestimmungen
...
(3) Die Vertragsparteien erklären ausdrücklich, dass über den vertraglich niedergelegten Inhalt hinaus keine weiteren Abreden zwischen den Vertragsparteien bestehen.
(4) Änderungen oder Ergänzungen dieses Vertrages bedürfen ebenso wie die Aufhebung dieser Schriftformabrede der Schriftform.
..."
Der arbeitsvertraglich in Bezug genommene Manteltarifvertrag für nichtärztliche Beschäftigte der B.-K. R.-D. GmbH vom 31.01.2012 (im Folgenden: MTV 2012) hat, soweit für den Rechtsstreit von Bedeutung, nachstehenden Wortlaut:
"...
§ 17 Beschäftigungszeit
(1) Beschäftigungszeit ist die beim Arbeitgeber in einem Arbeitsverhältnis zurückgelegte Zeit, auch wenn sie unterbrochen ist.
...
§ 23 Vergütung
(1) 1Der Beschäftigte erhält monatlich eine Vergütung. 2Die Höhe bestimmt sich nach der Vergütungsgruppe, in der er eingruppiert ist, und nach der für ihn geltenden Stufe.
(2) Die Vergütung richtet sich nach den Anlagen zum Vergütungstarifvertrag.
...
§ 24 Stufen der Vergütungstabelle
(1) 1Vom Beginn des Monats an, in dem ein Beschäftigter seine Tätigkeit beginnt oder begonnen hat, erhält er die Anfangsvergütung (1. Stufe) seiner Vergütungsgruppe. 2Die weitere Einstufung der Beschäftigten erfolgt nach Beschäftigungsjahren. Durch Betriebsübergang nach § 613a BGB anzurechnende Beschäftigungszeiten sind zu berücksichtigen.
(2) Beschäftigungszeiten der Beschäftigten bei einem anderen Arbeitgeber können angerechnet werden.
(3) 1Der Beschäftigte erhält in den ersten zwei Jahren der Beschäftigungszeit die Anfangsvergütung nach Abs. 1. 2Nach Vollendung einer Beschäftigungszeit von zwei Jahren, weiteren zwei Jahren und danach nach jeweils drei weiteren Jahren bis zum Erreichen der letzten Stufe (Stufe 9) erhält er die Vergütung der nächsthöheren Stufe.
..."
Die Klägerin unterzeichnete den Arbeitsvertrag und nahm den Dienst wie vereinbart am 01.01.2016 auf. Die Beklagte betreibt eine Klinik mit rund 600 Beschäftigten. Die Parteien schlossen am 19.09.2016 rückwirkend zum 01.09.2016 einen Änderungsvertrag über eine unbefristete Weiterbeschäftigung der Klägerin als Krankenschwester im Funktionsdienst - Bereich OP des Krankenhauses. Die oben genannten Vertragsbestimmungen wurden unverändert in diesen Vertrag übernommen.
Mit Schreiben vom 15.04.2019 kündigte die Gewerkschaft ver.di den Entgelttarifvertrag der B.-K. fristgemäß zum 31.07.2019. In den sich anschließenden Tarifvertragsverhandlungen wurde unter anderem der "Haustarifvertrag vom 23. Oktober 2019 für nichtärztliche Beschäftigte der B.-K. R.-D. GmbH" (im Folgenden: HausTV 2019) geschlossen, in dem festgelegt ist:
"...
§ 2 Bezugnahme auf Tarifverträge des öffentlichen Dienstes
(1) Für die Beschäftigten gelten folgende Tarifverträge und Anlagen zu Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes, sofern nicht dieser Tarifvertrag Abweichendes regelt, entsprechend:
a) Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) vom 13. September 2005 in der jeweils geltenden Fassung.
b) Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) - Besonderer Teil Krankenhäuser - (BT-K) vom 1. August 2006 in der jeweils geltenden Fassung.
(2) Von der in Absatz 1 geregelten Geltung der Tarifverträge des öffentlichen Dienstes ausgenommen sind ...
...
§ 7 Ersetzung bisheriger Tarifverträge
Der Manteltarifvertrag für die nichtärztlichen Beschäftigten der B.-K. R.-D. vom 31. Januar 2012, der nachwirkende Vergütungstarifvertrag vom 31. Januar 2012 sowie der nachwirkende Tarifvertrag über die Zuwendung vom 31. Januar 2012 in der jeweils durch Änderungstarifvertrag geltenden Fassung werden mit Wirkung zum 31. März 2020 aufgehoben und durch diesen Tarifvertrag ersetzt.
...
§ 9 Inkrafttreten und Laufzeit des Tarifvertrages
(1) Dieser Tarifvertrag tritt am 01. April 2020 in Kraft.
..."
Zeitgleich schlossen die Tarifvertragsparteien den folgenden "Überleitungstarifvertrag vom 23. Oktober 2019 für nichtärztliche Beschäftigte der B.-K. R.-D. GmbH" (im Folgenden: ÜberleitungsTV 2019), in dem es heißt:
"...
§ 1 Geltungsbereich
(1) Dieser Überleitungstarifvertrag gilt für diejenigen nicht-ärztlichen Beschäftigten*, deren Arbeitsverhältnis mit den B.-K. R.-D. vor dem 1. April 2020 bestanden hat und die unter § 1 des Haustarifvertrages für nichtärztliche Beschäftigte zwischen der B.-K. R.-D. GmbH und der Gewerkschaft ver.di (im Folgenden: "Haustarifvertrag") fallen, der mit Wirkung zum 1. April 2020 in Kraft tritt. Im Folgenden werden diese Beschäftigten "Bestandsbeschäftigte" genannt.
(2) Die Bestimmungen des Haustarifvertrages finden auf die Bestandsbeschäftigten Anwendung, soweit dieser Überleitungstarifvertrag keine abweichenden Regelungen trifft.
...
§ 3 Überleitung
Die Bestandsbeschäftigten werden zum 1. April 2020 gemäß den nachfolgenden §§ 4 bis 6 in den am 01.04.2020 in Kraft tretenden Haustarifvertrag übergeleitet.
§ 4 Eingruppierung und Einstufung; Tabellenentgelt
(1) Die Bestandsbeschäftigten sind unter Berücksichtigung ihrer Beschäftigungszeiten am 01.04.2020 bei den B.-K. nach § 12 Abs. 1 und 2 TVöD i.V.m. der Anlage 1 zum TVöD (Entgeltordnung) und §§ 16 und 17 TVöD BT-K einzugruppieren und einzustufen. Hierbei werden, wenn die Bestandsbeschäftigten am 01.04.2020 weniger als 15 Jahre ununterbrochen bei den B.-K. beschäftigt sein werden, Vorbeschäftigungszeiten als Zeiten einschlägiger Berufserfahrung nach § 16 Abs. 2 Sätze 1 und 2 TVöD berücksichtigt. Vorbeschäftigungszeiten sind solche Zeiten, die zur Eingruppierung und Einstufung nach dem Manteltarifvertrag vom 31.01.2012 herangezogen und dokumentiert wurden.
(2) Das nach Eingruppierung und Einstufung der Bestandsbeschäftigten nach Maßgabe der vorstehenden Absätze ab dem 01. April 2020 geschuldete Tabellenentgelt ergibt sich aus den Anlagen 1 bis 3 des Haustarifvertrages.
Protokollnotiz zu § 4 Abs. 1 Überleitungstarifvertrag
Zur Veranschaulichung der Einstufung der Bestandsbeschäftigten unter besonderer Berücksichtigung der Vorbeschäftigungszeiten als Zeiten einschlägiger Berufserfahrung nach § 16 Abs. 2 Sätze 1 und 2 TVöD werden die nachfolgenden Beispiele für eine Bestandsbeschäftigte, die weniger als 15 Jahre bei den B.-K. beschäftigt ist, gebildet:
Die Bestandsbeschäftigte ist zum 31.03.2020 seit 8 Jahren bei den B.-K. beschäftigt (Einstellung am 01.04.2012).
Variante 1: Bei ihrer Einstellung wurden keine Vorbeschäftigungszeiten berücksichtigt. Einstufung nach § 4 Abs. 1 Überleitungstarifvertrag i.V.m. § 16 Abs. 1 bis 3 TVöD: Stufe 4.
Variante 2: Bei ihrer Einstellung wurden Vorbeschäftigungszeiten im Umfang von 2 Jahren berücksichtigt. Einstufung nach § 4 Abs. 1 Überleitungstarifvertrag i.V.m. § 16 Abs. 1 bis 3 TVöD: Stufe 4.
Variante 3: Bei ihrer Einstellung wurden Vorbeschäftigungszeiten im Umfang von 10 Jahren berücksichtigt. Einstufung nach § 4 Abs. 1 Überleitungstarifvertrag i.V.m. § 16 Abs. 1 bis 3 TVöD: Stufe 5.
§ 5 Vergleichsentgelt
(1) 1Für die Bestandsbeschäftigten ist ein Vergleichsentgelt zu ermitteln. 2Dieses ist ...
...
§ 6 Besitzstandszulage
(1) 1Liegt das Tabellenentgelt (§ 4) unter dem Vergleichsentgelt (§ 5), wird die Differenz zum Vergleichsentgelt als Besitzstandszulage gezahlt. Die Besitzstandszulage nimmt nicht an künftigen Entgeltsteigerungen teil. ...
..."
Die Klägerin erhielt am 11.06.2020 von der Beklagten eine Mitteilung zu der Vergütung ab dem 01.04.2020. Die Beklagte ging von der Vergütungsgruppe P 8 Fallgruppe 1 Stufe 4 TVöD-K aus und errechnete ausgehend von dem Vergleichsentgelt eine Besitzstandszulage in Höhe von € 76,52. Bei der Einstufung legte die Beklagte eine mindestens 3-jährige einschlägige Berufserfahrung zugrunde.
Die Klägerin widersprach mit Schreiben vom 11.06.2020 der Einstufung in Stufe 4 unter Hinweis auf ihre mehr als 20-jährige Beschäftigungszeit bei früheren Arbeitgebern und deren Anerkennung in ihrem Arbeitsvertrag. Aufgrund dessen forderte sie eine Einstufung in der nunmehr höchsten Stufe des TVöD-K, also der Stufe 6. Die Unterzeichnung eines Änderungsvertrages zu den oben genannten Bedingungen lehnte sie ab. Die Beklagte berief sich demgegenüber in dem weiteren außergerichtlichen Schriftverkehr auf die Regelungen des ÜberleitungsTV 2019.
Die Klägerin ist seit dem 09.05.2021 Mitglied der Gewerkschaft ver.di.
Die Klägerin hat erstinstanzlich die Ansicht vertreten, dass sie, da die Beklagte ihre Vorbeschäftigungszeiten im Arbeitsvertrag anerkannt habe, einen Anspruch auf das Tabellenentgelt der Stufe 6 TVöD-K habe. Aufgrund der arbeitsvertraglichen Zusage seien ihre Vorbeschäftigungszeiten genauso zu behandeln wie die Beschäftigungszeit bei der Beklagten. Diese arbeitsvertragliche Zusage sei weiterhin gültig. Gerade deshalb habe sich die Klägerin seinerzeit für die Beklagte und gegen einen anderen Arbeitgeber entschieden, der nicht bereit gewesen sei, Vorbeschäftigungszeiten anzurechnen. Die Wertschätzung ihrer Berufserfahrung sei für sie ausschlaggebend gewesen. Die Beklagte könne die Anerkennung der Vorbeschäftigungszeiten nicht nach Belieben wieder rückgängig machen. Die spätere Aberkennung der Vorbeschäftigungszeiten verletze den Gleichbehandlungsgrundsatz. Dass eine vollständige Berücksichtigung der Vorbeschäftigungszeiten im Hinblick auf sonstige Tariflohnsteigerungen ggf. nicht finanzierbar gewesen wäre, rechtfertige die Ungleichbehandlung nicht.
Die Klägerin hat erstinstanzlich zuletzt beantragt
1. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin ab dem 01.05.2021 eine Vergütung nach dem jeweiligen Tabellenentgelt der Anlagen 1-3 des Haustarifvertrages nach der Vergütungsstufe 6 der Entgeltgruppe 8 des TVöD-K zu zahlen und die monatlichen Bruttonachzahlungsbeträge beginnend ab dem 01.06.2021 mit einem Zinssatz von 5 % über dem Basiszinssatz zu verzinsen,
2. die Beklagte zu verurteilen, das Beschäftigungsverhältnis rückwirkend ab dem 01.05.2021 nach der in dem Antrag zu 1. bezeichneten Vergütungsgruppe und -stufe abzurechnen und den sich ergebenden Nettobetrag abzüglich der in diesem Zeitraum an die Klägerin ausgezahlten Nettobeträge an die Klägerin auszuzahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, dass die Klägerin tarifvertraglich der Stufe 4 zugeordnet sei. Bei den Tarifverhandlungen sei intensiv über die Berücksichtigung von anerkannten Vorbeschäftigungszeiten verhandelt worden. Die Gewerkschaft habe eine vollständige Anrechnung dieser Vorbeschäftigungszeiten gefordert, während die Beklagte sich auf die Bestimmungen des § 16 Abs. 2 Sätze 1 und 2 TVöD berufen habe. Im Rahmen einer Paketlösung für die letzten noch offenen Punkte sei es dann bei der Anwendung des § 16 Abs. 2 Sätze 1 und 2 TVöD geblieben. Danach seien einschlägige Berufserfahrungen bei anderen Arbeitgebern insoweit zu berücksichtigen, als die Stufenlaufzeit nicht bei Stufe 1, sondern bei Stufe 2 oder 3 beginne. Maximal sei jedoch ein Einstieg mit der Stufe 3 möglich, selbst wenn eine Beschäftigte über eine einschlägige Berufserfahrung bei anderen Arbeitgebern von mehr als 20 Jahren verfüge. Um das zu verdeutlichen, enthalte der ÜberleitungsTV 2019 konkrete Berechnungsbeispiele hierzu. Der Betriebsrat habe sowohl die Eingruppierung als auch die beabsichtigte Einstufung gebilligt. Zum 01.01.2023 steige die Klägerin in die Stufe 5 auf. Der Gleichbehandlungsgrundsatz sei nicht verletzt. Es sei zulässig, Vorbeschäftigungszeiten bei anderen Arbeitgebern anders zu behandeln als die Beschäftigungszeit beim eigenen Arbeitgeber. Die Vergütung der Klägerin habe sich im Übrigen nicht verringert, da ihr Besitzstand gewahrt worden sei. Einen einzelvertraglichen Anspruch der Klägerin auf eine übertarifliche Vergütung gebe es nicht. Ihr Arbeitsvertrag beziehe sich ausschließlich auf das Tarifwerk aus dem Jahr 2012 und enthalte keine darüberhinausgehenden Regelungen bezüglich künftiger Tarifverträge.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, dass sich ein Anspruch auf das Gehalt der Stufe 6 zwar nicht aus den ab 01.04.2020 gültigen Tarifverträgen ergebe, da die Klägerin nach diesen Bestimmungen der Stufe 4 zugeordnet sei. Die Klägerin habe jedoch einen einzelvertraglichen Anspruch darauf, dass ihre Vorbeschäftigungszeit in gleicher Weise berücksichtigt werde wie die bei der Beklagten abgeleistete Beschäftigungszeit. Ein Arbeitsvertrag könne zugunsten der Beschäftigten von Tarifverträgen abweichen. Daran ändere auch ein späterer Tarifvertrag nichts, da er nicht in einzelvertragliche Regelungen eingreifen könne.
Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts sei die Klägerin bei der Einstellung nicht deshalb der damaligen Stufe 9 zugeordnet worden, weil die Beklagte die mehr als 23-jährigen Vorbeschäftigungszeiten der Klägerin bei anderen Arbeitgebern den Beschäftigungszeiten im eigenen Haus habe gleichstellen wollen. Vielmehr habe sich die Beklagte bemüht, das von der Klägerin erreichte Vergütungsniveau annähernd beizubehalten. Die Beklagte habe lediglich von der seinerzeit im Tarifvertrag vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht, Vorbeschäftigungszeiten anzurechnen. Keinesfalls habe die Beklagte der Klägerin zugesagt, dass diese stets die Vergütung nach der jeweils höchsten Stufe erhalten werde. Eine solche oder ähnliche Nebenabrede existiere nicht. Das folge schon aus § 6 Abs. 3 des Arbeitsvertrages, nach dem es über den vertraglich niedergelegten Inhalt hinaus keine weiteren Abreden gebe. Die Vergütungsstruktur des alten Tarifsystems sei nicht mit derjenigen des neuen vergleichbar. Vorher habe es 9 Stufen gegeben, nunmehr nur noch 6 Stufen. Änderungen habe es auch bei den Entgeltgruppen gegeben. Mit dem neuen Tarifsystem seien die Vergütungen im Durchschnitt um 17 % gestiegen. Die Tarifvertragsparteien seien nicht gezwungen, bei der Überleitung in ein neues Tarifsystem Beschäftigungszeiten bei anderen Arbeitgebern zu berücksichtigen. Abgesehen davon schlage sich die bislang berücksichtigte Vorbeschäftigungszeit der Klägerin weiterhin in ihrer Vergütung nieder, da sie auf dieser Grundlage eine Besitzstandszulage erhalte.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Stralsund vom 25.01.2022 - 1 Ca 63/21 - abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Sie verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts. Es bestehe eine Vereinbarung zwischen den Parteien, dass die Klägerin so zu behandeln sei, als ob sie ihre vorherige 23-jährige Beschäftigungszeit im Betrieb absolviert hätte, und zwar unabhängig von den jeweils geltenden Tarifverträgen. Dieser Regelungswille habe sich im schriftlichen Arbeitsvertrag der Parteien manifestiert. Dementsprechend sei die Klägerin der Stufe 6 zuzuordnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen, die Sitzungsprotokolle sowie das angegriffene arbeitsgerichtliche Urteil verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch aus § 611a Abs. 2 BGB i. V. m. dem Arbeitsvertrag vom 15.10.2015, § 3 ÜberleitungsTV 2019, § 2 Abs. 1 HausTV 2019, § 16 Abs. 3 TVöD-K auf das jeweilige Tabellenentgelt der Entgeltgruppe P 8 Stufe 6 der Anlagen 1-3 des HausTV 2019.
Nach § 611a Abs. 2 BGB ist der Arbeitgeber zur Zahlung der vereinbarten Vergütung verpflichtet.
Die Parteien haben im Arbeitsvertrag vom 15.10.2015 nicht vereinbart, dass die rund 23-jährige Vorbeschäftigungszeit der Klägerin bei anderen Arbeitgebern - jedenfalls bei Berechnung der Vergütungshöhe - der Beschäftigungszeit im eigenen Hause gleichgestellt wird. Soweit die Beklagte bei der Einstellung Vorbeschäftigungszeiten bei der Einstufung angerechnet hat, handelt es sich nicht um eine - von Tarifverträgen unabhängige oder über diese hinausgehende - einzelvertragliche Zusage, sondern um die Ausübung eines seinerzeit tarifvertraglich eingeräumten Ermessens.
Die Klauseln des Arbeitsvertrages vom 15.10.2015 sind Allgemeine Geschäftsbedingungen der Beklagten.
Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden. Dabei sind die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen. Ansatzpunkt für die Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist in erster Linie der Vertragswortlaut. Von Bedeutung für das Auslegungsergebnis sind ferner der von den Vertragsparteien verfolgte Regelungszweck sowie die der jeweiligen anderen Seite erkennbare Interessenlage der Beteiligten (BAG, Urteil vom 27. April 2022 - 4 AZR 289/21 - Rn. 18, juris = NZA 2022, 1344; BAG, Urteil vom 2. Juni 2021 - 4 AZR 387/20 - Rn. 14, juris = ZTR 2021, 561). Erscheinen nach Ausschöpfung aller Auslegungsmethoden mindestens zwei Ergebnisse als vertretbar und verdient keines den klaren Vorzug, geht dieser nicht behebbare Zweifel gemäß § 305c Abs. 2 BGB zulasten des Verwenders. Dabei genügt die entfernte Möglichkeit, auch zu einem anderen Auslegungsergebnis zu kommen, für die Anwendung von § 305c Abs. 2 BGB allerdings nicht (BAG, Urteil vom 2. Juni 2021 - 4 AZR 387/20 - Rn. 15, juris = ZTR 2021, 561).
Der Begriff "Vorbeschäftigungszeiten" findet sich zwar in der Überschrift zu § 2 des Arbeitsvertrages vom 15.10.2015. Eine Regelung hierzu enthält dieser § 2 jedoch nicht. Auch in den übrigen Bestimmungen des Vertrages sind Vorbeschäftigungszeiten nicht erwähnt.
Ein Rückschluss auf die Berücksichtigung von Vorbeschäftigungszeiten ergibt sich lediglich aus § 4 Abs. 1 des Arbeitsvertrages. Danach wird die Klägerin "in die Vergütungsgruppe Kr. VI, Fallgruppe 17, Stufe 9 entsprechend den Regelungen des unter § 1 genannten Mantel- und Vergütungstarifvertrages (Anlage 4 zum Vergütungstarifvertrag) eingruppiert und eingestuft". Nach § 24 Abs. 1 MTV 2012 wird eine Beschäftigte bei Beginn ihrer Tätigkeit der Stufe 1 zugeordnet. Die Stufenaufstiege richten sich sodann nach den Beschäftigungsjahren. Die höchste Stufe, also die Stufe 9, erreicht eine Beschäftigte nach 22 Beschäftigungsjahren. Nach § 24 Abs. 2 MTV 2012 bestand die Möglichkeit, Beschäftigungszeiten bei anderen Arbeitgebern anzurechnen. Hiervon hat die Beklagte bei Einstellung der Klägerin Gebrauch gemacht, um einen Einkommensverlust so weit wie möglich zu reduzieren. Die Anrechnung bewirkte, dass die Vorbeschäftigungszeiten bei anderen Arbeitgebern - bezogen auf die Stufenlaufzeit - der Beschäftigungszeit im eigenen Haus gleichgestellt war. Die Beklagte war zwar nicht gezwungen, die Vorbeschäftigungszeiten der Klägerin bei der Ersteinstufung anzurechnen, konnte diese aber nach dem damaligen Tarifrecht im Rahmen billigen Ermessens berücksichtigen. Diese Einstufung entsprach im Übrigen den Äußerungen der Personalleiterin im Einstellungsgespräch. Die Einstufung in der Stufe 9 bezieht sich nach dem eindeutigen Wortlaut ausschließlich auf den seinerzeit gültigen MTV 2012. Eine über diesen Tarifvertrag hinausgehende, übertarifliche Vergütung sieht der Arbeitsvertrag nicht vor.
Ebenso wenig enthält der Arbeitsvertrag an anderer Stelle eine von den Tarifverträgen unabhängige Vereinbarung zur Anrechnung von Vorbeschäftigungszeiten, sei es im Zusammenhang mit der Berechnung des Gehalts, von Jubiläumszuwendungen oder anderen, an die Beschäftigungszeit anknüpfenden Leistungen. Die Parteien haben im Arbeitsvertrag vom 15.10.2015 nicht vereinbart, dass die Vorbeschäftigungszeiten der Klägerin dauerhaft und unabhängig von Tarifverträgen der Beschäftigungszeit im eigenen Hause gleichgestellt werden. Die Beklagte hat erkennbar nur die Ermessenspielräume ausgeschöpft, die ihr das damalige Tarifrecht bot. Weitergehende Ansprüche wollte sie der Klägerin nicht einräumen. Hierfür gibt es weder Anhaltspunkte im Wortlaut des Arbeitsvertrages vom 15.10.2015 noch aus dem damit verfolgten Regelungszweck. Insbesondere finden sich unter § 2 (Tätigkeit, Beginn und Dauer des Arbeitsverhältnisses, Vorbeschäftigungszeiten, Probezeit) und § 5 (Besondere Vereinbarungen) keinerlei Regelungen zu Vorbeschäftigungszeiten. Es gab zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses auch keinen Anlass für vom Tarifvertrag abweichende Regelungen, da der Tarifvertrag ausreichende Spielräume für die gewünschte Einstufung bot. Die Regelungen im Arbeitsvertrag sind abschließend. Weitere, über den Inhalt des schriftlichen Arbeitsvertrages hinausgehende Abreden haben die Vertragsparteien nicht getroffen (§ 6 Abs. 3).
Die Berücksichtigung der nach dem MTV 2012 angerechneten Vorbeschäftigungszeiten haben die Tarifvertragsparteien im ÜberleitungsTV 2019 anlässlich der Überführung des bislang 9-stufigen, 22-jährigen Einstufungssystems in das nunmehr 6-stufige, 15-jährige System neu geregelt. § 4 Abs. 1 Abs. 1 Satz 3 ÜberleitungsTV 2019 bezieht sich ausdrücklich auf die nach dem MTV 2012 herangezogenen Vorbeschäftigungszeiten. Bei der Überleitung in das neue Einstufungssystem mit einer kürzeren Gesamtlaufzeit führen die angerechneten Vorbeschäftigungszeiten maximal zu einem Beginn der Stufenlaufzeit in der Stufe 3. Im Ergebnis entspricht dies einer Anrechnung von Vorbeschäftigungszeiten im Umfang von maximal drei Jahren. Vorbeschäftigungszeiten finden zwar Berücksichtigung, jedoch begrenzt auf einen bestimmten Zeitraum.
Die tarifvertragliche Überleitungsregelung verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
Verfassungsrechtlich relevant ist nur die Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem bzw. die Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem. Dabei ist es grundsätzlich dem Normgeber überlassen, die Merkmale zu bestimmen, nach denen die Sachverhalte als hinreichend gleich anzusehen sind, um sie gleich zu regeln. Tarifvertragsparteien kommt als selbstständigen Grundrechtsträgern aufgrund der von Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie hinsichtlich der tatsächlichen Gegebenheiten und der betroffenen Interessen eine weitreichende Einschätzungsprärogative zu, die ihnen aufgrund ihrer Sachnähe auch Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet, die dem Gesetzgeber verschlossen sind. Die Tarifautonomie gewährt den Koalitionen einen Freiraum, in dem Arbeitnehmer und Arbeitgeber ihre Interessengegensätze zum Beispiel durch Aushandeln von Tarifverträgen in eigener Verantwortung austragen können (BAG, Urteil vom 15. Oktober 2021 - 6 AZR 253/19 - Rn. 38, juris = NZA 2022, 115). Die Tarifvertragsparteien sind nicht verpflichtet, die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung zu wählen. Es genügt, wenn für die getroffene Regelung ein sachlich vertretbarer Grund vorliegt (BAG, Urteil vom 27. Juli 2017 - 6 AZR 701/16 - Rn. 32, juris = ZTR 2017, 720).
Die tarifliche Berücksichtigung von Beschäftigungs- und Tätigkeitszeiten kann in Tarifverträgen in sehr verschiedener Weise geregelt werden. Den Tarifvertragsparteien ist es dabei grundsätzlich freigestellt zu bestimmen, welche Zeiten welcher Tätigkeiten sie tariflich in welcher Form berücksichtigen wollen (BAG, Urteil vom 12. September 2013 - 6 AZR 512/12 - Rn. 37, juris = ZTR 2014, 85; BAG, Urteil vom 17. Oktober 2007 - 4 AZR 1005/06 - Rn. 42 = NZA 2008, 713). Es ist den Tarifvertragsparteien nicht verwehrt, bei der Festlegung von Kriterien für die Bemessung von Vergütungsbestandteilen den in der Vergangenheit absolvierten Beschäftigungszeiten eines Arbeitnehmers, die dieser unmittelbar bei seinem Arbeitgeber erbracht hat, größere Bedeutung beizumessen als denjenigen, die er bei einem anderen Arbeitgeber erbracht hat (BAG, Urteil vom 12. September 2013 - 6 AZR 512/12 - Rn. 42, juris = ZTR 2014, 85).
Der ÜberleitungsTV 2019 begrenzt die zuvor mögliche vollständige Anrechnung von Vorbeschäftigungszeiten faktisch auf einen Zeitraum von drei Jahren. Ein sachlicher Grund hierfür ergibt sich bereits aus der Umstellung des Einstufungssystems und der damit verbundenen Verkürzung der Stufenlaufzeit von zuvor 22 Jahren auf nunmehr 15 Jahre. Zum Ausgleich hierfür haben die Tarifvertragsparteien die bislang mögliche Gleichbehandlung von Vorbeschäftigungszeiten bei anderen Arbeitgebern und von Beschäftigungszeiten im eigenen Hause aufgegeben. Ob es sich dabei um die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung handelt, ist von den Arbeitsgerichten nicht zu bewerten. Um eine willkürliche, sachwidrige Gewichtung von Vorbeschäftigungszeiten bei der Entgeltfindung handelt es sich jedenfalls nicht. Dabei mag auch die Finanzierbarkeit der Arbeitsentgelte von Bedeutung gewesen sein. Das ist jedoch bei nahezu sämtlichen Tarifregelungen der Fall. Gehaltsverluste hat die Klägerin bei der Umstellung des tariflichen Vergütungssystems aufgrund der Besitzstandsregelungen jedenfalls nicht erlitten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Der Rechtsstreit wirft keine entscheidungserheblichen Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung auf.