Urteil vom 30.12.2022 · IWW-Abrufnummer 233724
Landesarbeitsgericht Sachsen - Aktenzeichen 1 Sa 87/22
Der Arbeitnehmer darf einer vom Betriebsübernehmer eingeführten Veränderung der Bezeichnung eines Zuschlags in den regelmäßigen Entgeltabrechnungen rechtsgeschäftlichen Erklärungswert beimessen.
In dem Rechtsstreit
...
hat das Sächsische Landesarbeitsgericht - Kammer 1 - durch den Präsidenten des Landesarbeitsgerichts ... als Vorsitzenden und die ehrenamtlichen Richter Herr ... und Herr ... auf die mündliche Verhandlung vom 05. Dezember 2022
fürRechterkannt:
Tenor:
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Dresden vom 3.3.2022 abgeändert und
1. die Beklagte verurteilt, an den Kläger zu zahlen
a) € 245,44 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 01.04.2021;
b) € 276,12 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 01.05.2021;
c) € 352,82 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 01.06.2021;
d) € 276,12 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 01.07.2021;
e) € 306,80 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 01.08.2021;
f) € 306,80 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 01.09.2021;
g) € 214,76 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 01.10.2021;
h) € 337,48 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 01.11.2021;
i) € 245,44 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 01.12.2021;
j) € 337,48 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 01.01.2022;
k) € 214,76 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 01.02.2022;
l) € 306,80 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 01.03.2022;
m) € 214,76 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 01.04.2022;
n) € 368,16 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 01.05.2022;
o) € 368,16 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 01.06.2022;
2. festgestellt, dass die Beklagte dazu verpflichtet ist, dem Kläger die im Rahmen einer Schicht von mehr als 10 Stunden jeweils geleistete Mehrstunde auf Basis von 65 % des jeweils gültigen Überstundensatzes zu vergüten.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz noch über die Zahlung eines dem Kläger ab 1. Februar 2021 nicht mehr gewährten monatlichen Gehaltszuschlags.
Der 1972 geborene Kläger war seit dem 1.7.1996 bei der Johanniter-Unfall-Hilfe e. V. als Rettungssanitäter beschäftigt. Er erbringt seine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 30 Stunden (75 % einer Vollzeitstelle) in 12-Stunden-Diensten. Nach § 2 des mit dem Johanniter-Unfall-Hilfe e. V. geschlossenen Arbeitsvertrages galten für das Arbeitsverhältnis die Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werkes der evangelischen Kirche in Deutschland (AVR) in der jeweils gültigen Fassung. Das Arbeitsverhältnis ging später im Wege des Betriebsübergangs auf die ASB ... gGmbH über. Seit 2010 zahlte die ASB ... gGmbH den Mitarbeitern der Rettungswache L, zu denen der Kläger zählte, für die elfte und zwölfte Stunde des Dienstes einen Zuschlag in Höhe von 65 % des Überstundensatzes. Diesen Zuschlag wies sie in den Lohn-/Gehaltsabrechnungen als "Bereitschaft AVR" aus. Auf die als Anl. K 3 vorgelegte, vom ASB ... erstellte Entgeltabrechnung für Dezember 2010 wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen.
Zum 1.1.2015 ging das Arbeitsverhältnis des Klägers durch einen weiteren Betriebsübergang auf die Beklagte über. Diese zahlte den Lohnzuschlag für die elfte und zwölfte Stunde der Dienste unverändert weiter, wobei sie den Zuschlag nunmehr jeweils im Folgemonat für den vorausgegangenen Monat abrechnete und ihn den Entgeltabrechnungen unter dem Abschnitt "Zeitbezüge: "jeweils als "Bereitschaftszuschlag 65%" auswies. Auf die als Anl. K5 vorgelegte "Entgeltabrechnung für den Zeitraum 1.12.2020 bis 31.12.2020 im Monat 1/20212" vom 22.1.2021 wird verwiesen.
Ab Februar 2021 stellte die Beklagte die Zahlung des Zuschlags für die elfte und zwölfte Stunde der vom Kläger verrichteten Dienste ein. Dies erläuterte sie mit Schreiben vom 25. März 2021 auszugsweise wie folgt:
Der Kläger hat erstinstanzlich vorgetragen, zwei Stunden seiner 12-Stunden-Schichten seien als Bereitschaftszeit gezählt und seit vielen Jahren abweichend von den vertraglich vereinbarten AVR mit 65 % des Überstundensatzes vergütet worden. Hintergrund seien Streitigkeiten zwischen der Belegschaft und der ASB ... gGmbH über die Berechtigung zur Festlegung von Bereitschaftsdienst und dessen Vergütung gewesen. Man habe damals eine einfache Lösung angestrebt und die praktizierte Art der Vergütung mündlich mit der Mitarbeitervertretung beschlossen. Der Kläger könne nach den Grundsätzen der betrieblichen Übung für die elfte und zwölfte Stunde seiner Dienste ab Februar 2021 weiterhin die Zahlung eines Zuschlages von 65 % des Überstundensatzes verlangen. Wegen der unstreitig gebliebenen Höhe der geltend gemachten Forderungen wird auf die Klageschrift vom 17.5.2021 und die Klageerweiterung vom 20.8.2021 Bezug genommen.
Der Kläger hat vor dem Arbeitsgericht beantragt:
Die Beklagte hat beantragt,
Sie meint, der Kläger habe keinen Bereitschaftsdienst geleistet, sondern in seine Arbeitszeit falle in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft. Für Arbeitsbereitschaft sähen die Regelungen der AVR keinen Bereitschaftszuschlag vor. Die bisherigen Zahlungen der Beklagten hätten auf der (falschen) Annahme beruht, sie sei aufgrund der AVR dazu verpflichtet. Ein Anspruch aus betrieblicher Übung scheide aus, wenn sich die Leistung des Arbeitgebers aus der Sicht des Arbeitnehmers ausschließlich als Erfüllung eines vermeintlichen tarifvertraglichen Anspruchs darstelle. Eine Betriebsvereinbarung als Rechtsgrundlage der Zahlung gebe es nicht. Die vom Kläger behauptete mündliche Absprache zwischen dem ASB ... gGmbH und der dortigen Mitarbeitervertretung werde bestritten.
Das Arbeitsgericht hat die Klage durch Urteil vom 3.3.2022 abgewiesen. Sie sei hinsichtlich des mit dem Klageantrag 1 f) verfolgten Anspruchs wegen doppelter Rechtshängigkeit unzulässig, im Übrigen mangels Anspruchsgrundlage unbegründet. Der Kläger habe keinen Bereitschaftsdienst geleistet, weil es keine Zäsur innerhalb der 12-Stunden-Schichten gegeben habe. In die Schichten seien vielmehr Rettungseinsätze und Arbeitsbereitschaft gefallen. In Anlage 8 der AVR seien lediglich Zuschläge für Bereitschaftsdienstzeiten geregelt, nicht jedoch für Arbeitsbereitschaft. Nach dem Vortrag des Klägers bleibe unklar, welche Qualität die behauptete Vereinbarung zwischen dem ASB ... gGmbH und der dortigen Mitarbeitervertretung habe. Um eine wirksame Betriebsvereinbarung könne es sich mangels Einhaltung der Schriftform nicht handeln. Der Anspruch sei auch nicht nach den Grundsätzen der betrieblichen Übung begründet, denn der Kläger habe nicht dargelegt, dass die Beklagte mit der Bezahlung von Bereitschaftszeiten freiwillig eine Leistung erbracht habe obwohl sie wusste, hierzu nicht verpflichtet zu sein. Es sei davon auszugehen, dass die Beklagte entsprechend den Regelungen des § 613a BGB vermeintliche Ansprüche aus den übergegangenen Arbeitsverhältnissen weiterhin erfüllen wollte.
Gegen das ihm am 7.3.2022 zugestellte Urteil hat der Kläger am 28.3.2022 Berufung eingelegt, die er nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 7.6.2022 an diesem Tage begründet hat.
Der Kläger verfolgt im Berufungsrechtszug die erstinstanzlichen Klageanträge zu 1) und zu 2) weiter, wobei er den Zahlungsantrag auf die Zuschläge für die Monate August 2021 bis April 2022 erweitert. Das Arbeitsgericht habe den Klageantrag zu 1 f) zu Unrecht als unzulässig angesehen, weil es verkannt habe, dass damit nicht derselbe Anspruch verfolgt werde, wie in Klageantrag 1 e). Dem Kläger stünden die geltend gemachten Zuschläge kraft betrieblicher Übung zu. Das Arbeitsgericht verkenne insofern, dass die betriebliche Übung nach dem Empfängerhorizont zu beurteilen sei. Da sich die Zuschläge für die elfte und zwölfte Stunde der 12-Stunden-Schicht nicht aus den AVR ergäben, habe die Beklagte aus Sicht des Klägers freiwillig fünf Jahre lang Zuschläge gezahlt. Wegen der unstreitig gebliebenen Berechnung der für die Monate August 2021 bis April 2022 im Wege der Klageerweiterung geforderten Zuschlagszahlungen wird auf die Berufungsbegründung vom 7.6.2022 verwiesen.
Der Kläger beantragt,
Die Beklagte beantragt,
Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Das Arbeitsgericht habe den Klageantrag zu 1 f) zu Recht wegen doppelter Rechtshängigkeit abgewiesen, weil er wortgleich mit Antrag zu 1 e) sei. Ein Anspruch auf Zahlung der Zuschläge aus betrieblicher Übung bestehe im Übrigen nicht. Der Kläger habe gewusst, dass die ASB ... gGmbH die streitgegenständlichen Zahlungen nicht freiwillig geleistet habe. Er habe selbst vorgetragen, dass die Zahlung auf einer Absprache zwischen der ASB ... gGmbH und der dortigen Mitarbeitervertretung beruht habe, um tariflichen Bestimmungen über die Vergütung von Bereitschaftsdiensten Rechnung zu tragen. Demnach habe es sich um die Erfüllung kollektivrechtlich vereinbarter Pflichten gehandelt, was keine freiwillige Leistung sein könne. Das Erstgericht habe zutreffend erkannt, dass die Beklagte mit der kommentarlosen Weiterzahlung der Zuschläge keine freiwillige Leistung begründen, sondern entsprechend § 613a BGB Ansprüche aus den übergehenden Arbeitsverhältnissen weiterhin erfüllen wollte.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Schriftwechsel der Parteien und das Protokoll der Berufungshauptverhandlung vom 5.12.2022 verwiesen.
Entscheidungsgründe
I.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts vom 3.3.2022 ist nach § 64 Abs. 1, Abs. 2a ArbGG statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig, denn sie ist innerhalb der Frist des § 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG eingelegt und begründet worden.
II
Die Berufung führt zur Abänderung des erstinstanzlichen Urteils, weil die in der Berufungsinstanz zulässig erweiterte Klage zulässig und begründet ist.
1. Der Kläger hat seine Klage in der Berufungsinstanz geändert, indem er sie unter neuem Tatsachenvortrag zur Zahl der jeweils geleisteten Stunden auf Ansprüche aus dem Zeitraum August 2021 bis April 2022 erweitert hat. Diese Klageänderung ist nach § 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG i.V.m. § 533 Nr.1 und Nr. 2 ZPO in der Berufungsinstanz zulässig.
a) Die Beklagte hat sich in der Berufungshauptverhandlung auf die abgeänderte Klage eingelassen ohne der Änderung zu widersprechen. Die nach § 533 Nr. 1 ZPO erforderliche Einwilligung in die Klageänderung wird deshalb nach § 267 ZPO vermutet.
b) Die Klageerweiterung konnte auch i.S.d. § 533 Nr. 2 ZPO auf Tatsachen gestützt werden, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung nach § 529 ZPO zugrunde zu legen hat. Zwar stützt der Kläger die Klageerweiterung auf neue Tatsachen im Sinne des § 529 Nr. 2 ZPO, soweit er die Anzahl der im Zeitraum August 2021 bis April 2022 geleisteten Bereitschaftsstunden vorträgt. Die Berücksichtigung dieser neuen Tatsachen ist in der Berufungsinstanz aber schon deshalb zulässig, weil sie von der Beklagten nicht bestritten wurden und deshalb keine Verzögerung des Rechtsstreits im Sinne von § 67 Abs.1 und 2 ArbGG eintreten kann.
2. Die vor dem Arbeitsgericht erhobene Klage war in ihren Anträgen zu 1 und zu 2 zulässig.
a) Das Arbeitsgericht hat Klageantrag zu 1 f) zu Unrecht wegen doppelter Rechtshängigkeit zu Unrecht als unzulässig abgewiesen. Klageantrag 1 f) ist nämlich nicht mit Klageantrag 1 e) identisch.
Als Prozesshandlung ist die Klageerhebung auslegungsfähig (hierzu Greger in Zöller, ZPO-Kommentar, 34. Aufl. 2022, Vor § 128, Rn. 25). Bei der Auslegung ist § 133 BGB entsprechend anzuwenden. Entscheidend ist damit der dem Beklagten nach den Umständen des Einzelfalls erkennbare Inhalt der Klage. Bei gleichlautenden Klageanträgen ergibt sich deren Inhalt somit aus der Klagebegründung. Der Kläger hat in seinem Schriftsatz vom 20.8.2021 ausgeführt, er mache für den Monat Juni 2021 ebenso wie für den Monat Juli 2021 Zuschläge für 20 Stunden geltend. Dies erklärt, warum er sowohl in Klageantrag 1e) als auch in Klageantrag 1 f) den Betrag von 306,80 € brutto geltend macht. Um denselben Anspruch handelt es sich bei den Klageanträgen folglich nicht. Zwar hat der Kläger hinsichtlich beider Ansprüche Zinsen ab dem 1.7.2021 verlangt. Daraus kann aber bei einer den Grundsätzen von Treu und Glauben folgenden Auslegung der Klageanträge nicht darauf zurück geschlossen werden, dass der Kläger -entgegen seiner Klagebegründung- denselben Antrag zweimal geltend machen will.
b) Auch der mit Antrag 2) der Klage verfolgte Feststellungsantrag ist zulässig. Das nach § 256 Abs. 1 ZPO zu fordernde rechtliche Interesse des Klägers an der begehrten Feststellung besteht schon deshalb, weil das Arbeitsverhältnis der Parteien fortbesteht und Kläger wissen will, ob Lohnansprüche der geltend gemachten Art auch in Zukunft entstehen können.
3. Die Klage ist in vollem Umfang begründet. Der Kläger hat einen arbeitsvertraglichen Anspruch auf Zahlung der begehrten Zuschläge aus § 611a Abs. 2 BGB, wobei der vertragliche Anspruch durch konkludentes Verhalten der Parteien nach den Grundsätzen der betrieblichen Übung entstanden ist.
a) Eine dauerhafte Verpflichtung des Arbeitgebers kann sich aus betrieblicher Übung, mithin einem Verhalten mit Erklärungswert, ergeben. Unter betrieblicher Übung versteht man die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers, aus denen der Arbeitnehmer schließen kann, ihm solle eine Leistung oder Vergünstigung auf Dauer gewährt werden (ständige Rechtsprechung, vergleiche BAG, Urteil vom 14.9.2011,10 AZR 526/10, juris, zu I 1 a) der Gründe). Aus diesem nach den Grundsätzen des § 133 BGB als Vertragsangebot zu wertenden Verhalten des Arbeitgebers, dass der Arbeitnehmer regelmäßig stillschweigend unter Verzicht auf den Zugang der Annahmeerklärung annimmt (§ 151 BGB), erwachsen vertragliche Ansprüche auf die üblich gewordenen Leistungen für die Zukunft. Entscheidend ist dabei nicht, ob der Erklärende einen Verpflichtungswillen hatte, sondern ob der Erklärungsempfänger die Erklärung oder das Verhalten des Arbeitgebers nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung aller Begleitumstände gemäß der §§ 133, 157 BGB dahin verstehen konnte und durfte, der Arbeitgeber wolle sich zu einer über seine gesetzlichen, tarifvertraglichen oder vertraglichen Pflichten hinausgehende Leistung verpflichten (BAG. a.a.O.). Da es auf den Empfängerhorizont ankommt, kann eine betriebliche Übung dann nicht entstehen, wenn der Arbeitgeber irrtümlich meinte, aufgrund einer Norm oder einer vertraglichen Abrede zur Zahlung verpflichtet zu sein und der Arbeitnehmer die Grundlagen des Irrtums erkannte.
Dabei trägt nicht der Arbeitgeber die Darlegungslast dafür, dass er für den Arbeitnehmer erkennbar irrtümlich glaubte, die betreffenden Leistungen in Erfüllung tarifvertraglicher oder sonstiger Rechtspflichten erbringen zu müssen. Vielmehr ist es Sache der klagenden Partei, die Anspruchsvoraussetzungen darzulegen. Dazu gehört im Falle der betrieblichen Übung auch die Darlegung, dass das Verhalten des Arbeitgebers aus Sicht des Empfängers ausreichende Anhaltspunkte dafür bot, der Arbeitgeber wolle Zahlungen erbringen, ohne hierzu bereits aus anderen Gründen-etwa aufgrund eines Tarifvertrags oder einer Betriebsvereinbarung verpflichtet zu sein (zur Darlegungs- und Beweislast vgl. BAG, Urteil vom 19.2.2020, 5 AZR 189/18, juris, zu II.1 der Gründe)
b) Nach diesen Grundsätzen ist durch das vom Kläger dargelegte Verhalten der Beklagten nach dem 1.1.2015 ein Anspruch auf Zahlung der geltend gemachten Zulagen für die elfte und zwölfte Stunde der 12-Stunden-Dienste im Wege der betriebliche Übung entstanden. Auf die Frage, ob ein entsprechender Anspruch bereits im Verhältnis zwischen der ASB ... gGmbH und dem Kläger entstanden ist, kommt es dabei nicht an.
aa) Die Klägerin hat ihre Lohnabrechnungen anders gestaltet, als ihre Rechtsvorgängerin ASB ... gGmbH. Diese rechnete das Entgelt des Klägers in monatlichen Lohn-/Gehaltsabrechnungen ab, in denen das Gehalt, Urlaubsentgelt Zuschläge und alle anderen den jeweiligen Monat betreffenden Leistungen ausgewiesen waren. In diesen Abrechnungen bezeichnete die Rechtsvorgängerin der Klägerin die streitgegenständlichen Zuschläge mit dem Begriff "Bereitschaft AVR", nahm also auf die im Jahr 1996 arbeitsvertraglich zwischen Kläger und Johanniter Unfallhilfe e.V. vereinbarten AVR Bezug.
Die Klägerin hat die Entgeltabrechnung dagegen anders aufgebaut. Sie erteilt Abrechnungen, in denen jeweils zwischen zwei Abrechnungsperioden unterschieden wird. Für den laufenden Monat wird die Regelvergütung abgerechnet, für den vorausgehenden Monat diejenigen Zeitbezüge, deren Tatsachengrundlage erst nachträglich festgestellt werden kann. Als solcher Zeitbezug wird rückwirkend für den vorausgehenden Monat in der Entgeltabrechnung regelmäßig nur noch ausgewiesen "Bereitschaftszuschlag 65 %"
bb) Der Kläger durfte angesichts der veränderten Durchführung der Entgeltabrechnung und der andersartigen Mitteilung des Zahlungsgrundes sowie der ununterbrochenen Gewährung des Zuschlags seit dem Übergang des Arbeitsverhältnisses auf die Beklagte am 1.1.2015 nach Treu und Glauben davon ausgehen, die Beklagte wolle den "Bereitschaftszuschlag 65 %" als freiwillige Leistung gewähren.
In den Lohnabrechnungen der Beklagten wird im Gegensatz zu denjenigen der Rechtsvorgängerin der Klägerin nicht mehr auf die bei Beginn des Arbeitsverhältnisses vereinbarten AVR Bezug genommen. Der Bezug zu früheren vertraglichen Regelungen, die nach § 613 a Abs.1 Satz 1 im Falle des Betriebsübergangs weitergelten, oder zu kollektiven Regelungen, die nach § 613 a Abs.1 Satz 2 BGB bei einem Betriebsübergang in arbeitsvertragliche Verpflichtungen transformiert werden, ist in den von der Beklagten erteilten Entgeltabrechnungen nicht mehr erkennbar.
Zweck der Entgeltabrechnung i.S.d. § 108 Abs.1 GewO ist die Herstellung von Transparenz; der Arbeitnehmer soll erkennen können, warum er gerade den ausgezahlten Betrag erhält (BAG, Urteil vom 10.1.2007, 5 AZR 665/06, juris, zu II. der Gründe). Der Kläger durfte deshalb darauf vertrauen, dass die Entgeltabrechnungen richtig und vollständig sind. Aus seiner Perspektive konnte er mangels Bezugnahme auf die arbeitsvertraglich vereinbarten AVR davon ausgehen, dass die Beklagte ab 1.1.2015 Bereitschaftszuschläge in der geltend gemachten Höhe für die elfte und zwölfte Stunde der Dienste als freiwillige Leistung zahlen wollte. Damit entstand der Anspruch auf die streitgegenständlichen Leistungen aufgrund betrieblicher Übung. Der Vortrag des Klägers zur Zahl der zuschlagspflichtigen Stunden und zur Berechnung der Forderungen ist zwischen den Parteien nicht streitig.
d) Zinsen aus den geschuldeten Leistungen kann der Kläger als aus dem Gesichtspunkt des Verzuges nach den §§ 286 Abs.1 Nr.2, 288 Abs.1 Satz 2 BGB verlangen.
d) Der Kläger hat schließlich Anspruch auf die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, die streitgegenständlichen Zuschläge während des bestehenden Arbeitsverhältnisses auch in Zukunft zu entrichten.
III.
Die Beklagte hat als unterlegene Partei nach § 91 Abs.1 Satz 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
IV.
Für die Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung, weil ein Einzelfall auf der Grundlage der höchstrichterlichen Rechtsprechung entschieden wurde.
Auf die Möglichkeit einer Nichtzulassungsbeschwerde nach § 72 a ArbGG wird hingewiesen.
Verkündet am 30.12.2022