Beschluss vom 30.01.2023 · IWW-Abrufnummer 233897
Landesarbeitsgericht Hamm - Aktenzeichen 14 Ta 210/22
Rundfunk- und Fernsehgebühren sind als besondere Belastung im Sinne des § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 ZPO bei der Ermittlung des einzusetzenden Einkommens der Partei, welche Prozesskostenhilfe beantragt hat, zu berücksichtigen.
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Herne vom 24. Juni 2022 (2 Ca 819/20) aufgehoben.
Es verbleibt bei der durch Beschluss des Arbeitsgerichts Herne vom 20. Juli 2020 bewilligten Prozesskostenhilfe ohne Zahlungsanordnung.
Die Rechtsbeschwerde wird für die Staatskasse zugelassen.
Gründe
Die gemäß § 11 Abs. 1 RPflG, § 46 Abs. 2 Satz 3, § 78 Satz 1, § 127 Abs. 2 Satz 2 und 3, §§ 567 ff. ZPO zulässige sofortige Beschwerde des Klägers ist auch begründet. Die vom Arbeitsgericht festgesetzte Ratenzahlung in Höhe von 17,00 Euro war nicht gerechtfertigt, weil entgegen dessen Ansicht die vom Kläger geltend gemachten Rundfunkbeiträge als besondere Belastung im Sinne des § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 ZPO abzusetzen sind. Bei Abzug des dafür anfallenden monatlichen Betrages von 18,36 Euro verbleibt von dem ansonsten zutreffend ermittelten einzusetzenden Einkommen von 34,56 Euro nur ein Betrag von noch 16,20 Euro. Die daraus mögliche Rate von 8,00 Euro liegt unterhalb der Anordnungsgrenze von 10,00 Euro (§ 115 Abs. 2 ZPO).
1. Nach § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Halbs. 1 ZPO sind vom Einkommen der Partei weitere Beträge abzusetzen, soweit dies mit Rücksicht auf besondere Belastungen angemessen ist. Seit der Neufassung durch das Prozesskostenhilfeänderungsgesetz vom 10. Oktober 1994 (BGBl. I, 2945) sowie durch die nachfolgenden Änderungen werden die Freibeträge für die Partei, ihren Partner und der weiteren unterhaltsberechtigten Personen nunmehr am Regelbedarf des § 27a ff. SGB XII festgemacht. Daraus folgt, dass die "normale" Belastung einer Partei durch die Regelsätze ausgeglichen wird. Der Begriff "besondere Belastungen" erfasst demnach all das, was durch den sozialhilferechtlichen Regelsatz nicht gedeckt ist. "Normal" sind die üblichen Lebenshaltungskosten für Kleidung, Ernährung, Körperpflege, Energiebedarf, Hauswirtschaft sowie Instandhaltung und Reinigung von Kleidung. Die Kosten für Unterkunft und Heizung werden bereits durch § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 ZPO berücksichtigt, Mehrbedarfe seit dem 1.Janaur 2014 durch § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 ZPO (vgl. Gottschalk/Schneider, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 10. Auflage, 2022, Rn. 321; Zöller/Schultzky, ZPO, 34. Auflage, 2022, § 115 ZPO, Rn. 43). Im Übrigen sind besondere Belastungen abzusetzen, soweit sie angemessen sind. Das ist anhand der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Antragstellers sowie Zweck und Zeitpunkt der Begründung der Verbindlichkeiten zu beurteilen (vgl. Gottschalk/Schneider, aaO., Rn. 323; Zöller/Schultzky, aaO.).
Bei der Bemessung des sozialhilferechtlichen Regelbedarfs sind die Rundfunk- und Fernsehgebühren ausdrücklich nicht berücksichtigt worden mit der Begründung, Leistungsberechtigte nach dem SGB II oder dem SGB XII seien von der Zahlung dieser Gebühren ohnehin bundesweit befreit (BT-Drucks. 17/3404, S. 62). Für Nichtleistungsempfänger führt dies im Rahmen der Prozesskostenhilfe dazu, dass der öffentlich-rechtlichen Rundfunkbeitrag einkommensmindernd berücksichtigt werden kann und im Rahmen der Ermittlung des einzusetzenden Einkommens im Sinne des § 115 Abs. 1 ZPO als angemessene besondere Belastungen nach § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 ZPO in Abzug zu bringen ist (vgl. OLG Frankfurt a. M. 28. Dezember 2015 - 4 WF 174/15 - juris, Rn. 8; LSG Thüringen 15. Februar 2022 - L 1 SV 219/21 B - juris, Rn. 14; Gottschalk/Schneider, aaO., Rn. 313; Zöller/Schultzky, aaO., Rn. 46). Diese Gebühren sind im Hinblick auf die Wahrnehmung des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten, als angemessen anzusehen. Der abweichenden Auffassung, die ohne weitere Begründung meint, Fernseh- und Rundfunkgebühren seien aus dem persönlichen Freibetrag der Parteien zu bestreiten (vgl. LAG Köln 3. Januar 2013 - 1 Ta 323/12 - juris, Rn. 10; LAG Rheinland-Pfalz 7. Februar 2012 - 3 Ta 266/11 - juris, Rn. 9; OLG Brandenburg 9 WF 356/08 - juris, Rn. 17; Groß, Beratungshilfe/Prozesskostenhilfe/Verfahrenskostenhilfe, 14. Auflage, 2018, § 115 ZPO, Rn. 40; MüKoZPO/Wache, 6. Auflage, 2020, § 115 ZPO, Rn. 54; Musielak/Voit/Fischer, ZPO, 19. Auflage, 2022, § 115 ZPO, Rn. 31), wird nicht gefolgt.
2. Der Rundfunkbeitrag ist im konkreten Fall zu berücksichtigen. Zwar hat der Kläger in der Vergangenheit die Rundfunkgebühren nicht regelmäßig gezahlt. Belastungen können aber grundsätzlich nur dann berücksichtigt werden, wenn sie tatsächlich durch die Erfüllung der Zahlungsverpflichtung das Einkommen mindern. Der Kläger hat jedoch den bestehenden Rückstand bis zum 30. November 2022 bis auf einen geringfügigen Betrag von 6,16 Euro laut dem vorgelegten Schreiben des ARD ZDF Deutschlandradio Beitragsservice vom 30. Dezember 2022 ausgeglichen. Dies rechtfertigt es, die Belastung mit dem Fernseh- und Rundfunkbeiträgen zu berücksichtigen, da hieraus ersichtlich ist, dass der Kläger nicht grundsätzlich zahlungsunwillig ist.
3. Im Hinblick auf die ungeklärte Rechtslage zur Berücksichtigung von Rundfunkbeiträgen war für die Staatskasse im Hinblick auf ihr Beschwerderecht nach § 127 Abs. 3 ZPO, dass auch bei der Ablehnung einer Nachzahlungsanordnung nach § 120a ZPO besteht (vgl. Gottschalk/Schneider, aaO, Rn. 1061), die Rechtsbeschwerde zuzulassen.