Beschluss vom 30.01.2023 · IWW-Abrufnummer 233898
Landesarbeitsgericht Hamm - Aktenzeichen 14 Ta 377/22
Rundfunk- und Fernsehgebühren sind als besondere Belastung im Sinne des § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 ZPO bei der Ermittlung des einzusetzenden Einkommens der Partei, welche Prozesskostenhilfe beantragt hat, zu berücksichtigen.
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Dortmund vom 29. Juli 2022 (4 Ga 6/19) aufgehoben.
Es verbleibt bei der durch Beschluss des Arbeitsgerichts Herne vom 18. April 2019 bewilligten Prozesskostenhilfe ohne Zahlungsanordnung.
Die Rechtsbeschwerde wird für die Staatskasse zugelassen.
Gründe
Die gemäß § 11 Abs. 1 RPflG, § 46 Abs. 2 Satz 3, § 78 Satz 1, § 127 Abs. 2 Satz 2 und 3, §§ 567 ff. ZPO zulässige sofortige Beschwerde des Klägers ist auch begründet. Die vom Arbeitsgericht festgesetzte Ratenzahlung in Höhe von 17,00 Euro war nicht gerechtfertigt, weil die vom Kläger geltend gemachten Rundfunkbeiträge als besondere Belastung im Sinne des § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 ZPO abzusetzen sind. Bei Abzug des dafür anfallenden monatlichen Betrages von 18,36 Euro verbleibt von dem ansonsten zutreffend ermittelten einzusetzenden Einkommen von 38,11 Euro nur ein Betrag von noch 19,75 Euro. Die daraus mögliche Rate von 9,00 Euro liegt unterhalb der Anordnungsgrenze von 10,00 Euro (§ 115 Abs. 2 ZPO).
1. Nach § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Halbs. 1 ZPO sind vom Einkommen der Partei weitere Beträge abzusetzen, soweit dies mit Rücksicht auf besondere Belastungen angemessen ist. Seit der Neufassung durch das Prozesskostenhilfeänderungsgesetz vom 10. Oktober 1994 (BGBl. I, 2945) sowie durch die nachfolgenden Änderungen werden die Freibeträge für die Partei, ihren Partner und der weiteren unterhaltsberechtigten Personen nunmehr am Regelbedarf des § 27a ff. SGB XII festgemacht. Daraus folgt, dass die "normale" Belastung einer Partei durch die Regelsätze ausgeglichen wird. Der Begriff "besondere Belastungen" erfasst demnach all das, was durch den sozialhilferechtlichen Regelsatz nicht gedeckt ist. "Normal" sind die üblichen Lebenshaltungskosten für Kleidung, Ernährung, Körperpflege, Energiebedarf, Hauswirtschaft sowie Instandhaltung und Reinigung von Kleidung. Die Kosten für Unterkunft und Heizung werden bereits durch § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 ZPO berücksichtigt, Mehrbedarfe seit dem 1.Janaur 2014 durch § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 ZPO (vgl. Gottschalk/Schneider, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 10. Auflage, 2022, Rn. 321; Zöller/Schultzky, ZPO, 34. Auflage, 2022, § 115 ZPO, Rn. 43). Im Übrigen sind besondere Belastungen abzusetzen, soweit sie angemessen sind. Das ist anhand der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Antragstellers sowie Zweck und Zeitpunkt der Begründung der Verbindlichkeiten zu beurteilen (vgl. Gottschalk/Schneider, aaO., Rn. 323; Zöller/Schultzky, aaO.).
Bei der Bemessung des sozialhilferechtlichen Regelbedarfs sind die Rundfunk- und Fernsehgebühren ausdrücklich nicht berücksichtigt worden mit der Begründung, Leistungsberechtigte nach dem SGB II oder dem SGB XII seien von der Zahlung dieser Gebühren ohnehin bundesweit befreit (BT-Drucks. 17/3404, S. 62). Für Nichtleistungsempfänger führt dies im Rahmen der Prozesskostenhilfe dazu, dass der öffentlich-rechtlichen Rundfunkbeitrag einkommensmindernd berücksichtigt werden kann und im Rahmen der Ermittlung des einzusetzenden Einkommens im Sinne des § 115 Abs. 1 ZPO als angemessene besondere Belastungen nach § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 ZPO in Abzug zu bringen ist (vgl. OLG Frankfurt a. M. 28. Dezember 2015 - 4 WF 174/15 - juris, Rn. 8; LSG Thüringen 15. Februar 2022 - L 1 SV 219/21 B - juris, Rn. 14; Gottschalk/Schneider, aaO., Rn. 313; Zöller/Schultzky, aaO., Rn. 46). Diese Gebühren sind im Hinblick auf die Wahrnehmung des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten, als angemessen anzusehen. Der abweichenden Auffassung, die ohne weitere Begründung meint, Fernseh- und Rundfunkgebühren seien aus dem persönlichen Freibetrag der Parteien zu bestreiten (vgl. LAG Köln 3. Januar 2013 - 1 Ta 323/12 - juris, Rn. 10; LAG Rheinland-Pfalz 7. Februar 2012 - 3 Ta 266/11 - juris, Rn. 9; OLG Brandenburg 9 WF 356/08 - juris, Rn. 17; Groß, Beratungshilfe/Prozesskostenhilfe/Verfahrenskostenhilfe, 14. Auflage, 2018, § 115 ZPO, Rn. 40; MüKoZPO/Wache, 6. Auflage, 2020, § 115 ZPO, Rn. 54; Musielak/Voit/Fischer, ZPO, 19. Auflage, 2022, § 115 ZPO, Rn. 31), wird nicht gefolgt.
2. Der Kläger hat im Parallelverfahren (4 Ca 4344/18) eine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 2. April 2022 vorgelegt und auf Anforderung des Arbeitsgerichts seine Angaben und Belege ergänzt. Unter anderem hat er am 2. Mai 2022 auch einen Beleg über die Zahlung des Rundfunkbeitrages eingereicht (vgl. Bl. 77 PKH-Beiheft 4 Ca 4344/18). Das Arbeitsgericht hat die dort gemachten Angaben und eingereichten Belege auch für das vorliegende Nachprüfungsverfahren verwendet, jedoch den Rundfunkbeitrag nicht berücksichtigt. Unter Berücksichtigung des dafür vorgesehenen monatlichen Betrages bleibt kein Einkommen übrig, aufgrund dessen der Kläger eine Ratenzahlung leisten könnte.
Es ist auch nicht zu berücksichtigen, dass die Ratenfestsetzung im Parallelverfahren grundsätzlich unzutreffend ist, weil das Arbeitsgericht dort den Rundfunkbeitrag ebenfalls nicht berücksichtigt hat. Der Kläger hat kein Rechtsmittel gegen die ihm am 1. Juni 2022 zugestellte Entscheidung eingelegt, so dass die dort festgesetzte Rate von 37,00 Euro als Abzugsbetrag im vorliegenden Verfahren ungemindert zu berücksichtigen ist.
3. Im Hinblick auf die ungeklärte Rechtslage zur Berücksichtigung von Rundfunkbeiträgen war für die Staatskasse im Hinblick auf ihr Beschwerderecht nach § 127 Abs. 3 ZPO, dass auch bei der Ablehnung einer Nachzahlungsanordnung nach § 120a ZPO besteht (vgl. Gottschalk/Schneider, aaO, Rn. 1061), die Rechtsbeschwerde zuzulassen.