Urteil vom 15.12.2022 · IWW-Abrufnummer 233994
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg - Aktenzeichen 10 Sa 783/22
Das Unterlassen der Annahme einer zumutbaren Tätigkeit bei einem anderen Arbeitgeber stellt nicht zugleich ein böswilliges Unterlassen eines anderweitigen Verdienstes dar.
Tenor:
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Cottbus vom 14. Juni 2022 - 1 Ca 726/21 - wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
III. Der Gebührenwert für das Berufungsverfahren wird auf 1.634,80 EUR festgesetzt.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Annahmeverzugslohn für den Monat April 2021, inklusive einem Mietzuschuss, in Höhe von insgesamt 1.634,80 EUR brutto nebst Zinsen.
Der Kläger ist 45 Jahre alt (geb. ..... 1977) und stand seit dem 1. April 2019 in einem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten als Geflügelfiletierer zuletzt zu einem Stundenlohn von 10,10 EUR sowie einem arbeitsvertraglichen Zuschlag von 0,22 EUR je Stunde mit einer Fälligkeit jeweils zum 15. des Folgemonats. Im Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung wurde der Kläger bei der M. G. S. GmbH eingesetzt. Zusätzlich erhielt der Kläger einen Zuschuss zur Miete in Höhe von 190 EUR brutto/mtl. Im Arbeitsvertrag haben die Parteien soweit diesen Rechtsstreit betreffend eine Kündigungsfrist von einem Monat zum Monatsende vereinbart. Weiter haben die Parteien die Anwendung der zwischen dem Arbeitgeberverband IGZ und den DGB-Gewerkschaften geschlossenen Tarifverträge für die Zeitarbeitsbranche vereinbart. In § 18 des Arbeitsvertrages haben die Parteien unter der Überschrift "Ausschlussfrist" geregelt:
Mit dem Gesetz zur Verbesserung des Vollzugs im Arbeitsschutz (Arbeitsschutzkontrollgesetz) vom 22. Dezember 2020, das am 30. Dezember 2020 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht worden war, wurde mit Wirkung zum 1. April 2021 im § 6a Abs. 2 Satz 3 des Gesetzes zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft (GSA Fleisch) festgelegt, dass ein Dritter in die Bereiche der Schlachtung einschließlich der Zerlegung von Schlachtkörpern sowie im Bereich der Fleischverarbeitung keine Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer mehr überlassen dürfe.
Mit Schreiben vom 24. März 2021 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum 30. April 2021 und teilte dabei mit, dass der Kläger ab dem 1. April 2021 unbezahlt von der Arbeit freigestellt werde. Gegen diese Kündigung hatte der Kläger zunächst Kündigungsschutzklage erhoben.
Im Monat April 2021 bestand für den Kläger grundsätzlich eine Sollarbeitszeit von 140 Stunden. Demgemäß begehrt der Kläger von der Beklagten für diesen Monat eine Vergütung von insgesamt 1.414,00 EUR brutto zuzüglich 30,80 EUR arbeitsvertraglichem Zuschlag und den Mietzuschuss in Höhe von 190 EUR.
Mit Schreiben vom 6. April 2021 hat der Kläger über seine Mitgliedsgewerkschaft NGG seine Arbeitskraft angeboten und die vorstehenden Ansprüche geltend gemacht.
Nachdem die Beklagte darauf nicht zahlte, hat der Kläger mit einer am 12. August 2021 beim Arbeitsgericht Cottbus eingegangenen Klage die Beträge gerichtlich geltend gemacht. In der diesbezüglichen Güteverhandlung am 9. September 2021 schlossen die Parteien vor dem Arbeitsgericht Cottbus einen bis zum 30. September 2021 widerruflichen Vergleich. In diesem war unter anderem festgehalten:
Soweit die Parteien schon vorab klären können, ob der Vergleich widerrufen wird, bittet das Gericht, dies vorab anzuzeigen.
Darauf teilten die Klägervertreter am 28. September 2021 mit:
nimmt der Kläger den Vergleichsvorschlag des Gerichts vom 09.09.2021 an.
Wir erklären das Verfahren in der Hauptsache für erledigt.
Die Beklagte widerrief am 28. September 2021 den Vergleich.
Der Kläger geht davon aus, dass die Beklagte sich für den Monat April 2021 im Annahmeverzug befunden habe. Er sei nicht verpflichtet gewesen, einen von der ehemaligen Entleiherin angebotenen auf ein Jahr befristeten Arbeitsvertrag anzunehmen. Zur Tätigkeitsaufnahme bei einem anderen Arbeitgeber sei der Kläger schon generell nicht verpflichtet gewesen. Der Kläger habe sich aber auch wie im Kündigungsschreiben von der Beklagten angegeben, bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend gemeldet und schnell eine andere Arbeit gefunden. Andere Einnahmen habe er im April 2021 nicht gehabt. Der Mietzuschuss sei an keine Bedingung geknüpft gewesen. Eine schriftliche Vereinbarung dazu gebe es nicht. Die gerichtliche Geltendmachung sei im Rahmen des parallelen Kündigungsschutzverfahrens erfolgt. Eine schriftliche Ablehnung der Beklagten sei erst mit Schriftsatz vom 25. Juni 2021 erfolgt. Somit greife die dreimonatige zweite Stufe aus dem MTV erst am 25. September 2021 und sei somit zum Zeitpunkt der Klageerhebung noch nicht abgelaufen gewesen.
Die Beklagte meint, dass der Kläger einen möglichen anderen Erwerb böswillig unterlassen habe. Die Entleiherin habe dem Kläger einen vom 1. April 2021 bis 31. März 2022 befristeten Arbeitsvertrag mit einem Stundenlohn von 10,07 EUR angeboten. Weshalb der Kläger das Angebot nicht angenommen habe, sei für die Beklagte nicht nachvollziehbar. Es gebe in diesem Zusammenhang keine Zumutbarkeitsanforderungen. Es habe sich um dieselbe Tätigkeit wie zuvor gehandelt. Und nach Kenntnis der Beklagten habe der Kläger im April 2021 mietfrei gewohnt. Weiter geht die Beklagte davon aus, dass der Anspruch verfallen sei, da er bereits vor Fälligkeit geltend gemacht worden sei. Die Beklagte schloss sich der Erledigungserklärung des Klägers an.
Mit Urteil vom 14. Juni 2022 hat das Arbeitsgericht Cottbus der Klage stattgegeben.
• Die Klage sei nicht erledigt. Die Erledigungserklärung des Klägers sei auszulegen. Sie sei ausdrücklich im Zusammenhang mit der Mitteilung erfolgt, dass der Vergleich nicht widerrufen werde. Eine davon unabhängige Erledigungserklärung habe der Kläger nicht abgegeben.
• Der Anspruch des Klägers bestehe aus Annahmeverzug. Der Arbeitnehmer handele böswillig im Sinne von § 615 Satz 2 BGB, wenn ihm ein Vorwurf daraus gemacht werden könne, dass er während des Annahmeverzugs trotz Kenntnis aller objektiven Umstände (Arbeitsmöglichkeit, Zumutbarkeit der Arbeit, nachteilige Folgen für den Arbeitgeber) vorsätzlich untätig bleibe oder die Aufnahme der Arbeit bewusst verhindere. Das sei hier nicht der Fall. Der Kläger habe nicht gewusst, dass er nur für einen Monat arbeiten könne. Er habe ein neues Arbeitsverhältnis zum 1. Mai 2021 geschlossen. Der angebotene Vertrag habe eine Laufzeit bis zum 31. März 2022 gehabt. Der Stundenlohn sei geringer gewesen. Ob ein Zuschuss zum Lohn gezahlt würde, sei für den Kläger unklar gewesen. Unveränderte Arbeitsbedingungen seien es nicht gewesen. Dem Kläger sei nicht zuzumuten gewesen, Vertragsverhandlungen zu führen, um sich ein Kündigungsrecht auszuhandeln.
• Dem Kläger stehe auch der Mietzuschuss aus betrieblicher Übung zu. Dieser sei jeweils bedingungslos gezahlt worden. Auch habe die mietfreie Wohnmöglichkeit nur für Beschäftigte der M. G. GmbH bestanden.
• Die tarifliche Ausschlussfrist von 3 Monaten habe der Kläger eingehalten. Auf die Fälligkeit komme es nach der tariflichen Regelung nicht an. Die Tarifnorm beschreibe lediglich, wann der Anspruch spätestens geltend zu machen sei.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte rechtzeitig Berufung eingelegt und diese auch rechtzeitig begründet.
Die Beklagte meint, dass die Erledigungserklärung wirksam sei. Sie sei nicht vom Kläger, sondern von seinen professionellen Rechtsvertretern abgegeben worden. Der Kläger hätte auf seinem bisherigen Arbeitsplatz weiterbeschäftigt werden können. Die M. G. S. GmbH habe dem Kläger unstreitig das Angebot auf Abschluss eines Arbeitsverhältnisses gemacht. Der Kläger hätte erklären können, dass er nur für einen Monat zur Verfügung stehe. Es hätten dieselben Wohnunterkünfte zur Verfügung gestanden, nun sogar kostenlos. § 615 BGB gehe auch nicht von unveränderten Arbeitsbedingungen aus. Die Beklagte halte die Bestimmung der Ausschlussfrist im Tarifvertrag für eindeutig. Dort stehe, dass der Anspruch nach Fälligkeit geltend gemacht werden müsse. Anders als das Arbeitsgericht meine, sei der Anspruch zum Zeitpunkt der Geltendmachung hier auch noch nicht entstanden.
Die Beklagte beantragt in der Berufungsinstanz,
das Urteil des Arbeitsgerichts Cottbus vom 14. Juni 2022 - 1 Ca 726/21 abzuändern und die Klage abzuweisen;
Der Kläger beantragt in der Berufungsinstanz,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil. Er habe sich umgehend um eine andere Arbeit bemüht. Er habe sich auch von einem Vorarbeiter des Entleihers gemobbt gefühlt. Der Kläger habe sich, nachdem die von der Beklagten organisierte Tätigkeit in der Geflügelwirtschaft illegal geworden sei, für eine andere berufliche Perspektive entschieden. Einen anderen Arbeitgeber zu wählen als von der Beklagten gewünscht, sei grundrechtlich geschützt. Ein vorsätzliches Untätigbleiben sowie eine Schädigungsabsicht des Klägers habe die Beklagte nicht vorgetragen. Dass die Beklagte sich nun abweichend vom Arbeitsvertrag auf die tariflichen Fristen berufe, sei rechtsmissbräuchlich. Auch habe die Beklagte bereits mit dem Kündigungsschreiben mitgeteilt, dass sie für April 2021 keinen Lohn mehr zahlen werde.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf den Inhalt der Berufungsbegründung der Beklagten vom 22. August 2022 sowie deren Schriftsatz vom 30. November 2022, auf den Inhalt der Berufungsbeantwortung des Klägers vom 16. September 2022 sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 15. Dezember 2022 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die nach § 64 Abs. 2 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist form- und fristgerecht im Sinne der §§ 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 Zivilprozessordnung (ZPO) eingelegt und begründet worden.
Die zulässige Berufung ist aber nicht begründet.
Im Ergebnis und auch in der Begründung ist keine andere Beurteilung als in erster Instanz gerechtfertigt. Das Landesarbeitsgericht folgt dem Arbeitsgericht Cottbus hinsichtlich der Begründung und sieht insoweit gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG von einer nur wiederholenden Begründung ab. Die Angriffe der Berufung sind nicht geeignet, die Rechtslage anders zu beurteilen. Im Hinblick auf das Vorbringen der Beklagten in der Berufungsbegründung ist lediglich auf Folgendes hinzuweisen:
1.
Wenn zwischen zwei Parteien ein Arbeitsverhältnis besteht, ist die Arbeitgeberin grundsätzlich verpflichtet, während der Dauer des Arbeitsverhältnisses auch die Vergütung zu zahlen. Sofern die Arbeitgeberin den Arbeitnehmer nicht beschäftigt, ist sie nach § 615 Satz 1 BGB in der Regel verpflichtet, aus Annahmeverzug dennoch die Vergütung zu zahlen. Von dieser Regel hat der Gesetzgeber in § 615 Satz 2 BGB unter anderem eine Ausnahme gemacht, wenn der Arbeitnehmer es - böswillig - unterlässt, einen anderweitigen Verdienst zu erzielen.
1.1
Wie das Bundesarbeitsgericht zuletzt in einer Entscheidung vom 19. Januar 2022 (5 AZR 346/21) ausgeführt hat, unterlässt ein Arbeitnehmer böswillig anderweitigen Verdienst, wenn ihm ein Vorwurf daraus gemacht werden kann, dass er während des Annahmeverzugs trotz Kenntnis aller objektiven Umstände vorsätzlich untätig bleibt und eine ihm nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) unter Beachtung des Grundrechts auf freie Arbeitsplatzwahl nach Art. 12 GG zumutbare anderweitige Arbeit nicht aufnimmt oder die Aufnahme der Arbeit bewusst verhindert.
1.2
Die Beklagte differenziert nicht hinreichend zwischen der "Zumutbarkeit" einer Beschäftigung und der "Böswilligkeit" des Arbeitnehmers. Böswilligkeit ist eine subjektive Kategorie, eine solche des Willens und des Bewusstseins. Zumutbarkeit ist demgegenüber eine objektive Kategorie, die in der Art und den Umständen der unterlassenen Arbeit in Relation zu den objektiven Verhältnissen des Arbeitnehmers ergibt (vgl. zum Ganzen auch Wolter, AuR 2022, 470, 475f.).
1.2.1
Dass dem Kläger die Fortführung der bisherigen Tätigkeit an sich zumutbar wäre, liegt auf der Hand. Zwar hat der Kläger behauptet, dass er sich von einem Vorarbeiter des Entleihers gemobbt gefühlt habe. Dieses hat der Kläger jedoch nur behauptet, ohne dazu irgendwelche Tatsachen vorzubringen.
Dem Kläger war es im Lichte des Art. 12 Abs. 2 GG aber bereits nicht zumutbar, die bisherige Tätigkeit im Rahmen eines anderen Arbeitsverhältnisses (mit dem Entleiher) auszuführen, jedenfalls nicht zu den angebotenen Arbeitsbedingungen. Denn der andere Arbeitgeber hatte dem Kläger nur noch einen für 12 Monate befristeten sowie mit einer erneuten Probezeit versehenen Arbeitsvertrag angeboten.
1.2.2
Letztlich kann dieses jedoch dahinstehen, denn jedenfalls handelte der Kläger nicht böswillig.
Im allgemeinen Sprachgebrauch bedeutet Böswilligkeit, dass man in böser Absicht bzw. absichtlich böse handele. Es kann gute Gründe geben, weshalb ein Arbeitnehmer die Annahme einer zumutbaren Tätigkeit unterlässt, ohne böswillig zu handeln.
Hier hat der Kläger die Kündigung der Beklagten zum Anlass genommen, sich beruflich neu zu orientieren. Er hat auch relativ kurzfristig Anfang Mai 2021 die neue Tätigkeit begonnen. Anhaltspunkte, dass der Kläger dabei eine Schädigungsabsicht gegenüber der Beklagten verfolgt hätte, sind nicht ersichtlich. Aber auch dann, wenn man eine Schädigungsabsicht nicht zur Voraussetzung der Böswilligkeit machen würde, war es dem Kläger entsprechend der Rechtsprechung des BAG nicht vorwerfbar, in Kenntnis aller objektiven Umstände
• Angebot eines nur befristeten Vertrages
• Angebot des Arbeitsvertrages mit einer neuen Probezeit
• bevorstehende anderweitige Beschäftigung
• noch laufende Kündigungsfrist des bestehenden Arbeitsverhältnisses
bezüglich der Tätigkeit bei der Entleiherin untätig zu bleiben.
2.
Der Zeitpunkt der Geltendmachung des Anspruchs ist nicht zu beanstanden. Denn die tarifliche Ausschlussfrist regelt nur, bis wann ein Anspruch geltend gemacht werden muss. Bei der Ausschlussfrist handelt es sich nicht um eine Sperrfrist, die eine Geltendmachung vor Fälligkeit verbietet.
Selbst wenn man das so sehen würde, hätte die Beklagte mit der unbezahlten Freistellung des Klägers bereits deutlich gemacht, dass sie nicht gewillt war, die vertraglichen Ansprüche des Klägers noch zu erfüllen. Damit wäre aber ein Abwarten einer solchen Sperrfrist nur eine leere Förmelei, bei der die Berufung der Beklagten darauf eher als rechtsmissbräuchlich anzusehen wäre.
III.
Die Kostenentscheidung folgt § 64 Abs.6 ArbGG in Verbindung mit § 97 ZPO. Die Beklagte hat die Kosten des erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.
Die Zulassung der Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG kam nicht in Betracht, da die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorgelegen haben.