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Urteil vom 20.12.2022 · IWW-Abrufnummer 233996

Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - Aktenzeichen 7 Sa 56/21

Dem Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs steht in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns eine Ausschlussfrist nicht entgegen. Weder die Abdingbarkeit des § 615 BGB noch die Anrechnungsvorschriften der §§ 615 S. 2 BGB , 11 Nr. 1 und Nr. 2 KSchG ändern daran etwas.


In der Rechtssache
- Beklagte/Berufungsklägerin -
Proz.-Bev.:
gegen
- Kläger/Berufungsbeklagter -
Proz.-Bev.:
hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 7. Kammer - durch den Vorsitzenden
Richter am Landesarbeitsgericht Pfeiffer, den ehrenamtlichen Richter Brune-Hägele und den ehrenamtlichen Richter Sacherl auf die mündliche Verhandlung vom 20.12.2022
für Recht erkannt:

Tenor:
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Reutlingen vom 04.05.2021 - 7 Ca 194/19 - wird zurückgewiesen.


2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits mit Ausnahme der Kosten der Revision, die der Kläger trägt.


3. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand



Die Parteien streiten über Vergütung des Klägers wegen Annahmeverzugs in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns für den Zeitraum vom 1. Juli 2017 bis 9. August 2017.



Wegen des erstinstanzlichen unstreitigen und streitigen Vorbringens der Parteien einschließlich ihrer Rechtsansichten wird auf den nicht angegriffenen Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Bezug genommen und verwiesen.



Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 4. Mai 2021 den zuletzt gestellten Zahlungsanträgen des Klägers stattgegeben. Wegen der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die Entscheidungsgründe unter B. Bezug genommen und verwiesen.



Die Beklagte hat gegen das ihr am 27. Juli 2021 zugestellte Urteil mit beim Berufungsgericht am 3. August 2021 eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und sie mit beim Landesarbeitsgericht am 17. September 2021 eingegangenem Schriftsatz ausgeführt.



Sie rügt auf der Grundlage ihres Begründungsschriftsatzes vom 17. September 2021, der Gegenstand der Berufungsverhandlung war und auf den Bezug genommen und verwiesen wird, näher bestimmt fehlerhafte Rechtsanwendung des Arbeitsgerichts insbesondere insoweit, als es den rechtskraftfähigen Inhalt des Anerkenntnis-Teilurteils des Arbeitsgerichts vom 24. August 2017 verkenne. Anders als bei Urteilen, die über einen Tatbestand und Entscheidungsgründe verfügten, sei bei einem Anerkenntnisurteil als nicht streitigem Urteil zur Bestimmung des rechtskraftfähigen Inhalts Parteivorbringen und Parteierklärungen, insbesondere der Umfang des von einer Seite im Verfahren erklärten Anerkenntnisses, heranzuziehen. Abzustellen sei daher insoweit vorliegend auf ihre als Anlage K 4 vorgelegte Erklärung vom 9. August 2017 gegenüber dem Prozessbevollmächtigten des Klägers. Weiterhin sei auch die eigentliche Prozesserklärung gegenüber dem Arbeitsgericht im Verfahren 3 Ca 101/17 heranzuziehen. Der vom Arbeitsgericht gezogene Schluss, dass es wegen der rechtskräftig anerkannten unwirksamen fristlosen Kündigung vom 21. Juni 2017 auch keines Arbeitsangebots des Klägers für den streitgegenständlichen Lohnzahlungszeitraum zwischen 1. Juli 2017 und 9. August 2017 bedurft habe, sei deshalb falsch. Die Ansprüche seien auch verfallen. Das Mindestlohngesetz sei nicht anwendbar, da es nur den Arbeitslohn für "geleistete Arbeitsstunden" regele.



Das Landesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 18. November 2021 (7 Sa 56/21) die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Auf die Revision der Beklagten hat das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 13. Juli 2022 (5 AZR 498/21) die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung mit der Begründung zurückverwiesen, auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen könne die Berufung der Beklagten gegen das der Klage stattgebende Urteil des Arbeitsgerichts nicht zurückgewiesen werden, weil die Leistungswilligkeit des Klägers aufzuklären sei und gegebenenfalls der Frage der Anrechnung anderweitigen Verdienstes nach § 11 Nr. 1 KSchG nachgegangen werden müsse. Wegen der weiteren Einzelheiten des Urteils des Bundesarbeitsgerichts wird auf die Entscheidungsgründe unter II. 2. und 3. Bezug genommen und verwiesen.



Mit Verfügung des Vorsitzenden der Berufungskammer vom 17. Oktober 2022 erhielten die Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme zu II. 2. und 3. der Entscheidungsgründe des Bundesarbeitsgerichts.



Wegen des hierauf ergangenen Vorbringens der Parteien wird auf die Schriftsätze der Parteien jeweils vom 14. November 2022 Bezug genommen und verwiesen.



Die Beklagte beantragt:

Das Urteil des Arbeitsgerichts Reutlingen vom 04.05.2021 (Az: 7 Ca 194/19) wird abgeändert und die Klage abgewiesen.



Der Kläger beantragt Zurückweisung der Berufung und verteidigt das erstinstanzliche Urteil auf der Grundlage seines Beantwortungsschriftsatzes vom 29. Oktober 2021, auf den sowie auf das Sitzungsprotokoll vom 20. Dezember 2022 Bezug genommen und verwiesen wird.



Entscheidungsgründe



I.



Die statthafte, frist- und formgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Die zulässige Klage hat in der Sache Erfolg. Dem Kläger stehen gegen die Beklagte unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs in Höhe des Mindestlohnes als Geldfaktor die beanspruchten Zahlungen nebst Fälligkeitszinsen in gesetzlicher Höhe zu. Der Kläger war in Bezug auf den streitgegenständlichen Zeitraum durchgehend leistungswillig. Das steht zur Überzeugung der Berufungskammer nach Anhörung der Parteien und der Vernehmung des Zeugen G. fest. Eine Anrechnung anderweitigen Verdienstes nach § 11 Nr. 1 KSchG ist nicht gegeben. Das hat auch das Arbeitsgericht zutreffend erkannt.



1. Die Berufungskammer verweist zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG vollumfänglich auf die Ausführungen des Bundesarbeitsgerichts in seinem Urteil vom 13. Juli 2022 (5 AZR 498/21) unter I. der Entscheidungsgründe.



2. Der Kläger war im streitgegenständlichen Zeitraum durchgehend leistungswillig. Nach Durchführung der erneuten Berufungsverhandlung und der Anhörung der Parteien nebst Vernehmung des Zeugen G. steht für die Berufungskammer zur Überzeugung fest, dass der Kläger im Rahmen des Gesprächs am 21. Juni 2017 die von der Beklagten aufgestellte Behauptung, er habe in Gegenwart des Zeugen und des Geschäftsführers A. erklärt, "keinen Bock mehr" zu haben für die Beklagte zu arbeiten, unzutreffend ist. Der Zeuge G. war bei diesem Gespräch überhaupt nicht anwesend. Demgemäß konnte er über Ablauf und Inhalt dieses Gesprächs am 21. Juni 2017 keine Aussagen treffen. Auch nach den insoweit übereinstimmenden Aussagen des Klägers war der Zeuge bei diesem Gespräch nicht anwesend. Weitergehende Ausführungen erübrigen sich. Die beweisbelastete Beklagte konnte den Beweis für ihre Behauptung nicht führen. Soweit das Bundesarbeitsgerichts für die von der Beklagten behauptete Leistungsunwilligkeit des Klägers auf dessen außerhalb des streitgegenständlichen Zeitraums liegendes indizielles Verhalten nach dem Erhalt des Schreibens vom 9. August 2017 und dem Erlass des Anerkenntnis-Teilurteils vom 24. August 2017 abstellt, fehlt es an der nicht bewiesenen verknüpfenden Indiztatsache aus dem Gespräch vom 21. Juni 2017. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der Kläger mit Zustimmung der Agentur für Arbeit vom 25. August bis 31. August 2017 seinen bei der Beklagten bislang üblich gewesenen Heimaturlaub in ... verbracht hat. Allein aus einem Aufenthalt im Ausland lässt sich vorliegend nicht folgern, er sei gegenüber der Beklagten nicht leistungswillig gewesen, da er unstreitig jederzeit unter der den Beklagten bekannten Kontaktdaten per Telefon und Whatsapp erreichbar und zur Rückkehr in der Lage gewesen war (vgl. BAG 6. November 1986 - 2 AZR 714/85 - Juriszitat, Rn. 38).



3. Die Voraussetzungen der Anrechnung anderweitigen Verdienstes nach § 11 Nr. 1 KSchG liegen nicht vor. Unstreitig ist, dass der Kläger ausweislich des mit der Firma K. am 14. Dezember 2017 abgeschlossenen Arbeitsvertrages dort am 19. Februar 2018 zu arbeiten begonnen hat. Außerdem ist unstreitig, dass der Kläger für ca. vier Monate bei der Firma T. ab dem 1. September 2017 beschäftigt war. Ferner ist die Behauptung des Klägers in der erneuten Berufungsverhandlung unwidersprochen geblieben, dass er sein ausschließlich von ihm betriebenes Nebengewerbe stets nur samstags außerhalb seiner Arbeitszeit bei der Beklagten ausgeübt hat.



II.



Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 97 Abs. 1 ZPO. Die Kosten der erfolgreichen Revision der Beklagten hat der Kläger zu tragen.



Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.

Pfeiffer
Brune-Hägele
Sacherl

Verkündet am 20.12.2022

Vorschriften§ 11 Nr. 1 KSchG, § 69 Abs. 2 ArbGG, §§ 91, 97 Abs. 1 ZPO