Beschluss vom 26.08.2022 · IWW-Abrufnummer 234086
Landesarbeitsgericht Düsseldorf - Aktenzeichen 6 TaBV 6/22
1. Der TVöD geht davon aus, dass die 5-Tage-Woche der Regelfall, die 6-Tage-Woche die Ausnahme ist.
2. Sofern nichts Abweichendes geregelt wird, gilt die 5-Tage-Woche auch für einen durch eine Betriebsvereinbarung eingerichteten wöchentlichen Arbeitszeitkorridor gemäß § 6 Abs. 6 S.1 TVöD . Die innerhalb eines Arbeitszeitkorridors verrichteten Arbeitsstunden gehören zur regelmäßigen Arbeitszeit im Sinne des § 6 Abs. 1 S. 3 TVöD .
Tenor:
I. Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 12.01.2022 - AZ.: 14 BV 103/21 - wird zurückgewiesen.
II. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Auslegung und Umsetzung einer zwischen ihnen geschlossenen Betriebsvereinbarung.
Antragsteller und Beteiligter zu 1.) ist der Betriebsrat der Beteiligten zu 2). Die Beteiligte zu 2) (im Folgenden: Arbeitgeberin) betreibt ein Unternehmen für Reinigungs- und Entsorgungsaufgaben und beschäftigt regelmäßig mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer. Die Beteiligten schlossen am 18.12.2017 die "Betriebsvereinbarung über die Flexibilisierung der Arbeitszeit" (im Folgenden: BV Flex). Wegen technischer Umsetzungsprobleme trat die BV Flex erst am 01.05.2018 in Kraft. In der BV Flex heißt es unter anderem:
Wegen der Einzelheiten wird auf die BV Flex (Anlage 1, Bl. 8 ff. d. A.) Bezug genommen.
§ 6 des auf den Betrieb anwendbaren TVöD für den Dienstleistungsbereich Entsorgung (TVöD-E) lautet auszugsweise:
Auf dem Betriebshof "B. dem E. 19" in E. wurden Mitarbeiter der Straßenreinigung, die nach dem 01.07.2017 eingestellt worden waren, zu Überstundenleistungen an Wochenenden verpflichtet, ohne dass zuvor die Zustimmung des Betriebsrats eingeholt worden war. Nachdem der Betriebsrat dies beanstandet hatte, teilte die Arbeitgeberin ihm mit, dass ihrer Auffassung nach der in § 2 der BV Flex geregelte Arbeitszeitkorridor von 45 Stunden eine mitbestimmungsfreie Anordnung der notwendigen Arbeiten am Wochenende ermögliche.
Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, dass für die Straßenreinigung der vereinbarte Arbeitszeitkorridor nur für die Zeit von montags bis freitags eingreife. Die Beteiligten hätten die Frage der Anordnung von Mehrarbeit im Rahmen des Arbeitszeitkorridors bezogen auf den Arbeitsbereich der Straßenreinigung gesehen. Dies habe sich so wie die gesamte Diskussion über den Arbeitszeitkorridor jeweils auf die Zeit von montags bis freitags bezogen, nicht auf das Wochenende.
Der Betriebsrat hat beantragt,
Die Arbeitgeberin hat beantragt,
Sie hat eingewandt, die Frage der Anordnung von Mehrarbeit im Rahmen des Arbeitszeitkorridors bezogen auf den Arbeitsbereich der Straßenreinigung sei von den Beteiligten im Zuge der Verhandlungen der Betriebsvereinbarung gesehen und durchaus kontrovers diskutiert worden. Sie seien im Laufe der Verhandlungen übereingekommen, dass es hierzu keiner ausdrücklichen Regelung in der Betriebsvereinbarung bedürfe, der Arbeitsbereich der Straßenreinigung sei selbstverständlich erfasst. § 3 Abs. 1 sei keine Ausnahme zu § 2 Abs. 1. Die Regelung zum Arbeitszeitkorridor stehe in einem gesonderten Paragraphen und enthalte keine Bezugnahme auf die Bestimmungen in § 3. Wie der Systematik zu entnehmen sei, hätten die Betriebsparteien nicht beabsichtigt, die Mitarbeiter der Straßenreinigung aus dem Anwendungsbereich des Arbeitszeitkorridors herauszunehmen. Die Anordnung der Mehrarbeit sei auch nicht auf Werktage begrenzt. Eine solche Begrenzung lasse sich § 2 Abs. 1 nicht entnehmen.
Die Arbeitgeberin hat zudem auf ein Protokoll einer Besprechung der Betriebsparteien vom 12.12.2016 verwiesen. Daraus gehe hervor, dass sie Probleme gesehen habe, für die Zukunft Überstunden an Samstagen sicherzustellen, und daher habe regeln wollen, dass die Freiwilligkeit von Überstunden eingeschränkt werde. Der Betriebsrat habe dies zum damaligen Zeitpunkt abgelehnt. Wegen der Einzelheiten des Protokolls wird auf die Anlage 4, Bl. 50 f. d. A. Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat dem Hauptantrag des Betriebsrats zum Teil entsprochen und der Arbeitgeberin aufgegeben, die Betriebsvereinbarung über die Flexibilisierung der Arbeitszeit vom 18.12.2017 für die ab dem 01.07.2017 neu eingestellten Beschäftigten der Straßenreinigung so anzuwenden, dass der Arbeitszeitkorridor sich auf die Zeit von montags bis freitags und nicht auf das Wochenende bezieht. Gegen den ihr am 28.01.2022 zugestellten Beschluss hat die Arbeitgeberin am 31.01.2022 Beschwerde eingelegt und diese - nach einer Fristverlängerung bis zum 28.04.2022 - mit einem am 28.04.2022 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet. Der Betriebsrat hat innerhalb der bis zum 30.06.2022 verlängerten Frist zur Erwiderung eine Anschlussbeschwerde eingelegt.
Die Arbeitgeberin rügt, der Antrag sei bereits unzulässig, da nicht erkennbar sei, ob eine Leistung oder Feststellung begehrt werde. Die Antragsformulierung lege nahe, dass der Betriebsrat lediglich eine Feststellung begehrt habe. Insoweit hätte das Arbeitsgericht mit dem beschlossenen Leistungsanspruch dem Betriebsrat entgegen § 308 Abs. 1 ZPO mehr zugesprochen als beantragt worden sei.
Darüber hinaus habe der Antrag jedenfalls als unbegründet zurückgewiesen werden müssen.
Das Arbeitsgericht habe die BV Flex falsch ausgelegt. Dabei sei das Arbeitsgericht von einem fehlerhaften Verständnis des TVöD-E ausgegangen, indem es angenommen habe, die BV Flex gehe wie der TVöD-E von einer Arbeitswoche von Montag bis Freitag aus. Dabei habe das Arbeitsgericht verkannt, dass im TVöD-E weder die Lage der regelmäßigen Arbeitszeit noch die des Arbeitszeitkorridors festgelegt werde. § 6 Abs. 5 TVöD-E schließe in keiner Weise die Verteilung der Arbeitszeit auf das Wochenende aus. Ebenso wenig beschränke § 6 Abs. 6 TVöD-E die Lage der zusätzlich im Rahmen des Arbeitszeitkorridors abrufbaren Arbeitsstunden auf Montag bis Freitag oder Werktage. Lediglich die regelmäßige Arbeitszeit nach § 6 Abs. 6 TVöD-E solle grundsätzlich auf fünf Tage verteilt werden, nicht die zusätzlichen Arbeitsstunden nach § 6 Abs. 6 TVöD-E.
Das Arbeitsgericht habe zudem bei seiner Auslegung verkannt, dass § 2 Abs. 1 BV Flex lediglich auf § 6 Abs. 6 TVöD-E, nicht auf den gesamten § 6 TVöD-E verweise. Anders als bei der regelmäßigen Arbeitszeit werde in § 6 Abs. 6 TVöD-E nicht einmal ansatzweise eine Verteilung auf eine bestimmte Anzahl von Arbeitstagen vorgenommen.
In dem angefochtenen Beschluss werde die Systematik der BV-Flex verkannt. § 3 BV Flex betreffe lediglich die regelmäßige Arbeitszeit, enthalte aber keine Bestimmung über die Lage des Arbeitszeitkorridors. Auch aus § 3 Abs. 3 BV-Flex lasse sich entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts nicht schlussfolgern, dass die Betriebsvereinbarung von einer Arbeitswoche von Montag bis Freitag ausgehe. In § 3 Abs. 3 BV Flex hätten die Betriebsparteien wohl schlicht die Begriffe "Arbeitszeitkorridor" und "Arbeitszeitrahmen" verwechselt. Selbst wenn man aber mit dem Arbeitsgericht davon ausginge, dass in § 3 Abs. 3 BV Flex tatsächlich der Arbeitszeitkorridor gemeint sei, so wäre allein eine Aussage über die maximale Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit getroffen worden, nicht über die Lage.
Das Arbeitsgericht habe auch den Sinn und Zweck der BV Flex nicht zutreffend berücksichtigt. Als Entsorgungs- und Reinigungsunternehmen der Stadt E. müsse sie Dienstleistungen nicht nur von Montag bis Freitag, sondern auch am Wochenende erbringen, etwa wenn Bürger/innen sich z.B. in der Altstadt oder durch Sonderveranstaltungen vermehrt im Freien aufhielten. Diesem Aspekt habe das Arbeitsgericht kein ausreichendes Gewicht beigemessen. Das Ziel der BV Flex sei in deren Präambel niedergelegt.
Die Arbeitgeberin beantragt,
Der Betriebsrat beantragt,
Hilfsweise beantragt der Betriebsrat im Wege einer Anschlussbeschwerde,
Der Betriebsrat führt aus, das Arbeitsgericht habe den Antrag zutreffend als Leistungsantrag verstanden. Der Betriebsrat verlange die Durchführung der Betriebsvereinbarung entsprechend den dort getroffenen Regelungen. Anstelle der Formulierung "anzuwenden" hätte auch der Begriff "durchzuführen" verwendet werden können. Insoweit handle es sich um Synonyme. Lediglich vorsorglich für den Fall von Zulässigkeitsbedenken im Hinblick auf den Einwand der Arbeitgeberin, es liege ein Verstoß gegen § 308 Abs. 1 ZPO vor, werde hilfsweise die Anschlussbeschwerde mit dem entsprechenden Antrag gestellt.
Auch in der Sache verteidigt der Betriebsrat den angefochtenen Beschluss. Die tarifliche Bestimmung, dass die regelmäßige Arbeitszeit auf fünf Tage, im hier nicht vorliegenden Ausnahmefall auf sechs Tage, verteilt werden könne, gelte auch im Rahmen einer Flexibilisierung der Arbeitszeit nach § 6 Abs. 6 TVöD-E in Form eines Arbeitszeitkorridors. Das zutreffende Auslegungsergebnis des Arbeitsgerichts werde zudem durch § 7 BV Flex bestätigt. Die dortige Formulierung "außerhalb des Arbeitszeitkorridors liegend" würde keinen Sinn machen, wenn der Arbeitszeitkorridor sich ohnehin auf das Wochenende erstrecken würde. Der Betriebsrat habe mit der Regelung in § 2 Abs. 1 BV Flex sein Mitbestimmungsrecht im Hinblick auf Überstunden nicht abschließend ausgeübt. Auch der Sinn und Zweck der BV Flex stünde der vom Arbeitsgericht vorgenommenen Auslegung nicht entgegen, denn § 2 Abs. 1 BV Flex führe durchaus zu einer höheren Flexibilisierung für Tätigkeiten von Montag bis Freitag, die vor 6.00 Uhr oder nach 14.18 Uhr auszuüben seien.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die Sitzungsniederschriften beider Instanzen sowie sämtliche Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde der Arbeitgeberin hat in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat richtig entschieden.
1. Gegen die Zulässigkeit der Beschwerde bestehen keine Bedenken.
Sie ist statthaft gemäß § 87 Abs. 1 ArbGG. Sie ist zudem form- und fristgerecht im Sinne von § 89 Abs. 1, Abs. 2, § 87 Abs. 2 i.V.m. §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 520 ZPO eingelegt und begründet worden.
2. Die Beschwerde der Arbeitgeberin ist aber unbegründet.
a) Das Arbeitsgericht hat nicht gegen § 308 Abs. 1 ZPO verstoßen. Es hat dem Betriebsrat nicht mehr zugesprochen als beantragt.
Das Arbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Hauptantrag des Betriebsrats zwei voneinander zu trennende Antragsteile umfasste. Dementsprechend beinhaltet die Stattgabe des zweiten Antragsteils bei gleichzeitiger Zurückweisung des ersten Teils keine Entscheidung über ein "aliud". Vielmehr umfasst der Tenor lediglich ein "minus" gegenüber dem ursprünglich weitergehenden Begehren des Betriebsrats.
Auch soweit das Arbeitsgericht den Antrag nicht als Feststellungsbegehren gemäß § 256 ZPO, sondern als Leistungsantrag verstanden hat, liegt kein Verstoß gegen § 308 Abs. 1 ZPO vor. Das Arbeitsgericht hat den Antrag zutreffend ausgelegt. Hierfür spricht bereits der Wortlaut, wonach der Arbeitgeberin "aufzugeben" sei, die BV Flex in der näher dargestellten Weise anzuwenden. Zudem hat der Betriebsrat in der Antragsbegründung explizit ausgeführt, dass er seinen Durchführungsanspruch gemäß § 77 Abs. 1 BetrVG geltend mache. Dieser wird im Regelfall im Wege des Leistungsantrags durchgesetzt. Ein anderes Verständnis wäre mit dem erkennbaren - und bei der Auslegung des Antrags zu berücksichtigenden - Interesse des Betriebsrats nicht vereinbar. Die Richtigkeit dieses Verständnisses hat der Betriebsrat schließlich im Beschwerdeverfahren bestätigt.
b) Der Antrag des Betriebsrats ist zulässig.
aa) Er ist hinreichend bestimmt im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
Die verwandten Formulierungen sind einer ausreichenden Konkretisierung zugänglich und die Reichweite des erstrebten Verpflichtungsausspruchs klar (vgl. hierzu: BAG v. 27.04.2021 - 1 ABR 21/20 - Rn. 13). Die Arbeitgeberin soll die unter den Anwendungsbereich der BV Flex fallenden Beschäftigten der Straßenreinigung im Rahmen des gemäß § 2 Abs. 1 BV Flex vereinbarten Arbeitszeitkorridors nur von Montag bis Freitag einsetzen dürfen.
bb) Dem Betriebsrat steht nach § 77 Abs. 1 Satz 1 BetrVG die erforderliche Antragsbefugnis für sein Leistungsbegehren zu (vgl. BAG v. 27.04.2021 - 1 ABR 21/20 - Rn. 12). Er macht nicht etwa in unzulässiger Prozessstandschaft Individualrechte der Mitarbeiter geltend, sondern nimmt seine originären betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben wahr (vgl. auch BAG v. 25.02.2020 - 1 ABR 38/18 - Rn. 17).
c) Wie das Arbeitsgericht zutreffend erkannt hat, ist der Antrag des Betriebsrats begründet. Der Betriebsrat hat gemäß § 77 Abs. 1 BetrVG einen Anspruch darauf, dass die BV Flex in der Weise zutreffend angewandt wird, dass sich der Arbeitszeitkorridor nur auf die Zeit von Montag bis Freitag bezieht. Dies ergibt die erforderliche Auslegung der BV Flex.
aa) Betriebsvereinbarungen sind wegen ihrer normativen Wirkung wie Tarifverträge und damit wie Gesetze auszulegen (vgl. nur BAG v. 25.09.2018 - 3 AZR 333/17 - Rn. 16). Auszugehen ist vom Wortlaut der Bestimmungen und dem durch ihn vermittelten Wortsinn. Insbesondere bei einem unbestimmten Wortsinn sind der wirkliche Wille der Betriebsparteien und der von ihnen beabsichtigte Zweck zu berücksichtigen, sofern und soweit dies im Text seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den Gesamtzusammenhang und die Systematik der Regelungen. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem sachgerechten, zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Bestimmung führt (BAG v. 25.09.2018 - 3 AZR 333/17 - Rn.17; BAG v. 08.12.2015 - 3 AZR 267/14 - Rn. 22).
bb) Zunächst einmal ist festzuhalten, dass die Regelung über den Arbeitszeitkorridor in § 2 Abs. 1 BV Flex auch für Mitarbeiter der Straßenreinigung gilt.
Hiervon gehen beide Betriebsparteien übereinstimmend aus. Dies ist auch zutreffend. Für die Mitarbeiter der Straßenreinigung wird nicht etwa in § 3 Abs. 1 lit. a. BV Flex eine den § 2 Abs. 1 BV Flex ausschließende Sonderregelung getroffen. Gegen ein solches Verständnis spricht bereits, dass § 3 BV Flex nicht nur für die Straßenreinigung, sondern für sämtliche Beschäftigtengruppen Regelungen über die Lage der Arbeitszeit trifft. Soweit § 3 Abs. 1 lit. a. BV Flex dementsprechend "feste Arbeitszeiten" regelt, soll damit lediglich eine Festlegung für 39 Stunden verbindlich erfolgen, eine Ausdehnung entsprechend dem Korridor auf bis zu 45 Stunden aber nicht ausgeschlossen werden. Die zusätzlichen Zeiten liegen dann zwangsläufig außerhalb der in § 3 Abs. 1 BV Flex geregelten konkreten Arbeitszeiten.
cc) Daraus folgt aber entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin nicht, dass diese hinsichtlich der Festlegung der über 39 Stunden wöchentlich hinausgehenden Arbeitsstunden frei wäre. Vielmehr ergibt die Auslegung unter Anwendung der oben dargelegten Grundsätze, dass sich der Arbeitszeitkorridor gemäß § 2 Abs. 1 BV Flex nicht auf das Wochenende, sondern nur auf die Zeit von Montag bis Freitag bezieht.
aaa) Allerdings ist der Wortlaut insoweit unergiebig. Weder in § 2 noch in einer anderen Bestimmung der BV Flex wird für die Beschäftigten der Straßenreinigung explizit die Lage der Arbeitszeit geregelt, soweit diese über 39 Stunden hinausgeht. Daraus kann aber entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin nicht gefolgert werden, dass keinerlei Festlegung erfolgt ist, sich der Arbeitszeitkorridor stattdessen auf die ganze Woche inklusive des Wochenendes bezieht.
Diesem Verständnis steht bereits § 7 BV Flex entgegen. Wenn dort Überstunden so definiert werden, dass sie außerhalb des Arbeitszeitkorridors liegen und die tarifliche Wochenarbeitszeit überschreiten, so werden zwei Voraussetzungen genannt, die kumulativ vorliegen müssen. Da eine Überschreitung der Arbeitszeit von 45 Stunden innerhalb des Arbeitszeitkorridors (§ 2 Abs. 1 BV Flex i.V.m. § 6 Abs. 6 TVöD-E) zwangsläufig zugleich mit einer Überschreitung der tariflichen Wochenarbeitszeit von 39 Stunden verbunden ist, kann mit der erstgenannten Voraussetzung nicht die Dauer der Arbeitszeit, sondern nur deren Lage gemeint sein. Andernfalls wäre die Regelung sinnentleert. Dann kann sich der Arbeitszeitkorridor aber nicht auf die gesamte Woche beziehen, weil es andernfalls unmöglich wäre, Arbeitsleistungen in Form von Überstunden außerhalb desselben zu erbringen.
bbb) Steht damit fest, dass sich der Arbeitszeitkorridor nicht auf die gesamte Woche erstrecken kann, so kommt vorliegend allein die 5-Tage-Woche in Betracht. Insoweit ist bei der Auslegung auf § 6 TVöD-E zurückzugreifen, dessen Regelungen die Betriebsparteien in der BV Flex umgesetzt haben.
Gemäß § 6 Abs. 1 S. 3 TVöD kann die regelmäßige Arbeitszeit auf fünf Tage, aus notwendigen betrieblichen/dienstlichen Gründen auch auf sechs Tage pro Woche erstreckt werden. Aus der Verwendung des Begriffs "auch" im zweiten Halbsatz sowie der Einschränkung, dass es für die Einführung der 6-Tage-Woche besonderer Gründe bedarf, lässt sich entnehmen, dass die 5-Tage-Woche nach dem Willen der Tarifvertragsparteien der Regelfall, die 6-Tage-Woche hingegen die Ausnahme ist (vgl. Günther in Sponer/Steinherr, TVöD/TVL Gesamtausgabe, § 6 TVöD Rn. 118; Welkoborsky in BeckOK TVöD, 62. Edition Stand 01.06.2016, § 6 TVöD Rn. 15). Das Tarifziel ist es, zwei freie Tage pro Woche zu ermöglichen (Welkoborsky a.a.O.).
Die Betriebsparteien haben in der BV Flex keine abweichende Regelung getroffen, so dass vom Grundsatz her von einer 5-Tage-Woche auszugehen ist. Dementsprechend wurden die festen Arbeitszeiten u.a. für die Straßenreinigung in § 3 Abs. 1 lit. a) auf montags bis freitags festgelegt. Auch aus § 3 Abs. 2 S. 3 BV Flex ist zu entnehmen, dass vom Grundsatz her die 5-Tage-Woche gilt, denn danach kann in Funktionsplänen u.a. eine "Abweichung von der 5-Tage-Woche" vereinbart werden, woraus im Umkehrschluss folgt, dass im Normalfall die 5-Tage-Woche gelten soll. Eine dem § 3 Abs. 2 S. 3 BV Flex vergleichbare Sonderbestimmung wurde für den Arbeitszeitkorridor nicht getroffen, so dass davon auszugehen ist, dass es insoweit bei der tariflich regelmäßig geltenden 5-Tage-Woche bleibt.
Keineswegs wäre eine Regelung über ein Abweichen von der 5-Tage-Woche aufgrund der anzuwendenden tarifvertraglichen Bestimmungen für den Arbeitszeitkorridor entbehrlich oder gar selbstverständlich. Entgegen der Ansicht der Arbeitgeberin enthält die den Arbeitszeitkorridor ermöglichende Bestimmung des § 6 Abs. 6 TVöD-E hinsichtlich der Lage der Arbeitszeit keine Sonderregelung. Es gilt vielmehr auch insoweit der für die Verteilung der regelmäßigen Arbeitszeit maßgebliche § 6 Abs. 1 S. 3 TVöD-E, also - sofern nicht abweichend geregelt - die 5-Tage-Woche. Auch bei der Arbeitszeit, die im Rahmen eines Arbeitszeitkorridors geleistet wird, handelt es sich nämlich um regelmäßige Arbeitszeit im Sinne von § 6 Abs. 1 S. 3 TVöD-E. Lediglich der Umfang der Wochenarbeitszeit wird in der Weise flexibilisiert, dass nicht gleichmäßig 39 Stunden geleistet werden müssen, sondern wöchentlich bis zu 45 Stunden erbracht werden können, wenn innerhalb des Zeitraums von bis zu einem Jahr gemäß § 6 Abs. 2 S. 1 TVöD-E ein Ausgleich erfolgt. Der für den Arbeitszeitkorridor geltende § 6 Abs. 2 S. 1 TVöD-E regelt dementsprechend die "Berechnung des Durchschnitts der regelmäßigen Arbeitszeit" (Hervorhebung durch Unterzeichner). Bezüglich der Verteilung auf die einzelnen Wochentage wird hingegen keinerlei Bestimmung getroffen, so dass es insoweit bei der für die regelmäßige Arbeitszeit grundsätzlich geltenden Regelung verbleibt. Dass auch die Arbeit innerhalb des Arbeitszeitkorridors als regelmäßige Arbeitszeit anzusehen ist, wird zusätzlich durch § 7 TVöD-E bestätigt, der die von der regelmäßigen Arbeitszeit abweichenden "Sonderformen der Arbeit" festlegt, u.a. Überstunden. Bei Vereinbarung eines Arbeitszeitkorridors sind jedoch nicht etwa die über 39 Stunden hinausgehenden Arbeitsstunden Überstunden, sondern nur diejenigen Arbeitszeiten, die über die Grenze von 45 Stunden bzw. die vereinbarte Obergrenze hinausgehen. Im Umkehrschluss heißt dies, dass die innerhalb des Arbeitszeitkorridors erbrachten Stunden insgesamt zur regelmäßigen Arbeitszeit im Sinne des § 6 TVöD zählen.
ccc) Steht somit fest, dass die 5-Tage-Woche bezogen auf die Mitarbeiter der Straßenreinigung auch für den Arbeitszeitkorridor gilt, ergibt sich zwangsläufig, dass ausschließlich die Zeit von Montag bis Freitag umfasst sein kann. Andernfalls wäre es nämlich nicht möglich, zugleich die "festen Arbeitszeiten" gemäß § 3 Abs. 1 lit. a. BV Flex einzuhalten. Wenn die Beschäftigten der Straßenreinigung üblicherweise 39 Stunden von Montag bis Freitag erbringen, können sie die darüber hinaus gehenden Stunden nicht im Rahmen einer 5-Tage-Woche am Wochenende ableisten. Eine andere Verteilung der darüber hinaus gehenden Arbeitsstunden innerhalb des Arbeitszeitkorridors ist damit für die Mitarbeiter der Straßenreinigung nach der BV Flex ausgeschlossen.
ddd) Ein anderes Ergebnis ist nicht aufgrund des Sinn und Zwecks der BV Flex gerechtfertigt.
Wie der Präambel zu entnehmen ist, besteht das oberste Ziel der BV Flex in der Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit durch eine größere Flexibilisierung der Arbeitszeiten. Eine größere Flexibilisierung wird auch mit der hier vertretenen Auslegung von § 2 Abs. 1 BV Flex erreicht, denn die Arbeitgeberin kann innerhalb der Tage Montag bis Freitag außerhalb der vereinbarten festen Arbeitszeiten Arbeiten anordnen, ohne zuvor die Zustimmung des Betriebsrats einholen und Überstundenzuschläge entrichten zu müssen. Es mag sein, dass eine weitergehende Flexibilisierung aus Arbeitgebersicht wünschenswert wäre, auch ohne eine solche wird die BV Flex aber nicht sinnentleert.
eee) Zudem lässt sich der von der Arbeitgeberin vorgelegten Besprechungsniederschrift vom 12.12.2016 nichts Gegenteiliges entnehmen.
Wie aus diesem Protokoll ersichtlich ist, war es das Ziel der Arbeitgeberin, unabhängig von der Bereitschaft Freiwilliger Schnell- und Sonderdienste zu besetzen. Weiter lässt sich dem Protokoll entnehmen, dass über solche Dienste an Wochenenden gesprochen worden ist, der Betriebsrat insoweit aber Bedenken hatte. Dass der Betriebsrat diese Bedenken im weiteren Verlauf der Verhandlungen hat fallen lassen und sich die Betriebsparteien auf solche Wochenenddienste im Rahmen eines Arbeitszeitkorridors geeinigt hätten, lässt sich diesem Protokoll aber ebenso wenig entnehmen wie der schließlich vereinbarten BV Flex.
3. Die vom Betriebsrat hilfsweise erhobene Anschlussbeschwerde ist nicht zur Entscheidung angefallen.
III.
Die Kammer hat die Rechtsbeschwerde gemäß § 92 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG im Hinblick auf die grundsätzliche Bedeutung der Auslegung des § 6 TVöD-E zugelassen.