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Beschluss vom 02.11.2022 · IWW-Abrufnummer 234430

Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - Aktenzeichen 4 TaBV 7/21

Einzelfallentscheidung zur Anfechtung eines Einigungsstellenspruchs über einen Sozialplan.


Im Beschlussverfahren mit den Beteiligten
1.
- Antragstellerin/Beschwerdeführerin -
Verf.-Bev.:
2.
- Beteiligter -
Verf.-Bev.:
hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 4. Kammer - durch den
Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Stöbe, den ehrenamtlichen Richter Brucker und den ehrenamtlichen Richter Obersteg auf die Anhörung der Beteiligten am 02.11.2022
für Recht erkannt:

Tenor:
1. Die Beschwerde der Beteiligten zu 1 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Heilbronn vom 05.11.2021 - 5 BV 2/20 - wird zurückgewiesen.


2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.



Gründe



A



Die Beteiligten streiten über die Anfechtung eines von der Einigungsstelle beschlossenen Sozialplans wegen der Stilllegung des Betriebs der Beteiligten zu 1 (nachfolgend: Arbeitgeberin) in T.. Dabei steht in der Beschwerdeinstanz im Wesentlichen nur noch im Streit, ob die Einigungsstelle bei der Abfindungsregelung des § 2 des Sozialplans die Grenzen des ihr zustehenden Ermessens eingehalten hat.



Der streitige Sozialplan sieht in § 2 vor, dass Arbeitnehmern, deren Arbeitsverhältnisse wegen der zum 31. März 2020 vorgenommenen Schließung des Standorts T. beendet wurden, eine Abfindung zusteht nach folgender Berechnungsformel:



Außerdem ist im Sozialplan ein Abfindungssockelbetrag von 3.500,00 Euro vorgesehen sowie Zuschläge für kindergeldberechtigte Kinder, pflegebedürftige Angehörige und Schwerbehinderte, bzw. Gleichgestellte. Die Sozialplanhöhe ist auf max. 120.000,00 Euro gedeckelt und für rentennahe Mitarbeiter, die bereits das 63. Lebensjahr erreicht haben, auf max. 20.000,00 Euro begrenzt. In Anwendung dieser Kriterien führt dies für 30 betroffene Arbeitnehmer zu einem Sozialplanvolumen von 1.294.268,29 Euro.



Die Arbeitgeberin legte in der Einigungsstelle ihren am 7. Februar 2020 veröffentlichten und testierten Jahresabschluss für das Jahr 2018 vor, der die Summe der Aktiva mit 13.052.097,23 Euro angibt und Verbindlichkeiten mit 10.060.483,85 Euro ausweist. Das Eigenkapital betrug 2.527.861,60 Euro.



Der erst am 25. Juli 2022 veröffentlichte und testierte Jahresabschluss für das Jahr 2019 weist Aktiva iHv. 8.310.972,55 Euro und Verbindlichkeiten iHv. 4.995.203,37 Euro aus. Das Eigenkapital wird mit 1.790.007,18 Euro angegeben.



Zum Zeitpunkt der Beschlussfassung der Einigungsstelle war - den Mitgliedern der Einigungsstelle bekannt - das Betriebsgrundstück der Arbeitgeberin in T. von einem Makler zu 2,5 Millionen Euro zum Verkauf ausgeschrieben. Es wurde im Nachgang zu einem Kaufpreis iHv. ca. 2 Millionen Euro veräußert.



Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlich unstreitigen und streitigen Vorbringens der Beteiligten und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf die Sachverhaltsdarstellung unter A des angegriffenen arbeitsgerichtlichen Beschlusses Bezug genommen.



Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 5. November 2021 festgestellt, dass die Regelungen in §§ 3 bis 6 des Sozialplans unwirksam sind. Die Anfechtung der Arbeitgeberin blieb jedoch in Bezug auf die in § 2 des Sozialplans enthaltene Abfindungsregelung erfolglos. Insoweit führte das Arbeitsgericht zur Begründung aus, es lägen keine Verfahrensfehler mit Auswirkungen auf die Wirksamkeit des Einigungsstellenspruchs vor. Die Abfindungsregelung führe zu keiner Überkompensation bei den begünstigten Arbeitnehmern. Einer solchen Überkompensation sei vielmehr durch die Deckelung der Abfindungshöhe auf 120.000,00 Euro sowie durch die Begrenzung der Abfindungshöhe bei rentennahen Jahrgängen auf 20.000,00 Euro vorgebeugt worden. Die pauschale Betrachtungsweise ohne konkrete Prognose für jeden einzelnen Arbeitnehmer sei vom Ermessen der Einigungsstelle gedeckt gewesen. Die herangezogenen Sozialdaten seien in ein vernünftiges Verhältnis gesetzt worden. Die Berücksichtigung einer Nachteilsverschärfung wegen der Auswirkungen der Coronapandemie sei nicht zu beanstanden. Das beschlossene Sozialplanvolumen sei wirtschaftlich vertretbar und würde die Leistungsfähigkeit der Arbeitgeberin nicht überschreiten und den Unternehmensfortbestand nicht gefährden. Dies sei von der Arbeitgeberin auch nicht einmal behauptet worden. Vielmehr wäre das Sozialplanvolumen durch den Liquiditätszufluss von 2,0 Millionen Euro aus dem Verkauf des Betriebsgeländes gedeckt.



Dieser Beschluss wurde der Arbeitgeberin am 8. November 2021 zugestellt. Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende Beschwerde der Arbeitgeberin, die am 6. Dezember 2021 beim Landesarbeitsgericht einging und am Montag, dem 10. Januar 2022 begründet wurde.



Die Arbeitgeberin hält den Beschluss für fehlerhaft.



Sie führt aus, dass die Möglichkeit des Verlustes des Arbeitsplatzes einem jedem Arbeitsverhältnis immanent sei. Dies könne nicht dazu führen, dass Arbeitnehmer in Einzelfällen Abfindung erhalten, die einen Ausgleich für mehr als zwei Jahre ohne Arbeit beinhalten. Dies stelle eine Überkompensation dar. Die Einigungsstelle habe die Obergrenze der Ermessensausübung überschritten. Die bereits erstinstanzlich vorgetragenen Einzelfälle werden wiederholt dargestellt.



Die Arbeitgeberin trägt ergänzend zu ihrer wirtschaftlichen Lage vor und legt dabei eine Übersicht der wirtschaftlichen Entwicklung seit 2016 vor. Sie verweist darauf, dass ihre Muttergesellschaft erhebliche Mittel zum Erwerb der B. im Jahr 2016 zugeführt habe. Darlehensverbindlichkeiten der B. seien durch konzerninterne Darlehen abgelöst worden. Seit der Übernahme im Jahr 2016 seien keine Gewinne erwirtschaftet worden. Die Verpflichtung zur Erfüllung der Sozialplanansprüche würde unweigerlich zur Insolvenz der Arbeitgeberin führen.



Die Arbeitgeberin beantragt:



Der Betriebsrat beantragt,



Der Betriebsrat verteidigt den arbeitsgerichtlichen Beschluss unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens.



Er bestreitet die Richtigkeit der von der Arbeitgeberin vorgelegten Übersicht über die wirtschaftliche Entwicklung. Diese sei insbesondere nicht in Deckung zu bringen mit den erst im Juli 2022 veröffentlichten Zahlen aus der Bilanz 2019.



Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.



B



Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und begründete und auch im Übrigen zulässige Beschwerde der Arbeitgeberin ist nicht begründet.



I.



Der Einigungsstellenspruch ist bezogen auf die Abfindungsregelung in § 2 des Sozialplans wirksam. Es liegt insbesondere keine Überschreitung des der Einigungsstelle gemäß § 112 Abs. 5 BetrVG eingeräumten Ermessens vor. Das hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt.



1. Im Hinblick auf die Zuständigkeit der Einigungsstelle, der Beteiligtenfähigkeit des Betriebsrats und etwaige Verfahrensfehler der Einigungsstelle wird zur Meidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts unter B II. 1., 2., 3. und 5. des angegriffenen Beschlusses Bezug genommen. Die Kammer macht sich diese Ausführungen ausdrücklich zu eigen. Hiergegen richtet sich die Beschwerdebegründung der Arbeitgeberin auch nicht.



2. Es ist bei der Überprüfung des von der Einigungsstelle ausgeübten Ermessens von folgenden Grundsätzen auszugehen.



a) Gegenstand der gerichtlichen Kontrolle des von der Einigungsstelle ausgeübten Ermessens ist, ob die Regelung im Verhältnis zwischen den Betriebsparteien untereinander einen billigen Ausgleich der Interessen von Arbeitgeber und Betriebsrat als Sachwalter der Belegschaft darstellt. Die gerichtliche Beurteilung bezieht sich allein auf die getroffene Regelung als solche. Eine Überschreitung der Grenze des Ermessens iSv. § 76 Abs. 5 Satz 4, § 112 Abs. 5 BetrVG muss in der Regelung selbst als Ergebnis des Abwägungsvorgangs liegen, nicht in den von der Einigungsstelle angestellten Erwägungen, sofern diese überhaupt bekannt gegeben worden sind. Ein rechtlich erheblicher Fehler iSv. § 76 Abs. 5 Satz 4, § 112 Abs. 5 BetrVG liegt nur vor, wenn sich die von der Einigungsstelle getroffene Regelung nicht als angemessener Ausgleich der Belange des Betriebs und Unternehmens auf der einen und der betroffenen Arbeitnehmer auf der anderen Seite erweist. Dagegen ist ohne Bedeutung, ob die von der Einigungsstelle angenommenen tatsächlichen und rechtlichen Umstände zutreffen und ihre weiteren Überlegungen frei von Fehlern sind und eine erschöpfende Würdigung aller Umstände zum Inhalt haben (BAG 24. August 2004 - 1 ABR 23/03 -; BAG 6. Mai 2003 - 1 ABR 11/02 -).



b) Gem. § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG dient der Sozialplan dem Ausgleich oder der Milderung der wirtschaftlichen Nachteile, die den Arbeitnehmern infolge der geplanten Betriebsänderung entstehen. Aus dieser Funktion des Sozialplans ergeben sich Folgen für die Ober- und die Untergrenze der in ihm vorgesehenen Leistungen. Weil der Sozialplan einerseits in keinem Fall mehr als einen Ausgleich der mit der Betriebsänderung verbundenen wirtschaftlichen Nachteile für die Arbeitnehmer bewirken soll, stellt der für den vollständigen Ausgleich dieser Nachteile benötigte Leistungsumfang den höchstmöglichen Sozialplanbedarf dar. Dieser ist damit zugleich die Obergrenze für die Bemessung der Sozialplanleistungen durch die Einigungsstelle nach § 112 Abs. 5 Satz 1 BetrVG. Die sozialen Belange der Arbeitnehmer rechtfertigen in keinem Fall höhere Leistungen als sie ein vollständiger Ausgleich aller wirtschaftlichen Nachteile verlangt. Weil der Sozialplan andererseits jedenfalls eine Milderung der wirtschaftlichen Nachteile der Arbeitnehmer bewirken soll, muss er - unter dem Vorbehalt seiner wirtschaftlichen Vertretbarkeit - zumindest so dotiert sein, dass seine Leistungen als eine solche "Milderung" angesehen werden können (BAG 24. August 2004 - 1 ABR 23/03 -). Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Verlust des Arbeitsplatzes regelmäßig als der für die Arbeitnehmer am schwersten wiegende Nachteil angesehen wird (BAG 6. Mai 2003 - 1 ABR 11/02). Bei der Bemessung der den Arbeitnehmern entstehenden Nachteilen darf die Einigungsstelle pauschale und typische Annahmen zugrunde legen (BAG 24. August 2004 - 1 ABR 23/03 -). Insbesondere dürfen die Nachteile nach Lebensalter, Dauer der Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten, Schwerbehinderung und ähnlichem pauschaliert und prognostiziert werden (BAG 6. Mai 2003 - 1 ABR 11/02 -). Die Nachteile, wie z.B. der Verlust der Betriebszugehörigkeit, sind schwer quantifizierbar und die Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt schwer vorhersehbar. Fast alle Parameter sind von einer in die Zukunft gerichtete Prognose abhängig und Unwägbarkeiten unterworfen (Sitzenfrei in Spengler/Hahn/Pfeiffer betriebliche Einigungsstelle 2. Aufl. Rn. 244). Eine Obergrenze bei der Bewertung der Nachteile wird nicht durch § 10 KSchG gezogen. Eine an § 10 KSchG orientierte Begrenzung des individuellen Abfindungsbetrags sieht das Gesetz nur für den Nachteilsausgleich nach § 113 BetrVG vor. Zwar wäre eine solche Begrenzung auch in einem Sozialplan zulässig, ohne dass damit notwendig gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen würde. Sie wird aber vom Gesetz nicht gefordert. Mit dem Wortlaut des § 112 BetrVG lassen sich an § 10 KSchG orientierte Höchstgrenzen nicht rechtfertigen. Auch eine entsprechende Anwendung des § 113 Abs. 1, Abs. 3 BetrVG scheidet aus (BAG 6. Mai 2003 - 1 ABR 11/02 -).



c) Eine weitere Grenze wird der Ermessensausübung durch § 112 Abs. 5 Satz 1 BetrVG gesetzt. Der in dem Sozialplan vorgesehene Ausgleich muss für die Arbeitgeberin wirtschaftlich vertretbar sein. Dem Tatbestandsmerkmal der "wirtschaftlichen Vertretbarkeit" kommt dabei eine Korrekturfunktion zu (BAG 22. Januar 2013 - 1 ABR 85/11 -; BAG 6. Mai 2003 - 1 ABR 11/02 -).



§ 112 Abs. 5 BetrVG bestimmt nicht die Voraussetzungen der wirtschaftlichen Vertretbarkeit eines Sozialplans. Maßgeblich sind die Gegebenheiten des Einzelfalls. Dabei ist grundsätzlich von Bedeutung, ob und welche Einsparungen für das Unternehmen mit der Betriebsänderung verbunden sind, deren nachteilige Auswirkungen auf die Arbeitnehmer der Sozialplan kompensieren soll. Der Umstand, dass sich ein Unternehmen bereits in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befindet, entbindet es nach den Wertungen des Betriebsverfassungsgesetzes nicht von der Notwendigkeit, weitere Belastungen durch einen Sozialplan auf sich zu nehmen. Sogar in der Insolvenz sind Betriebsänderungen gemäß § 123 InsO sozialplanpflichtig. Bei der Prüfung, wie sehr der Sozialplan das Unternehmen belastet und ob er möglicherweise dessen Fortbestand gefährdet (§ 112 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 BetrVG), ist sowohl das Verhältnis von Aktiva und Passiva als auch die Liquiditätslage zu berücksichtigen. Führt die Erfüllung der Sozialplanverbindlichkeiten zu einer Illiquidität, zur bilanziellen Überschuldung oder zu einer nicht mehr vertretbaren Schmälerung des Eigenkapitals, ist die Grenze der wirtschaftlichen Vertretbarkeit regelmäßig überschritten (BAG 22. Januar 2013 - 1 ABR 85/11 -). Ein Sozialplanvolumen, das dem Einsparvolumen von Personalkosten für ein Jahr entspricht, wurde vom BAG als vertretbar erachtet (BAG 27. Oktober 1987 - 1 ABR 19/86 -). Dies ist aber keine absolute Höchstgrenze. Vielmehr kann die Einigungsstelle bei Betriebsänderungen, die auf langfristige Wirkungen angelegt sind, auch einen auf einen längeren Zeitraum bezogenen Aufzehreffekt in Kauf nehmen, ohne dass aus diesem Grunde ihr Ermessensspielraum überschritten wäre. Hier ist sogar ein Sozialplanvolumen, das die durch die Betriebsänderung zu erwartenden Kostenersparnis von zwei Jahren umfasst, noch als vertretbar anzusehen (BAG 6. Mai 2003 - 1 ABR 11/02 -). Wird der Betrieb stillgelegt, bedarf es neben der Prüfung, ob der Fortbestand des Unternehmens gefährdet wird, keiner zusätzlichen Prüfung gemäß § 112 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 BetrVG, ob die nach der Durchführung der Betriebsänderung verbleibenden Arbeitsplätze gefährdet werden (BAG 22. Januar 2013 - 1 ABR 85/11 -).



3. Legt man diese Maßstäbe zugrunde, kann keine Ermessensüberschreitung der Einigungsstelle wegen (Über)Kompensation nicht vorhandener Nachteile festgestellt werden.



a) Ausweislich der von der Arbeitgeberin vorgelegten Excel-Liste beträgt das Gesamtmonatsentgelt aller gekündigten Arbeitnehmer 76.096,48 Euro. Die durchschnittliche Betriebszugehörigkeit aller Arbeitnehmer betrug 16,4 Jahre. Die Gesamtabfindungssumme aus dem Sozialplan mit 1.294.268,29 Euro entspricht somit ziemlich genau einem "Faktor" von 1,0 Bruttomonatsgehältern pro Beschäftigungsjahr. Dies ist mit Sicherheit eine "gute" Sozialplandotierung, aber pauschal betrachtet noch keine übermäßige.



b) Zu berücksichtigen ist dabei, dass das Durchschnittsalter im Betrieb mit 50,9 Jahren bereits sehr hoch war. Es konnte in einer pauschalierten Betrachtung durchaus von erhöhten Schwierigkeiten beim Finden von Anschlussbeschäftigungen ausgegangen werden, zumal es sich bei den betroffenen Mitarbeitern der Arbeitgeberin größtenteils um ungelernte/angelernte Mitarbeiter im Niedriglohnbereich handelte, die teilweise auch über keine zureichenden Deutschkenntnisse verfügen. Außerdem fiel der Zeitpunkt der Stilllegung und der Beendigung der Arbeitsverhältnisse in den Beginn der Coronapandemie, als potentielle neue Arbeitgeber gerade selbst vielfach Kurzarbeit angeordnet hatten und keinen Bedarf für Neueinstellungen hatten.



c) Die Abfindungshöhen betragen durchschnittlich 17,8 Monatsentgelte pro Arbeitnehmer. Eine vom Zweck des Nachteilsausgleichs abgekoppelte Überkompensation kann darin nicht gesehen werden. Der Gesetzgeber selbst sieht in § 147 Abs. 2 SGB III für Personen ab dem 50. Lebensjahr eine durch Arbeitslosengeld abzufedernde Überbrückungsnotwendigkeit von 15 Monaten und ab dem 55. Lebensjahr von 18 Monaten vor. In der pauschalierten Durchschnittsbetrachtung bewegt sich der angefochtene Spruch demnach vollständig in diesem Rahmen. Dies zumal berücksichtigt werden muss, dass mit den Abfindungen auch das Risiko kompensiert werden darf, dass die betroffenen Mitarbeiter im Anschluss an den Arbeitslosengeldbezug in die Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II abrutschen.



d) Die Einigungsstelle hat in der Berechnungsformel zulässig und pauschaliert die maßgeblichen Differenzierungskriterien wie Lebensalter und Betriebszugehörigkeit berücksichtigt und über die Zuschläge die weiteren verstärkenden Nachteile wie unterhaltsberechtigte Kinder, pflegebedürftige Angehörige oder Schwerbehinderung. Der Gefahr einer Überkompensation wurde durch die Obergrenze von 120.000,00 Euro, bzw. 20.000,00 Euro für rentennahe Mitarbeiter begegnet.



e) Selbst die von der Arbeitgeberin herangezogenen individuellen Ausreißer führen zu keinem anderen Ergebnis.



aa) Die Abfindungshöhe von 79.764,49 Euro für Herrn ... entspricht einer Überbrückungszeit von 28,5 Monaten und ist vor dem Hintergrund einer 30-jährigen Betriebszugehörigkeit erklärbar. Es ergibt sich sogar noch ein leicht unterdurchschnittlicher "Abfindungsfaktor" von 0,95.



bb) Die Abfindung für Frau ... von 68.556,17 Euro ist zurückzuführen auf eine Betriebszugehörigkeit von 29,9 Jahren. Die betroffene Mitarbeiterin ist außerdem bereits 51 Jahre alt und schwerbehindert. Vor diesem Hintergrund ist der "Faktor" von 1,07 noch vertretbar, genauso wie die damit erzielte Überbrückungszeit von 30,4 Monaten.



cc) Ähnlich stellt sich die Situation für Frau ... dar. Diese erhält zwar eine Abfindung von 65.673,80 Euro. Die Mitarbeiterin ist jedoch bereits 53 Jahre alt und hat eine Betriebszugehörigkeit von 21,6 Jahren. Der Faktor von 1,05 bis angesichts einer damit erzielte Überbrückungsdauer von 22,8 Monaten keineswegs unvertretbar.



dd) Die Abfindung des Herrn ... unterfällt der Deckelung bei 120.000,00 Euro. Er ist bereits 59 Jahre alt und hat eine Betriebszugehörigkeit von 34 Jahren. Er ist aufgrund dieser Sozialdaten besonders betroffen. Der "Faktor" beträgt unter Zugrundelegung der Deckelung 0,98. Mit dieser Abfindung erreicht er eine Überbrückungsdauer von 33,5 Monaten. Dies ist zwar lang, reicht aber bei weitem noch nicht an eine soziale Absicherung aufgrund Renteneintritts heran.



ee) Ebenfalls der Deckelung unterfällt die Abfindung für Herrn .... Dieser ist bereits 57 Jahre alt und seit 35,5 Jahren bei der Arbeitgeberin beschäftigt, somit besonders schutzbedürftig. Der "Faktor" von 0,62 und die erreichte Überbrückungsdauer von 22,1 Monaten sind sogar noch verhältnismäßig gering.



4. Die Einigungsstelle hat ihr Ermessen auch nicht deshalb fehlerhaft ausgeübt, weil ausgehend von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Arbeitgeberin das Sozialplanvolumen wirtschaftlich unvertretbar wäre.



a) Die Jahresentgeltsumme aller Mitarbeiter betrug ausweislich der Excel-Tabelle der Arbeitgeberin 1.032.354,82 Euro. Hierin sind die Lohnnebenkosten, insbesondere die Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung noch nicht enthalten. Ausweislich des Jahresabschlusses 2018 betrug der Personalaufwand für Löhne und Gehälter 1.695.941,43 Euro. Dieser Personalaufwand deckt sich ausweislich der Ausführungen im Wirtschaftsbericht zum Jahresabschluss 2019 nahezu mit dem Personalaufwand für 2019. Die Stilllegung des Betriebs T. führt dauerhaft zu einem Wegfall dieses Personalaufwands. Das Sozialplanvolumen von 1.294.268,29 Euro entspricht somit nur einer Einsparung von ca. 76 Prozent des jährlichen Personalaufwands. Von einer Unvertretbarkeit ist dieses Volumen weit entfernt.



b) Es lagen (jedenfalls zum Zeitpunkt des Einigungsstellenspruchs) keinerlei Hinweise für eine bilanzielle Überschuldung vor. Im zu diesem Zeitpunkt einzig vorliegenden Jahresabschluss 2018 überstiegen die Aktiva mit 13.052.097,23 Euro die Verbindlichkeiten von 10.060.483,85 Euro. Das Eigenkapital war mit 2.527.861,60 Euro ausreichend. Im Anlagevermögen waren die Grundstücke, grundstücksgleichen Rechte und Bauten noch mit 1.953.152,00 Euro bilanziert. Etwa in dieser Größenordnung wurde das Betriebsgrundstück auch tatsächlich veräußert, was zum Zeitpunkt des Einigungsstellenspruchs auch absehbar war.



An dieser Situation hat sich auch im Jahr 2019 tatsächlich nichts geändert. Obwohl ausweislich des Wirtschaftsbericht bereits 1.019 TEUR an zusätzlichen Kosten für den geplanten Stellenabbau beim Personalaufwand eingestellt wurden, die ausweislich der Ausführungen des Geschäftsführers der Arbeitgeberin im Termin bereits etwaige erst in 2020 zu zahlende Abfindungen enthielten, standen im Ergebnis 8.310.972,55 Euro Aktiva Verbindlichkeiten iHv. nur noch 4.995.203,37 Euro gegenüber. Insbesondere die Verbindlichkeiten gegenüber verbundenen Unternehmen (wahrscheinlich die Konzernmutter) wurden in 2019 von 9.316.435,36 Euro auf nur noch 4.004.527,81 Euro reduziert. Das Eigenkapital betrug noch immer 1.790.007,18 Euro. Das Grundstück war noch nicht verkauft. Weshalb angesichts dieser Zahlen die Arbeitgeberin von einer Insolvenzgefahr zum Zeitpunkt des Einigungsstellenspruchs ausgeht, sollte der Sozialplan wirksam sein, erschließt sich nicht.



Ausweislich des Wirtschaftsbericht 2019 war zudem "ausreichend Liquidität" vorhanden.



c) Soweit die Arbeitgeberin auf die von ihr selbst erstellte Übersicht über die wirtschaftliche Entwicklung ab 2016 abstellt, ist darauf hinzuweisen, dass die darin enthaltenen Zahlen (zumindest teilweise) abweichen von den Zahlen aus den testierten Jahresabschlüssen. Die Kammer hat letztere zugrundegelegt.



d) Es mag sein, dass die Konzernmutter 2016 bei der Übernahme der Firma B. die Arbeitgeberin mit zusätzlichem Kapital ausgestattet hat und bestehende Fremddarlehen durch konzerninterne Darlehen abgelöst hat. Es mag auch sein, dass die Arbeitgeberin seit der Übernahme im Jahr 2016 keine Gewinne erwirtschaftet hat. Das Interesse der Konzernmutter, ihren Invest wieder zurückzuerhalten, geht den berechtigten Sozialplanansprüchen der Arbeitnehmer jedenfalls nicht vor.



II.



1. Diese Entscheidung ist gerichtskostenfrei, § 2 Abs. 2 GKG.



2. Gründe für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß §§ 92 Abs. 1, 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor.

Stöbe
Brucker
Obersteg

Vorschriften§ 112 Abs. 5 BetrVG, § 76 Abs. 5 Satz 4, § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG, § 112 Abs. 5 Satz 1 BetrVG, § 10 KSchG, § 113 BetrVG, § 112 BetrVG, § 113 Abs. 1, Abs. 3 BetrVG, § 123 InsO, § 112 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 BetrVG, § 147 Abs. 2 SGB III, § 2 Abs. 2 GKG, §§ 92 Abs. 1, 72 Abs. 2 ArbGG