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Urteil vom 10.02.2023 · IWW-Abrufnummer 234432

Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - Aktenzeichen 12 Sa 50/22

1. Hat der Arbeitgeber zu wenig Lohnsteuer von den Einkünften des Arbeitnehmers einbehalten und an das Finanzamt abgeführt, kann er bis zur Inanspruchnahme durch das Finanzamt vom Arbeitnehmer Freistellung von etwaigen Nachforderungen verlangen und nach Inanspruchnahme die Erstattung der gezahlten Lohnsteuern im Wege des Gesamtschuldnerausgleichs. Im Rahmen des Gesamtschuldnerausgleichs haftet der Arbeitnehmer im Innenverhältnis voll.

2. Die Regresspflicht des Arbeitnehmers besteht unabhängig davon, ob der Arbeitgeber freiwillig oder auf Grund eines Haftungsbescheids die Steuernachforderung für den Arbeitnehmer erfüllt.

3. Einwendungen des Arbeitnehmers gegen die Feststellungen eines Haftungsbescheids sind im arbeitsgerichtlichen Regressverfahren - abgesehen von Fällen der offenkundigen Unrichtigkeit der steuerrechtlichen Bewertung - grundsätzlich nicht zulässig. Entsprechendes gilt bei einer freiwilligen Nachentrichtung von Lohnsteuer.

4. Allein durch die Bekanntgabe eines Haftungsbescheids an den Arbeitgeber wird keine Frist für die öffentlich-rechtliche Anfechtung des Bescheids durch den Arbeitnehmer in Gang gesetzt. Die unterbliebene oder verzögerte In-Kenntnis-Setzung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber bezüglich Existenz oder Inhalt eines Haftungsbescheids kann nicht zum Verlust des Anfechtungsrechts des Arbeitnehmers führen.

5. Ein Sorgfaltspflichtverstoß des Arbeitgebers bei der Abführung von Lohnsteuer ist für die Regresspflicht des Arbeitnehmers ohne Relevanz. § 254 BGB findet keine Anwendung.

6. Ein solcher Sorgfaltspflichtverstoß des Arbeitgebers kann zu Schadensersatzansprüchen des Arbeitnehmers führen. Die Lohnsteuer selbst stellt dabei jedoch keinen ersatzfähigen Schadensposten dar.

7. Das Einverständnis des Arbeitgebers mit einem gegen ihn ergangenen Haftungsbescheid stellt keinen Vertrag mit dem Finanzamt zu Lasten des Arbeitnehmers dar.

8. Einer vor Fälligkeit erfolgten Mahnung kommt auch nach dem Eintritt der Fälligkeit keine verzugsbegründende Wirkung zu.


In der Rechtssache
...
gegen
...
hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - Kammern Mannheim - 12.
Kammer - durch den Richter am Arbeitsgericht Dr. Bader, den ehrenamtlichen Richter
Schächtele und den ehrenamtlichen Richter Tschentscher auf die mündliche Verhandlung vom 13. Januar 2023
für Recht erkannt:

Tenor:
I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Mannheim - Kammern Heidelberg - vom 28.07.2022 - Az. 14 Ca 71/21 - in Ziffer 1 wie folgt abgeändert:


1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 77.787,32 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 15.627,78 EUR seit 13.04.2021 und aus 62.159,54 EUR seit 27.04.2021 zu bezahlen.


II. Im Übrigen wird die Berufung des Beklagten zurückgewiesen.


III. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.


IV. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand



Die Parteien streiten über die Erstattung nachentrichteter Lohnsteuer.



Der Beklagte war bei der Klägerin von 1. Oktober 2012 bis 31. Januar 2022 als Customer Service Manager beschäftigt.



Der Arbeitsvertrag zwischen den Parteien vom 9. November 2012 lautete auszugsweise wie folgt:

"3. Vergütung3.1. Die Vergütung beträgt EUR 4.615,38 monatlich, fällig im Nachhinein zum Ende eines jeden Monats...3.3. Alle Vergütungsbestandteile werden bargeldlos bezahlt und sind Bruttoleistungen....8. Ausschlussfrist8.1 Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Monaten gegenüber der anderen Partei schriftlich geltend gemacht werden. Die Versäumung der Ausschlussfrist führt zum Verlust des Anspruchs. Die Ausschlussfrist beginnt, wenn der Anspruch fällig ist und der Anspruchsteller von anspruchsbegründenden Umständen Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Diese Ausschlussfrist gilt nicht bei Haftung wegen Vorsatzes.8.2 Lehnt die Gegenpartei den Anspruch schriftlich ab oder erklärt sich nicht innerhalb von einem Monat nach Geltendmachung des Anspruchs, so verfällt dieser, wenn er nicht innerhalb von drei Monaten nach der Ablehnung oder nach Fristablauf gerichtlich geltend gemacht wird. ... "



Der Änderungsvertrag vom 30. Januar 2020 lautete auszugsweise wie folgt:

"3. Vergütung3.1. Das feste Jahresgehalt des Arbeitnehmers beträgt auf der Basis von 13 Monaten EUR 64.800 Brutto....3.6 Alle Vergütungsbestandteile werden bargeldlos bezahlt und sind Bruttoleistungen."



Nummer 10 des Änderungsvertrags enthielt weiterhin eine zweistufige Ausschlussfrist.



Der Beklagte ist Staatsbürger der Vereinigten Staaten von Amerika und war vor der Tätigkeit für die Klägerin für die US-Streitkräfte tätig. Die Ehefrau des Beklagten ist eine Angehörige der NATO-Streitkräfte in Deutschland. Der Beklagte und seine Ehefrau wohnen in Deutschland. Beide waren in der C. in W. als Stützpunkt der US-Army stationiert.



Aufgrund dieser Umstände bestand zwischen den Parteien vor Abschluss des Arbeitsvertrags Unsicherheit über die steuerrechtliche Behandlung des Beklagten aufgrund einer möglichen Anwendbarkeit des NATO-Truppenstatuts. Die Klägerin holte deshalb ein Gutachten der Rechtsanwalts- und Steuerberaterkanzlei C. ein. Das Fazit des von C. angefertigten Aktenvermerks vom 18. Oktober 2012 lautete wie folgt (ABl. 311 ff der erstinstanzlichen Akte):

"... Im Ergebnis führt das NATO-Truppenstatut also dazu, dass lediglich die NATO-Einkünfte von der deutschen Besteuerung ausgenommen sind.Hinsichtlich der übrigen Einkünfte ist zu differenzieren:- Liegt der Grund für den Aufenthalt in Deutschland allein in der Mitgliedschaft in der NATO-Truppe, unterliegt die Person lediglich mit ihren inländischen Einkünften (z.B. aus nichtselbständiger Arbeit) der beschränkten Steuerpflicht.- Anderenfalls ist die Person unbeschränkt steuerpflichtig und muss grundsätzlich ihre weltweit erzielten Einkünfte versteuern. Für Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit wird das deutsche Besteuerungsrecht grundsätzlich auch nicht durch DBA (Anm.: Doppelbesteuerungsabkommen) eingeschränkt."



Der Beklagte holte gleichfalls rechtlichen Rat ein. Frau B., Rechtsanwältin der US-Streitkräfte, kam in ihrer Stellungnahme - ohne Datum - zu folgender Schlussfolgerung (ABl. 316 ff der erstinstanzlichen Akte; ins Deutsche übersetzt):

"... Sie sollten in Deutschland als Person mit beschränkter Steuerpflicht anzusehen sein."



Die Parteien tauschten die Ergebnisse ihrer Nachforschungen untereinander aus. In einer E-Mail der Klägerin an den Beklagten vom 19. Oktober 2012 heißt es (ABl. 191 ff der erstinstanzlichen Akte; ins Deutsche übersetzt):

"Ich denke, es läuft dann darauf hinaus, dass Du in Deutschland ein Angestelltenverhältnis eingehst und Dein Gehalt bekommst und Du Deine Steuern wie ein in Deutschland Ansässiger entrichtest..; wie läuft es mit Deinen Nachforschungen? Hast Du andere Informationen?"



Hierauf antwortete der Beklagte am 22. Oktober 2012 per E-Mail (ABl. 191 ff der erstinstanzlichen Akte; ins Deutsche übersetzt):

"Meine Anwältin kommt zu der gleichen Schlussfolgerung, allerdings auf einem anderen Weg."



Der Aktenvermerk von C. bzw. dessen Inhalt wurden aufgrund eines internen Versehens nicht an die für die Lohnabrechnungen zuständigen Mitarbeiter der Klägerin weitergeleitet. Von Beginn des Arbeitsverhältnisses bis einschließlich November 2020 wurde die Vergütung des Beklagten deshalb ohne Abzug von Lohnsteuer und Solidaritätszuschlägen ausbezahlt. Lediglich Sozialversicherungsbeiträge wurden entrichtet.



Für den Zeitraum 1. Januar 2016 bis 31. Dezember 2019 erfolgte Mitte des Jahres 2020 eine Betriebsaußenprüfung. Der Abschlussbericht des zuständigen Finanzamts F. vom 10. Februar 2021 lautete auszugsweise wie folgt (ABl. 75 ff der erstinstanzlichen Akte):

" ...V. Besondere Prüfungsfeststellungen Haftung (Brutto)Bezüglich der hier dargestellten Prüfungsfeststellungen wird die nach zu erhebende Lohnsteuer/Kirchensteuer sowie der Solidaritätszuschlag im Wege der Arbeitgeberhaftung geltend gemacht nach § 42 d Abs. 1 EStG. Der Arbeitgeber hat sich mit seiner Haftungsinanspruchnahme einverstanden erklärt. Die Berechnung der Nachforderung erfolgte im Rahmen von Bruttoeinzelberechnungen. Die Arbeitnehmer sind mit diesen Beträgen zu belasten. Vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass ein Verzicht auf die Weiterbelastung der Steuerbeträge für den jeweiligen Arbeitnehmer einen geldwerten Vorteil und damit Zufluss von steuerpflichtigem Arbeitslohn darstellt....Der Arbeitgeber hat im Prüfungszeitraum die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit eines Arbeitnehmers bisher nicht dem Lohnsteuerabzug unterworfen. Die Ehepartnerin des Arbeitnehmers ist eine Angehörige der NATO-Streitkräfte in Deutschland, so dass der Arbeitgeber davon ausging, dass auch der Arbeitslohn des Arbeitnehmers unter das Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrags über die Rechtsstellung ihrer Truppen ("NATO-Truppenstatut") vom 19.06.1951 (BGBl, 1961 II S 1183; für die Bundesrepublik Deutschland am 01.07.1963 in Kraft getreten, BGBl. II S. 745) fällt und somit nicht der inländischen Besteuerung unterliegt. Im Rahmen der Lohnsteuer-Außenprüfung wurde allerdings festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Anwendung des NATO-Truppenstatutes im vorliegenden Fall nicht erfüllt sind, so dass der gezahlte Arbeitslohn im Prüfungszeitraum insgesamt der inländischen Besteuerung unterliegt. Die Berechnung der Steuernachforderung wurde sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach mit dem Arbeitgeber einvernehmlich erörtert".



Unter dem Datum des 5. März 2021 erging gegenüber der Klägerin ein Haftungsbescheid der Finanzverwaltung für die Jahre 2016 bis 2019 (ABl. 394 ff der erstinstanzlichen Akte). Dieser wurde von der Klägerin als Anhang zum Schriftsatz vom 14. Februar 2022 im arbeitsgerichtlichen Verfahren zur Akte gereicht. Bezüglich des Beklagten ("H." im Haftungsbescheid) wurden ausgehend von einer unbeschränkten Steuerpflicht Lohnsteuer und Solidaritätszuschläge im Umfang von insgesamt 62.159,54 EUR nachgefordert. Zur Begründung wurde im Haftungsbescheid auf den Bericht vom 10. Februar 2021 verwiesen. Der mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehene Bescheid wurde von der Klägerin nicht angefochten.



Die Klägerin bezahlte die im Haftungsbescheid ausgewiesene Summe am 12. April 2021 an das Finanzamt.



Nachdem die fehlende Abführung von Lohnsteuer/Solidaritätszuschlägen aufgefallen war, meldete die Klägerin über ihren Gehaltsrechner Lohnsteuer und Solidaritätszuschläge für das Jahr 2020 nach und überwies - basierend auf der Annahme einer unbeschränkten Steuerpflicht - bereits im Januar 2021 an das Finanzamt 15.627,78 EUR. Weitere 500,00 EUR behielt die Klägerin vom Nettogehalt für Dezember 2020 ein.



Mit Schreiben vom 26. März 2021 machte die Klägerin gegenüber dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten einen (irrtümlich zu hohen) Gesamtbetrag in Höhe von 85.191,16 EUR unter Fristsetzung bis 12. April 2021 geltend.



Mit Klageschrift vom 20. April 2021, dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten zugestellt am 26. April 2021, begehrte die Klägerin die Rückzahlung von 77.812,06 EUR nebst Zinsen.



Die Klägerin ist der Ansicht, der Beklagte sei im Innenverhältnis der Gesamtschuldner voll zahlungspflichtig. Es handele sich um seine Steuern. Der Anspruch sei verschuldensunabhängig. Im arbeitsgerichtlichen Verfahren werde die Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung nicht überprüft. Im Übrigen sei es steuerrechtlich zutreffend, dass der Beklagte der unbeschränkten Steuerpflicht unterliege. Das NATO-Truppenstatut finde keine Anwendung. Das Doppelbesteuerungsabkommen (im Folgenden: DBA USA) sei ebenfalls nicht anwendbar, da unter die dort geregelte Einkommenssteuer nicht die Lohnsteuerpflicht falle.



Der Beklagte hatte im Wege der Widerklage zunächst einen Bestandschutzantrag gegen eine zum 31. Januar 2022 ausgesprochene ordentliche Kündigung der Klägerin gestellt verbunden mit einem allgemeinen Feststellungsantrag, einem Weiterbeschäftigungsantrag und einem Hilfsantrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung. Diese Anträge hat er zurückgenommen und erstinstanzlich zuletzt nur noch ein qualifiziertes Zeugnis begehrt.



Die Klägerin hat beantragt:

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 77.812,06 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz seit 13. April 2021 zu bezahlen.



Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen sowie widerklagend:

Die Klägerin wird verurteilt, dem Beklagten ein qualifiziertes Zeugnis zu erteilen, das sich auf die Art und Dauer sowie Leistung und Verhalten des Beklagten in dem Arbeitsverhältnis erstreckt.



Die Klägerin hat die Abweisung der Widerklage beantragt.



Der Beklagte hat die Ansicht vertreten, er falle unter das NATO-Truppenstatut. Deshalb bestehe allenfalls eine beschränkte Steuerpflicht. Da er als US-Amerikaner nach dem sogenannten Welteinkommensprinzip gehalten und verpflichtet sei, sein Einkommen in den USA steuerlich zu erklären, habe er dies selbstverständlich gegenüber den US-amerikanischen Steuerbehörden getan. Auch wenn er aufgrund der großzügigen US-Regeln zur Steuerfreiheit im Ausland bezogenen Einkommens keine Steuern gezahlt habe, sei er dennoch vollumfänglich steuerehrlich gewesen. Das DBA USA finde sehr wohl Anwendung. In voller Kenntnis einer allenfalls beschränkten Steuerpflicht habe die Klägerin sich mit einer unbeschränkten Haftung gegenüber dem Finanzamt einverstanden erklärt. Hierin liege ein Vertrag zu Lasten Dritter. Durch die verspätete Vorlage des Haftungsbescheids als Anlage zum Schriftsatz vom 14. Februar 2022 sei es ihm nun nicht mehr möglich, diesen Bescheid innerhalb der Monatsfrist anzufechten. Deshalb müssten nun ausnahmsweise auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren steuerrechtliche Vorschriften geprüft werden. Des Weiteren sei zu beachten, dass der Haftungsbescheid sich gar nicht auf das Jahr 2020 bezogen habe. Jedenfalls insoweit müsse die Richtigkeit der steuerrechtlichen Behandlung voll überprüft werden. Das weit überwiegende Mitverschulden der Klägerin bezüglich der Nichtabführung von Lohnsteuer/Solidaritätszuschlägen aufgrund der fehlenden Weiterleitung des Aktenvermerks von C. an die Lohnbuchhaltung sei zu berücksichtigen. Aus der jahrelangen Nettolohnzahlung ergebe sich zudem eine konkludente Nettolohnvereinbarung. Nach mehrjähriger betrieblicher Übung der Klägerin habe er davon ausgehen dürfen, dass die vertragliche Bruttolohnvereinbarung in eine Nettolohnabrede zu seinen Gunsten abgeändert worden sei. Im Übrigen sei der Anspruch für die Streitjahre 2016 und 2017 verjährt und für die Jahre 2016 bis 2019 verfallen. Schließlich seien alle Ansprüche verwirkt.



Das Arbeitsgericht hat den Beklagten zur Zahlung von 77.787,32 EUR nebst Zinsen in gesetzlicher Höhe seit 13. April 2021 verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Auf die Widerklage hin hat es die Klägerin verurteilt, dem Beklagten ein qualifiziertes Arbeitszeugnis zu erteilen.



Das Arbeitsgericht hat zur Begründung ausgeführt, aufgrund des durchzuführenden Gesamtschuldnerausgleichs schulde der Beklagte der Klägerin im Innenverhältnis die volle Zahlung. Der Beklagte sei Schuldner der Lohnsteuer und des Solidaritätszuschlags gegenüber dem deutschen Finanzamt. Streitentscheidend sei, dass nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes der Arbeitnehmer einen Lohnsteuerbescheid anfechten könne, auch wenn er gegenüber dem Arbeitgeber ergangen sei und an ihn erbrachte Leistungen betreffe. Halte der Arbeitgeber sich an die Anordnungen eines Haftungsbescheides, sei der Arbeitnehmer auf die Rechtsschutzmöglichkeiten gegenüber der Finanzverwaltung verwiesen. Eine Überprüfung durch das Arbeitsgericht finde nicht statt. Für das Jahr 2020 gelte nichts anderes. Aufgrund der Betriebsprüfung habe die Klägerin auch insoweit eine unbeschränkte Steuerpflicht annehmen dürfen. Die Anerkennung und Zahlung der Beträge durch die Klägerin stelle keinen mit dem Finanzamt geschlossenen Vertrag zu Lasten Dritter dar. Eine (konkludente) Nettolohnvereinbarung könne nicht angenommen werden. Der Gesamtschuldnerausgleich im Innenverhältnis sei verschuldensunabhängig. Die Ausschlussfristen seien gewahrt. Es liege auch keine Verjährung vor. Die jeweiligen Fristen hätten erst mit den Zahlungen der Klägerin an das Finanzamt begonnen zu laufen. Auch eine Verwirkung könne nicht angenommen werden. Die Klägerin habe ihre Ansprüche in unmittelbarem Zusammenhang mit den Zahlungen geltend gemacht. Die Klage sei lediglich in sehr geringem Umfang abzuweisen, da die Klägerin sich bei der Aufsummierung verrechnet habe.



Das Urteil des Arbeitsgerichts Mannheim vom 28. Juli 2022 wurde dem Beklagten am 11. August 2022 zugestellt. Der Beklagte hat am 17. August 2022 Berufung eingelegt, die zugleich begründet wurde.



Unter Aufrechterhaltung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrags begehrt der Beklagte die Aufhebung des arbeitsgerichtlichen Urteils und die Abweisung der Klage.



Das Arbeitsgericht habe sich unzureichend mit seiner Einwendung des Bestehens eines Vertrags zu Lasten Dritter auseinandergesetzt. Statt mit dem Finanzamt im Wege einer tatsächlichen Verständigung einen Vertrag zu seinen Lasten unter Annahme einer unbeschränkten Steuerpflicht zu schließen, hätte die Klägerin von ihm bereits seit Oktober 2012 ihre Freistellung von eventuellen Nachforderungen des Fiskus verlangen können. Dies allerdings mit dem Risiko, dass er sich insoweit auf eine unterlassene Pflichterfüllung berufe und auf ein Alleinverschulden der Klägerin gemäß § 254 BGB. Das Verschulden bzw. den Irrtum ihrer Mitarbeiter müsse sich die Klägerin zurechnen lassen und führe zum Verfall des Regressanspruches. Die Klägerin habe ihn zudem dadurch rechtsschutzlos gestellt, dass ihm der Lohnsteuerhaftungsbescheid nicht innerhalb der Anfechtungs- und Klagefristen übermittelt worden sei. Hierdurch sei ihm jedwede Rechtsschutzmöglichkeit gegen die Finanzverwaltung genommen worden. Erst mit Schriftsatz vom 14. Februar 2022 sei ihm der Bescheid übermittelt worden, obwohl er der Klägerin schon seit Monaten vorgelegen habe. Die Ausführungen des Arbeitsgerichts zu den Möglichkeiten einer Anfechtung des Bescheids durch ihn, den Beklagten, gingen fehl. Obwohl in Wahrheit nur eine beschränkte Steuerpflicht bestehe, könne er dies gegenüber den Finanzbehörden nun nicht mehr durchsetzen. Die Ausführungen des Arbeitsgerichts zu Verfall, Verjährung und Verwirkung seien ebenfalls unzutreffend.



Der Beklagte beantragt:

Das Urteil des Arbeitsgerichts Mannheim (Kammern Heidelberg) vom 28.07.2022, Az.: 14 Ca 71/21, zugestellt am 11.08.2022, wird in Ziffer 1. des Tenors aufgehoben und insoweit die Klage abgewiesen.



Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.



Die Klägerin ist der Ansicht, die Berufungsbegründung genüge nicht den gesetzlichen Anforderungen nach § 520 Abs. 3 ZPO in Verbindung mit § 64 Abs. 6 ArbGG. Das Arbeitsgericht habe zudem in der Sache zutreffend entschieden. Es bestehe eine unbeschränkte Steuerpflicht. Sofern der Beklagte dies anders sehe, müsse er den Finanzrechtsweg beschreiten. Der Haftungsbescheid sei von ihr akzeptiert worden, weil er richtig sei. Ein Vertrag zu Lasten Dritter könne hierin nicht gesehen werden. Der interne Fehler auf Seiten der Klägerin sei bedauerlich. Allerdings sei die Kommunikation offen erfolgt und habe der Beklagte aufgrund des Aktenvermerks von C. sowie der Information von Frau Rechtsanwältin B. von Anfang an gewusst, dass er jedenfalls beschränkt steuerpflichtig sei. Weder habe der Beklagte sie, die Klägerin, auf ihren Fehler bei der Erstellung der Lohnabrechnungen aufmerksam gemacht noch habe er durch die Abgabe einer Einkommensteuererklärung auf eine Klärung durch das Finanzamt hingewirkt.



Zu den weiteren Einzelheiten des Parteivortrags wird auf die Schriftsätze der Parteien verwiesen, die diese in beiden Instanzen gewechselt haben.



In der mündlichen Verhandlung am 13. Januar 2023 haben die Parteien einen widerruflichen Vergleich geschlossen. Dieser wurde von der Klägerin fristgerecht widerrufen. Nach Schluss der mündlichen Verhandlung haben beide Parteien weiteren schriftsätzlichen Vortrag gehalten.



Entscheidungsgründe



Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. b) ArbGG statthafte und auch im Übrigen zulässige (I.) Berufung ist weitestgehend unbegründet (II.).



I.



Die Berufung des Beklagten ist zulässig. Sie ist gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und Abs. 2 lit. b ArbGG statthaft. Sie ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519 Abs. 1 und 2, 520 Abs. 1 und 3 ZPO i.V.m. § 11 Abs. 4 Satz 2 ArbGG in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden. Die Berufung genügt entgegen der Ansicht der Klägerin insbesondere auch dem Begründungserfordernis des § 520 Abs. 3 Satz 2 Ziff. 2 ZPO.



1. Die Berufungsbegründung muss auf den zur Entscheidung stehenden Fall zugeschnitten sein und sich mit den rechtlichen oder tatsächlichen Argumenten des angefochtenen Urteils befassen, wenn sie diese bekämpfen will. Eine schlüssige, rechtlich haltbare Begründung kann zwar nicht verlangt werden. Für die erforderliche Auseinandersetzung mit den Urteilsgründen der angefochtenen Entscheidung reicht es aber nicht aus, die tatsächliche oder rechtliche Würdigung durch das Arbeitsgericht mit formelhaften Wendungen zu rügen und lediglich auf das erstinstanzliche Vorbringen zu verweisen oder dieses zu wiederholen (BAG 26. April 2017- 10 AZR 275/16 - Rn. 13 ff).



2. Diesen Anforderungen genügt die Berufungsbegründung des Beklagten. Neben den Berufungsanträgen (vgl. § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ZPO) setzt sich die Beklagtenseite in der Berufungsbegründung einzelfallbezogen mit der Urteilsbegründung des Ausgangsgerichts auseinander. Es wird konkret dargelegt, aus welchem Grund der Beklagte von einer Unrichtigkeit des arbeitsgerichtlichen Urteils ausgeht, ohne den erstinstanzlichen Vortrag nur pauschal zu wiederholen. Eine fehlerhafte Rechtsanwendung im Sinne des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO wird damit ausreichend gerügt.



II.



Die Berufung hat in der Sache weit überwiegend keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat den Beklagten zu Recht zur Zahlung von 77.812,06 EUR verurteilt. Die zulässige Klage ist in der Hauptsache vollumfänglich begründet. Die Klägerin kann vom Beklagten Erstattung der geleisteten Lohnsteuernachzahlungen nebst Zinsen verlangen. In Ermangelung einer Nettolohnvereinbarung trifft den Beklagten im Rahmen des Gesamtschuldnerausgleichs die volle Haftung im Innenverhältnis (1.). Diese Haftung bezieht sich sowohl auf die per Bescheid für die Jahre 2016 bis 2019 festgesetzte Steuerschuld als auch auf die über den Gehaltsrechner nachgemeldete Lohnsteuer für das Jahr 2020 (2.). Eine Überprüfung der Steuerschuld findet im arbeitsgerichtlichen Verfahren in beiden Fällen nicht statt (3.). Der Gesamtschuldnerausgleich ist verschuldensunabhängig ausgestaltet (4.). Ein Vertrag zu Lasten Dritter liegt nicht vor (5.). Die Ansprüche sind weder verfallen (6.) noch verjährt (7.). Eine Verwirkung ist nicht gegeben (8.). Neben dem vom Arbeitsgericht ausgeurteilten Zahlungsbetrag (9.) sind auch Zinsen geschuldet, jedoch nicht vollumfänglich ab dem vom Arbeitsgericht ausgeurteilten Zeitpunkt (10.). Insoweit ist die Berufung hinsichtlich der Zinsen teilweise erfolgreich.



Im Einzelnen:



1. Die Klägerin kann vom Beklagten nach § 42d Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1 EStG, § 44 Abs. 1 Satz 1 AO iVm. § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB Erstattung der geleisteten Lohnsteuernachzahlungen nebst Zinsen verlangen. Der Beklagte ist als Arbeitnehmer nach § 38 Abs. 2 Satz 1 EStG allein Schuldner der Lohnsteuer. Die Klägerin war arbeitsvertraglich nicht verpflichtet, diese zu übernehmen.



a) Schuldner der Lohnsteuer ist der Arbeitnehmer (§ 38 Abs. 2 Satz 1 EStG). Der Arbeitgeber ist zum Einbehalt und Abzug der Lohnsteuer verpflichtet. Nach § 38 Abs. 3 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 EStG hat der Arbeitgeber bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit Einkommensteuer durch Abzug vom Arbeitslohn für Rechnung des Arbeitnehmers einzubehalten (BAG 21. Dezember 2016 - 5 AZR 266/16 - Rn. 16, BAGE 157, 336). Mit dem Abzug und der Abführung von Lohnbestandteilen erfüllt der Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer seine Vergütungspflicht. Der Einbehalt des Arbeitgebers für Rechnung des Arbeitnehmers (§ 38 Abs. 3 Satz 1 EStG) dient der Vorbereitung der Abführung. Erfüllt wird erst durch die Abführung nach § 41a EStG, wobei der Arbeitgeber in einer Art treuhänderischer Stellung für den Steuerfiskus tätig wird. Dies betrifft den jeweiligen Arbeitnehmer als Schuldner der Lohnsteuer unmittelbar, weil er den Abzug vom Lohn zu dulden hat (vgl. BAG 21. Dezember 2016 - 5 AZR 266/16 - Rn. 17, aaO). Der Arbeitgeber haftet zwar für die Lohnsteuer, die er einzubehalten und abzuführen hat (§ 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG). Soweit diese Haftung reicht, sind der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer nach der ausdrücklichen Anordnung des § 42d Abs. 3 Satz 1 EStG jedoch Gesamtschuldner (§ 44 Abs. 1 Satz 1 AO). Dabei erfüllt der Arbeitgeber eine fremde Schuld, denn im Verhältnis von Arbeitgeber und Arbeitnehmer zueinander ist grundsätzlich allein der Arbeitnehmer Schuldner der Steuerforderung (BAG 14. November 2018 - 5 AZR 301/17 - BAGE 164, 159 ff, Rn. 9).



Die Steuerlast trifft den Arbeitgeber auch dann nicht, wenn er zu wenig Steuern einbehält und dadurch zu viel Lohn an den Arbeitnehmer auszahlt. Das Finanzamt kann ihn zwar auf Entrichtung der fehlenden Steuer in Anspruch nehmen; er hat jedoch, wenn er gezahlt hat, gegenüber dem Arbeitnehmer einen Erstattungsanspruch. Etwas anderes gilt nur, wenn ausnahmsweise der klar erkennbare Parteiwille dahin geht, die Steuerlast solle den Arbeitgeber treffen (BAG 14. November 2018 - 5 AZR 301/17 - BAGE 164, 159 ff, Rn. 10). Dabei sind an das Vorliegen einer solchen Nettolohnvereinbarung hohe Anforderungen zu stellen. Nettolohnvereinbarungen sind die Ausnahme und müssen deshalb einen entsprechenden Willen klar erkennen lassen (BAG 31. März 2022 - 8 AZR 207/21 - Rn. 81 mwN).



b) Vorliegend scheidet die Annahme einer Nettolohnvereinbarung aus. Sowohl im Arbeitsvertrag vom 9. November 2012 (Ziffer. 3.3.) als auch im Änderungsvertrag vom 30. Januar 2020 (Ziffer 3.6) heißt es unmissverständlich: "Alle Vergütungsbestandteile ... sind Bruttoleistungen."



Zudem war das Bestehen einer Steuerschuld des Beklagten Gegenstand eines regen Austauschs der Parteien vor Vertragsabschluss. In der E-Mail vom 19. Oktober 2012 wies die Klägerin den Beklagten darauf hin, dass es "darauf hinaus läuft, dass ... du [Hervorhebung durch den Verfasser] deine Steuern wie ein in Deutschland Ansässiger entrichtest". Diese Einschätzung teilte der Beklagte mit E-Mail vom 22. Oktober 2012.



Dem Arbeitsvertrag sowie dem vorvertraglichen Schriftverkehr ist mithin klar zu entnehmen, dass der Beklagte - entsprechend dem oben beschriebenen Grundsatz - nach dem Parteiwillen die Steuerlast tragen sollte und nicht die Klägerin.



c) Die bloße Nichtabführung von Steuern und die insoweit ungekürzte Auszahlung an den Beklagten haben zudem keinen rechtsgeschäftlichen Erklärungswert dahingehend, dass eine konkludente Vertragsänderung hin zu einer Nettolohnvereinbarung anzunehmen wäre (ebenso in einem ähnlichen Fall LAG München 3. Mai 2011 - 7 Sa 847/10 - Rn. 116 juris). Es war vielmehr für den Beklagten angesichts des klaren Wortlaut des Arbeitsvertrags und der kurz zuvor erfolgten Korrespondenz nach seinem objektiven Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB) naheliegend, dass die tatsächliche Handhabung auf einem Fehler basierte und auf keinen geänderten Willen der Klägerin hindeutete. Über die bloße Zahlung hinausgehende (klare) Anhaltspunkte für die Übernahme der Steuerschuld durch die Klägerin sind weder vorgetragen noch ansonsten erkennbar. Im Gegenteil konnte der Beklagte auch aufgrund der Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen durchaus erkennen, dass die Klägerin keinen verstetigten Nettobetrag zusagen wollte, sondern die dem Beklagten obliegenden öffentlich-rechtlichen Lasten auch von ihm getragen werden sollten.



Auch eine betriebliche Übung (dazu BAG 14. September 2011 - 10 AZR 526/10 -, BAGE 139, 156 ff Rn. 12) scheidet mangels rechtsgeschäftlichem Erklärungswert aus denselben Gründen aus.



2. Hat der Arbeitgeber zu wenig Lohnsteuer von den Einkünften des Arbeitnehmers einbehalten und an das Finanzamt abgeführt, kann er bis zur Inanspruchnahme durch das Finanzamt vom Arbeitnehmer Freistellung von etwaigen Nachforderungen verlangen und nach Inanspruchnahme die Erstattung der gezahlten Lohnsteuern (BAG 14. November 2018 - 5 AZR 301/17 - BAGE 164, 159 ff, Rn. 13).



Für diese Haftung spielte es entgegen der Ansicht des Beklagten keine Rolle, ob der Arbeitgeber aufgrund eines Haftungsbescheid leistet (hier für die Jahre 2016 bis 2019) oder über seinen Gehaltsrechner Steuern nachmeldet (hier für das Jahr 2020). Dies ergibt sich bereits aus § 42d Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG. Danach bedarf es für die Inanspruchnahme des Arbeitgebers keines Haftungsbescheids, soweit der Arbeitgeber die einzubehaltende Lohnsteuer angemeldet hat. Auch ohne Bescheid unterliegt diese Steuerschuld derselben Haftung nach § 42d Abs. 3 EStG (vgl. Küch in: Lippross/Seibel, Basiskommentar Steuerrecht, § 42d Haftung des Arbeitgebers und Haftung bei Arbeitnehmerüberlassung, Rn. 96). Der Gesamtschuldnerausgleich besteht unabhängig davon, ob der Arbeitgeber freiwillig oder auf Grund eines Haftungsbescheids die Steuerforderung für den Arbeitnehmer erfüllt (BAG 16. Juni 2004 - 5 AZR 521/03 - BAGE 111, 131 ff, Rn. 18).



3. Eine sachliche Überprüfung der Steuerschuld findet im arbeitsgerichtlichen Verfahren nicht statt. Dies gilt sowohl für die Jahre 2016 bis 2019 als auch für das Jahr 2020.



a) Einwendungen des Arbeitnehmers gegen die Feststellungen eines Haftungsbescheids sind im arbeitsgerichtlichen Regressverfahren - abgesehen von Fällen der offenkundigen Unrichtigkeit oder Nichtigkeit - grundsätzlich nicht zulässig. Der zulässige Rechtsbehelf gegen den Haftungsbescheid ist der Einspruch gemäß § 347 AO mit der nachfolgenden Anfechtungsklage. Dieser Rechtsbehelf steht nach herrschender Meinung sowohl dem Arbeitgeber als Adressaten des Haftungsbescheides wie auch dem Arbeitnehmer zu, soweit er persönlich für die nachgeforderte Lohnsteuer in Anspruch genommen werden kann (BFH 8. Juni 2011 - I R 79/10 - Rn. 16, BFHE 234, 101; BAG 14. November 2018 - 5 AZR 301/17 - BAGE 164, 159 ff, Rn. 14). Hält sich der Arbeitgeber an die Anordnungen des Haftungsbescheides, ist der Arbeitnehmer somit auf seine Rechtsschutzmöglichkeiten gegen die Finanzverwaltung zu verweisen. Zur Feststellung der Steuerschuld verfügen Finanzverwaltung und Finanzgerichte über die besseren Qualifikationen sowie über die sachgerechten Mittel, insbesondere in Ansehung des dort geltenden Amtsermittlungsgrundsatzes. Die Feststellung der Steuerschuld im Rahmen eines vom Beibringungsgrundsatz geprägten Verfahrens wäre systemwidrig (LAG Düsseldorf 10. Dezember 2014 - 4 Sa 400/14 - Rn. 27).



b) Gleiches gilt bei einer freiwilligen Nachmeldung gemäß § 42d Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG. Auch insoweit darf sich der Arbeitgeber auf die Ausführungen und Berechnungen des Finanzamts verlassen und sich diese zu eigen machen, sofern sie nicht offenkundig unrichtig sind (vgl. BAG 16. Juni 2004 - 5 AZR 521/03 - BAGE 111, 131 ff, Rn. 22).



Dies entspricht dem allgemeinen Grundsatz, wonach die Gerichte für Arbeitssachen regelmäßig nicht befugt sind, die Berechtigung der Abzüge für Steuer- und Sozialversicherungsbeiträge zu überprüfen. Legt der Arbeitgeber nachvollziehbar dar, dass er bestimmte Abzüge für Steuern oder Sozialversicherungsbeiträge einbehalten und abgeführt hat, kann der Arbeitnehmer die nach seiner Auffassung unberechtigt einbehaltenen und abgeführten Beträge auch ansonsten nicht erfolgreich mit einer Vergütungsklage geltend machen. Er ist vielmehr auf die steuer- und sozialrechtlichen Rechtsbehelfe beschränkt, es sei denn, für den Arbeitgeber wäre aufgrund der für ihn zum Zeitpunkt des Abzugs bekannten Umstände eindeutig erkennbar gewesen, dass eine Verpflichtung zum Abzug nicht bestand (BAG 21. Dezember 2016 - 5 AZR 266/16 - BAGE 157, 336 ff, Rn. 20 mwN).



c) Unter Anwendung dieser Grundsätze hat die Kammer die steuerrechtlichen Annahmen des Finanzamts im Bericht vom 10. Februar 2021 sowie dem Bescheid vom 5. März 2021 nicht zu überprüfen. Es ist weder eindeutig erkennbar, dass entgegen der Annahme des Finanzamts die Voraussetzungen für die Anwendung des NATO-Truppenstatutes im vorliegenden Fall erfüllt sind noch erweist sich diese Annahme als offenkundig unrichtig. Im Gegenteil spricht auch aus Sicht der Kammer einiges für eine unbeschränkte Steuerpflicht des Beklagten, da der Grund für seinen Aufenthalt in Deutschland nicht in der Mitgliedschaft in der NATO-Truppe besteht. Der Einschätzung des Finanzamts, dass im vorliegenden Fall auch die Truppenzugehörigkeit der Ehefrau des Beklagten an dieser Steuerpflicht nichts ändere, hat der Beklagte keine Einwände entgegengebracht, die aus Sicht der Kammer auf eine offenkundige Unrichtigkeit des Haftungsbescheids vom 5. März 2021 oder des Berichts vom 10. Februar 2021 betreffend die Jahre 2016 bis 2019 schließen lassen.



Gleiches gilt für die Berechnung der Lohnsteuer für das Jahr 2020 durch die Klägerin. Der Beklagte hat auch insoweit lediglich gerügt, dass die Annahme der unbeschränkten Steuerpflicht unrichtig sei. Er hat aber nicht behauptet, dass zwischen den Jahren 2019 und 2020 eine relevante Änderung für die Berechnung der Steuerschuld in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht erfolgt ist. Mithin durfte die Klägerin die Einschätzungen des Finanzamts im Bericht vom 10. Februar 2021 sowie dem Bescheid vom 5. März 2021 auch für die Berechnung der Steuerschuld für das Jahr 2020 heranziehen. Der Kammer ist auch insoweit die steuerrechtliche Nachprüfung im arbeitsgerichtlichen Verfahren verwehrt.



d) Schließlich ergibt sich entgegen der Ansicht des Beklagten auch nichts anderes aus dem Umstand, dass eine finanzrechtliche Überprüfung im Widerspruchs- bzw. Anfechtungsverfahren aufgrund verspäteter Übermittlung des Haftungsbescheids dem Beklagten nun nicht mehr möglich wäre. Denn die Annahme, das Verhalten der Klägerin habe zur Bestandskraft des Bescheids und zu seiner Unanfechtbarkeit geführt, ist unzutreffend.



Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs steht einem Arbeitnehmer gegen einen an den Arbeitgeber gerichteten Haftungsbescheid wegen nachzuentrichtender Lohnsteuer ein eigenes Anfechtungsrecht zu (zuletzt etwa BFH 3. Juli 2019 - VI R 37/16 -, BFHE 265, 340, BStBl II 2020, 241, Rn. 13 f). Sofern - wie vorliegend - der Haftungsbescheid dem Arbeitnehmer von der Finanzverwaltung nicht bekannt gegeben worden ist, kann der Arbeitnehmer den Bescheid jedenfalls bis zum Ablauf der Jahresfrist gemäß § 356 Abs. 2 AO anfechten (BFH a.a.O. Rn. 14; Hummel in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, 6. Rechtsschutzfragen, Rn. A 179). Allein durch die Bekanntgabe des Bescheids an den Arbeitgeber wird keinerlei Frist für die Anfechtung durch den Arbeitnehmer in Gang gesetzt (Schmieszek in: Bordewin/Brandt, Einkommensteuergesetz, Kommentar, IV. Rechtsbehelfe, Rn. 129). Diese beginnt frühestens mit der Kenntnis des Arbeitnehmers vom Haftungsbescheid (Hummel a.a.O.).



Die (vermeintlich) fehlende In-Kenntnis-Setzung des Beklagten durch die Klägerin konnte deshalb nicht zum Verlust seines Anfechtungsrechts führen. Im Gegenteil begann die für ihn maßgebliche Frist gerade durch die In-Kenntnis-Setzung. Sofern - wie der Beklagte behauptet - dies erst anlässlich des Schriftsatzes vom 14. Februar 2022 erfolgt ist, wäre die Jahresfrist zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor der Kammer noch nicht einmal abgelaufen gewesen (für die Kenntnis auf den Moment des zivilrechtlichen Rückgriffs seitens des Arbeitgebers - mithin die Klageerhebung - abstellend Hummel in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, 6. Rechtsschutzfragen, Rn. A 179). Die Beurteilung, ob und wenn ja wann die Jahresfrist zu laufen begann, obliegt den Finanzbehörden bzw. dem Finanzgericht im Falle einer Anfechtung des Haftungsbescheids durch den Beklagten. Jedenfalls konnte eine fehlende In-Kenntnis-Setzung zu keinem Rechtsverlust bezüglich des eigenen Anfechtungsrechts des Beklagten führen.



4. Dem Anspruch steht kein (überwiegendes) Mitverschulden der Klägerin gemäß § 254 BGB entgegen.



a) Dem Beklagten ist jedoch zuzugestehen, dass sich die Klägerin sorgfaltspflichtwidrig verhielt als sie aufgrund eines internen Versehens den Inhalt des Aktenvermerks den zuständigen Mitarbeitern der Lohnbuchhaltung nicht übermittelte.



Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die abzuführende Lohnsteuer richtig zu berechnen. Insbesondere hat er sich um die sachgerechte Bearbeitung und Behandlung der Lohnsteuer seiner Arbeitnehmer zu bemühen (BAG 16. Juni 2004 - 5 AZR 521/03 - BAGE 111, 131 ff, Rn. 20).



Hiergegen hat die Klägerin schuldhaft verstoßen. Sie hätte - genauso wie der Beklagte, dem alle Umstände inklusive des Aktenvermerks von C. und der Einschätzung von Frau Rechtsanwältin B. bekannt waren - die unzutreffende lohnsteuerrechtliche Behandlung erkennen und verhindern können. Aufgrund des Aktenvermerks und der Ausführungen von Frau B. war klar, dass jedenfalls eine beschränkte Steuerpflicht bestand.



b) Indes ist dieser Sorgfaltspflichtverstoß der Klägerin für den Anspruch aus § 42d Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1 EStG, § 44 Abs. 1 Satz 1 AO iVm. § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB ohne Relevanz.



§ 426 Abs. 1 Satz 1 BGB dient dem endgültigen Belastungsausgleich unter den Gesamtschuldnern (MüKoBGB/Heinemeyer, 9. Aufl. 2022, BGB § 426 Rn. 5). Sofern es sich um mehrere Schuldner eines Schadensersatzanspruchs handelt, spielt § 254 BGB für den Ausgleich im Innenverhältnis eine zentrale Rolle. Im Schadensersatzrecht bemisst sich das Maß der internen Beteiligung der Haftpflichtigen nach den Umständen der Schadenszufügung, insbesondere danach, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Schädiger verursacht bzw. verschuldet worden ist. Dieser Rechtsgedanke aus § 254 BGB wird im Schadensrecht auf das Verhältnis mehrerer Ersatzpflichtiger untereinander angewandt (MüKoBGB/Heinemeyer, 9. Aufl. 2022, BGB § 426 Rn. 22).



Indes geht es vorliegend um keinen Schadensersatzanspruch, sondern um den Ausgleich der Gesamtschuld gemäß § 42d Abs. 3 Satz 1 EStG. Hinsichtlich dieses Gesamtschuldnerausgleichs stellt § 38 Abs. 2 Satz 1 EStG, wonach Schuldner der Lohnsteuer ausschließlich der Arbeitnehmer ist, eine abschließende Sonderreglung für die endgültige Vermögensbelastung im Innenverhältnis auf. Für die Anwendung von § 254 BGB bleibt kein Raum.



c) Abschließend sei darauf hingewiesen, dass zwar im Rahmen zur Aufrechnung gestellter bzw. gemäß § 273 BGB eingewandter Gegenansprüche auf Schadensersatz gemäß § 280 Abs. 1 BGB das sorgfaltspflichtwidrige Verhalten der Klägerin eine Rolle spielen könnte (vgl. BAG 16. Juni 2004 - 5 AZR 521/03 - BAGE 111, 131 ff, Rn. 20). Unabhängig davon, dass eine Aufrechnung nicht erklärt bzw. ein Zurückbehaltungsrecht nicht eingewandt wurde, ist aber nach der anzustellenden Differenzhypothese auch kein ersatzfähiger Schaden nach § 249 ff BGB erkennbar. Bei pflichtgemäßem Verhalten der Klägerin wären dem Vermögen des Beklagten die vom Arbeitsgericht ausgeurteilten 77.787,32 EUR von vornherein nicht zugeflossen. Der Beklagte hat aufgrund dieses Verhaltens der Klägerin auch nicht etwa doppelt Steuern gezahlt. Denn zwar mag er sein Einkommen gegenüber den US-Steuerbehörden deklariert haben. Er hat jedoch unstreitig in den USA keine Steuern bezahlt. Auch insoweit ist ein Schaden nicht erkennbar.



5. Ein Vertrag zu Lasten Dritter liegt nicht vor.



a) Ein Vertrag zu Lasten Dritter, durch den der Dritte ohne seine Mitwirkung unmittelbar vertraglich verpflichtet wird, ist mit der Privatautonomie nicht vereinbar und im Bürgerlichen Gesetzbuch nicht vorgesehen (MüKoBGB/Gottwald, 9. Aufl. 2022, BGB § 328 Rn. 263). Ein unzulässiger und deshalb unwirksamer Vertrag zu Lasten Dritter liegt vor, wenn durch ihn unmittelbar eine Rechtspflicht eines am Vertrag nicht beteiligten Dritten - ohne seine Autorisierung - entstehen soll (BGH 23. Februar 2022 - VIII ZR 305/20 -, BGHZ 233, 54 ff, Rn. 25).



b) Danach stellt das Einverständnis der Klägerin mit dem gegen sie ergangenen Haftungsbescheid keinen Vertrag mit dem Finanzamt zu Lasten des Beklagten dar.



Es liegt bereits kein Vertrag im Sinne übereinstimmender Willenserklärungen vor. Vielmehr handelt es sich bei dem Haftungsbescheid um einen öffentlich-rechtlichen Verwaltungsakt im Subordinationsverhältnis, der nach verwaltungsrechtlichen Vorschriften angefochten werden konnte. Ein (öffentlich-rechtlicher) Vertrag erlaubt gerade deshalb keine Regelung zu Lasten Dritter, weil er - anders als ein Verwaltungsakt - von einem betroffenen Dritten nicht angefochten werden kann (OVG Berlin-Brandenburg 12. Februar 2007 - OVG 12 A 1.05 - Rn. 46).



Vorliegend hatte der Beklagte - wie ausführlich dargestellt - ein eigenes Anfechtungsrecht innerhalb eines Jahres ab Kenntnis des Haftungsbescheids. Eine unmittelbare und unabänderliche Rechtspflicht konnte der Haftungsbescheid ihm gegenüber nicht begründen. Ein Vertrag zu Lasten Dritter liegt nicht vor.



6. Die Ansprüche aus den Jahren 2016 bis 2020 sind nicht gemäß Nummer 8 des Arbeitsvertrags vom 9. November 2012 bzw. Nummer 10 des Änderungsvertrags vom 30. Januar 2020 verfallen. Die zweistufige Ausschlussfrist wurde gewahrt.



a) Für den Beginn der Ausschlussfristen bei dem Erstattungsanspruch des Arbeitgebers nach § 42d Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1 EStG, § 44 Abs. 1 Satz 1 AO iVm. § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB ist der Zeitpunkt der tatsächlichen Erfüllung der Steuerforderung gegenüber dem Finanzamt, bei zuvor eingetretener Bestandskraft eines Haftungsbescheids dieser Zeitpunkt, maßgebend (dazu ausführlich BAG 14. November 2018 - 5 AZR 301/17 -, BAGE 164, 159 ff, Rn. 18 ff).



b) Die Klägerin hat im Januar 2021 die Steuerschuld für das Jahr 2020 beglichen. Mit Schreiben vom 26. März 2021, mithin innerhalb von drei Monaten ab Zahlung, hat sie die Erstattung gegenüber dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten geltend gemacht. Der Haftungsbescheid datiert auf den 5. März 2021 und trägt einen Eingangsstempel der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 10. März 2021. Am 12. April 2021 hat die Klägerin die Steuern für die Jahre 2016 bis 2019 überwiesen. Mit Klageschrift vom 20. April 2021, zugestellt am 26. April 2021, hat sie die Ansprüche insgesamt gerichtlich geltend gemacht. Die Klagerhebung erfolgte mithin sowohl innerhalb von drei Monaten nach der schriftlichen Geltendmachung als auch innerhalb von drei Monaten nach der Zahlung des Restbetrags am 12. April 2021. Bei Eingang des Haftungsbescheids am 10. März 2021 wurde dieser im Verhältnis zur Klägerin ebenfalls erst mit Ablauf des 12. April 2021 bestandskräftig, da der 10. April 2021 ein Samstag war (vgl. § 108 AO iVm. § 193 BGB). Die Ausschlussfristen wurden mithin gewahrt.



7. Den Ansprüchen betreffend die Jahre 2016 und 2017 steht auch nicht die Einrede der Verjährung gemäß § 214 Abs. 1 BGB entgegen.



Der Anspruch auf Erstattung der Lohnsteuernachzahlung ist nicht nach §§ 195, 199 Abs. 1 BGB verjährt. Die vom Beklagten diesbezüglich erhobene Einrede ist unbegründet. Die Verjährungsfrist hat erst mit Schluss des Jahres 2021 zu laufen begonnen, in dem der Haftungsbescheid bestandskräftig wurde und die Klägerin die Steuerforderung beglichen hat. Hierauf abzustellen gebieten die Besonderheiten der steuerrechtlich begründeten Gesamtschuld und des hieraus abgeleiteten Erstattungsanspruchs des Arbeitgebers. Dies hat das Bundesarbeitsgericht unlängst entschieden (BAG 14. November 2018 - 5 AZR 301/17 -, BAGE 164, 159 ff, Rn. 29). Die Kammer schließt sich dem vollumfänglich an.



8. Die Ansprüche sind schließlich auch nicht verwirkt gemäß § 242 BGB.



a) Die Verwirkung ist ein Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung. Sie setzt voraus, dass der Berechtigte ein Recht längere Zeit nicht geltend macht, obwohl er dazu in der Lage war (Zeitmoment) und der Verpflichtete sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte und sich darauf eingerichtet hat, dieser werde sein Recht auch künftig nicht mehr geltend machen (Umstandsmoment). Der Berechtigte muss dabei unter Umständen untätig gewesen sein, die den Eindruck erwecken konnten, dass er sein Recht nicht mehr geltend machen wolle, so dass der Verpflichtete sich darauf einstellen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden. Die Inanspruchnahme von Vertrauen setzt die Kenntnis des Schuldners von einem möglichen Anspruch gegen ihn voraus. Fehlt es hieran, kann der Schuldner auf das Ausbleiben einer entsprechenden Forderung allenfalls allgemein, nicht aber konkret hinsichtlich eines bestimmten Anspruchs vertrauen (BAG 17. August 2021 - 1 AZR 175/20 - Rn. 47).



b) Danach fehlt es vorliegend bereits an dem erforderlichen Zeitmoment. Dies hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt. Der Erstattungsanspruch der Klägerin nach § 42d Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1 EStG, § 44 Abs. 1 Satz 1 AO iVm. § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB entstand erst mit den Zahlungen im Januar bzw. April 2021. Er wurde bereits Ende April 2021 gerichtlich geltend gemacht. Eine unterbliebene Geltendmachung über einen längeren Zeitraum liegt erkennbar nicht vor.



Es fehlt zudem ein Umstandsmoment. Die Klägerin hat nach Kenntnis von den Ergebnissen der Steuerprüfung keine Zweifel daran aufkommen lassen, dass sie einen Rückgriff beim Beklagten begehrt.



9. Die Höhe der von der Klägerin an das Finanzamt gezahlten Beträge (15.627,78 EUR + 62.159,54 EUR = 77.787,32 EUR) hat der Beklagte in der Berufungsinstanz nicht mehr in Abrede gestellt. Er hat lediglich insoweit auf eine fehlerhafte Berechnung verwiesen, als er selbst weiterhin von einer beschränkten Steuerschuld ausgeht. Dies ist für den Regressanspruch indes - wie gezeigt - ohne Relevanz.



10.Der Zinsanspruch betreffend den im Januar 2021 gezahlten Betrag (15.627,78 EUR) folgt aus § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 1 BGB. Insoweit liegt eine Mahnung unter Fristsetzung bis 12. April 2021 mit Schreiben vom 26. März 2021 vor. Zinsen in gesetzlicher Höhe sind mithin ab 13. April 2021 geschuldet.



Für den am 12. April 2021 bezahlten Restbetrag (62.159,54 EUR) sind entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts jedoch Zinsen erst ab dem Tag nach Eintritt der Rechtshängigkeit gemäß §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB geschuldet. Zwar hat die Klägerin auch die nachzuentrichtende Lohnsteuer für die Jahre 2016 bis 2019 bereits mit Schreiben vom 26. März 2021 geltend gemacht. Die Mahnung setzt nach § 286 Abs. 1 Satz 1 BGB jedoch den Eintritt der Fälligkeit voraus. Eine vor Fälligkeit erfolgte Mahnung bleibt auch nach dem Eintritt der Fälligkeit wirkungslos (vgl. BAG 18. Januar 2000 - 9 AZR 803/98 - Rn. 14). Der Erstattungsanspruch nach § 42d Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1 EStG, § 44 Abs. 1 Satz 1 AO iVm. § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB betreffend die Jahre 2016 bis 2019 wurde erst mit der Zahlung der Klägerin am 12. April 2021 fällig. Die Mahnung vom 26. März 2021 ging insoweit ins Leere.



III.



Die Kammer hat die nach Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Verkündungstermin eingereichten Schriftsätze der Parteien zur Kenntnis genommen und eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung geprüft. Hierbei haben die Richter mitgewirkt, die an der vorangegangenen letzten mündlichen Verhandlung beteiligt waren (BAG 25. Januar 2012 - 4 AZR 185/10 - Rn. 14 ff). Es sind indes weder die Voraussetzungen des § 156 Abs. 2 ZPO (1.) noch des § 156 Abs. 1 ZPO (2.) für einen Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung erfüllt.



1. Die Pflicht zur Wiedereröffnung besteht in den Fällen des § 156 Abs. 2 ZPO, wenn das Gericht eine Verletzung des rechtlichen Gehörs oder einen sonstigen erheblichen Verfahrensfehler feststellt, Wiederaufnahmegründe vorliegen oder ein Richter ausgeschieden ist. Keiner dieser Fälle liegt vor.



2. In allen übrigen Fällen steht die Wiederaufnahme des Verfahrens im Ermessen des Gerichtes. Hierbei ist einerseits die Konzentrationsmaxime zu beachten, die den raschen Abschluss der Instanz gebietet. Auf der anderen Seite ist in die Abwägung einzustellen, dass ein nachfolgendes Rechtsbehelfsverfahren vermieden werden kann, das erst recht zur Verfahrensverzögerung führt (Zöller/Greger ZPO, 2022, § 156 Rn. 5). In diesem Zusammenhang ist wesentlich, dass die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung insbesondere dann nicht in Betracht kommt, wenn lediglich neue Angriffs- oder Verteidigungsmittel nachgereicht werden oder neues Vorbringen der Parteien zum Verfahrensgegenstand gemacht werden soll (LAG Düsseldorf 18. März 2013 - 9 Sa 1585/12 - Rn. 108 m.w.N.) Der erforderliche Verkündungstermin nach Widerruf eines im Termin geschlossenen Vergleichs dient nicht dazu, es einer Partei zu ermöglichen, nach Schluss der mündlichen Verhandlung weiter vorzutragen (LAG Rheinland-Pfalz 18. Januar 2022 - 8 Sa 91/21 - Rn. 82 ff).



Vorliegend haben die Parteien in ihren nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingereichten Schriftsätzen lediglich ihre bisherigen Ausführungen wiederholt und vertieft. Insbesondere hat der Beklagte (weiterhin) primär steuerrechtliche Argumente vorgebracht, insbesondere zur Frage beschränkte/unbeschränkte Steuerpflicht und zur Anfechtbarkeit des Haftungsbescheids. Einen Grund zur Wiedereröffnung hat die Kammer nicht erkennen können.



IV.



Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens gemäß § 97 Abs. 1 ZPO iVm. 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.



Die Voraussetzungen einer Revisionszulassung gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor. Die Kammer hat auf den konkreten Einzelfall bezogen bestehende höchstrichterliche Rechtssätze angewandt.

Dr. Bader
Schächtele
Tschentscher

Verkündet am 10. Februar 2023

Vorschriften§ 254 BGB, § 520 Abs. 3 ZPO, §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. b) ArbGG, Abs. 2 lit. b ArbGG, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519 Abs. 1, 2, 520 Abs. 1, 3 ZPO, § 11 Abs. 4 Satz 2 ArbGG, § 520 Abs. 3 Satz 2 Ziff. 2 ZPO, § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ZPO, § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO, § 42d Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1 EStG, § 44 Abs. 1 Satz 1 AO, § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB, § 38 Abs. 2 Satz 1 EStG, § 38 Abs. 3 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 EStG, § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG, § 41a EStG, § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG, § 42d Abs. 3 Satz 1 EStG, §§ 133, 157 BGB, § 42d Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG, § 42d Abs. 3 EStG, § 347 AO, § 356 Abs. 2 AO, § 273 BGB, § 280 Abs. 1 BGB, § 249 ff BGB, § 108 AO, § 193 BGB, § 214 Abs. 1 BGB, §§ 195, 199 Abs. 1 BGB, § 242 BGB, § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 1 BGB, §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB, § 286 Abs. 1 Satz 1 BGB, § 156 Abs. 2 ZPO, § 156 Abs. 1 ZPO, § 97 Abs. 1 ZPO, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, § 72 Abs. 2 ArbGG