Urteil vom 25.01.2023 · IWW-Abrufnummer 234433
Landesarbeitsgericht Nürnberg - Aktenzeichen 4 Sa 201/22
Art. 82 Abs. 1 DS-GVO erfordert haftungsbegründend eine gegen die DS-GVO verstoßende Datenverarbeitung und erfasst somit nicht eine reine Verletzung der Auskunftspflicht nach Art. 15 DS-GVO .
Tenor:
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Schlussurteil des Arbeitsgerichts Bamberg vom 11.05.2022, Az.: 2 Ca 942/20, in Ziffern 1 bis 3 teilweise abgeändert und zur Klarstellung neu gefasst:
1. Die Klage wird insgesamt abgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte 24 %, die Klägerin 76 %.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten zuletzt noch über einen Anspruch der Klägerin auf immateriellen Schadensersatz gemäß Art. 82 Abs. 1 DS-GVO wegen Verletzung der Datenauskunftspflicht gem. Art. 15 DS-GVO durch die Beklagte.
Im April 2020 kam es auf Initiative der Beklagten zu Gesprächen über die Aufhebung des seit 10.03.2014 bestehenden Arbeitsverhältnisses der Parteien, welche allerdings letztendlich scheiterten. Mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 12.06.2020 machte die Klägerin gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Datenauskunft gemäß Art. 15 Abs. 1 und 3 DS-GVO geltend (vgl. Bl. 17 f. d.A.). Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten lehnte diese Auskunft ab und führte aus, dass die Klägerin ihren Anspruch einklagen möge, wenn sie meine, das Arbeitsverhältnis auf diese Weise fortsetzen zu müssen. Mit Schreiben vom 26.06.2020 erklärte die Klägerin die Eigenkündigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.07.2020. Mit Klage vom 26.11.2020 machte die Klägerin im Anschluss eine Datenauskunft gemäß Art. 15 Abs. 1 DS-GVO sowie einen Anspruch auf Zurverfügungstellung einer Kopie ihrer von der Beklagten verarbeiteten personenbezogenen Daten im Sinne des Art. 15 Abs. 3 DS-GVO geltend. Weiterhin begehrte sie gemäß Art. 82 DS-GVO ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 5.000,00 €, da die Beklagte der Verpflichtung zur Datenauskunft nicht nachgekommen sei. Im weiteren Verfahren wurden durch die Beklagte dann mit Schriftsatz vom 05.01.2021 erstmals Auskünfte über die verarbeiteten personenbezogenen Daten erteilt, wobei die Frage der vollständigen Erfüllung der Datenauskunft zwischen den Parteien streitig geblieben ist.
Erstinstanzlich trug die Klägerin insoweit vor, dass die Beklagte trotz der eindeutigen Aufforderung im Schreiben vom 12.06.2020 bis zuletzt keine auch nur ansatzweise vollständige Auskunft im Sinne des Art. 15 DS-GVO gegeben habe. Auch sei ihr bis zuletzt keine Kopie im Sinne des Art. 15 Abs. 3 DS-GVO zur Verfügung gestellt worden. Sie habe daher gemäß Art. 82 Abs. 1 DS-GVO einen Anspruch auf immateriellen Schadensersatz, wobei insoweit berücksichtigt werden müsse, dass sämtliche Verletzungshandlungen seitens der Beklagten vorsätzlich erfolgt seien.
Die Beklagte trug erstinstanzlich vor, dass sie Daten der Klägerin auf Basis der Rechtsgrundlage des Art. 6 Abs. 1 S.1 b) DS-GVO speichere und verarbeite. Der Klägerin sei im Hinblick auf die Auskunftspflicht auch kein Schaden entstanden. Ansprüche aus der DS-GVO seien ebenso wenig wie das allgemeine Schadensersatzrecht dafür geeignet, den Antragsteller zu bereichern. Es sei ein Schadensausgleichsrecht. Ohne einen Schaden gäbe es auch keinen Anspruch.
Die Klägerin beantragte erstinstanzlich zuletzt die Verurteilung der Beklagten zur Auskunft gem. Art. 15 DS-GVO, der Zurverfügungstellung einer Kopie dieser Daten, der Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von mindestens 14.400,00 € wegen Mobbings sowie eines angemessenen Schmerzensgeldes von mindestens 5.000,00 € auf Grund der nicht vollständigen Auskunftserteilung.
In dem Rechtsstreit erging bereits zuvor am 06.08.2021 ein inzwischen rechtskräftiges Teilurteil, wonach die Beklagte dazu verurteilt wurde, an die Klägerin als Urlaubsabgeltung 6.189,22 € zu zahlen (vgl. Bl. 130 ff. d.A.).
Mit Schlussurteil des Arbeitsgerichts vom 11.05.2022 wurde die Beklagte dazu verurteilt, an die Klägerin 4.000,00 € nebst Zinsen zu zahlen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Die Klägerin habe nach Ansicht des Arbeitsgerichts gegen die Beklagte gem. Art. 82 Abs. 1 iVm. Art. 15 DS-GVO einen Anspruch auf Zahlung eines immateriellen Schadensersatzes iHv. 4.000,00 €. Verstöße müssten effektiv sanktioniert werden und der Schadensersatz eine abschreckende Wirkung haben, um der Datenschutzgrundverordnung zum Durchbruch zu verhelfen. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hielt das Arbeitsgericht einen Schadensersatz in Höhe von 4.000,00 € für geboten und angemessen.
Das Schlussurteil wurde der Beklagten am 03.06.2022 zugestellt. Die Berufungsschrift der Beklagten vom 18.05.2022 ist beim Landesarbeitsgericht Nürnberg am 18.05.2022 sowie die Berufungsbegründungsschrift vom 02.08.2022 am 02.08.2022 eingegangen.
Die Beklagte trägt in ihrer Berufungsbegründung insbesondere vor, dass die Klägerin sich rechtsmissbräuchlich verhalte. Ihr sei es nicht um die Auskunft über die Verwendung und Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten gegangen, sondern vielmehr um eine Bereicherungsabsicht. Dieses Verhalten sei rechtsmissbräuchlich. Die Klägerin habe noch innerhalb der gesetzten Monatsfrist eine Eigenkündigung eingereicht und sodann fünf Monate verstreichen lassen. Sie habe somit einfach ihren Unmut über die geschalteten Aufhebungsverhandlungen ausgelassen und versucht, in irgendeiner Weise sie zur Zahlung zu bewegen. Die Klägerin habe auch nicht dargelegt, dass ihr überhaupt ein Schaden entstanden sei. Unabhängig davon sei die Abwägung des Gerichts im Hinblick auf die Höhe des zuerkannten Schadensersatzes unangemessen. Es hätte insoweit maximal ein Betrag von 1.500,00 € festgesetzt werden dürfen. Abgesehen davon sei ein etwaiger Anspruch gemäß der arbeitsvertraglichen Ausschlussfrist verfallen. Darüber hinaus sei dem Aufforderungsschreiben vom 12.06.2020 eine Vollmachtsurkunde zur Geltendmachung dieser Ansprüche nicht beigelegt gewesen.
Die Beklagte und Berufungsklägerin stellt folgende Anträge:
I. Das Urteil des Arbeitsgerichts Bamberg vom 11.05.2022, Az. 2 Ca 942/20, ist abzuändern und die Klage im vollen Umfang abzuweisen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten beider Rechtszüge.
III. Die Revision wird zugelassen.
Die Klägerin und Berufungsbeklagte beantragt:
1. Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Die Klägerin trägt vor, dass der Anspruch nicht verfallen sei, da die vertragliche Ausschlussfrist gerade nicht bei Haftung wegen Vorsatzes eingreifen würde. Für sie habe sich kurzfristig die Möglichkeit der neuen Beschäftigung ergeben, weshalb sie das Arbeitsverhältnis selbst gekündigt habe. Die Ansprüche seien erst deshalb zu einem späteren Zeitpunkt gerichtlich geltend gemacht worden, da sie erst noch eine Deckungszusage der Rechtschutzversicherung hätte einholen müssen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze erster und zweiter Instanz sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 11.01.2023 verwiesen.
Entscheidungsgründe
I.
Das Rechtsmittel der Berufung der Beklagten ist gem. § 64 Abs. 1, 2 ArbGG statthaft. Die Berufung ist gem. §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG i.V.m. §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.
II.
Die Berufung ist auch begründet.
1. Der Klägerin steht gegen die Beklagte bereits dem Grunde nach kein Anspruch auf immateriellen Schadensersatz gemäß Art. 82 Abs. 1, 2 DS-GVO zu.
a) Gem. Art. 82 Abs. 1 DS-GVO steht jeder Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, ein Anspruch auf Schadensersatz gegen den Verantwortlichen oder gegen den Auftragsverarbeiter zu.
aa) Nach einer Auffassung ist Art. 82 Abs. 1 DS-GVO in Anbetracht des Wortlautes und der Zielrichtung weit auszulegen und erfasse als haftungsrelevante Verletzungshandlung jeglichen Verstoß gegen die DS-GVO und somit auch Fälle jenseits einer unrechtmäßigen Datenverarbeitung (vgl. u.a. BeckOK DatenschutzR/Quaas DS-GVO Art. 82 Rn. 14; Kühling/Buchner/Bergt DS-GVO Art. 82 Rn. 22 LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18.11.2021 - 10 Sa 443/21; LAG Hamm, Urteil vom 11.05.2021 - 6 Sa 1260/20, juris; zweifelnd insoweit BAG, Urt. v. 05.05.2022 - 2 AZR 363/21 [Rz. 11], juris).
bb) Nach anderer Auffassung ist Art. 82 Abs. 1 DS-GVO hingegen einschränkend auszulegen. Diese Auffassung begründet ihre Ansicht mit dem Erwägungsgrund 146. Dessen Einleitungssatz lautet: "Der Verantwortliche oder der Auftragsverarbeiter sollte Schäden, die einer Person aufgrund einer Verarbeitung entstehen, die mit dieser Verordnung nicht im Einklang steht, ersetzen." Da es sich bei der Frage der Erfüllung der Auskunftsverpflichtung aber um keine Datenverarbeitung im Sinne der Legaldefinition des Art. 4 Nr. 2 DS-GVO handele, scheide ein Verstoß gegen Art. 15 DS-GVO als haftungsrelevante Handlung daher bereits dem Grunde nach aus (LG Bonn, Urteil vom 01.07.2021 - 15 O 372/20, juris; LG Düsseldorf, Urteil vom 28.10.2021 - 16 O 128/20, juris; Ehmann/Selmayr/Nemitz DS-GVO Art. 82 Rn. 8; Gola/Heckmann/Gola/Piltz DS-GVO Art. 82 Rn. 3).
b) Der Ansicht der einschränkenden Auslegung ist nach Auffassung der Kammer der Vorzug zu geben. Bei der Auslegung einer Unionsvorschrift sind nicht nur der Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden. Die Entstehungsgeschichte einer unionsrechtlichen Vorschrift kann ebenfalls relevante Anhaltspunkte für deren Auslegung liefern (vgl. EuGH, Urteil vom 24.03.2021 - C-603/20 PPU, juris). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze folgt insbesondere aus dem Erwägungsgrund 146 zur DS-GVO, welcher eine grundsätzlich geeignete und wichtige Orientierungshilfe der Auslegung darstellt (vgl. Paal/Pauly, DS-GVO/BDSG, 3. Auflage 2021, Einl. Rn. 10), dass der Schadensersatzanspruch auf Verstöße gegen eine rechtswidrige Datenverarbeitung i.S.v. Art. 4 Nr. 2 DS-GVO begrenzt ist und verspätete, falsche oder gar gänzlich unterbliebene Auskünfte an eine Person gem. Art. 15 Abs. 1 DS-GVO somit nicht haftungsauslösend sind. Für dieses Auslegungsergebnis spricht nicht nur der Wortlaut des Erwägungsgrundes 146, welcher ebenso wie der die Haftungsverpflichtung konkretisierende Art. 82 Abs. 2 DS-GVO stets nur eine gegen die DS-GVO verstoßende "Datenverarbeitung" erwähnt, sondern auch die Entstehungsgeschichte des Art. 82 DS-GVO. Die entsprechende ursprüngliche Regelung in Art. 77 des Kommissionsentwurfes (KOM (2012) 11) sah bezüglich der Schadensersatzpflicht noch vor: "Jede Person, der wegen einer rechtswidrigen Verarbeitung oder einer anderen mit dieser Verordnung nicht zu vereinbarenden Handlung ein Schaden entstanden ist, hat Anspruch auf Schadenersatz gegen den für die Verarbeitung Verantwortlichen oder gegen den Auftragsverarbeiter." Dieser Entwurf ging damit vom Wortlaut ursprünglich ersichtlich weiter als z.B. die spätere Fassung des Vorschlags des Parlaments (Drs. 9565/15), welche im Entwurf zu Art. 77 DS-GVO die Schadensersatzpflicht nur auf Schäden bezog, die einer Person aufgrund einer Verarbeitung entstehen, die mit dieser Verordnung nicht im Einklang steht. Der ursprüngliche Erwägungsgrund 118 (KOM (2012) 11) bzw. der spätere Erwägungsgrund 146 selbst beschränkten sich insoweit vom Wortlaut her von Anfang an nur auf eine rechtswidrige bzw. eine gegen die Verordnung verstoßende Datenverarbeitung. Somit verbleibt es nach zutreffender Auffassung in der vorliegenden Konstellation der Verletzung der Auskunftspflicht nach Art. 15 DS-GVO nur bei der möglichen Sanktionsfolge nach Art. 83 Abs. 5 b) DS-GVO.
b) Weitergehende Anspruchsgrundlagen vertraglicher oder deliktischer Art sind von der Klägerin weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich, weshalb der Berufung der Beklagten stattzugeben und das Schlussurteil teilweise abzuändern ist. Auf die Frage des Schadensbegriffes bzw. der Erheblichkeitsschwelle eines Schadens braucht daher an dieser Stelle ebenso nicht näher eingegangen zu werden, wie auch auf das Vorhandensein einer Vollmacht der Prozessbevollmächtigten der Klägerin bezüglich der Geltendmachung des Auskunftsanspruches, des Eingreifens der arbeitsvertraglich vereinbarten Ausschlussfrist sowie eines etwaigen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens der Klägerin.
2. Das Schlussurteil ist daher teilweise abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen. Die Kostenentscheidung ist unter Berücksichtigung des Obsiegens und Unterliegens der Parteien gem. dem Teilurteil sowie der rechtskräftig gewordenen Streitgegenstände des Schlussurteiles ebenfalls anzupassen, § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
III.
1. Die Kostenentscheidung des Berufungsverfahrens folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
2. Die Revision ist zuzulassen, da diese Entscheidung von Entscheidungen anderer Landesarbeitsgerichte abweicht und auf dieser Abweichung beruht, § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG