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Beschluss vom 15.03.2023 · IWW-Abrufnummer 234461

Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt - Aktenzeichen 5 Ta 121/22

§ 1078 Abs. 1 Satz 2 ZPO ist richtlinienkonform dahin auszulegen, dass die um Prozesskostenhilfe nachzusuchende Partei auch im Falle einer Antragstellung unmittelbar bei dem Prozessgericht nicht verpflichtet ist, dem Gericht auf eigene Kosten Übersetzungen der von ihr eingereichten fremdsprachigen Prozesskostenhilfeunterlagen vorzulegen (BGH 03.07.2018 - VIII 2 R 229/17).


Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Magdeburg vom 07.11.2022 in der Fassung des Nichtabhilfebeschlusses vom 15.11.2022 - 3 Ca 1494/22 - abgeändert.

Dem Kläger wird mit Wirkung vom 25.08.2022 für die erste Instanz Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Z... aus E... bewilligt.

Die Bewilligung erfolgt mit der Maßgabe, dass der Kläger keine monatlichen Raten zu leisten hat.



Gründe



A.



Der Kläger ist wohnhaft in K./Polen. Mit seiner am 24.08.2022 bei dem Arbeitsgericht Magdeburg eingereichten Klage hat der Kläger Kündigungsschutzklage gegen eine Kündigung der Beklagten vom 27.07.2022 erhoben. Zur Rechtsverfolgung dieser Klage hat der Kläger mit am 25.08.2022 bei dem Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Z... beantragt. Mit diesem Antrag hat der Kläger eine von ihm unterzeichnete Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eingereicht.



Mit Verfügung vom 04.10.2022 hat das Arbeitsgericht einen Hinweis zum Stand des PKH-Verfahrens an den Klägervertreter gegeben. Dabei hat das Arbeitsgericht bemängelt, dass Belege/Unterlagen nicht in deutscher Sprache vorliegen, das angegebene Einkommen weder nachvollziehbar noch belegt sei, die angegebenen Wohnkosten weder nachvollziehbar noch belegt seien und die Kreditrate nicht belegt sei. Das Arbeitsgericht hat eine Frist zur Nachbesserung von einem Monat gesetzt.



Nachdem auf das Gerichtsschreiben vom 04.10.2022 keine Reaktion erfolgte, hat das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 07.11.2022 den Antrag auf Prozesskostenhilfe und Beiordnung zurückgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, der Kläger habe seine Mitwirkungspflicht zur Feststellung seiner Bedürftigkeit nicht erfüllt.



Gegen den dem Klägervertreter am 14.11.2022 zugestellten Beschluss wendet sich seine am 14.11.2022 beim Arbeitsgericht Magdeburg eingegangene sofortige Beschwerde.



Mit Beschluss vom 15.11.2022 hat das Arbeitsgericht der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und diese dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.



Mit Verfügung vom 05.12.2022 hat die Bezirksrevisorin bei dem Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt zur sofortigen Beschwerde Stellung genommen (wegen des Inhalts der Stellungnahme der Bezirksrevisorin bei dem Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt wird auf Blatt 40 und 40 R. des Beiheftes Prozess-/Verfahrenskostenhilfe Bezug genommen).



Am 21.11.2022 hat der Kläger weitere Unterlagen zu seinem Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe beim Arbeitsgericht Magdeburg eingereicht. Mit Verfügung vom 22.11.2022 hat das Arbeitsgericht diese Unterlagen an das Landesarbeitsgericht weitergesendet. Mit Schriftsatz vom 14.12.2022 hat der Klägervertreter abschließend Stellung genommen (Bl. 54, 55 des Beiheftes Prozess-/Verfahrenskostenhilfe).



B.



Die sofortige Beschwerde des Klägers ist zulässig und begründet.



I.



Die sofortige Beschwerde des Klägers ist zulässig. Es handelt sich um das gemäß §§ 127 Abs. 2 Satz 2, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsmittel. Der Kläger hat die einmonatige Notfrist des § 127 Abs. 2 Satz 3 ZPO gewahrt.



Die fehlende Begründung der Beschwerde steht der Zulässigkeit nicht entgegen. Zwar soll gemäß § 571 Abs. 1 ZPO die Beschwerde begründet werden. Eine unterlassene Begründung führt jedoch nicht per se zur Unzulässigkeit der sofortigen Beschwerde wie sich aus § 572 Abs. 2 ZPO ergibt. Die dort geregelte Verwerfung der Beschwerde als unzulässig umfasst nicht eine unterlassene Beschwerdebegründung.



II.



Die sofortige Beschwerde des Klägers ist auch begründet. Gemäß § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf ihren Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Nach § 114 Abs. 1 Satz 2 ZPO gelten für die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe innerhalb der europäischen Union ergänzend die §§ 1076 bis 1078.



Die Bewilligungsvoraussetzungen sind hinsichtlich der von dem Kläger angestrengten Rechtsverfolgung gegeben.



1.



Der Kläger kann nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen.



Für die Beurteilung, ob eine Partei ratenmäßig am Einkommen oder Beträge aus ihrem Vermögen zur Begleichung der Prozesskostenhilfe einzusetzen hat, sind die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Beschlussfassung im Beschwerdeverfahren maßgeblich (BGH 05.05.2010, VII ZB 6510 Rn. 28, juris). Unter Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers in der Beschwerde ergibt sich kein anrechenbares Einkommen des Klägers.



1.1.



Im vorliegenden Fall liegt ein arbeitsgerichtlicher Rechtsstreit mit grenzüberschreitendem Bezug i. S. v. Art. 2 Abs. 1 RL 2003/8/EG vor. Der anwaltlich vertretene Kläger hat seinen Wohnsitz in Polen. Er hat bei dem Arbeitsgericht Magdeburg Kündigungsschutzklage erhoben und hierfür Antrag auf Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Rechtsanwaltes gestellt.



1.2.



§ 1078 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist im Wege der zulässigen und gebotenen richtlinienkonformen Auslegung auszulegen (Art. 3, 7, 8, 12 und 13 der Richtlinie 2003/8/EG vom 27.01.2003 zur Verbesserung des Zugangs zum Recht bei Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug mit Festlegung gemeinsamer Mindestvorschriften für die Prozesskostenhilfe in derartigen Streitsachen). Eine Prozesspartei, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedsstaat der europäischen Union hat, kann einen Antrag auf grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe nicht nur bei der zuständigen Übermittlungsbehörde des Mitgliedsstaates des Wohnsitzes, sondern auch unmittelbar bei der Empfangsbehörde des Mitgliedsstaates des Gerichtsstandes - hier: dem mit der Sache befassten deutschen Prozessgericht - stellen. § 1078 Abs. 1 Satz 2 ZPO ist richtlinienkonform dahin auszulegen, dass die um Prozesskostenhilfe nachsuchende Partei auch im Fall einer Antragstellung unmittelbar bei dem Prozessgericht nicht verpflichtet ist, dem Gericht auf eigene Kosten Übersetzungen der von ihr eingereichten fremdsprachlichen Prozesskostenhilfeunterlagen vorzulegen (BGH 03.07.2018 VIII ZR 229/17, juris: mit ausführlicher Begründung).



1.3.



Im Prozesskostenhilfeverfahren gilt das Gebot der Rücksichtnahme in besonderem Maße. Da diese Verfahren den grundgesetzlich gebotenen Rechtsschutz nicht selbst bietet, sondern erst zugänglich macht, dürfen die Anforderungen - sowohl an den Vortrag der Beteiligten als auch bei der Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse - nicht überspannt werden (OLG Bamberg 17.07.2020 - 5 W 40/20, juris, Rn. 8).



Gemessen hieran steht fest, dass - jedenfalls im Zeitpunkt der Beschlussfassung des Beschwerdegerichts - der Kläger nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Prozesskostenführung nicht aufbringen kann. Der Kläger verfügt über kein einzusetzendes Einkommen und Vermögen i. S. d. § 115 ZPO. Dies ergibt sich aus den im Beschwerdeverfahren nachgereichten Unterlagen. Aus dem Schriftsatz des Klägervertreters vom 14.12.2022 ergibt sich zudem, dass der Kläger einer zweijährigen Tochter zum Unterhalt verpflichtet ist.



2.



Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet auch hinreichende Aussicht auf Erfolg und erscheint nicht mutwillig i. S. d. § 114 Abs.1 und Abs. 2 ZPO. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat im Zeitpunkt des Zuganges der Kündigung länger als sechs Monate bestanden und bei der Beklagten sind regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt. Der erste Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes ist nach dem Vortrag des Klägers demnach eröffnet. Die Beklagte hätte im weiteren Verfahren die soziale Rechtfertigung des Ausspruches der Kündigung darlegen und beweisen müssen.



C.



Da die sofortige Beschwerde Erfolg hatte, bedurfte es keiner Kostenentscheidung.



D.



Gegen diese Entscheidung findet ein weiteres Rechtsmittel nicht statt. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß §§ 78 Satz 2, 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor.

Vorschriften§§ 127 Abs. 2 Satz 2, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, § 127 Abs. 2 Satz 3 ZPO, § 571 Abs. 1 ZPO, § 572 Abs. 2 ZPO, § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO, § 114 Abs. 1 Satz 2 ZPO, Art. 2 Abs. 1 RL 2003/8/EG, § 1078 Abs. 1 Satz 1 ZPO, Art. 3, 7, 8, 12, 13 der Richtlinie 2003/8/EG, § 1078 Abs. 1 Satz 2 ZPO, § 115 ZPO, § 114 Abs.1, Abs. 2 ZPO, §§ 78 Satz 2, 72 Abs. 2 ArbGG