Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww

Zurück

Beschluss vom 08.12.2022 · IWW-Abrufnummer 234464

Landesarbeitsgericht Köln - Aktenzeichen 8 TaBVGa 6/22

Einzelfallentscheidung zum fehlenden Verfügungsgrund bei einem Antrag auf Unterlassung der Zahlung nicht mitbestimmter Zulagen


Tenor:

Die Beschwerde des Gesamtbetriebsrats gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Köln vom 28.10.2022 - 7 BVGa 9/22 - wird zurückgewiesen.



Gründe



I.



Die Beteiligten streiten im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens über Unterlassungsansprüche des Gesamtbetriebsrats wegen behaupteter Verletzungen von Mitbestimmungsrechten gem. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG.



Die nicht tarifgebundenen Beteiligte zu 2. ist ein (Tochter-) Unternehmen der J G , eines britischen Konzerns, der weltweit Sportbekleidung und -schuhe vertreibt. Sie hat ihren Sitz in K und beschäftigt in D ca. 1.000 Arbeitnehmer in ca. 60 Filialen. Der Antragsteller ist der bei der Beteiligten zu 2. gebildete Gesamtbetriebsrats.



Seit dem 05.09.2022 verhandelten die Beteiligten im Zusammenhang mit der Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns über die Erhöhung der Entgelte der Beschäftigten und eine neue Entgeltstruktur. Mit E-Mail vom 12.09.2022 teilte die Beteiligte zu 2. dem Antragsteller mit, dass für die Erhöhung der Personalkosten ein fixes Budget in Höhe von 3,3 Mio. Euro zur Verfügung stehe. Mit E-Mail vom 13.10.2022 erklärte die Beteiligte zu 2. die Verhandlungen für gescheitert und kündigte an, die Einberufung einer Einigungsstelle in die Wege zu leiten.



Mit dem Gehaltslauf für den Monat Oktober 2022 zahlte die Beteiligte zu 2. am 24.10.2022 an alle bei ihr als "Area Sales Manager" beschäftigten Personen eine Gehaltserhöhung in Höhe von 500,00 Euro sowie an alle als "Supervisor" beschäftigten Personen eine "Zulage" in Höhe vom 100,00 Euro zusätzlich zu dem bislang gewährten Entgelt aus.



Mit seiner Antragsschrift vom 24.10.2022 sowie der Antragserweiterung vom 28.10.2022 hat der Antragsteller die Unterlassung der Vornahme von Gehaltsänderungen begehrt. Er hat die Auffassung vertreten, im Unternehmen bestehe eine einheitliche Entgeltstruktur; das einseitige Erhöhen der Gehälter zur Modifizierung der Entgeltstruktur stelle eine Verletzung des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG dar. Die Beteiligte zu 2. sei auch nicht durch die Erhöhung des Mindestlohns zum 01.10.2022 verpflichtet gewesen, die Vergütung zur Wahrung etwaiger prozentualer Abstände allgemein anzuheben. Mit den bereits vorgenommenen Gehaltserhöhungen, die nicht mehr rückgängig zu machen seien, habe die Beteiligte zu 2. bereits Fakten geschaffen und Einfluss auf die zu erwartenden Entgeltveränderungen der anderen Hierarchieebenen genommen und die zwischen den Beteiligten laufenden Verhandlungen über die Gehaltsstrukturen konterkariert.



Der Antragsteller hat beantragt,



Hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem Antrag zu 1.



Die Beteiligte zu 2. hat beantragt,



Sie war der Ansicht, ein Mitbestimmungsrecht des Gesamtbetriebsrats bestehe nicht, da es um Fragen der Entgelthöhe gehe. Entlohnungsgrundsätze hätten im Unternehmen bislang nicht bestanden, vielmehr bezögen die Beschäftigten unterschiedliche und einzeln ausgehandelte Vergütungen. Hinsichtlich der "Area Sales Manager" scheide ein Mitbestimmungsrecht auch deshalb aus, weil es sich bei diesen um leitende Angestellte handele.



Mit Beschluss vom 28.10.2022 hat das Arbeitsgericht Köln die Anträge zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, soweit der Betriebsrat mit seinen Anträgen zu 1. und zu 3. die Unterlassung sämtlicher Entgeltveränderungen bei den "Area Sales Managern" und "Supervisors" begehre, handele es sich um zu weit gefasste Globalanträge, da diese auch Fälle erfassten, in denen kein Mitbestimmungsrecht bestünde. Soweit dennoch ein Verstoß gegen das Mitbestimmungsrecht des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG in Betracht komme, fehle es jedenfalls an dem erforderlichen Verfügungsgrund i.S.d. § 85 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 940 ZPO. Es sei nicht ersichtlich, dass für die vom Mitbestimmungsrecht geschützten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch die möglicherweise mitbestimmungswidrige Gewährung von Zulagen unwiederbringliche Nachteil entstünden. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats werde auch nicht dadurch eingeschränkt, dass durch die bereits erfolgten Zahlungen ggf. Mehrkosten entstünden, da der Grundsatz der mitbestimmungsfreien Entscheidung über den Dotierungsrahmen insoweit durchbrochen werde. Soweit der Antragsteller sich darauf berufe, durch die Zahlungen an bestimmte Arbeitnehmergruppen werde die Verhandlungsposition des Gesamtbetriebsrats verschlechtert, sei dieses Argument obsolet geworden, da die Zahlungen bereits erfolgt seien und eine mögliche Beeinflussung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bzw. der Betriebsöffentlichkeit bereits eingetreten und nicht mehr rückgängig zu machen sei.



Gegen den dem Antragsteller am 08.11.2022 zugestellten Beschluss hat dieser am 04.11.2022 Beschwerde eingelegt, die er am 17.11.2022 begründet hat.



Der Antragsteller macht geltend, das Arbeitsgericht sei unzutreffend von der Existenz einer (mitbestimmten) Gehalts- und Verteilungsstruktur ausgegangen, die tatsächlich nicht gegeben sei. Selbst wenn es aber eine solche gegeben habe sollte, habe die Beteiligte zu 2. diese durch die streitgegenständlichen Zahlungen nicht aufrechterhalten, da sie nur auf zwei Ebenen Zulagen gewährt habe. Hierdurch würden die Arbeitnehmer benachteiligt, die die Zulagen nicht erhalten hätten, wodurch auch der Betriebsfrieden gestört werde. Zudem stelle es einen erheblichen Eingriff in die Mitbestimmungsrechte dar, dass die Beteiligte zu 2. später keine Rückforderungen der ausbezahlten Zulagen vornehmen könne und aus diesem Grunde einige Kollegen gegebenenfalls dauerhaft mehr erhielten als vergleichbare Arbeitnehmer; dieses sei auch durch eine spätere Einigung nicht mehr zu beseitigen. Schließlich habe das Arbeitsgericht zu Unrecht angenommen, dem Erlass der Unterlassungsverfügung stehe entgegen, dass die Zahlungen bereits erfolgt seien. Denn zu berücksichtigen sei, dass es sich um dauerhafte monatlich Zahlungen handele.



Der Antragsteller beantragt,



Hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit den Hauptanträgen:



Die Beteiligte zu 2. beantragt,



Sie verteidigt den angegriffenen Beschluss ist weiter der Auffassung, es handele sich um unbegründete Globalanträge. Zudem fehle es an dem erforderlichen Verfügungsgrund. Der Antragsteller habe keine durch die behaupteten Verstöße gegen § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG verursachten unwiederbringlichen Nachteile für die Arbeitnehmer dargelegt und glaubhaft gemacht. Insbesondere sei nicht ersichtlich, warum die angeblich bestehende Ungerechtigkeit im Falle einer späteren Einigung nicht mehr beseitigt werden könnten. Das Mitbestimmungsrecht werde auch nicht durch eine mögliche Überschreitung des Dotierungsrahmens durch entstehende Mehrkosten beschränkt, da der Grundsatz der mitbestimmungsfreien Entscheidung über den Dotierungsrahmen insoweit durchbrochen werde.



Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.



II.



1. Die Beschwerde ist zulässig, weil sie statthaft (§ 87 Abs. 1 ArbGG), sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 87 Abs. 2, 89 Abs. 1 und 2, 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 Abs. 1 und 3 ZPO).



2. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Das Arbeitsgericht hat den Antrag des Beteiligten zu 1. zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen. Der Antrag ist auch hinsichtlich der im Rahmen des Beschwerdeverfahrens neu formulierten Hilfsanträge unbegründet. Es fehlt sowohl für die Haupt-, als auch die Hilfsanträge jedenfalls an dem gem. den §§ 935, 940 ZPO, die gem. § 85 Abs. 2 ArbGG auch im Beschlussverfahren Anwendung finden, erforderlichen Verfügungsgrund.



a) Bei der Feststellung, ob eine einstweilige Verfügung zur Abwendung wesentlicher Nachteile (§ 940 ZPO) nötig erscheint, hat eine Interessenabwägung stattzufinden.



Es kommt insoweit darauf an, ob die glaubhaft gemachten Gesamtumstände es in Abwägung der beiderseitigen Belange zur Abwendung wesentlicher Nachteile erforderlich erscheinen lassen, eine sofortige Regelung zu treffen (LAG Hamm, Urteil vom 19.04.1984 - LAGE GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 14 = NZA 1984, 130; LAG Hamm, Urteil vom 17.03.1987 - LAGE GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 31 = DB 1987, 846; LAG Hamm, Beschluss vom 06.02.2001 - AiB 2001, 488; Korinth, Einstweiliger Rechtsschutz im Arbeitsgerichtsverfahren, 2000, Anh. zu §§ 935, 940 ZPO, Rz. 361 m.w.N.). Dabei ist das Gewicht des drohenden Verstoßes und die Bedeutung der umstrittenen Maßnahme einerseits für den Arbeitgeber und andererseits für die Belegschaft angemessen zu berücksichtigen (BAG, Beschluss vom 03.05.1994 - AP BetrVG 1972 § 23 Nr. 23 - unter B. III. 3. der Gründe). Für die Feststellung eines Verfügungsgrundes kommt es daher nicht darauf an, ob dem Betriebsrat die Ausübung seiner Beteiligungsrechte ganz oder jedenfalls für die Vergangenheit unmöglich gemacht wird, sondern darauf, ob für die Zeit bis zum Inkrafttreten einer mitbestimmten Regelung der damit bezweckte notwendige Schutz der Arbeitnehmer unwiederbringlich vereitelt wird. (Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen), Beschluss vom 4. Mai 2005 - 10 TaBV 54/05 - , Rn. 82, juris).



b) Dass für die von Mitbestimmungsrecht geschützten Arbeitnehmenden bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache oder dem Inkrafttreten einer mitbestimmten Regelung - zu deren Herbeiführung die Einigungsstelle nach übereinstimmenden Angaben der Beteiligten bereits am 14.12. und 15.12.2022 zusammentritt - unwiederbringliche Nachteile entstehen, wenn die Beteiligte zu 2) die beanstandeten Zulagen an die "Area Sales Manager" und die "Supervisors" zahlt, ist nicht feststellbar.



aa) Insbesondere ist nicht ersichtlich, inwieweit finanzielle Unstimmigkeiten nach Inkrafttreten einer mitbestimmten Regelung nicht durch Rückzahlungen der erbrachten Leistungen bzw. Nachzahlungen an die bislang nicht begünstigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bereinigt werden könnten (so auch: Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen), Beschluss vom 6. September 2013 - 13 TaBVGa 8/13 -, juris).



bb) Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats wäre auch dann nicht eingeschränkt, wenn bereits gezahlte Zulagen nicht mehr zurückgefordert werden könnten und hierdurch Mehrkosten entstünden. Vielmehr besteht das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG (weiterhin) hinsichtlich des vollständigen Volumens bzw. Dotierungsrahmens. Betriebsrat und Arbeitgeber können die Angelegenheit genauso regeln, wie wenn der Arbeitgeber noch keine Auszahlungen vorgenommen hätte. Es ist das Versäumnis der Arbeitgeberin, nicht rechtzeitig für eine erforderliche Beteiligung des Betriebsrats gesorgt zu haben. Daher muss sie sich mitbestimmungsrechtlich so behandeln lassen, als hätte sie den Arbeitnehmern noch nichts verbindlich zugesagt und erst recht nicht ausgezahlt. Gegebenenfalls muss sie - entsprechend der dann erfolgten Einigung mit dem Betriebsrat - noch bestimmte Beträge nachzahlen (BAG v. 14.06.1994 - 1 ABR 63/93 - juris; Landesarbeitsgericht Nürnberg, Beschluss vom 21. Juni 2021 - 1 TaBV 11/21 -, Rn. 66, juris; Fitting/Schmidt/Trebinger/Lindenmaier/Schelz, 31. Auflage 2022, BetrVG § 87 Rn. 460).



cc) Schließlich ist nicht ersichtlich, dass durch die nicht mitbestimmte Zahlung von Zulagen an die Area Sales Manager und die Supervisors der Betriebsfrieden in einer Weise gestört ist, dass der Erlass der begehrten Unterlassungsverfügung erforderlich wäre, um wesentliche Nachteils abzuwenden. Auch der Antragsteller selbst hat insoweit keine konkreten Tatsachen dargelegt, die die pauschal behauptete Störung des Betriebsfriedens sowie die Annahme der für den Erlass der einstweiligen Verfügung erforderlichen Dringlichkeit begründen könnten.

Vorschriften§ 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG, § 85 Abs. 2 ArbGG, § 940 ZPO, § 87 Abs. 1 ArbGG, §§ 87 Abs. 2, 89 Abs. 1, 2, 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 Abs. 1, 3 ZPO, §§ 935, 940 ZPO