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Beschluss vom 21.11.2022 · IWW-Abrufnummer 234510

Hessisches Landesarbeitsgericht - Aktenzeichen 16 TaBV 37/22

1. Die Kammer hat bereits entschieden, dass eine generelle Anordnung der Briefwahl bei der Wahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat unzulässig ist (vgl. hierzu: Hess. LAG 31. Juli 2017 - 16 TaBV 32/17 - Rn. 59).

2. Die hier eröffnete "zusätzliche" Möglichkeit der schriftlichen Stimmabgabe hat in § 49 Absatz 2 der Dritten WahlO zum MitbG keine Grundlage. Der Haupt- und Betriebswahlvorstand haben allen Wahlberechtigten diese Möglichkeit als frei wählbare Option neben der persönlichen Stimmabgabe eingeräumt. § 49 Abs. 2 WahlO ermöglicht dies jedoch nur in Bezug auf Wahlberechtigte, von denen dem Betriebswahlvorstand bekannt ist, dass sie im Zeitpunkt der Wahl nach der Eigenart ihres Beschäftigungsverhältnisses voraussichtlich nicht im Betrieb anwesend sein werden (insbesondere im Außendienst, mit Telearbeit und in Heimarbeit Beschäftigte). Dies war hier gerade nicht in Bezug auf sämtliche Wahlberechtigte der Fall.


Tenor:

Die Beschwerden der Beteiligten zu 5, 7 bis 20 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 15. Februar 2022 ‒ 4 BV 152/21 ‒ werden zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.



Gründe



I.



Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit der Wahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat.



Im Unternehmen der Beteiligten zu 17 (Arbeitgeber) ist ein Aufsichtsrat (Beteiligter zu 18) gebildet, der nach Maßgabe des Mitbestimmungsgesetzes und der 3. Wahlordnung zum Mitbestimmungsgesetz zu wählen ist. Die Antragsteller zu 1, 3 und 4 sind wahlberechtigte Arbeitnehmer. Die Beteiligten zu 5, 7-16 wurden bei der Wahl der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat der Beteiligten zu 17 vom 3. bis 10. Mai 2021, deren Ergebnis am 12. Mai 2021 bekannt gegeben und am 21. Mai 2021 im Bundesanzeiger veröffentlicht wurde, gewählt. Wegen des Wahlergebnisses wird auf Bl. 7, 7R der Akte Bezug genommen. Die Beteiligten zu 19 und 20 sind im Unternehmen vertretene Gewerkschaften.



Der Hauptwahlvorstand fasste in seiner Sitzung vom 23. Februar 2021 unter dem Tagesordnungspunkt 3 (Bl. 156, 157 der Akte) folgenden Beschluss:



„Es wird vom 3. bis 10. Mai eine Präsenzwahl angeboten (Wahllokale im BG3, 451, 420, eventuell Kantine). Zusätzlich werden jedem Mitarbeiter die Unterlagen für die Briefwahl nach Hause geschickt.



Falls man per Briefwahl gewählt hat, kann man dennoch seine Stimme noch persönlich abgeben, da die in Präsenz abgegebene Stimme dann zählen würde.



Über den Ablauf der Wahl (Kombination aus Präsenz- und Briefwahl) wurde ein Informationsschreiben verfasst, welches den Briefwahlunterlagen beigelegt wird.



Diese Durchführung der Wahl wurde einstimmig beschlossen.“



Der Betriebswahlvorstand A (Boden) der Beteiligten zu 17 fasste in seiner Sitzung vom 24. März 2021 einstimmig den Beschluss, dem Beschluss des Hauptwahlvorstands zuzustimmen und zusätzlich zur Präsenzwahl die Möglichkeit der Briefwahl anzubieten. Hierüber wurden sämtliche wahlberechtigten Arbeitnehmer im Betrieb A nochmals separat schriftlich unterrichtet. Sämtlichen wahlberechtigten Arbeitnehmern der Beteiligten zu 17 im Betrieb A als auch in den mitbetreuten LCAG-Stationen und in der B wurde mit den Briefwahlunterlagen ein ergänzendes Schreiben „Aufsichtsratswahl 2021 der C“ übersandt, wegen dessen Inhalt im Einzelnen auf Bl. 158 der Akte verwiesen wird. Dort heißt es unter anderem:



„In der momentanen Zeit ist zu berücksichtigen, dass sehr viele von Euch aufgrund von Home-Office, Kurzarbeit, etc. nur sehr unregelmäßig bzw. gar nicht am eigentlichen Büroarbeitsplatz tätig sind. Daher haben wir eine Vorgehensweise gesucht, die all das berücksichtigt und möglichst vielen Mitarbeitern die Möglichkeit zur Wahl gibt.



Wir werden in A wie gewohnt eine normale Präsenzwahl über den Zeitraum von 8 Tagen in verschiedenen Wahllokalen durchführen, an der jeder, der vor Ort ist bzw. seine Stimme persönlich abgeben möchte, teilnehmen kann. Zusätzlich haben wir uns dazu entschieden, die Möglichkeit der Briefwahl anzubieten. Jedem Kollegen, der aufgrund von absehbarer Abwesenheit oder Bedenken aufgrund der Pandemielage nicht persönlich vor Ort wählen möchte, bieten wir hiermit die Möglichkeit der Briefwahl an.



Wer in A sich für die Urnenwahl entscheidet, findet die Öffnungszeiten der jeweiligen Wahllokale in den entsprechenden Aushängen bzw. in den Veröffentlichungen in eBase. Wir werden selbstverständlich alles versuchen, um die Präsenzwahl unter strikter Einhaltung der gültigen Hygieneregeln durchzuführen. Hier benötigen wir Eure Unterstützung und bitten Euch daher beim Besuch der Wahllokale die notwendigen persönlichen Schutzmaßnahmen zu treffen bzw. die gültigen Hygienevorschriften einzuhalten.“



Im Wahlausschreiben (Bl. 4, 4R der Akte) heißt es:



„9. Die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer findet vom 3.5. bis 10.5.2021 gemäß den ausgehängten bzw. veröffentlichten Öffnungszeiten der Wahllokale am Standort A statt.



Die öffentliche Stimmenauszählung findet direkt im Anschluss an die Wahl am 10.5.2021 ab 14:00 Uhr im C Center (…) statt.



10. Für die nachfolgenden Betriebsteile und Abteilungen hat der Betriebswahlvorstand A zusätzlich die schriftliche Stimmabgabe beschlossen:



LCAG A



Wahlberechtigte dieser Betriebsteile und Abteilungen erhalten die Unterlagen für die schriftliche Stimmabgabe zusätzlich ohne besonderen Antrag zugestellt.



Die Wahlbriefe müssen bis zum 10. Mai 2021, 10:00 Uhr beim Betriebswahlvorstand eingegangen sein.“



Bei der streitgegenständlichen Wahl haben insgesamt 85 % der Belegschaft in Briefwahl gewählt.



Mit einem am 26. Mai 2021 beim Arbeitsgericht eingegangenen Anwaltsschriftsatz haben die Antragsteller zu 1, 3 und 4 die Nichtigkeit, hilfsweise Unwirksamkeit der am 12. Mai 2021 abgeschlossenen Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer geltend gemacht.



Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Beteiligten und der gestellten Anträge wird auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts im Beschluss vom 15. Februar 2022 unter I. (Bl. 217-227 der Akte) verwiesen.



Das Arbeitsgericht hat die am 12. Mai 2021 abgeschlossene Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer, nachdem die Antragsteller ihren Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit der Wahl zurückgenommen haben, für unwirksam erklärt. Wegen der Begründung wird auf die Ausführungen im Beschluss unter II. (Bl. 227-236 der Akte) Bezug genommen.



Dieser Beschluss wurde den Beteiligten am 2. März 2022 zugestellt.



Die Beschwerde der Beteiligten zu 7, 10 und 20 ist am 28. März 2022 beim Landesarbeitsgericht eingegangen, die der Beteiligten zu 5, 6, 8, 9, 11 und 12 ebenfalls am 28. März 2022, die der Beteiligten zu 13-16 und 19 am 30. März 2022 und die der Beteiligten zu 17 und 18 am 1. April 2022. Die Beschwerdebegründungsfrist wurde für sämtliche Beschwerdeführer bis 2. Juni 2022 verlängert. Die Beschwerdebegründung der Beteiligten zu 5, 8, 9, 11 und 12 ist am 31. Mai 2022 eingegangen, die der Beteiligten zu 13-16 und 19 am 1. Juni 2022 und die der Beteiligten zu 17 und 18 sowie der Beteiligten zu 7, 10 und 20 am 2. Juni 2022.



Die Beteiligten zu 5, 8, 9, 11 und 12 rügen, das Arbeitsgericht habe zu Unrecht einen Anfechtungsgrund angenommen, da die Briefwahl -jedenfalls teilweise- ohne Rechtfertigung von Amts wegen ermöglicht worden sei. Eine Verletzung von § 49 Abs. 2 der 3. Wahlordnung zum Mitbestimmungsgesetz liege nicht vor. Das Arbeitsgericht verkenne, dass keine generelle Anordnung einer ausschließlichen Briefwahl erfolgte, sondern dass die Möglichkeit einer Briefwahl nur zusätzlich neben der Präsenzwahl wegen der damaligen Pandemielage beschlossen wurde. Die vom Arbeitsgericht zitierte Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 27. Januar 1993 -7 ABR 37/92- sei nicht einschlägig, da dort eine Aufsichtsratswahl ausschließlich als Briefwahl durchgeführt wurde. Die Auswirkungen und die Gefahr des Missbrauchs seien bei der Anordnung einer ausschließlichen Briefwahl anders zu bewerten als im vorliegenden Fall, wenn die Briefwahl zusätzlich zur Präsenzwahl als freiwilliges Angebot ermöglicht werde. Die zusätzliche Möglichkeit der Briefwahl habe weder die Präsenzwahl tangiert, noch die Wahlberechtigten davon abgehalten, ihre Stimme vor Ort abzugeben. Entgegen dem Arbeitsgericht mache es sehr wohl ein Unterschied, ob die Briefwahl nur alternativ zur Urnenwahl oder ausschließlich angeordnet werde. Nach dem Sinn und Zweck meine § 49 der 3. Wahlordnung zum Mitbestimmungsgesetz die Durchführung einer ausschließlichen Briefwahl. Zudem verkenne das Arbeitsgericht, dass die zusätzliche Möglichkeit der Briefwahl dem Zweck gedient habe, eine möglichst hohe Wahlbeteiligung zu erreichen. Das Arbeitsgericht berücksichtige nicht hinreichend, dass im vergangenen Jahr die turnusmäßige Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer abgebrochen werden musste und die fehlenden Mitglieder bis zu einer Neuwahl als Ersatzmitglieder gerichtlich bestellt werden mussten. Ebenso berücksichtige das Arbeitsgericht nicht die im Frühjahr 2021 bestehende gravierende Infektionslage und den weiteren Umstand, dass ein erheblicher Anteil der Arbeitnehmer aufgrund von Home-Office oder Kurzarbeit nur sehr unregelmäßig oder gar nicht im Betrieb anwesend war. Auch die Auffassung des Arbeitsgerichts, die Richtlinienkompetenz des Wahlvorstands dürfe nicht dazu führen, dass außerhalb der Tatbestandsvoraussetzungen des § 49 der 3. Wahlordnung zum Mitbestimmungsgesetz gänzlich neue Anwendungsbereiche (der Briefwahl) geschaffen werden, treffe nicht zu. In seinem Beschluss vom 20. Februar 1991 -7 ABR 95/89- habe das Bundesarbeitsgericht ausgeführt, das Tatbestandsmerkmal „voraussichtlich nicht im Betrieb anwesend“ ermögliche eine gewisse Spannbreite ihrer Anwendung und eine restriktive Auslegung könne bei vielen Arbeitnehmern zum Verlust des Wahlrechts überhaupt führen. Zu berücksichtigen sei, dass hier Präsenzwahl und Briefwahl nebeneinander möglich waren. Das Arbeitsgericht führe auch nicht aus, welche Manipulationen bei der Briefwahl zu befürchten waren. Auch bei Einhaltung der Wahlvorschriften wäre kein anderes Wahlergebnis erzielt worden. Allein die Tatsache, dass seitens des Wahlvorstands insgesamt 31 Briefwahlstimmen im Vergleich zu insgesamt 14 ungültigen Stimmen im Rahmen der Präsenzwahl nicht berücksichtigt werden konnten, lasse nicht den Umkehrschluss zu. Die Wahlberechtigten seien jedenfalls umfassend darüber informiert worden, wie sie ihre Stimmen im Rahmen der Briefwahl ordnungsgemäß abgeben konnten. Auch aus dem Umstand, dass zwischen Stimmabgabe im Rahmen der Briefwahl und dem eigentlichen Wahltag unter Umständen mehrere Tage liegen können, könne nicht gefolgert werden, dass einige Arbeitnehmer anders gewählt hätten, wenn sie persönlich ihre Stimme abgegeben hätten.



Die Beteiligten zu 13-16 und 19 verweisen gleichfalls darauf, dass die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 27. Januar 1993 -7 ABR 37/92- wegen der pandemiebedingten Situation nicht einschlägig sei. Eine Überschreitung der Richtlinienkompetenz seitens des Wahlvorstands liege nicht vor. Fehlerhaft sei auch die Annahme des Arbeitsgerichts, der Verstoß sei geeignet, das Wahlergebnis zu beeinflussen.



Die Beteiligten zu 17 und 18 rügen, soweit in § 49 der 3. Wahlordnung zum Mitbestimmungsgesetz von einer Briefwahl die Rede sei, sei damit die ausschließliche Briefwahl gemeint. Eine generelle Anordnung der Briefwahl sei hier jedoch durch den Betriebswahlvorstand nicht erfolgt. Vielmehr sei diese nur zusätzlich -neben der Präsenzwahl- als freiwilliges Angebot für die Wähler ermöglicht worden. Das Arbeitsgericht berücksichtige nicht hinreichend, dass die hier vorgenommene zusätzliche Zulassung der Briefwahl dem Zweck gedient habe, eine möglichst hohe Wahlbeteiligung zu erreichen. Im Übrigen trage das Arbeitsgericht der Richtlinienkompetenz des Haupt- und Betriebswahlvorstands A nicht hinreichend Rechnung. Dieser habe die Abwesenheitsquote der vorwiegend administrativ tätigen Arbeitnehmer als sehr hoch eingeschätzt. Diese Prognose habe sich als zutreffend erwiesen, da 85 % der Bodenbelegschaft per Briefwahl gewählt haben. Vor diesem Hintergrund habe eine zusätzliche Möglichkeit der Briefwahl geschaffen werden dürfen. Hierdurch sei auch niemand davon abgehalten worden, persönlich seine Stimme im Wahllokal abzugeben. Im Übrigen bestehe die Gefahr einer Wahlmanipulation sowohl bei der Briefwahl als auch der Präsenzwahl. Die rechtlichen Rahmenbedingungen der schriftlichen Stimmabgabe bedürften immer wieder der Auslegung und Präzisierung durch die Rechtsprechung. Schließlich liege eine Beeinflussung des Wahlergebnisses durch den behaupteten Verstoß gegen § 49 Abs. 2 der 3. Wahlordnung zum Mitbestimmungsgesetz nicht vor. Für die Annahme, dass einige Arbeitnehmer anders gewählt hätten, wenn sie statt der schriftlichen Stimmabgabe persönlich im Wahllokal gewählt hätten, gebe es keine Grundlage. Das Risiko der zeitlich versetzten Wahlen sei nicht auf den vorliegenden Sachverhalt zu übertragen. Dies deshalb, weil die Möglichkeit bestanden habe, die Stimme in Präsenz abzugeben. Niemand sei davon abgehalten worden, seine Stimme vor Ort abzugeben.



Die Beteiligten zu 7, 10 und 20 rügen, in vielen Abteilungen der Beteiligten zu 17 sei den Mitarbeitern während der Pandemie ermöglicht worden, im Home-Office zu arbeiten. Davon sei auch in erheblichem Umfang Gebrauch gemacht worden. Insbesondere in Bereichen wie der Buchung, dem Vertrieb, Marketing und Personalplanung seien ganze Abteilungen und Gebäudebereiche nicht im Betrieb präsent gewesen. Wegen der dynamischen Entwicklung während der Pandemie sei für den Haupt- und Betriebswahlvorstand nicht absehbar gewesen, welche Mitarbeiter während der Wahl im Betrieb sein würden und welche nicht. Das Arbeitsgericht habe nicht hinreichend berücksichtigt, dass es einen erheblichen Unterschied mache, ob die Wahlberechtigten ausschließlich per Briefwahl abstimmen können oder ob daneben auch die Möglichkeit der Urnenwahl besteht. Das Arbeitsgericht führe auch nicht näher aus, welche Manipulationen bei der Briefwahl zu befürchten seien. Im Fall einer persönlichen Stimmabgabe trotz vorheriger Briefwahl müsse der Wahlvorstand die Briefwahlunterlagen ungeöffnet zu den Wahlunterlagen nehmen und die persönliche Stimmenabgabe in der Wählerliste verzeichnen. Es sei zwar nachvollziehbar, dass im Fall einer ausschließlich durch Briefwahl erfolgten Wahl Manipulationsgefahren nicht gänzlich ausgeschlossen werden können. Dies sei jedoch nicht der Fall, wenn für den wahlberechtigten Arbeitnehmer daneben die Möglichkeit, an der Urnenwahl persönlich teilzunehmen, bestehe. Das Arbeitsgericht habe fehlerhaft angenommen, die Entscheidung des Betriebswahlvorstands sei von seinem Ermessen nicht gedeckt gewesen. Das Bundesarbeitsgericht habe für die Betriebsratswahl entschieden, dass dem Wahlvorstand durch das Tatbestandsmerkmal „voraussichtlich“ eine gewisse Spannbreite bei der Anwendung der Norm eröffnet sei. Die Möglichkeit der zusätzlichen schriftlichen Stimmabgabe habe der Erleichterung der Abstimmungsbeteiligung für die Arbeitnehmer gedient, die verhindert waren ihre Stimme persönlich abzugeben. Zu berücksichtigen sei, dass der Wahlvorstand mit einem erheblichen zeitlichen Vorlauf tätig werden musste. Seine Einschätzung sei dadurch erschwert gewesen, dass aufgrund von Kurzarbeit und Home-Office -und damit aufgrund der Eigenart ihres Beschäftigungsverhältnisses und eben nicht aus persönlichen Gründen- immer ein Teil der Mitarbeiter jeweils nicht im Betrieb anwesend war und für den Wahlvorstand zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Durchführung der Briefwahl nicht erkennbar war, welche Mitarbeiter dies konkret im Wahlzeitraum sein würden. Auch wenn „voraussichtlich“ eine erhebliche Anzahl an Beschäftigten im Wahlzeitraum im Betrieb anwesend sein würde, sei für den Betriebswahlvorstand ebenso wie für die Mitarbeiter nicht absehbar gewesen, welche Mitarbeiter dies konkret sein würden. Vor diesem Hintergrund sei es nicht zu beanstanden, wenn der Betriebswahlvorstand allen Mitarbeitern Briefwahlunterlagen zugesandt habe. Nur so habe die Möglichkeit einer Teilnahme an der Wahl überhaupt gesichert werden können. Hierbei sei zu beachten, dass Wahlberechtigte, die im Wahlzeitraum kurzfristig in Kurzarbeit geschickt oder sich im Home-Office befunden hätten, gegebenenfalls nicht mehr rechtzeitig Briefwahlunterlagen hätten beantragen können. Auch hätten sich im Hinblick auf die Vielzahl der Betroffenen für den Wahlvorstand erhebliche organisatorische Herausforderungen gestellt. Die Entscheidung des Betriebswahlvorstands sei von § 49 Abs. 2 der 3. Wahlordnung zum Mitbestimmungsgesetz gedeckt gewesen, da in Bezug auf jeden wahlberechtigten Arbeitnehmer in seinem Zuständigkeitsbereich die ernsthaft in Betracht zu ziehende Möglichkeit bestanden habe, dass er zum Zeitpunkt der Abstimmung nicht im Betrieb anwesend sein werde. Vor diesem Hintergrund komme es nicht darauf an, ob die Entscheidung des Betriebswahlvorstands geeignet war, das Wahlergebnis zu beeinflussen. Im Übrigen sei die Begründung des Arbeitsgerichts, die Stimmen der insgesamt 31 nicht zugelassenen Briefwahlunterlagen wären im Rahmen einer persönlichen Stimmabgabe gültig gewesen, spekulativ. Entsprechendes gelte für die Annahme, es sei nicht auszuschließen, dass einige Arbeitnehmer anders gewählt hätten, wenn sie ihre Stimme persönlich abgegeben hätten.



Die Beteiligten zu 5, 7-20 beantragen,



Die Beteiligten zu 1, 3 und 4 beantragen,



Die Antragsteller zu 1, 3 und 4 verteidigen die Entscheidung des Arbeitsgerichts als zutreffend. Vorliegend sei die Briefwahl eigenmächtig entgegen dem Gesetzeswortlaut von § 49 Abs. 3 der Dritten Wahlordnung zum Mitbestimmungsgesetz ermöglicht worden, indem jeder nach Wunsch und Gutdünken Briefwahl durchführen konnte. Der Wähler könne selbst entscheiden, ob ihm das Risiko, den Betrieb wegen Corona zu betreten zu hoch ist oder nicht und er gegebenenfalls Briefwahlunterlagen anfordere. In keiner der Beschwerdebegründungen werde überzeugend dargetan, aus welchem Grund eine zusätzliche Alternative neben dem Urnengang vom Gesetzeswortlaut oder Gesetzeszweck umfasst sein solle. Die Briefwahl sei ein Ausnahmefall, der nur in dem Gesetz genannten Fällen möglich sei. Auch die Corona-Pandemie berechtige insoweit nicht zu Abweichungen. Der Wahlvorstand hätte für die Wähler, die ausschließlich im Home-Office tätig waren, Briefwahl anordnen können. Die außergesetzliche Schaffung einer zusätzlichen Briefwahloption sei auch geeignet das Wahlergebnis zu beeinflussen. Es lasse sich nicht konkret feststellen, dass auch ohne die gesetzwidrige zusätzliche Schaffung der Briefwahlmöglichkeit kein anderes Wahlergebnis erzielt worden wäre. Da zwischen der Stimmabgabe per Briefwahl und der persönlichen Stimmabgabe mehrere Tage liegen können, sei nicht auszuschließen, dass einige Arbeitnehmer die von der Briefwahloption Gebrauch machten, bei persönlicher Stimmabgabe anders gewählt hätten.



Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Anhörungsprotokolle Bezug genommen.



II.



1. Die Beschwerde statthaft, § 87 Abs. 1 ArbGG, und zulässig, da sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet wurde, § 87 Abs. 2 S. 1, § 66 Abs. 1 S. 1, § 89 Abs. 1 und 2 ArbGG, § 594 ZPO.



2. Die Beschwerde ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat die Wahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat zu Recht gemäß § 22 Absatz 2 Mitbestimmungsgesetz für unwirksam erklärt. Es hat zutreffend erkannt, dass die Antragsteller zu 1, 3 und 4 anfechtungsberechtigt gemäß § 22 Abs. 2 Nr. 1 Mitbestimmungsgesetz sind und die Anfechtungsfrist des § 22 Abs. 2 S. 2 MitbestG gewahrt ist. Dagegen erheben die Beschwerdeführer auch keine Einwendungen.



Das Arbeitsgericht hat auch zutreffend erkannt, dass die vom Haupt- und Betriebswahlvorstand den Wählern eröffnete (zusätzliche) Möglichkeit der schriftlichen Stimmabgabe gegen § 49 der Dritten Wahlordnung zum Mitbestimmungsgesetz verstößt.



§ 49 der Dritten Wahlordnung zum Mitbestimmungsgesetz enthält eine abschließende Aufzählung der Voraussetzungen, unter denen eine schriftliche Stimmabgabe möglich ist. Hierbei regelt Abs. 1 der Norm die schriftliche Stimmabgabe auf Verlangen eines Wahlberechtigten, der im Zeitpunkt der Wahl wegen Abwesenheit im Betrieb verhindert ist. Hierfür bedarf es eines Antrags („Verlangen“) des betreffenden Wahlberechtigten. Demgegenüber sieht Abs. 2 vor, dass Wahlberechtigte, von denen dem Betriebswahlvorstand bekannt ist, dass sie im Zeitpunkt der Wahl nach der Eigenart ihres Beschäftigungsverhältnisses voraussichtlich nicht im Betrieb anwesend sein werden (insbesondere im Außendienst, mit Telearbeit und in Heimarbeit Beschäftigte), die in Abs. 1 bezeichneten Unterlagen erhalten ohne dass es eines Verlangens der Wahlberechtigten bedarf. Schließlich kann der Betriebswahlvorstand nach Abs. 3 die schriftliche Stimmabgabe für Betriebsteile und Kleinstbetriebe beschließen, die räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt sind sowie für Betriebe, in denen die Mehrheit der Wahlberechtigten zur schriftlichen Stimmabgabe nach Abs. 2 berechtigt ist und in denen die verbleibende Minderheit nicht mehr als insgesamt 25 Wahlberechtigte ausmacht.



Hierbei handelt es sich um eine abschließende Aufzählung der Möglichkeiten der schriftlichen Stimmabgabe.



Dies ergibt sich zunächst aus dem Wortlaut der Norm. Nach § 49 Abs. 1 der Dritten Wahlordnung zum Mitbestimmungsgesetz hat der Betriebswahlvorstand einem Wahlberechtigten, der im Zeitpunkt der Wahl wegen Abwesenheit vom Betrieb verhindert ist, seine Stimme persönlich abzugeben, auf sein Verlangen die Wahlunterlagen auszuhändigen oder zu übersenden. Aus dem Wortlaut „auf sein Verlangen“ folgt, dass es sich hierbei um einen Einzelfall, der seine Grundlage in der Sphäre des Wahlberechtigten hat, handeln muss. § 49 Abs. 2 sieht sodann für bestimmte Arbeitnehmergruppen (Außendienst, Telearbeit, Heimarbeit) die von Abs. 1 abweichende Zusendung von Briefwahlunterlagen auch ohne ein Verlangen des Wahlberechtigten vor. Schließlich kann der Betriebswahlvorstand nach § 49 Abs. 3 unter den dort genannten Voraussetzungen die schriftliche Stimmabgabe beschließen. Die Fassung der Regelungstatbestände in unterschiedlichen Absätzen ohne die Öffnung des Regelungsbereichs für weitere Anwendungsfälle durch die Verwendung einer entsprechenden Formulierung (beispielsweise, insbesondere) macht deutlich, dass es sich insoweit um eine abschließende Regelung handelt.



Hierfür spricht auch die Systematik der Norm. Wie sich bereits aus § 49 Abs. 1 ergibt, ist der Regelfall der Stimmabgabe die persönliche Stimmabgabe im Wahllokal, während nur im Falle der Verhinderung des Wahlberechtigten hieran eine schriftliche Stimmabgabe vorgesehen ist.



Der Sinn und Zweck der Briefwahl besteht darin, Wahlberechtigten, die am Wahltag betriebsabwesend sind, die Teilnahme an der Wahl zu ermöglichen. Nur soweit dies zu erwarten ist, ist eine schriftliche Stimmabgabe vorgesehen. Dies dient der Einhaltung des Wahlgeheimnisses, das nur zur Erreichung des Ziels, eine möglichst umfassende Wahlbeteiligung zu erreichen, Einschränkungen unterworfen werden darf (vergleiche dazu: BVerfG 24. November 1981 -2 BvC 1/81- BVerfGE 59, 119, 125f zur Verfassungsmäßigkeit der Briefwahl bei der Bundestagswahl). Daraus folgt, dass die Voraussetzungen der schriftlichen Stimmabgabe vom Wahlvorstand jeweils zu prüfen sind und die Anordnung der schriftlichen Stimmabgabe keine frei wählbare Option gegenüber der Urnenwahl ist.



Dementsprechend hat die Kammer bereits entschieden, dass eine generelle Anordnung der Briefwahl bei der Wahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat unzulässig ist (vergleiche hierzu: Hessisches Landesarbeitsgericht 31. Juli 2017 -16 TaBV 32/17- Rn. 59).



Die hier eröffnete „zusätzliche“ Möglichkeit der schriftlichen Stimmabgabe hat in § 49 der Dritten Wahlordnung zum Mitbestimmungsgesetz keine Grundlage. Der Haupt- und Betriebswahlvorstand haben allen Wahlberechtigten diese Möglichkeit als frei wählbare Option neben der persönlichen Stimmabgabe am Wahltag eingeräumt. § 49 Abs. 2 WahlO ermöglicht dies jedoch nur in Bezug auf Wahlberechtigte, von denen dem Betriebswahlvorstand bekannt ist, dass sie im Zeitpunkt der Wahl nach der Eigenart ihres Beschäftigungsverhältnisses voraussichtlich nicht im Betrieb anwesend sein werden (insbesondere im Außendienst, mit Telearbeit und in Heimarbeit Beschäftigte). Dies war hier gerade nicht in Bezug auf sämtliche Wahlberechtigte der Fall. Vielmehr wusste der Betriebswahlvorstand lediglich nicht, welche der Wahlberechtigten am Wahltag sich in Kurzarbeit oder im Home-Office befinden werden. Anlass davon auszugehen, dass dies auf alle Wahlberechtigten zutrifft, hatte der Betriebswahlvorstand nicht. Lediglich in diesem Fall wäre die Übersendung der Briefwahlunterlagen an alle Wahlberechtigten möglich gewesen (vergleiche hierzu in Bezug auf die Betriebsratswahl: Klose, NZA 2021, 1301, 1303). Vielmehr hatte der Wahlvorstand davon auszugehen, dass ein erheblicher Teil der Belegschaft weiterhin im Betrieb anwesend war, was auch darin zum Ausdruck kam, dass 15 % der Wähler ihre Stimme persönlich abgegeben haben.



Soweit das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 20. Februar 1991 -7 ABR 85/89- dem Wahlvorstand bei der Anwendung von § 19 Abs. 2 (entspricht inhaltlich § 49 Abs. 2) der Dritten Wahlordnung zum Mitbestimmungsgesetz hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals „voraussichtlich“ eine gewisse Spannbreite ihre Anwendung eingeräumt hat, bezieht sich diese auf die Einschätzung, welche Arbeitnehmer am Wahltag voraussichtlich nicht im Betrieb anwesend sein werden. Daraus folgt jedoch nicht, dass der Wahlvorstand, weil er weiß, dass sich viele Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Wahl in Kurzarbeit oder im Home-Office befinden werden, ihm jedoch unbekannt ist, welche dies konkret sein werden, für alle Wahlberechtigten die zusätzliche Möglichkeit der schriftlichen Stimmabgabe neben der Urnenwahl vorsehen darf.



Insoweit hätte ein Hinweis an die Wahlberechtigten auf die Möglichkeit der schriftlichen Stimmabgabe nach § 49 Abs. 1 der Dritten Wahlordnung zum Mitbestimmungsgesetz ausgereicht. Die Wahlberechtigten, die nach eigener Einschätzung davon ausgingen, im Zeitraum der Wahl in Kurzarbeit zu sein oder vom Home-Office aus zu arbeiten, hätten dann beim Wahlvorstand Briefwahl beantragen können. Den Beschwerdeführern ist einzuräumen, dass im Hinblick auf die Vielzahl der hiervon betroffenen Wahlberechtigten dies zu einem ganz erheblichen Arbeitsaufwand für den Wahlvorstand geführt hätte, der als Gremium über jeden einzelnen Antrag auf schriftliche Stimmabgabe zu entscheiden hat. Geht man etwa von 2000 Anträgen auf Briefwahl aus, was nicht unrealistisch erscheint, hätte dies im Falle einer Befassung des Wahlvorstands mit jedem Antrag bei einer Bearbeitungszeit von etwa 15 Minuten insgesamt 500 Stunden Sitzungszeit für den Wahlvorstand und damit mehr als 10 Wochen Arbeitszeit in Anspruch genommen. Berücksichtigt man sodann, dass nicht alle am Wahltag voraussichtlich an der persönlichen Stimmabgabe verhinderten Wahlberechtigten sogleich nach der Bekanntmachung des Wahlausschreibens Briefwahl beantragen, hätte dies, je näher der Wahlzeitraum gekommen wäre, möglicherweise zu einem für den Wahlvorstand nicht mehr zu bewältigenden Rückstau von zu bescheidenden Briefwahlanträgen geführt. Auch wenn vor diesem Hintergrund die Vorgehensweise des Wahlvorstands nachvollziehbar erscheinen mag, steht sie doch mit der Wahlordnung nicht in Einklang. Diese sieht einen Vorrang der Präsenzwahl und die Möglichkeit der schriftlichen Stimmabgabe nur in den in § 49 Wahlordnung aufgeführten Fällen vor, die hier nicht gegeben sind. Es wäre Sache des Normgebers (gewesen), im Hinblick auf die Durchführung von Wahlen während der Corona-Pandemie gegebenenfalls weitere Regelungen zur schriftlichen Stimmabgabe vorzusehen. Dies ist nicht erfolgt.



Es bestand auch die Möglichkeit der Beeinflussung des Wahlergebnisses. Nach § 22 Abs. 1 MitbestG berechtigen Verstöße gegen wesentliche Wahlvorschriften nur dann nicht zur Anfechtung der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer, wenn durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte. Dies ist der Fall, wenn bei einer hypothetischen Betrachtungsweise eine Wahl ohne den Verstoß unter Berücksichtigung der konkreten Umstände zwingend zu demselben Wahlergebnis geführt hätte (zur Betriebsratswahl: Bundesarbeitsgericht 13. Oktober 2004 ‒ 7 ABR 5/04 ‒ Rn. 19). Dies kann hier nicht angenommen werden. Da zwischen der Stimmabgabe per Briefwahl und der Urnenwahl mehrere Tage liegen können, ist nicht auszuschließen, dass einige der Briefwähler bei persönlicher Stimmabgabe anders gewählt hätten. Im Übrigen hätte -wie der hohe Anteil der Briefwähler (85 %) zeigt- ohne die (zusätzliche) Möglichkeit der schriftlichen Stimmabgabe die Wahlbeteiligung geringer gewesen sein können, was ein anderes Wahlergebnis zur Folge haben konnte. Ausreichend ist insofern die bloße Möglichkeit eines anderen Wahlergebnisses. Dies verkennen die Beschwerdeführer.



III.



Gründe, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, liegen nicht vor, §§ 92 Abs. 1, 72 ArbGG.

Vorschriften§ 49 Abs. 3 der Dritten Wahlordnung zum Mitbestimmungsgesetz, § 87 Abs. 1 ArbGG, § 87 Abs. 2 S. 1, § 66 Abs. 1 S. 1, § 89 Abs. 1, 2 ArbGG, § 594 ZPO, § 22 Absatz 2 Mitbestimmungsgesetz, § 22 Abs. 2 Nr. 1 Mitbestimmungsgesetz, § 22 Abs. 2 S. 2 MitbestG, § 49 der Dritten Wahlordnung zum Mitbestimmungsgesetz, § 49 Abs. 1 der Dritten Wahlordnung zum Mitbestimmungsgesetz, § 22 Abs. 1 MitbestG, §§ 92 Abs. 1, 72 ArbGG