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Urteil vom 31.03.2022 · IWW-Abrufnummer 234657

Landesarbeitsgericht Köln - Aktenzeichen 6 Sa 665/21

Einzelfall zur Verdachtskündigung bei fehlerhafter Dokumentation der Arbeitszeit durch die Arbeitnehmerin.


Tenor:
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Siegburg vom 25.08.2021 - 4 Ca 2139/20 - wird zurückgewiesen.


2. Die Kosten der Berufung hat die Klägerin zu tragen.


3. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand



Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung, die die Beklagte mit der Begründung ausgesprochen hatte, die Klägerin stehe zumindest in dringendem Verdacht, sie habe im Zeiterfassungssystem vorsätzlich falsche Zeiten eingetragen.



Die Klägerin ist 38 Jahre alt. Sie war seit dem 09.08.2006 bei der Beklagten als Sachbearbeiterin in der Finanzbuchhaltung beschäftigt. Zuletzt erhielt sie monatlich ein Bruttoentgelt in Höhe von 3.682,00 EUR. Im Betrieb der Beklagten sind regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt.



Bevor es zu der hier streitigen Kündigung kam, hatte die Beklagte schon mit zwei Kündigungserklärungen vom 20.08.2019 und vom 28.05.2020 versucht, das Arbeitsverhältnis zu beenden. Beide Kündigungen waren von der Beklagten mit dem Vortrag begründet worden, die Klägerin habe sich beharrlich geweigert, rechtzeitig zur Arbeit zu erscheinen. Beide Kündigungen wurden vom Arbeitsgericht Siegburg für unwirksam erachtet. Seit dem 20.08.2019 hat die Klägerin im Betrieb der Beklagten keine Tätigkeit mehr entfaltet.



Im Unternehmen der Beklagten erfolgt die Zeiterfassung durch Stempelkarten. Gleichzeitig ist den Beschäftigten die Möglichkeit eröffnet, die Arbeitszeit durch ein elektronisches Zeiterfassungssystem zu dokumentieren. Mit Schreiben vom 28.08.2019 (Bl. 41) erteilte die Beklagte der Klägerin eine Abmahnung mit dem Vorwurf, die Klägerin habe am 05.08.2019 und am 06.08.2019 keine Zeiterfassung vorgenommen. Daraufhin teilte die Klägerin ihrem Vorgesetzten die Zeit ihres Kommens für die beiden Tage für eine manuelle Nachtragung mit, nämlich für den 05.08.2019 mit 9:15 Uhr und für den 06.08.2019 mit 9:18 Uhr.



Für den 19.08.2019 trug die Klägerin selbst die Zeit ihres Kommens manuell mit 9:15 Uhr ein. An diesem Morgen war die Klägerin von einer privaten Reise vom Flughafen gekommen. Das Taxiunternehmen, mit dem sie vom Flughafen zum Arbeitsplatz gefahren war, ist das Taxiunternehmen, mit dem die Beklagte einen Rahmenvertrag abgeschlossen hatte. Irrtümlich sandte das Taxiunternehmen die Rechnung an die Beklagte. Tatsächlich hat die Klägerin die Taxifahrt aber selbst bezahlt. Aus der Taxirechnung ergab sich allerdings für die Beklagte eine Ankunftszeit, die mit der nachgetragenen Arbeits-Anfangszeit nicht in Einklang zu bringen war. Nach dieser Rechnung ist die Klägerin nämlich mit dem Taxi an ihrer Arbeitsstelle in W um 9:35 Uhr eingetroffen - also gerade nicht um 9:15 Uhr. Eine vom besagten Taxiunternehmen der Beklagte zur Verfügung gestellte Parkquittung (Anlage B 20, Bl. 151 d.A.) weist für den 19.08.2019 den Zeitpunkt 8:13 Uhr als Parkzeitende am Flughafen D aus.



Nachdem die Beklagte zuvor beim Arbeitsgericht mit ihrem Versuch gescheitert war, die in den Jahren 2019 und 2020 ausgesprochenen Kündigungen mit dem Vortrag zu begründen, die Klägerin komme regelmäßig zu spät zur Arbeit, stützt sie nun die hier streitgegenständliche Kündigung nicht auf das Zuspätkommen sondern auf ihre Annahme (oder zumindest den dringenden Verdacht), die Klägerin habe - unter Umgehung der üblichen Art der Zeiterfassung über die Zeiterfassungsterminals - an den drei Tagen im August des Vorjahres, nämlich am 05.08.2019, am 06.08.2019 und am 19.08.2019 über die manuelle Eintragung der Zeit ihres Kommens ihre Arbeitszeit in betrügerischer Absicht zu ihren Gunsten unzutreffend eingetragen bzw. eintragen lassen.



Mit Schreiben vom 05.10.2020 (Bl. 47) hörte die Beklagte die Klägerin zum Vorwurf an, diese habe im vergangenen Jahr an den Tagen 05.08.2019, 06.08.2019 und 19.08.2019 manuell falsche Kommen-Zeiten eingetragen oder zur manuellen Eintragung angegeben und sie sei tatsächlich später im Betrieb erschienen. In diesem Anhörungsschreiben wies die Beklagte die Klägerin darauf hin, dass das Taxiunternehmen mitgeteilt habe, die Klägerin sei erst um 9:35 Uhr am Betriebsstandort eigetroffen. Über diese Mitteilung des Taxiunternehmens hinaus sei feststellbar gewesen, dass sie um 9:42 Uhr den PC hochgefahren habe. Sie möge daher erläutern, wie die Eintragung der Kommen-Zeit um 9:15 Uhr zu erklären sei. Nach einer antragsgemäßen Fristverlängerung erklärte die Klägerin auf diese Anhörung, die von ihr gemachten Zeitangaben seien richtig; die vom Taxiunternehmen für den 19.08.2019 angegebenen Zeiten seien falsch. Sie habe die Zeit manuell eingeben müssen, weil sie an jenem Tag wie schon oft technische Probleme beim Einstempeln gehabt habe. Den PC habe sie erst später hochgefahren, weil sie zuvor noch andere Dinge zu tun gehabt habe. Die Vorwürfe zu den Zeiterfassungen am 05.08.2019 und 06.08.2019 seien gleichfalls unzutreffend.



Mit Schreiben vom 26.10.2020 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung an. Der Betriebsrat widersprach der Kündigung insbesondere mit Blick auf die Tatsache, dass hier Daten aus dem PC-System zur Begründung der Kündigung herangezogen worden seien, nämlich konkret die systemseitig erfasste Zeit, zu der die Klägerin sich angemeldet habe.



Die Beklagte kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 30.10.2020 fristlos und hilfsweise ordentlich.



Hiergegen hat die Klägerin beim Arbeitsgericht Siegburg am 06.11.2020 Klage erhoben.



Zur Begründung ihrer Klage hat die Klägerin vorgetragen, sie habe ordnungsgemäß die Zeiten ihres Kommens und ihres Gehens erfasst. Sie sei sich sicher, dass die vom Taxiunternehmen für den 19.08.2020 mitgeteilten Zeiten falsch gewesen seien. Als sie den hier streitgegenständlichen Vorwürfen ausgesetzt gewesen sei, sei sie mit ihrem Lebensgefährten zu diesem Taxiunternehmen gefahren. Dort habe ihnen der Inhaber des Taxiunternehmens, der Zeuge I mitgeteilt, dass die Ankunftszeiten von einzelnen Taxifahrten nicht richtig erfasst würden und dass es sich bei der Ankunftszeit "9:35 Uhr" auch um die Ankunftszeit in der Taxizentrale handeln könne. Das alles habe ihr damaliger Lebensgefährte, der Zeuge T , mitbekommen. Ihrer Auffassung nach komme eine fristlose Kündigung schon mangels Einhaltung der 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 nicht in Betracht. Die hier thematisierten Vorwürfe seien doch schon Gegenstand der Vorverfahren gewesen. Noch am 17.12.2020, also lange nach Zugang der fristlosen Kündigung, sei ihr durch die Zeugen O , H und K angeboten worden, eine Stelle in der Mittelserie (Montage) zu bekommen. Schon deshalb könne die Beklagte nicht behaupten, die weitere Beschäftigung sei ihr unzumutbar.



Die Klägerin hat beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die außerordentliche Kündigung vom 30.10.2020 beendet worden ist;2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern auf unbestimmte Zeit fortbesteht;3. Im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1 und/oder dem Antrag zu 2 die Beklagte zu verurteilen, sie bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Sachbearbeiterin Finanzbuchhaltung weiter zu beschäftigen.



Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.



Zur Verteidigung gegen die Klage hat die Beklagte vorgetragen, die Kündigung sei durch ihren dringenden Verdacht gerechtfertigt, die Klägerin habe durch die Angabe falscher Kommen- und Gehen-Zeiten in betrügerischer Absicht ihre Arbeitgeberin zu schädigen versucht. An den Tagen 05.08.2019 und 06.08.2019 sei die Klägerin zusammen mit ihrem Lebensgefährten, der ebenfalls im Betrieb arbeite, vor Ort erschienen. An beiden Tagen, seien die aufgezeichneten Ankunftszeiten des Lebensgefährten aber deutlich später gewesen als die von der Klägerin für sich selbst nachgetragenen Zeiten.



Im Oktober 2020 sei ihr nun durch Zufall aufgefallen, dass der Lebensgefährte der Klägerin damals deutlich später gestempelt habe. Im Rahmen der dann folgenden weiteren Recherche sei dann aufgefallen, dass die am 19.08.2019 von der Klägerin angegebene Arbeitszeit nicht mit den Angaben des Taxiunternehmens entsprochen habe. Der Verdacht werde auch durch die Tatsache gestützt, dass - im Rahmen des vorangegangenen Streits über die Pünktlichkeit der Klägerin - der Vorgesetzte der Klägerin mit ihr vereinbart habe, dass ihre Arbeitszeit spätestens 9:15 Uhr beginnen müsse und dass die Klägerin am 19.08.2019 exakt diese Zeit eingetragen habe.



Mit Urteil vom 25.08.2021 hat das Arbeitsgericht Siegburg nach Durchführung einer Beweisaufnahme die Klage mit der Begründung abgewiesen, das Arbeitsverhältnis sei durch die fristlose Kündigung der Beklagten beendet worden. Nach Durchführung der besagten Beweisaufnahme stehe fest, dass die Klägerin versucht habe, die Beklagte in betrügerischer Absicht zu schädigen. Die Beklagte sei damit zurecht von einem entsprechenden dringenden Tatverdacht ausgegangen.



Gegen dieses ihr am 05.10.2021 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 22.10.2021 Berufung eingelegt und sie hat diese nach entsprechender Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 02.01.2022 am 22.12.2021 begründet.



Zur Begründung ihrer Berufung trägt die Klägerin vor, es sei eine mehrfache Verletzung ihres Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, insbesondere ein Verstoß gegen das Bundesdatenschutzgesetz zu beklagen. Die Beweisaufnahme habe nie durchgeführt werden dürfen. Im Übrigen bleibe es bei der Rüge, die fristlose Kündigung wahre nicht die materielle Kündigungserklärungsfrist aus § 626 Abs. 2 BGB.



Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Siegburg vom 25.08.20221- 4 Ca 2139/20 - abzuändern und festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 30.10.2020 nicht aufgelöst worden ist.



Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.



Sie verteidigt das Urteil erster Instanz und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag.



Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen. Bezug genommen wird insbesondere auf das Protokoll der Beweisaufnahme vom 25.08.2021 (Bl. 206 d.A.).



Entscheidungsgründe



Die zulässige Berufung ist nicht begründet.



I. Die Berufung der Klägerin ist zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).



II. Das Rechtsmittel bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen. Die fristlose Kündigung der Beklagten hat das zwischen den Parteien ehemals bestehende Arbeitsverhältnis mit Zugang des Kündigungsschreibens beendet, denn es lag ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB vor und die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB wurde eingehalten. Die streitgegenständliche fristlose Kündigung war auch insgesamt verhältnismäßig, insbesondere war eine weitere Abmahnung nicht erforderlich und kam als milderes Mittel nicht in Betracht. Der Betriebsrat ist ordnungsgemäß angehört worden.



Insgesamt wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf die Entscheidungsgründe des mit der Berufung angegriffenen Urteils des Arbeitsgerichts Bezug genommen. Die folgenden Ausführungen erfolgen nur zur Vertiefung und soweit der Vortrag der Klägerin in der Berufungsbegründung hierfür Anlass bietet.



1. Die Beklagte hatte einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB, das Arbeitsverhältnis fristlos zu beenden. Es bestand nämlich zumindest der dringende Tatverdacht einer schweren Vertragspflichtverletzung. Die mit der Berufung geltend gemachten Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbote helfen der Klägerin nicht weiter.



a. Es liegen Tatsachen vor, die die Annahme eines dringenden Tatverdachtes rechtfertigen. Zum Prüfungsmaßstab wird auf die Entscheidungsgründe des angegriffenen arbeitsgerichtlichen Urteils Bezug genommen. Diese Tatsachen sind unstreitig oder durch die vom Arbeitsgericht durchgeführte Beweisaufnahme bewiesen.



Unstreitig ist die Tatsache, dass das Taxi, mit dem die Klägerin am 19.08.2019 vom Flughafen D zur Betriebsstätte der Beklagten in W gefahren ist, das Parkhaus im Flughafen D erst um 8:13 Uhr verlassen hat. Das ergibt sich aus der als Anlage B20 vorgelegten Parkquittung (Bl. 151 d.A.). Es gibt keinerlei Anlass an der Richtigkeit der dort protokollierten Daten zu zweifeln. Von der Klägerin nicht ausdrücklich bestritten ist weiter die Tatsache, dass die tatsächliche Abfahrt vom Flughafen D erst 4 Minuten später erfolgte, also um 8:17 Uhr. Unstreitig ist weiter, dass der ADAC-Routenplaner (Anlage B 22, Bl. 153 d.A.) die Strecke mit einer Stunde und 16 Minuten berechnet (Google-Maps berechnet die über die B506 geführte Strecke mit einer Stunde und 5 Minuten). Selbst wenn die Tatsache außer Acht gelassen wird, dass zu dieser Zeit Berufsverkehr herrschte, war es der Klägerin nicht möglich, schon um 9:15 Uhr im Betrieb zu sein.



Daraus ergibt sich der dringende Verdacht, dass die Klägerin mit der Eintragung der Uhrzeit "9:15 Uhr" die Unwahrheit gesagt hat. Die erkennende Kammer geht mit dem Arbeitsgericht sogar davon aus, dass nicht nur der Verdacht besteht, sondern dass die Klägerin tatsächlich gelogen hat. Sie hat die Beklagte getäuscht, auf dass diese sich irre, über ihr Vermögen verfüge und sich dadurch schädige. Die unstreitigen Tatsachen sprechen somit für die Annahme, dass die Klägerin damit den Betrugstatbestand nach § 263 StGB erfüllt hat. Die Annahme, die Klägerin habe die Unwahrheit gesagt, vertieft sich durch eine weitere Lüge: Im Schriftsatz vom 01.03.2021 (Seite 6 Bl. 88 d.A.) hat die Klägerin ausdrücklich vorgetragen, der Zeuge T habe ein Gespräch zwischen ihr und dem Zeugen I mitgehört; dieser Zeuge habe erklärt, die GPS-Daten würden gar nicht gespeichert. Dieser möglicherweise entscheidungserhebliche Vortrag (immerhin führte er zur arbeitsgerichtlichen Beweisaufnahme) war gelogen. Die Klägerin hat nicht mit dem Zeugen I über diese Frage gesprochen; der Zeuge I hat sich nicht wie behauptet geäußert und der Zeuge T konnte bei diesem nicht stattgefundenen Gespräch nicht dabei gewesen sein. Dies alles ergibt sich aus der vom Arbeitsgericht durchgeführten Beweisaufnahme, die zu wiederholen kein Anlass ersichtlich ist. Hinzukommen grobe Widersprüchlichkeiten zwischen dem Vortrag in den zuvor geführten Kündigungsschutzverfahren und den hier zu lesenden Darlegungen: Während es im Kündigungsschutzverfahren 4 Ca 1970/19 noch der damalige Lebensgefährte der Klägerin, der ausdrücklich als Beweisantritt benannte Zeuge Ö , gewesen sein soll, der sie am 06.08.2019 zur Arbeit gebracht habe (vgl. Anlage b14, S. 6, Bl 120 d.A.), bei dem sie übernachtet habe und sie aus diesem Grund die Stempelkarte nicht dabei gehabt habe, soll es nun der Vater gewesen sein, von dem sie chauffiert worden sei (Bl. 85 d.A.).



Es ist besonders diese Nachhaltigkeit der Lüge, die Widersprüchlichkeit ihres Vortrages und die Uneinsichtigkeit der Klägerin, die die Geringfügigkeit der streitigen Zeitfehlerfassung (möglicherweise nur 20 Minuten) in den Hintergrund treten lassen und nachvollziehbar den bei der Beklagten eingetretenen Vertrauensverlust besonders vertiefen. Das Arbeitsverhältnis war nicht unbelastet. Gerade die Themen Arbeitszeit und Pünktlichkeit waren zwischen den Parteien bereits Gegenstand von Auseinandersetzungen - auch schon in der Zeit vor dem 19.08.2019. So hatte sich die Beklagte aufgrund von 17 Vorkommnissen veranlasst gesehen, eine Vereinbarung vom 23.05.2019 zu verschriftlichen (Anlage B1, Bl. 40), der zufolge der Beginn der Arbeitszeit ausdrücklich auf 9:15 Uhr festgesetzt wurde, wenn auch die Klägerin den konkreten Inhalt dieser "Vereinbarung" bestreitet.



Schon die sich so zeigende nachhaltige Verletzung des Vertrauens stellt im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB und der hierzu ergangenen Rechtsprechung einen wichtigen Grund "an sich" dar. Es kann daher unkommentiert bleiben, auf welche Art der Prozessbevollmächtigte der Klägerin den Zeugen I mit Schreiben vom 23.12.2021 (Anlage A/BB 1, Bl. 301 d.A.) unter Druck zu setzen versuchte. Auch die von der Klägerin wortreich aufgeworfene Frage, ob die Verwendung der Trackingdaten des Taxiunternehmens im Rahmen der Beweisaufnahme vor dem Arbeitsgericht zulässig war, kann offen bleiben. Nur kursorisch soll mit Blick auf ihre Rüge, es seien Verstöße gegen "das Datenschutzgesetz das Grundgesetz und die DSGVO" zu beklagen, darauf hingewiesen werden, dass sich eine Rechtswidrigkeit der Datenerhebung und/oder eine Rechtswidrigkeit deren Berücksichtigung im Rahmen der Beweisaufnahme nicht aufdrängt: Die Verbindung der erhobenen GPS-Daten des Taxiunternehmens mit den persönlichen Daten der Klägerin sind durch sie selbst erfolgt, indem sie zur Erstellung einer Rechnung (an die Beklagte !) ihre persönlichen Daten angegeben hatte. Nur so fand ihr Name seinen Weg auf die Rechnung des Taxiunternehmens (Anlage B 18, Bl. 134 d.A.). Nach Lektüre des Art 6 Abs. 1 lit. a) und f) DSGVO scheint die Annahme eines Verstoßes gegen den Datenschutz im konkreten hier zu entscheidenden Fall fragwürdig.



b. Auf Grund des dargestellten wichtigen Grundes "an sich" in Gestalt des (zumindest) dringenden Tatverdachts einer schweren Vertragspflichtverletzung war es nach dem Maßstab des § 626 Abs. 1 BGB unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile der Beklagten nicht zumutbar, das Arbeitsverhältnis auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist fortzusetzen. Wie bereits dargestellt geht es hier nicht um den ggfls. nur geringfügigen Wert einer Fehleintragung; es geht um das Fehlen der Ehrlichkeit der Klägerin. Dieser Mangel an Ehrlichkeit kommt nicht nur durch die Falscheintragung der Arbeitszeit zum Ausdruck, sondern auch durch die Lüge in Ihrer Stellungnahme auf die Anhörung durch die Beklagte.



2. Die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB wurde eingehalten. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Kündigung mehr als ein Jahr nach den fraglichen Geschehnissen ausgesprochen worden ist. Grundsätzlich trägt die Arbeitgeberin die Darlegungs- und Beweislast für die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist bedingen sollen. Es findet aber auch hier der aus § 138 ZPO folgende Grundsatz der abgestuften Darlegungs- und Beweislast Anwendung. Danach gilt gemäß § 138 Abs. 2 ZPO die Zweiwochenfrist als unstreitig gewahrt. Zwischen der letzten Aufklärungshandlung, nämlich dem Eingang der Stellungnahme der Klägerin auf die Anhörung am 19.10.2019 und dem Zugang der Kündigung am 30.10.2019 liegen weniger als zwei Wochen. Bis dahin hat die Beklagte die Aufklärung des Sachverhalts schnell genug betrieben. Nichts spricht dafür, dass die Beklagte schon vor dem Monat Oktober 2020 von der Abweichung der erfassten Arbeitszeiten von den Zeiten wusste, die sich aus der Taxirechnung ergeben. Es ist auch ohne weiteres plausibel, dass die Arbeitgeberin nach zweifachem Unterliegen mit den ersten beiden Kündigungen im September 2020, die sie noch auf den Vorwurf des Zuspätkommens gestützt hatte, angefangen hatte genauer hinzusehen und die Abrechnungen der Klägerin zu überprüfen. Von der Klägerin wurden keine Tatsachen vorgetragen, die an diesem Szenario Zweifel rechtfertigen könnten. Dass die Klägerin in der Zwischenzeit anderweitige Beschäftigungen angeboten bekommen haben soll, ist wegen der zu diesem Zeitpunkt noch nicht bestehenden Kenntnis vom Kündigungsgrund unerheblich.



3. Die streitgegenständliche fristlose Kündigung war auch insgesamt verhältnismäßig, insbesondere war eine Abmahnung nicht erforderlich und kam als milderes Mittel nicht in Betracht. Bei den hier streitigen Vorkommnissen am 19.08.2019 hatte noch keine Abmahnung vorgelegen. Auch die beiden später vom Arbeitsgericht als unwirksam erkannten Kündigungen waren noch nicht ausgesprochen. Die Themen Arbeitszeit und Pünktlichkeit waren aber unstreitig bereits Belastungen des zwischen den Parteien bestehenden Arbeitsverhältnisses, auch wenn die Klägerin den Inhalt der Gesprächsnotiz vom 23.05.2019 (Anlage B1, Bl. 40 d.A.) bestreitet. Jede Arbeitnehmerin weiß aber, dass sie den Bestand des Arbeitsverhältnisses aufs Spiel setzt, wenn sie verbotener Weise falsche Arbeitszeiten aufschreibt und sie sodann auf Nachfrage die Arbeitgeberin belügt. Eine Warnung war daher überflüssig.



4. Der Betriebsrat ist ordnungsgemäß angehört worden. Das hat bereits das Arbeitsgericht festgestellt. Die erstinstanzlich erhobene Rüge wurde von der Klägerin in der Rechtsmittelinstanz nicht wiederholt.



III. Nach allem bleibt es somit bei der klageabweisenden erstinstanzlichen Entscheidung. Als unterliegende Partei hat die Klägerin gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Berufung zu tragen. Gründe für eine Revisionszulassung sind nicht gegeben, da die Entscheidung auf den Umständen des vorliegenden Einzelfalls beruht.

Vorschriften§ 626 Abs. 2 BGB, § 64 Abs. 1, 2 ArbGG, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO, § 626 Abs. 1 BGB, § 69 Abs. 2 ArbGG, § 263 StGB, Art 6 Abs. 1 lit. a) und f) DSGVO, § 138 ZPO, § 138 Abs. 2 ZPO, § 97 Abs. 1 ZPO