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Beschluss vom 27.03.2022 · IWW-Abrufnummer 234677

Landesarbeitsgericht Hamm - Aktenzeichen 8 Ta 298/22

1. Berührt die in einen Prozessvergleich aufgenommene Ausgleichsklausel über die Verfahrensgegenstände hinausgehende Ansprüche auf den Ersatz eines gegenwärtigen oder künftigen Schadens, ist für die Festsetzung eines daraus resultierenden Vergleichsmehrwertes das zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses begründete wirtschaftliche Interesse der Parteien und damit der wirtschaftliche Wert der Vereinbarung maßgeblich.

2. Die Wertbestimmung erfolgt insoweit nach einem objektivierten Maßstab unter Berücksichtigung der die wirtschaftliche Bedeutung der Klausel bestimmenden Umstände des Einzelfalls, was die Annahme eines Vergleichsmehrwerts auch gänzlich ausschließen oder lediglich den Ansatz eines sogenannten Erinnerungswertes rechtfertigen kann.


Tenor:

Auf die Beschwerde des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 21. September 2022 wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Minden vom 9. September 2022 - 1 Ca 134/22 - teilweise abgeändert. Der Vergleichswert wird auf 3.842,83 EURO festgesetzt. Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet.



Gründe



Der Beschwerdeführer begehrt die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts für ein durch Prozessvergleich erledigtes Zahlungsverfahren.



I.



Die Klägerin war bei der Beklagten als Immobilienkauffrau gegen ein Monatsentgelt in Höhe von zuletzt 2.800,00 € brutto beschäftigt. Unter dem 5. November 2021 kündigte die Beklagte das bis zum 15. November 2021 befristete Arbeitsverhältnis außerordentlich mit sofortiger Wirkung. Im Kündigungsschreiben verwies die Beklagte darauf, dass infolge unsachgemäßer Bearbeitung durch die Klägerin Forderungen in Höhe von 7.525,11 € nicht an Mieter weitergegeben worden seien, was wegen zwischenzeitlich eingetretener Verjährung nun nicht mehr möglich wäre. Zudem habe die Klägerin durch ein Fehlverhalten bei Vertragsabschluss Mietmindereinnahmen in Höhe von 840,00 € verursacht. Wegen weiterer Schäden aus der nicht pflichtgemäßen Übergabe sonstiger Mietflächen dauerten die Ermittlungen noch an. Zudem drohten wegen der unterblieben Rückgabe eines Transponders zur Schließanlage Kosten in Höhe von 250,00 €.



Mit ihrer in der Folgezeit wiederholt modifizierten Zahlungsklage vom 15. Februar 2022 hat die Klägerin zunächst Urlaubsabgeltungsansprüche, später auch Zahlungsansprüche wegen Überstunden und aus ihrer Sicht unberechtigten Lohnabzügen verfolgt. Nach Erlass eines Versäumnis-Teilurteils gegen die Beklagte und teilweiser Rücknahme der Klage standen zuletzt allein noch Vergütungsansprüche wegen Überstunden in Höhe von 2.981,32 € im Raum. Insoweit wird auf den Schriftsatz des von der Klägerin zwischenzeitlich mandatierten Beschwerdeführers vom 11. Juli 2022 verwiesen.



Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 27. Juli 2022 bestritt die Beklagte die Ableistung vergütungspflichtiger Überstunden und verwies ergänzend auf die vertraglich vereinbarte zweistufige Ausschlussfrist.



Mit Beschluss vom 17. August 2022 stellte das Arbeitsgericht basierend auf einem ausführlich begründeten gerichtlichen Vorschlag gem. § 278 Abs. 6 ZPO das Zustandekommen und den Inhalt eines verfahrensbeendenden Vergleichs fest. Danach erhält die Klägerin, über den schon titulierten Betrag hinaus, weitere 500,00 € netto, was nach einer unter Ziffer 3 vereinbarten Ausgleichsklausel mit einer Erledigung aller wechselseitigen finanziellen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis "einschließlich möglicher Gegenansprüche der Beklagten" verbunden ist.



Mit weiterem Beschluss vom 9. September 2022 setzte das Arbeitsgericht - soweit vorliegend von Belang - den Vergleichswert auf 2.981,32 € fest. Mit seinem unter dem 21. September 2022 aus eigenem Recht aufgerufenen Behelf begehrt der Beschwerdeführer die Anhebung des Vergleichswerts um 13.615,11 €. Durch die im Vergleich integrierte Ausgleichsklausel wären die im Kündigungsschreiben der Beklagten angesprochenen Schadenspositionen und damit bezifferte und noch unbezifferte Forderungen gegen die Klägerin ausgeräumt worden, wobei deren Nennbeträge und hinsichtlich der damals noch in Ermittlung begriffenen weiteren Schadensersatzansprüche ein Auffangwert von 5.000,00 € anzusetzen seien.



Die Klägerin verweist demgegenüber darauf, dass sie den Beschwerdeführer allein für die Durchsetzung ihrer Vergütungsansprüche aus Überstunden mandatiert habe.



Wegen des Sach- und Streitstands im Übrigen und insbesondere wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten des Beschwerdeverfahrens wird auf den Inhalt der Prozessakte verwiesen.



II.



Die nach § 32 Abs. 2 S. 1 RVG i. V. m. §§ 68 Abs. 1, 63 Abs. 2 GKG statthafte, ausdrücklich aus eigenem Recht betriebene, rechtzeitig erhobene und im Übrigen zulässige Beschwerde des Prozessbevollmächtigten der Klägerin hat nur zu einem geringen Teil Erfolg.



1. Soweit das Arbeitsgericht den Verfahrenswert in der Spitze auf 8.610,91 € festgesetzt hat, obwalten dagegen keine Bedenken. Es handelt sich dabei um die Summe aller klägerischen Forderungen, siehe Schriftsatz der Klägerin vom 12. April 2022. Nach rechtskräftig gewordenem Versäumnis-Teilurteil vom 28. April 2022 verblieb noch eine streitige Forderung in Höhe von 6.065,31 €, die sich durch die teilweise Klagerücknahme vom 11. Juli 2022 auf für den Vergleichswert im Ausgang maßgeblichen Betrag von 2.981,32 € reduzierte.



2. Ein Vergleichsmehrwert fällt nur an, wenn durch den Vergleichsabschluss ein weiterer Rechtsstreit und/oder außergerichtlicher Streit erledigt und/oder die Ungewissheit über ein gesondertes Rechtsverhältnis beseitigt werden kann (vgl. I. Nr. 25.1 des Streitwertkatalogs für die Arbeitsgerichtsbarkeit in der Fassung vom 9. Februar 2018 u. a.: NZA 2018, S. 495 ff). Soweit ein Vergleich über eine Ausgleichsklausel ergänzend im Prozess nicht streitgegenständliche Ansprüche auf Ersatz gegenwärtiger oder künftiger Schäden betrifft, bemisst sich der Vergleichsmehrwert nach den davon berührten wirtschaftlichen Interessen der Parteien. Zu deren Bemessung ist auf die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts, die Höhe des - ggfls. auch künftigen - Schadens und das Risiko einer tatsächlichen Inanspruchnahme des jeweiligen Schuldners abzustellen (I. Nr. 25.1.6 des Streitwertkatalogs). Insbesondere darf dabei die im Streitwertrecht ausschlaggebende wirtschaftliche Betrachtungsweise begründete Zweifel an einer Realisierbarkeit und auch der tatsächlichen Durchsetzbarkeit von Ansprüchen nicht ausblenden.



Die Möglichkeit einer Durchsetzung der Schadensersatzpflicht bzw. die Gefahr der ernstlichen und auch erfolgreichen Inanspruchnahme des Schuldners bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalles und kann danach so unwahrscheinlich sein, dass dem Anspruch eine selbständige wirtschaftliche Bedeutung fehlt (TZA/Ziemann, Streitwert und Kosten im Arbeitsrecht, Teil 1 Rn 479) oder aber nur der Ansatz eines sog. Erinnerungswertes gerechtfertigt werden kann (BGH, Beschluss vom 28. November 1990 - VIII ZB 27/90 - NJW-RR 1991, S. 509/510; LAG Hamm, Beschluss vom 28. Februar 1980 - 8 Ta 215/79 - juris; LAG Düsseldorf, Beschluss vom 30. September 1987 - 7 Ta 140/87 - juris).



Für die Festsetzung des Vergleichsmehrwerts einer Ausgleichsklausel, die wegen im Prozess zunächst unberührter Schadensersatzforderungen letztlich Gewissheit und Rechtssicherheit schaffen kann, ist danach zwar im Ausgang auf das wirtschaftliche Interesse der jeweils anspruchsberechtigten Partei abzustellen. Gleichwohl ist jedoch ein objektivierter auf den Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses bezogener Maßstab anzulegen. Die Wertbemessung erfordert dabei eine Würdigung aller Umstände durch das Gericht, etwa des zur Begründung einer Kündigung hergestellten Kontexts, des außergerichtlichen und des Prozessverhaltens der anspruchsberechtigen Partei, die Einstellung der Schadensersatzforderungen bei der Bestimmung und Berechnung des Vergleichsinhalts und die Durchsetzbarkeit der Ansprüche vor dem Hintergrund der Grundsätze der Arbeitnehmerhaftung (LAG Hamm, Beschluss vom 10. Juli 2017 - 6 Ta 269/17 - nicht veröffentlicht).



3. Gemessen an diesen Maßstäben kommt nach den Umständen des Falles wegen der im Vergleich vereinbarten Ausgleichsklausel vorliegend nur der Ansatz eines Erinnerungswertes in Höhe von 10% beschränkt auf die im Kündigungsschreiben hinreichend konkret und beziffert angesprochenen Schadenspositionen in Betracht.



a. Insoweit hat die Beschwerdekammer zunächst zu berücksichtigen, dass wegen der dort angesprochenen noch unbestimmten und weitergehenden Ansprüche, "bei denen die Schadensermittlungen nach andauern", bis zum Abschluss des Rechtsstreits rund neun Monate später keinerlei Konkretisierung oder Bezifferung vorgenommen worden ist. Eine hinreichend bestimmte Geltendmachung zwecks Einhaltung schon der ersten Stufe der nach Nr. 14 des Arbeitsvertrages vereinbarten zweistufigen Ausschlussfrist ist nicht erfolgt. Weitere Ermittlungen zum Schadensumfang haben ersichtlich nicht stattgefunden. Das wirtschaftliche Interesse der Beklagten an einer Realisierung dieser Forderung, wie das Risiko der Klägerin, deshalb noch in Anspruch genommen zu werden und damit auch der wirtschaftliche Wert der Ausgleichsklausel des Prozessvergleichs insoweit, können daher diese Position betreffend mit Null angesetzt werden.



b. Die im Kündigungsschreiben beziffert benannten Schäden belaufen sich in der Summe auf 8.615,10 €. Diesbezüglich ist zunächst relevant, dass sich die Beklagte auf selbige zur Begründung der außerordentlichen Kündigung zwar bezogen, deren Ausgleich aber weder dort noch unabhängig davon eingefordert oder deren Durchsetzung angekündigt hat. Auch lässt die Prozessführung der Beklagten eine entsprechende Absicht nicht erkennen.



So wurde das Bestehen von Gegenforderungen weder in den durchgeführten Terminen thematisiert noch in der ausführlichen Klageerwiderung vom 27. Juli 2022 auch nur im Ansatz angesprochen. Vor dem Hintergrund der zitierten zweistufigen Ausschlussfrist kann dieses Verhalten nur dahin gedeutet werden, dass die Beklagte das Entstehen von Schäden zwar zum Anlass der Kündigung genommen hat, von einer Geltendmachung und Durchsetzung auch der weitgehend schon bezifferten Schadenspositionen jedoch absehen wollte. Demgemäß spielten etwaige Gegenansprüche der Beklagten bei der Bemessung des von dieser vergleichsweise noch zu zahlenden Geldbetrages, siehe dazu den sehr ausführlich und abgewogen begründeten gerichtlichen Vergleichsvorschlag, überhaupt keine Rolle. Dies obwohl die der Klägerin danach zuerkannte Zahlung - weil ihrerseits eine Nettoleistung - eine Verrechnung ohne Weiteres ermöglicht und bei der Annahme von (noch) relevanten Gegenforderungen mehr als nur nahegelegt hätte.



Stellt man abschließend auf die Grundsätze der eingeschränkten Arbeitnehmerhaftung ab und zudem die Risiken der Beklagten aus der vollen Darlegungs- und Beweislast der Arbeitgeberseite bei der Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen aus Schlechtleistung (§ 619a BGB) in die Gesamtabwägung ein, dann kann das über die Ausgleichsklausel abgebildete wirtschaftliche Interesse der Parteien an einer endgültigen und rechtssicheren Regelung dieser Ansprüche allenfalls mit einem Erinnerungswert in Höhe von 10% der bezifferten Gesamtforderung angesetzt werden.



Insoweit wird ergänzend auf den gebührenrechtlichen Hinweis der Beschwerdekammer vom 23. November 2022 verwiesen.



c. Soweit die Klägerin darauf abstellt, dass der Beschwerdeführer für den Abschluss eines Prozessvergleichs mit einem Wert oberhalb der zuletzt verbliebenen Klageforderung kein Mandat hatte, ist dies für die Bestimmung des Gebührenstreitwerts, welche auch die Gegenpartei und den Gebührenanspruch ihrer Prozessbevollmächtigten betrifft, nicht relevant und ggfls. im Rahmen der Abwicklung des Mandatsverhältnisses mit dem Beschwerdeführer zu klären.



4. Die Gebührenfreiheit des Beschwerdeverfahrens und der Ausschluss der Kostenerstattung ergeben sich unmittelbar aus § 32 Abs. 2 S. 1 RVG i. V. m. § 68 Abs. 3 GKG.

Vorschriften§ 278 Abs. 6 ZPO, § 32 Abs. 2 S. 1 RVG, §§ 68 Abs. 1, 63 Abs. 2 GKG, § 619a BGB, § 68 Abs. 3 GKG