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Urteil vom 25.01.2023 · IWW-Abrufnummer 234787

Landesarbeitsgericht Hamm - Aktenzeichen 9 Sa 738/22

Die Verjährung von Ansprüchen zwischen Ehegatten ist gehemmt, solange die Ehe besteht. Dies gilt nicht allein für familienrechtliche Ansprüche, sondern für Ansprüche jedweder Art, so auch aus einem zwischen den Ehegatten bestehenden Arbeitsverhältnis.


Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamm vom 21. Juni 2022 - 4 Ca 1476/21 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand



Die Parteien streiten über Vergütungsansprüche des Klägers gegen die Beklagte.



Der Kläger ist der Ehemann der Beklagten. Er führte aufgrund einer notariellen Generalvollmacht unter Befreiung der Beschränkung gemäß § 181 BGB die Geschäfte des Unternehmens der Beklagten und war hierfür zu einem Bruttomonatsgehalt in Höhe von 7.500,00 € bei der Beklagten als Arbeitnehmer angestellt. Die Vergütungsansprüche waren jeweils am Ersten der Folgemonate zur Zahlung fällig.



Das Unternehmen der Beklagten ist im Bereich der Gebäudetechnik tätig (AG Arnsberg HRA XXXX). Die Beklagte selbst war nicht mit dem operativen Geschäft ihres Unternehmens befasst.



Insbesondere in den Jahren 2016 und 2017, aber auch in der Folgezeit verfügte das Unternehmen der Beklagten zwar über Vermögen, nicht hingegen immer in ausreichendem Maße über Liquidität. Dies hatte seine Ursache darin, dass aufgrund hoher Gewinne in der vorhergehenden Zeit erhebliche Steuerforderungen bestanden. Zudem sollten Investitionen getätigt werden, dies auch über einen längeren Zeitraum. Aus diesem Grunde wurde dem Unternehmen der Beklagten Liquidität zugeführt. Dies erfolgte zum einen durch die Gewährung von Darlehen, aber auch durch unterbleibende Auszahlung der Nettovergütung des Klägers. Die Arbeitsvergütung des Klägers wurde zwar ordnungsgemäß abgerechnet. Steuern und Sozialversicherungsbeiträge wurden abgeführt. Eine Auszahlung der Nettoentgelte erfolgte hingegen nicht. Auch die auf den Abrechnungen vereinzelt aufgeführten Vorschüsse sind nicht zur Auszahlung gelangt. Im Einzelnen wurden die Nettoentgelte des Klägers wie folgt nicht ausgezahlt:

Monat Nettobetrag Juni 2016 4.722,14 € Juli 2016 4.710,14 € August 2016 4.734,14 € September 2016 4.722,14 € Oktober 2016 4.710,14 € November 2016 4.710,14 € Dezember 2016 4.710,14 € April 2017 4.724,01 € November 2017 4.724,01 € Dezember 2017 4.724,01 € Februar 2018 4.848,45 € Summe 52.039,46 €



Die seinerzeit einbehaltenden Nettovergütungen sind nach wie vor nicht ausgezahlt worden.



Inzwischen leben die Parteien getrennt und streben die Scheidung der Ehe an, welche jedoch noch nicht erfolgt ist.



Mit seiner Klage vom 27. Dezember 2021, beim Arbeitsgericht am selben Tage eingegangen und der Beklagten am 20. Januar 2022 zugestellt, hat der Kläger die Auszahlung der vorbenannten Nettoentgelte nebst Zinsen begehrt.



Der Kläger ist der Ansicht gewesen, die Beklagte habe die Nettoentgelte lediglich gestundet. Es sei vereinbart gewesen, dass die Auszahlung erfolge, wenn die Beklagte wieder liquide sei. Die Liquidität der Beklagten sei aufgrund der Veräußerung einer Immobilie frühestens seit dem 1. August 2019 wiederhergestellt gewesen. Er selbst habe im Rahmen der zu seinen Gunsten eingeräumten Generalvollmacht die Stundung seiner Vergütungsansprüche mangels Liquidität im Zeitpunkt der Fälligkeit konkludent vereinbart. Dass es sich lediglich um eine Stundung handele, ergebe sich daraus, dass unstreitig zum einen die Gehaltsabrechnungen erfolgt und auch Steuern sowie Sozialversicherungsbeiträge abgeführt worden seien. Zum anderen spreche die Tatsache, dass die streitgegenständlichen Nettoentgelte weiterhin als Verbindlichkeiten in der Bilanz der Beklagten aufgeführt seien, für die behauptete Stundungsvereinbarung. Ohne eine solche Vereinbarung wären die Verbindlichkeiten längst wegen Verjährung ausgebucht worden.



Der Kläger hat sinngemäß beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 52.039,46 € netto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. August 2019 zu zahlen.



Die Beklagte hat sinngemäß beantragt,

die Klage abzuweisen.



Sie ist der Ansicht gewesen, die Forderungen des Klägers seien verjährt. Eine Stundungsabrede sei nicht getroffen worden. Der Kläger sei nicht berechtigt gewesen, sich die Forderungen selbst zu stunden.



Mit Urteil vom 21. Juni 2022 hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben. Es sei davon auszugehen, dass die im Übrigen unstreitig bestehenden Forderungen des Klägers gestundet worden und mithin nicht verjährt seien.



Gegen das der Beklagten am 1. Juli 2022 zugestellte Urteil richtet sich deren am 7. Juli 2022 eingelegte und nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 4. Oktober 2022 am 23. September 2022 begründete Berufung.



Die Beklagte ist weiterhin der Auffassung, dass keine Stundungsvereinbarung getroffen worden sei.



Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Hamm vom 21. Juni 2022 - 4 Ca 1476/21 - abzuändern und die Klage abzuweisen.



Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.



Er meint, das Arbeitsgericht sei zutreffend von einer Stundungsvereinbarung ausgegangen.



Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.



Entscheidungsgründe



I. Die Berufung der Beklagten ist gemäß §§ 519 ZPO, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 66 Abs. 1 S. 1 und 2 ArbGG am 7. Juli 2022 gegen das am 1. Juli 2022 zugestellte Urteil innerhalb der Monatsfrist form- und fristgerecht eingelegt sowie nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 4. Oktober 2022 innerhalb dieser gemäß § 66 Abs. 1 S. 1 und 5 ArbGG ordnungsgemäß im Sinne der §§ 520 Abs. 3 ZPO, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG am 23. September 2022 begründet worden.



II. Die Berufung der Beklagten ist jedoch unbegründet, denn die zulässige Klage ist begründet. Dies hat das Arbeitsgericht im Ergebnis zutreffend erkannt.



1. Der Kläger hat gegen die Beklagte gemäß §§ 611 Abs. 1, 2. Hs., 611 a Abs. 2 BGB Anspruch auf Zahlung eines Betrags in Höhe von insgesamt 52.039,46 €.



a) Die anspruchsbegründenden Umstände stehen zwischen den Parteien außer Streit. Die Beklagte schuldet dem Kläger dem Grunde und der geltend gemachten Höhe nach die Nettoarbeitsvergütung für die Monate Juni 2016 bis einschließlich Dezember 2016, April 2017, November 2017, Dezember 2017 und Februar 2018.



b) Die Beklagte kann sich gegen die Entgeltansprüche des Klägers nicht mit Erfolg auf die Einrede der Verjährung berufen.



aa) Grundsätzlich wären zumindest die Entgeltansprüche aus den Jahren 2016 und 2017 gemäß §§ 195, 199 Abs.1 BGB mit Ablauf der Kalenderjahre 2019 bzw. 2020 verjährt gewesen.



bb) Die Verjährung der Entgeltansprüche des Klägers war jedoch gemäß §§ 207 Abs. 1 S. 1, 209 BGB gehemmt.



(1) Gemäß § 207 Abs. 1 S. 1 BGB ist die Verjährung von Ansprüchen zwischen Ehegatten gehemmt, solange die Ehe besteht. Der Zeitraum, während dessen die Verjährung gehemmt ist, wird gemäß § 209 BGB nicht in die Verjährungsfrist eingerechnet.



Die Vorschrift des § 207 BGB beruht auf der Erwägung, dass in familiären Beziehungen die Einschaltung der Gerichte untunlich und unzumutbar ist. Der Familienfriede wird gestört, wenn ein Familienmitglied zur Vermeidung der Verjährung genötigt ist, einen ihm seiner Meinung nach zustehenden Anspruch in einer zur Hemmung der Verjährung führenden Form, also insbesondere durch Klage, geltend zu machen. Die Norm soll mithin vermeiden, dass die gesetzliche Verjährung die familiären Verhältnisse belastet (Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg 26. Februar 2007 - 4 Sa 63/06 m.w.N.; BeckOK BGB/Henrich, 64. Ed. 1. November 2022, § 207 Rdn. 1). Unerheblich ist, ob die Verhältnisse der beteiligten Eheleute im konkreten Fall wirklich von Zusammengehörigkeitsgefühl und persönlicher Bindung geprägt werden. Die Vorschrift gelangt auch dann zur Anwendung, wenn die Beziehungen zwischen den Beteiligten - ggf.: inzwischen - zerrüttet und bereits zum Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen geworden sind. Erfasst werden im Übrigen nicht allein familienrechtliche Ansprüche, sondern Ansprüche jedweder Art (OLG Saarbrücken 13. Dezember 2011 - 4 U 456/10.; BeckOK BGB/Henrich, 64. Ed. 1. November 2022, § 207 Rdn. 1), so auch aus einem zwischen den Familienmitgliedern bestehenden Arbeitsverhältnis (Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg 26. Februar 2007 - 4 Sa 63/06; NK-ArbR/Burkhard Boemke, BGB, 1. Auflage 2016, § 207 Rdn. 2).



Ob der Hemmungsgrund gemäß § 207 Abs. 1 BGB gegeben ist, hat das Gericht nach Erhebung der Verjährungseinrede von Amts wegen zu prüfen (MüKoBGB/Grothe, BGB, 9. Auflage 2021, § 207, Rdn. 2).



(2) Die Ehe der Parteien bestand bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung am 25. Januar 2023 fort. Dies ist im Rahmen der Kammerverhandlung aufgeklärt worden. Dass die Parteien inzwischen getrennt leben und das Scheidungsverfahren betreiben, ist nicht entscheidungserheblich.



Mithin war und ist die Verjährung der klägerischen Ansprüche gemäß §§ 207 Abs. 1 S. 1, 209 BGB gehemmt.



cc) Auf die Auseinandersetzung der Parteien, ob darüber hinaus seinerzeit gemäß § 205 BGB eine Stundung der Vergütungsansprüche des Klägers erfolgt ist, kommt es daher nicht an.



Hierauf sind die Parteien gemäß § 139 Abs. 2 S. 1 und 2, Abs. 3 ZPO im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 25. Januar 2023 hingewiesen worden (vgl. zur Erteilung von Hinweisen: Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 19. Auflage 2022, § 139, Rdn. 19 m.w.N.). Den Parteien ist Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden.



dd) Inwieweit der vorliegend geltend gemachte Vergütungsanspruch des Klägers für den Monat Februar 2018 an sich gemäß §§ 195, 199 Abs. 1 BGB mit Ablauf des 31. Dezember 2021 verjährt wäre und diesbezüglich durch Erhebung der Klage im vorliegenden Fall unter dem 27. Dezember 2021 und Zustellung derselben am 20. Januar 2022 gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB in Verbindung mit § 167 ZPO eine Hemmung eintreten konnte (hierzu: Musielak/Voit/Wittschier, ZPO, 19. Auflage 2022, § 167 Rdn. 2a), kommt es schließlich ebenfalls nicht an.



2. Zinsen kann der Kläger in dem durch das Arbeitsgericht zugesprochenen Umfang gemäß §§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB verlangen. Die Beklagte befand sich - insbesondere ihren eigenen Vortrag zu einer nicht erfolgten Stundung der Vergütungsansprüche unterstellt (vgl. zum Verhältnis von Stundung und Fälligkeit einer Forderung: MüKoBGB/Krüger, BGB, 9. Auflage 2022, § 271, Rdn. 22 m.w.N.) - mit den Vergütungszahlungen spätestens seit dem 1. August 2019 in Verzug.



III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 64 Abs. 6 ArbGG, 97 Abs. 1 ZPO.



IV. Ein gesetzlich begründbarer Anlass zur Zulassung der Revision liegt nicht vor, § 72 Abs. 2 Ziffer 1 und 2 ArbGG.

Vorschriften§ 181 BGB, §§ 519 ZPO, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 66 Abs. 1 S. 1 und 2 ArbGG, § 66 Abs. 1 S. 1 und 5 ArbGG, §§ 520 Abs. 3 ZPO, §§ 611 Abs. 1, 2. Hs., 611 a Abs. 2 BGB, §§ 195, 199 Abs.1 BGB, §§ 207 Abs. 1 S. 1, 209 BGB, § 207 Abs. 1 S. 1 BGB, § 209 BGB, § 207 BGB, § 207 Abs. 1 BGB, § 205 BGB, § 139 Abs. 2 S. 1 und 2, Abs. 3 ZPO, 199 Abs. 1 BGB, § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB, § 167 ZPO, §§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB, §§ 64 Abs. 6 ArbGG, 97 Abs. 1 ZPO, § 72 Abs. 2 Ziffer 1 und 2 ArbGG