Urteil vom 06.10.2022 · IWW-Abrufnummer 234929
Landesarbeitsgericht Köln - Aktenzeichen 8 Sa 457/22
Zur Auslegung eines Sozialplans im Hinblick auf einen Anspruch auf Abschluss eines incentivierten Altersteilzeitvertrags
Tenor:
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 25.08.2021 - 2 Ca 3086/21 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Abschluss eines incentivierten Altersteilzeitvertrages.
Die Beklagte ist die Konzernobergesellschaft der L . Sie betreibt ein Luftfahrtunternehmen mit Drehkreuzen in F und M (sog. "Hubs"). Daneben bestanden ursprünglich acht dezentrale Stationen in B , Br , D , H , Ha , K , N und S .
Die am 1964 geborene Klägerin ist seit dem 01.07.1989 bei der Beklagten beschäftigt und war bis zum 31.05.2021 an der dezentralen Station S als Professional Service 1 in Teilzeit mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 18,75 Stunden beschäftigt. Ihre monatliche Vergütung betrug zuletzt 1.919,40 Euro brutto.
Die Klägerin ist gemäß § 41 Abs. 3 des auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Manteltarifvertrags D B ordentlich unkündbar. Bei der Beklagten findet unter anderem der Tarifvertrag Altersteilzeitarbeit für das Bodenpersonal, gültig ab dem 01.12.2020 Anwendung. Gemäß § 3 des Tarifvertrags Altersteilzeit kann mit allen Mitarbeitern, die das 55. Lebensjahr vollendet haben und die bestimmte weitere Voraussetzungen erfüllen, Altersteilzeitarbeit vereinbart werden; ein allgemeiner Anspruch auf Abschluss eines Altersteilzeitarbeitsvertrages besteht nicht.
Im Jahr 2005 fasste die Beklagte den Beschluss, alle acht dezentralen Stationen zum 31.05.2021 zu schließen. Im Hinblick auf die Schließung schlossen die Beklagte und der örtliche Betriebsrat der Station S am 26.10.2015 einen Interessenausgleich sowie einen Sozialplan. In dem Sozialplan heißt es u.a.:
Die Klägerin nahm zunächst keine der im Sozialplan aufgeführten HR-Maßnahmen in Anspruch. Nach Abschluss des Clearingverfahrens sprach die Beklagte gegenüber der Klägerin eine außerordentliche betriebsbedingte Kündigung aus. In dem sich anschließenden Kündigungsschutzverfahren obsiegte die Klägerin rechtskräftig.
Mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 11.05.2021 machte die Klägerin gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Abschluss eines incentivierten Altersteilzeitvertrags nach dem anwendbaren Sozialplan von 26.10.2015 geltend. Dieses Begehren lehnte die Beklagte ab.
Die dezentralen Stationen der Beklagten wurden zum 31.05.2021 geschlossen. Seit dem 01.06.2021 wird die Klägerin im HUB am Flughafen F beschäftigt.
Mit ihrer am 31.05.2021 beim Arbeitsgericht Köln eingegangenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren auf Abschluss eines Altersteilzeitvertrags weiterverfolgt. Sie hat die Auffassung vertreten, ein Anspruch sei aus Ziff. 3 a) (3) des örtlichen Sozialplans in Verbindung mit dem Tarifvertrag Altersteilzeit für das Bodenpersonal, gültig ab dem 01.12.2020, begründet. Der Sozialplan sehe für die Beantragung der Altersteilzeit keine zeitliche Beschränkung vor; die aktive Phase der Altersteilzeit könne sie nach Schließung der dezentralen Stationen auch an anderen Standorten absolvieren. Auch das Ziel des Sozialplans, Mitarbeitern innerhalb des Konzerns alternative Beschäftigungsangebote zu unterbreiten, könne im Wege der Altersteilzeit erreicht werden.
Die Klägerin hat beantragt:
Die Beklagte hat beantragt,
Sie war der Ansicht, die Möglichkeit zum Abschluss incentivierter Altersteilzeitverträge nach dem Sozialplan habe nur befristet bis zum 31.05.2020 bzw. bis zum Beginn des Clearingverfahrens bestanden. Dies ergebe sich aus Sinn und Zweck der Regelungen des Sozialplans. Auch sei die Klägerin nicht mehr von einer Kündigung aufgrund einer Betriebsschließung bedroht.
Mit Urteil vom 25.08.2021 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Klage sei mangels hinreichender Bestimmtheit unzulässig, im Übrigen aber auch unbegründet. Denn aus dem Gesamtzusammenhang sowie Sinn und Zweck des Sozialplans ergebe sich, dass die benannten HR-Maßnahmen, wie auch der Abschluss eines incentivierten Altersteilzeitvertrages, nur bis zum Beginn des Clearingverfahrens am 01.06.2020 möglich gewesen seien. Hierfür spreche auch, dass bei einem späteren Abschluss die Aktivphase nicht mehr in der dann geschlossenen dezentralen Station hätte absolviert werden können. Eine Regelung über eine Tätigkeit an einer anderen Stelle hätten die örtlichen Betriebsräte der dezentralen Stationen nicht treffen können, da ihnen insoweit keine Regelungskompetenz zustehe. Schließlich unterfalle die Klägerin nicht mehr dem Geltungsbereich des Sozialplans, da sie nunmehr dem Betrieb F angehöre und nicht mehr von einer betriebsbedingten Kündigung bedroht sei.
Gegen das ihr am 06.09.2021 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 06.10.2021 Berufung eingelegt, die sie, nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 06.12.2021, am 06.12.2021 begründet hat. Sie vertritt die Auffassung, die Klage sei, jedenfalls in der Fassung der nunmehr gestellten Anträge, hinreichend bestimmt und zulässig.
Sie ist weiter der Ansicht, auch in der Sache habe das Arbeitsgericht zu Unrecht einen Anspruch auf Abschluss eines incentivierten Altersteilzeitvertrags verneint. Dieser ergebe sich aus dem örtlichen Sozialplan in Verbindung mit dem TV Altersteilzeit für das Bodenpersonal, gültig ab 01.12.2020. Alle im Sozialplan benannten Anspruchsvoraussetzungen seien erfüllt; der Sozialplan sehe für den Anspruch auf Abschluss eines Altersteilzeitvertrags auch keine zeitliche Einschränkung bis zum Beginn des Clearingverfahrens vor. Da das Clearingverfahren zwar am 01.06.2020 begonnen habe, sein Ende aber ebenso wenig absehbar gewesen sei wie die Frage, wann den Betroffenen konkrete Arbeitsplätze an anderen Standorten hätten angeboten werden können, sei es sinnvoll gewesen, die incentivierte Altersteilzeit auch nach Beginn des Clearings und ohne zeitliche Beschränkung zur Anwendung zu bringen. Dem stehe auch nicht entgegen, dass die Aktivphase ggf. nicht mehr an der dann geschlossenen dezentralen Station absolviert werden könne. Denn die Arbeitsleistung könne in diesem Fall ohne Weiteres an einem anderen Ort innerhalb des Konzerns erbracht werden, wie es auch bei vielen Arbeitnehmern praktiziert werde, die einen Altersteilzeitvertrag zu einem früheren Zeitpunkt abgeschlossen hätten, deren Aktivphase aber erst nach dem 31.05.2021 geendet habe.
Schließlich meint die Klägerin, sie unterfalle auch weiterhin dem Sozialplan, da sie den Anspruch auf Abschluss des Altersteilzeitvertrags noch während dessen Laufzeit geltend gemacht habe.
Die Klägerin beantragt,
Die Beklagte beantragt,
Sie verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens. Sie ist der Auffassung, der Klageantrag sei auch in der neu formulierten Fassung unzulässig, da die Höhe der Incentivierung unklar bleibe. Darüber hinaus stehe der Klägerin auch in der Sache kein Anspruch auf Abschluss eines Altersteilzeitvertrages zu. Denn ein solcher habe lediglich bis zum 31.05.2020 bestanden. Die zeitliche Einschränkung des Anspruchs ergebe sich zwar nicht aus dem Wortlaut des Sozialplans, aber im Wege der historischen, systematischen und teleologischen Auslegung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der erst- und zweitinstanzlich gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie auf die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I. Die Berufung der Klägerin ist zulässig, weil sie statthaft (§§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 Buchstabe c) ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).
II. Die Berufung ist aber unbegründet; das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
1. Die Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere mit den zuletzt vorgenommenen Konkretisierungen hinreichend bestimmt im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Denn dem Antrag ist in dieser Fassung in Verbindung mit dem in Bezug genommenen Sozialplan sowie dem Tarifvertrag Altersteilzeit der Inhalt des begehrten Altersteilzeitvertrags zu entnehmen. Dies gilt auch für die in Zusammenhang mit dem Altersteilzeitvertrag begehrte Incentivierung. Zwar ist im Antrag kein bezifferter Betrag benannt; die Summe ist aber anhand der im Sozialplan enthaltenen Berechnungsformel sowie der unstreitigen Vergütungshöhe der Klägerin bestimmbar.
2. Die Klage ist jedoch unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Abschluss eines Altersteilzeitvertrages mit dem begehrten Inhalt.
a) Ein Anspruch ergibt sich nicht aus dem Tarifvertrag Altersteilzeitarbeit für das Bodenpersonal, gültig ab dem 01.12.2020. Denn dieser Tarifvertrag räumt ausdrücklich keinen Anspruch auf Abschluss eines Altersteilzeitarbeitsvertrages ein.
b) Der Anspruch ist auch nicht aus dem örtlichen Sozialplan vom 26.10.2015 begründet.
aa) Soweit Ziffer 3. a) (3) des Sozialplans vom 26.10.2015 einen Anspruch auf Abschluss eines incentivierten Altersteilzeitvertrags vorsieht, bestand dieser nur bis zur Durchführung des Clearingverfahrens bzw. längstens bis zum Ausspruch der betriebsbedingten Kündigung. Dass die die Inanspruchnahme der streitgegenständlichen HR-Maßnahmen zeitlich nur beschränkt möglich war, ergibt die Auslegung des Sozialplans.
(1) Die Auslegung einer Betriebsvereinbarung - und damit ebenso die eines Sozialplans als Betriebsvereinbarung eigener Art - richtet sich wegen ihrer normativen Wirkung (§ 77 Abs. 4 Satz 1, § 112 Abs. 1 Satz 3 BetrVG) nach den Grundsätzen der Tarifvertrags- und Gesetzesauslegung. Ausgehend vom Wortlaut und dem durch ihn vermittelten Wortsinn kommt es auf den Gesamtzusammenhang und die Systematik der Bestimmung an. Darüber hinaus sind Sinn und Zweck der Regelung von besonderer Bedeutung. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem sachgerechten, zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Regelung führt (BAG 26. September 2017 - 1 AZR 717/15 - Rn. 24; BAG, Urteil vom 15. Mai 2018 - 1 AZR 37/17 -, Rn. 15, juris).
(2) Der Sozialplan regelt nach seinem Wortlaut nicht ausdrücklich, bis zu welchem Zeitpunkt der Abschluss eines Altersteilzeitvertrags beansprucht werden kann. Die Regelung in Ziffer 3. a) (3) des Sozialplans beschränkt den Anwendungsbereich auch nicht auf den zum Zeitpunkt des Abschlusses des Sozialplans geltenden Tarifvertrag über Altersteilzeit oder bestimmte Jahrgänge, sondern bezieht auch zukünftige Tarifabschlüsse und die "Eröffnung weiterer Jahrgänge" ein. Die zeitliche Beschränkung des Anspruchs spätestens bis zur erfolglosen Durchführung des Clearings bzw. Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung ergibt sich jedoch aus der Systematik sowie Sinn und Zweck des Sozialplans.
Nach Ziffer 3. des Sozialplans sind die Betriebspartner sich einig, dass der Sozialplan das Ziel hat, betriebsbedingte Beendigungskündigungen zu vermeiden und den notwendigen Personalabbau möglichst sozialverträglich zu gestalten. Zur Erreichung dieses Ziels sieht Ziffer 3 eine Reihe von HR-Maßnahmen vor, unter ihnen den Abschluss von Altersteilzeitverträgen. Gemäß Ziffer 4. des Sozialplans wird sodann zum 01.06.2020 das Mitarbeiterclearing eröffnet, dem alle Mitarbeiter unterliegen, die keine zum Zeitpunkt der Schließung der Station das aktive Arbeitsverhältnis beendende HR-Maßnahme gemäß Ziff. 3. a) (rentenferne Aufhebungsverträge, rentennahe Aufhebungsverträge, Altersteilzeitverträge, HUB-Wechsel sowie Boden-Bord-Wechsel) in Anspruch genommen haben und die damit aufgrund des Entfalls des Arbeitsplatzes zum Schließungszeitpunkt von einer betriebsbedingten Kündigung bedroht sind. Ziel des Clearingverfahrens ist es, betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden und Mitarbeitern alternative Beschäftigungsangebote innerhalb des Konzerns zu unterbreiten; nur wenn eine Vermittlung im Rahmen des Clearingverfahrens auf einen zumutbaren Arbeitsplatz nicht möglich ist oder ein Mitarbeiter einen zumutbaren Arbeitsplatz ablehnt, kann die Beklagte als Ultima Ratio das Arbeitsverhältnis betriebsbedingt kündigen. Das Ziel, betriebsbedingte Kündigungen durch die im ersten Schritt vorgesehenen HR-Maßnahmen und sich das ab 01.06.2020 anschließende Clearingverfahren zu vermeiden, kann jedenfalls ab dem Zeitpunkt des Ausspruchs der betriebsbedingten Kündigung nicht mehr erreicht werden. Hieraus ergibt sich im Umkehrschluss, dass ab diesem Zeitpunkt kein Anspruch auf den nach der Systematik des Sozialplans vorgelagerten Abschluss eines Altersteilzeitvertrags mehr besteht.
Soweit die Klägerin darauf abstellt, dass das neben der Vermeidung von Kündigungen benannte Ziel des Clearingverfahrens, den Mitarbeitern alternative Beschäftigungsangebote zu unterbreiten, auch mittels eines incentivierten Altersteilzeitvertrages erreicht werden könnte, lässt sie außer Acht, dass die Suche nach alternativen Beschäftigungsmöglichkeiten innerhalb des Konzerns gerade Aufgabe des Clearingverfahrens war und eine Kündigung nur unter der Voraussetzung ausgesprochen werden durfte, dass eine alternative und zumutbare Beschäftigungsmöglichkeit nicht gefunden wurde. Einen nach dem erfolglosen Abschluss des Clearingverfahrens und Ausspruch der Kündigung zu einem späteren Zeitpunkt wiederauflebenden Anspruch auf Abschluss eines Altersteilzeitvertrages, sieht der Sozialplan nicht vor.
bb) Ein Anspruch der Klägerin auf Abschluss des begehrten incentivierten Altersteilzeitvertrags ist auch deshalb ausgeschlossen, weil sie nicht (mehr) von einer betriebsbedingten Kündigung aufgrund der Schließung der dezentralen Station in S bedroht ist. Ausweislich der Präambel des Sozialplans vom 26.10.2015 sollten mit diesem Nachteile, die den Mitarbeitern durch die im Interessenausgleich vom 26.10.2015 geregelte Betriebsänderung entstehen, ausgeglichen bzw. gemildert werden. Dementsprechend gilt der Sozialplan gemäß dem in Ziffer 1. definierten Geltungsbereich auch nur für alle Maßnahmen, die sich aus der im Interessenausgleich vom 26.10.2015 geregelten Betriebsänderung ergeben. Gegenstand des Interessenausgleichs vom 26.10.2015 ist die Schließung der Station S zum 31.05.2021. Nachdem die Unwirksamkeit der auf Grund dieser Maßnahme gegenüber der Klägerin ausgesprochenen außerordentlichen betriebsbedingten Kündigung rechtskräftig feststeht, drohen ihr aus dieser Betriebsänderung keine Nachteile mehr, mit der Folge, dass der Geltungsbereich des Sozialplans nicht (mehr) eröffnet ist und der Klägerin kein Anspruch auf Abschluss des begehrten Altersteilzeitvertrags aus Ziffer 3. a) (3) des Sozialplans zusteht.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. 97 Abs. 1 ZPO.
IV. Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben.