Beschluss vom 20.03.2023 · IWW-Abrufnummer 234932
Landesarbeitsgericht Köln - Aktenzeichen 9 TaBV 9/23
Keine offensichtliche Unzuständigkeit des Einzelbetriebsrats einer Konzernobergesellschaft für den Abschluss eines Sozialplans bei einer mehrere Konzernunternehmen betreffenden Standortverlegung.
Tenor:
Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den am 09.02.2023 verkündeten Beschluss des Arbeitsgerichts Köln - 17 BV 5/23 - wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Die Arbeitgeberin ist die deutsche Obergesellschaft des R -Konzerns und beschäftigt an ihrem Sitz in B ca. 330 Arbeitnehmer. In B sind auch Arbeitnehmer der für die Betreuung der Händler zuständigen R R GmbH sowie der S GmbH beschäftigt, die das Ersatzteil- und Zubehörgeschäft für R - und D -Fahrzeuge in Deutschland betreibt.
Nachdem im R -Konzern die Entscheidung getroffen worden war, den Standort in B aufzugeben und nach K zu verlegen, will die Arbeitgeberin den Interessenausgleich und den Sozialplan für die Betriebe der drei Unternehmen mit dem Konzernbetriebsrat verhandeln.
Der Antragsteller ist der Auffassung, als Einzelbetriebsrat der Arbeitgeberin für den Abschluss des Sozialplans zuständig zu sein, und beschloss am 12.01.2023 die Einleitung eines gerichtlichen Beschlussverfahrens zur Einsetzung einer Einigungsstelle. Er hat darauf verwiesen, dass nicht alle in B tätigen Arbeitnehmer der dort angesiedelten Konzerngesellschaften von der Verlegung betroffen seien, sondern nur ca. 300 von insgesamt ca. 430.
Er hat beantragt,
Die Arbeitgeberin hat beantragt,
Sie hat die Ansicht vertreten, die Einigungsstelle sei offensichtlich unzuständig. Vor dem Hintergrund der nur konzerneinheitlich umzusetzenden Maßnahme seien die Nachteile, die konzerneinheitlich für alle Arbeitnehmer der Konzerngesellschaften gleichermaßen einträten, nur durch einen einheitlichen Sozialplan mit gleichen Bedingungen zu lösen. Neben dem betriebsverfassungsrechtlich zu berücksichtigenden Gleichbehandlungsgrundsatz und der Entscheidung des Konzerns, den Umzug innerhalb eines festgelegten Sozialplanvolumens für alle Betriebe zu regeln, sei auch aus rein tatsächlichen Gründen, wie etwa bei der Aufteilung der begrenzten Parkmöglichkeiten am neuen Standort, zwingend nur eine einheitliche und betriebsübergreifende Regelung der Angelegenheit möglich.
Das Arbeitsgericht hat mit einem am 09.02.2023 verkündeten Beschluss Herrn G zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand "Abschluss eines Sozialplans wegen beabsichtigter Standortverlagerung des Betriebs von B nach K " bestellt und die Zahl der Beisitzer für jede Seite auf zwei festgesetzt.
Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Es möge zwar einiges für die Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats für den Interessenausgleich sprechen. Hinsichtlich der Verhandlung und dem Abschluss des Sozialplans könne die Beteiligung des Konzernbetriebsrats jedoch allenfalls zweckmäßig sein. Selbst wenn die Arbeitnehmer aller drei Betriebe gleichermaßen betroffen seien, stelle dies kein zwingendes Erfordernis für eine einheitliche Regelung dar. Die Absicht des Konzerns, den Umzug innerhalb eines festgelegten Sozialplanvolumens für alle Betriebe zu regeln, bedeute nicht, dass es zwingend nur einen mit dem Konzernbetriebsrat abgeschlossenen Sozialplan geben dürfte. Das Volumen könne durchaus je nach Anzahl und Nachteilen der betroffenen Arbeitnehmer aufgeteilt und verhandelt werden. Herr G sei als Richter der Arbeitsgerichtsbarkeit unzweifelhaft für die Übernahme des Vorsitzes geeignet. Die Zahl der Beisitzer auf zwei je Seite festzusetzen; dies entspreche der Regelbesetzung. Gründe, davon nach oben abzuweichen, habe der Antragsteller weder vorgebracht, noch seien diese ersichtlich.
Gegen diesen ihr am 14.02.0.2023 zugestellten Beschluss richtet sich die am 24.02.2023 eingelegte und zugleich begründete Beschwerde der Arbeitgeberin.
Sie vertritt die Auffassung, dass der zu vereinbarende Sozialplan nur unternehmenseinheitlich möglich und in der Folge durch die Arbeitgeberin und den Konzernbetriebsrat zu verhandeln und abzuschließen sei. Der Umzug betreffe alle Arbeitnehmer in B gleichermaßen und einheitlich, weshalb ein zwingendes Erfordernis für eine betriebsübergreifende Regelung bestehe. Alle betroffenen Arbeitnehmer nutzten dieselbe Betriebsstätte, dieselben Räumlichkeiten, dieselben Parkplätze, dieselben Sozialeinrichtungen und dieselbe Kantine. Für alle Arbeitnehmer gölten dieselben Arbeitsbedingungen und Strukturen. Die Entscheidung darüber, wie das zur Verfügung stehende Gesamtsozialplanvolumen zu verteilen sei, könne nur unternehmenseinheitlich in Folge auf der Ebene des Konzernbetriebsrats getroffen werden. Unter den gegebenen Umständen könne ein Einzelbetriebsrat die Entscheidung auf der Unternehmensebene nicht mehr vollständig durchschauen und im Hinblick auf einen Sozialplan nicht wesentlich beeinflussen. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts könne man keine Verhandlungsmöglichkeit der Einzelbetriebsräte erreichen, indem man das Sozialplanvolumen nach Anzahl und Nachteilen der betroffenen Arbeitnehmer aufteile und anschließend mit den Einzel-Betriebsräten über dieses verhandele. Die Festlegung, worin Nachteile der Betroffenen zu sehen und in welchem Umfang diese auszugleichen seien, bedürfe einer unternehmensübergreifenden Koordinierung.
Die Arbeitgeberin beantragt,
Der Antragsteller beantragt,
Er verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts und behauptet, die Verlegung beziehe sich nicht gleichermaßen und einheitlich auf alle drei Konzernunternehmen. Bei der Arbeitgeberin gebe es die Besonderheit, dass nicht alle Abteilungen von B nach K wechselten. Die Arbeitgeberin habe in den bisherigen Verhandlungen Vorschläge und Lösungsansätze formuliert, die sich auf ihr Unternehmen bezögen. Vor diesem Hintergrund - und der bereits geleisteten Vorarbeit - sei es kaum verwunderlich, dass er, der Betriebsrat, aus allen Wolken gefallen sei, als die Arbeitgeberin ihm verkündet habe, künftig mit dem Konzernbetriebsrat weiter zu verhandeln.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses, die im Beschwerdeverfahren gewechselten Schriftsätze, die eingereichten Unterlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde der Arbeitgeberin ist unbegründet. Zu Recht hat das Arbeitsgericht die von dem Antragsteller angerufene Einigungsstelle eingesetzt und die Anträge nicht wegen einer offensichtlichen Unzuständigkeit der Einigungsstelle iSd. § 100 Abs. 2 Satz 2 ArbGG zurückgewiesen.
1.) Bei der Standortverlegung von B nach K handelt es sich gemäß §§ 112 Abs. 4, 111 Satz 3 Nr. 2 BetrVG um eine sozialplanpflichtige Betriebsänderung, wegen derer im Falle der Nichteinigung auf einen Sozialplan die Einigungsstelle angerufen werden kann.
2.) Der Antragsteller ist als Einzelbetriebsrat der Arbeitgeberin für den Abschluss des Sozialplans nicht offensichtlich unzuständig. Denn für die Ausübung der gesetzlichen Mitbestimmungsrechte ist grundsätzlich der von den Arbeitnehmern gewählte (örtliche) Betriebsrat zuständig. Er hat die Interessen der Belegschaft des einzelnen Betriebs gegenüber dem Arbeitgeber wahrzunehmen. Diese Aufgabe weisen § 50 Abs. 1 BetrVG dem Gesamtbetriebsrat und § 58 Abs. 1 Satz 1 BetrVG dem Konzernbetriebsrat nur für die Fälle zu, in denen die zu regelnde Angelegenheit nicht auf den einzelnen Betrieb oder das einzelne Unternehmen beschränkt ist und deshalb die Interessen der Arbeitnehmer nicht mehr auf der betrieblichen Ebene gewahrt werden können (BAG, Beschluss vom 23. Oktober 2002 - 7 ABR 55/01 -, Rn. 25, juris). Ein solcher Ausnahmefall ist hier nicht offensichtlich gegeben. Die Verlegung der Standorte fällt entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin nicht offensichtlich in die Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats. Die Verlegungsentscheidung betrifft zwar mehrere Konzernunternehmen. Der Ausgleich oder die Milderung der durch die Betriebsänderung entstehenden Nachteile muss jedoch nicht offenkundig betriebs- und unternehmensübergreifend geregelt werden.
a) Die Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats für den Abschluss des Sozialplans ergibt sich nicht aus dem Umstand, dass die Arbeitgeberin mit ihm zur Zeit Verhandlungen über einen Interessenausgleich führt. Denn Interessenausgleich und Sozialplan sind nicht dieselbe Angelegenheit iSd. § 58 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Aus der möglicherweise gegebenen Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats zum Abschluss eines Interessenausgleichs folgt daher nicht ohne weiteres die Zuständigkeit für den Abschluss eines Sozialplans. Auch wenn ein sachgerechtes Ergebnis oftmals nur durch koordinierte Regelungen in Interessenausgleich und Sozialplan zu erreichen ist (vgl. BAG, Urteil vom 17. Februar 1981 - 1 AZR 290/78 -, BAGE 35, 80-94, Rn. 37), bedeutet dies nicht, dass sich Zuständigkeit für den Abschluss eines Sozialplans nach der Reichweite der geplanten Betriebsänderung richtet und die Zuständigkeit für Interessenausgleich und Sozialplan auf Betriebsratsseite nur einheitlich bestimmt werden kann (aA. Richardi/Annuß, 17. Aufl. 2022, § 50 BetrVG, Rn. 37a). Vielmehr muss auch bezüglich des Sozialplans ein zwingendes Bedürfnis für eine unternehmensübergreifende Regelung bestehen (vgl. BAG, Beschluss vom23. Oktober 2002 - 7 ABR 55/01 -, Rn. 26, juris; BAG, Urteil vom 11. Dezember 2001 - 1 AZR 193/01 -, BAGE 100, 60-69, Rn. 42).
b) Ein zwingendes Bedürfnis für eine unternehmensübergreifende Sozialplanregelung folgt nicht aus der Entscheidung des Konzerns, den Umzug innerhalb eines festgelegten Gesamtsozialplanvolumens zu regeln.
aa) Nach der Konzeption der Betriebsverfassung hat das Unternehmen, nicht hingegen der Konzern, die Kosten der betrieblichen Mitbestimmung zu tragen. Anders als bei freiwilligen Leistungen gibt es bei erzwingbaren Sozialplänen auch kein (unternehmensübergreifendes) Budget, das zu verteilen ist. Es besteht daher kein Anlass, das wirtschaftliche Dotierungsvolumen als übergeordnete Grenzziehung für die Zuweisung betriebsverfassungsrechtlicher Zuständigkeiten heranzuziehen (so aber Salamon, NZA 2018, 832, 835). Die Einigungsstelle muss nur gemäß § 112 Abs. 5 Satz 1 BetrVG die wirtschaftliche Vertretbarkeit ihrer Entscheidung für das (Gesamt-)Unternehmen berücksichtigen und nach § 112 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 BetrVG bei der Bemessung des Gesamtbetrags der Sozialplanleistungen darauf achten, dass der Fortbestand des Unternehmens oder die nach Durchführung der Betriebsänderung verbleibenden Arbeitsplätze nicht gefährdet werden (BAG, Beschluss vom3. Mai 2006 - 1 ABR 15/05 -, BAGE 118, 131-141, Rn. 32). Dass dies der Antragsteller als Einzelbetriebsrat nicht könnte, ist nicht ersichtlich.
bb) Der Ausgleich oder die Milderung der durch die Betriebsänderung entstehenden Nachteile muss nicht deswegen betriebs- und unternehmensübergreifend geregelt werden, weil das Verlegungskonzept nur auf der Grundlage eines bestimmten, auf alle betroffenen Konzernunternehmen bezogenen Sozialplanvolumens realisiert werden könnte (BAG, Beschluss vom 3. Mai 2006 - 1 ABR 15/05 -, BAGE 118, 131-141,Rn. 28). Eine solche Fallkonstellation wäre etwa denkbar, wenn die Betriebsänderung Teil eines Sanierungskonzepts wäre und das Gesamtsozialplanvolumen im Interesse der verbleibenden Belegschaft und der zu erhaltenden Betriebe begrenzt werden müsste. Die Entscheidung darüber, wie die zur Verfügung stehenden Mittel auf die betroffenen Arbeitnehmer verteilt werden sollten, könnte dann nur konzerneinheitlich auf der Ebene des Konzernbetriebsrats getroffen werden (vgl. BAG, Urteil vom11. Dezember 2001 - 1 AZR 193/01 -, BAGE 100, 60-69, Rn. 43). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor.
b) Auch rein tatsächliche Gründe wie die Aufteilung der begrenzten Parkmöglichkeiten am neuen Standort erfordern nicht offensichtlich einen unternehmens- und betriebsübergreifenden Sozialplan. Die Regelung von Parkberechtigungen mag Gegenstand der Interessenausgleichsverhandlungen sein. Sie zählt jedoch nicht zum Inhalt eines Sozialplans, sondern unterliegt gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG der Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten (BAG, Beschluss vom 7. Februar 2012 - 1 ABR 63/10 -, BAGE 140, 343-349, Rn. 19). Gegenstand des Sozialplans ist der Ausgleich oder die Abmilderung von Nachteilen, die durch die Betriebsänderung, etwa durch den Wegfall von Parkplätzen, entstehen. Dazu bedarf es jedoch keiner unternehmensübergreifenden Regelung. Vielmehr kann die Kompensation in den Unternehmen unterschiedlich geregelt werden. Dass, wie die Arbeitgeberin vorträgt, für die betroffenen Arbeitnehmer dieselben Arbeitsbedingungen und Strukturen gelten, bedeutet nicht, dass nicht auch unterschiedliche Maßnahmen in Betracht kommen, um die Nachteile der Standortverlegung auszugleichen oder abzumildern. Der Befürchtung, dass der Antragsteller die Betriebsänderung und ihre Folgen nicht durchschaut, kann die Arbeitgeberin durch eine angemessene Unterrichtung des Gremiums begegnen.
c) Schließlich ergibt sich die Notwendigkeit eines konzerneinheitlichen Sozialplans nicht unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten. Weder der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz noch das betriebsverfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgebot des § 75 Abs. 1 BetrVG wirken zuständigkeitsbegründend. Gleichbehandlung ist ein Gebot der Verteilungsgerechtigkeit und bedeutet, Gleiches gleich und Ungleiches entsprechend seiner Eigenart ungleich zu behandeln. Der Gleichbehandlungsgrundsatz ist insoweit Anspruchsgrundlage und Schranke der Rechtsausübung zugleich. Dementsprechend begrenzt er die Regelungsmacht der Betriebsparteien. Er hat jedoch keinen Einfluss auf die gesetzliche Zuständigkeitsverteilung zwischen den Betriebsverfassungsorganen. Die Verpflichtung zur Gleichbehandlung ist in diesem Sinne kompetenzakzessorisch (BAG, Beschluss vom 18. Mai 2010 - 1 ABR 96/08 -, Rn. 17, juris; BAG, Beschluss vom 23. März 2010 - 1 ABR 82/08 -, BAGE 133, 373-379, Rn. 17).
3.) Gegen den vom Arbeitsgericht bestellten Einigungsstellenvorsitzenden und die Zahl der Beisitzer sind Einwendungen weder erhoben noch ersichtlich.
III.
Gegen diesen Beschluss findet gemäß § 100 Abs. 2 Satz 4 ArbGG ein Rechtsmittel nicht statt.