Urteil vom 20.02.2023 · IWW-Abrufnummer 235024
Landesarbeitsgericht Niedersachsen - Aktenzeichen 1 Sa 702/22
1. Für die Berechnung des Mutterschutzlohns nach § 18 Satz 1 MuSchG ist nach § 18 Satz 2 MuSchG grundsätzlich auf das durchschnittliche Arbeitsentgelt der letzten drei abgerechneten Kalendermonaten vor dem Eintritt der Schwangerschaft abzustellen. Dies gilt auch dann, wenn ein Teil der Vergütung variabel ausgestaltet ist und auf provisionspflichtigen Geschäften beruht.
2. Provisionen, die erst während eines ärztlichen Beschäftigungsverbot nach § 16 MuSchG fällig werden, kommen nur dann und nur in dem Umfang zur Auszahlung, wie sie den nach § 18 Satz 2 MuSchG errechneten Mutterschutzlohn übersteigen.
Tenor:
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hildesheim vom 24.08.2022 - 2 Ca 27/22 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zahlung während eines ärztlichen Beschäftigungsverbots nach § 16 Abs. 1 MuSchG fällig gewordener Provisionen.
Die Klägerin ist seit dem 01. Februar 2017 als Vertriebsmitarbeiterin für die Beklagte tätig. Sie bezieht ein Fixgehalt von 4.000 € brutto. Für die Privatnutzung des Dienstfahrzeugs werden 328,00 € versteuert. Die Klägerin hat zudem Anspruch auf Zahlung von Provisionen für Software, die sie physiotherapeutischen Praxen veräußert. Der Provisionsanspruch wird mit Installierung und Abnahme der Software beim Kunden fällig, auf den Zeitpunkt des Auftragseingangs kommt es nicht an. Erfolgen Auslieferung oder Abnahme nach dem 10. eines Monats, wird die Provision im folgenden Monat gezahlt.
Die Klägerin war seit April 2021 schwanger, seit dem 8. September 2021 bestand ein ärztliches Beschäftigungsverbot nach § 16 Abs. 1 MuSchG.
Die Beklagte errechnete den Mutterschutzlohn auf Grundlage der in den Monaten Januar, Februar und März 2021 abgerechneten und gezahlten Bruttomonatsentgelte, insgesamt einen der Höhe nach auf dieser Berechnungsgrundlage unstreitigen Betrag von € 7.528,23 einschließlich eines Provisionsanteils von € 3.200,23 brutto.
Mit der Klage begehrt die Klägerin Zahlung weiterer € 444,68 brutto für September 2021, weiterer € 395,40 brutto für Oktober 2021 und weiterer 2.164,50 brutto für November 2021. Diese der Höhe nach unstreitigen Provisionsansprüche beruhen auf Geschäften, die die Klägerin vor Beginn der ärztlichen Beschäftigungsverbote vermittelt hat und die während des ärztlichen Beschäftigungsverbotes fällig geworden sind.
Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 24. August 2022 abgewiesen unter Hinweis darauf, neben dem in unstreitiger Höhe von der Beklagten nach § 18 MuSchG berechneten Mutterschutzlohn habe die Klägerin keinen Anspruch auf weitere Provisionszahlungen; die in den Monaten September und folgend fällig gewordenen Provisionsbeträge seien auf den Mutterschutzlohn anzurechnen. Auf Tatbestand und Entscheidungsgründe wird im Übrigen Bezug genommen.
Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihren Klageanspruch weiter. Ihr stehe neben dem Mutterschutzlohn ein Anspruch auf Zahlung der in diesem Zeitraum fällig gewordenen Provisionen zu. Mit der Verrechnung mit der gezahlten Pauschale für Provisionsansprüche werde die Klägerin unter Verstoß gegen §§ 7, 1 AGG benachteiligt; bei männlichen Beschäftigten, die keine Schutzfristen in Anspruch nehmen (könnten), könne ein Verdienstausfall in der Zeit nach Wiederaufnahme der Tätigkeit nach Ablauf der Schutzfristen bis zu neuen Provisionszahlungen nicht entstehen. Dies rechtfertige neben der gezahlten Pauschale auch die kumulative Zahlung der in den Monaten des Beschäftigungsverbotes fällig gewordenen Provisionen.
Die Klägerin beantragt,
Die Beklagte beantragt,
und vertritt die Auffassung, eine kumulative Auszahlung von pauschalierten Provisionen und weiteren Provisionen würde die Klägerin besserstellen. Ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot liege nicht vor, für einen Vergleich sei lediglich auf die Monate des Beschäftigungsverbotes abzustellen.
Bezüglich des weiteren Vorbringens der Parteien wird Bezug genommen auf die wechselseitigen zu den Akten gereichten Schriftsätze sowie auf die Erörterung in der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
I.
Die Berufung ist frist- und formgerecht eingereicht und begründet worden und deshalb nach §§ 64, 66 ArbGG und §§ 519, 520 ZPO zulässig.
II.
Die Berufung ist unbegründet. Die Klägerin hat vorliegend keinen Anspruch auf Zahlung Provisionen, die während des Bezugs von Mutterschutzlohn fällig geworden sind.
1.
Nach § 18 Satz 1 MuSchG erhält eine Frau, die wegen des Beschäftigungsverbotes außerhalb der Schutzfristen vor oder nach der Entbindung teilweise oder gar nicht beschäftigt werden darf, von ihrem Arbeitgeber Mutterschutzlohn. Als Mutterschutzlohn wird nach § 18 S. 2 MuSchG in der seit 01.01.2018 geltenden Fassung das durchschnittliche Arbeitsentgelt der letzten drei abgerechneten Kalendermonate vor dem Eintritt der Schwangerschaft gezahlt. Bei einem mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbot außerhalb der Schutzfristen verwirklicht § 18 S. 1 MuSchG die mutterschutzrechtlich geforderte wirtschaftliche Fürsorge im Wege eines arbeitsvertragsrechtlichen Individualanspruchs. Dieser auf Weitergewährung des durchschnittlichen Arbeitsentgelts gerichtete Anspruch beruht zwar auf einer gesetzlichen Regelung und regelt eine arbeitsschutzrechtlich bedingte Entgeltfortzahlung trotz fehlender Arbeitsleistung, dennoch handelt es sich um einen privatrechtlichen Lohnanspruch, der originär arbeitsvertraglich begründet ist (vgl. nur Brose/Beth/Volk MuSchG § 18 Rn. 6 m.w.N.).
2.
Zielsetzung der Norm ist der Schutz vor wirtschaftlichen Nachteilen, die infolge von Beschäftigungsverboten eintreten können. Schwangere sollen vor wirtschaftlichen Nachteilen bewahrt werden, die sonst mit einem Beschäftigungsverbot verbunden wären. Die Beschäftigungsverbote sollen zu keiner Verdienstminderung führen, damit jeder finanzielle Anreiz für die Arbeitnehmerin entfällt, die Arbeit zu ihrem und des Kindesnachteils fortzusetzen (vgl. zum Zuschuss zum Mutterschaftsgeld nach § 14 Abs. 1 MuSchG in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung BAG 14.12.2011 -5 AZR 439/10- Rn. 18; 11.10.2000 - 5 AZR 240/99-, NZA 2001, 445 (448); Brose/Beth/Volk MuSchG, § 18 Rn. 2).
3.
Mit der Reform des Mutterschutzgesetzes zum 01.01.2018 hat der Gesetzgeber Vorgaben der Mutterschutzrichtlinie 92/85/EWG vom 19. Oktober 1992, geändert durch die Richtlinie 2014/27/EU vom 26. Februar 2014, umgesetzt. Artikel 11 Nr. 2 der Richtlinie 92/85/EWG steht dabei nationalen Rechtsvorschriften nicht entgegen, die im Mutterschaftsurlaub ein Arbeitsentgelt vorsehen, dass dem Durchschnittsverdienst gleichkommt, der in einem Referenzzeitraum vor Beginn dieses Urlaubs unter Ausschluss einer Zulage bezogen wurde (EuGH 1. Juli 2010 - C-194/08 - Rn. 91; BAG 19. Mai 2021 - 5 AZR 378/20 Rn. 25). Arbeitnehmerinnen können nicht fordern, dass ihnen während ihres Mutterschaftsurlaubs immer ihr volles Entgelt weitergezahlt wird, als ob sie wie andere Arbeitnehmer/innen tatsächlich an ihrem Arbeitsplatz gearbeitet haben (EuGH 14. Juli 2016 - C-335/15 Rn. 31 m.w.N.).
4.
Die Beklagte hat in der streitbefangenen Zeit des Beschäftigungsverbotes die Vergütungsansprüche der Klägerin vollständig erfüllt.
a) Die Beklagte hat der Klägerin nach § 18 Satz 2 i.V.m. § 21 MuSchG das durchschnittliche Arbeitsentgelt der letzten drei abgerechneten Kalendermonate vor dem Eintritt der Schwangerschaft gezahlt. Dies steht zwischen den Parteien außer Streit. Die Beklagte hat nicht entsprechend der Rechtsprechung zu § 11 Abs. 1 MuSchG in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung auf das Entstehen der Provisionsansprüche abgestellt, sondern entsprechend dem ausdrücklichen Wortlaut von § 18 Satz 2 MuSchG auf das durchschnittliche Arbeitsentgelt der letzten drei abgerechneten Kalendermonate vor Eintritt der Schwangerschaft (zum alten Gesetzesstand vgl. BAG 14.12.2011 - 5 AZR 439/10). Es bedarf vorliegend keiner Entscheidung, ob nach § 18 S. 2 MuSchG n.F. entgegen dem eindeutigen Wortlaut der Norm an dieser Form der Berücksichtigung von Provisionen festzuhalten ist (so Ranke/Pepping MuSchG/Elterngeld/Elternzeit 6. Aufl. 2022, § 18 MuSchG Rn. 37). Streitgegenständlich sind nicht die Berechnung des pauschalen Mutterschutzlohns nach § 18 Satz 2 MuSchG sondern weitere der Höhe nach unstreitige während des Beschäftigungsverbots fällig gewordene Provisionsansprüche.
b) Der Klägerin stehen nicht kumulativ beide Vergütungsansprüche zu (so aber MHdB ArbR/Krause 5. Aufl. § 65 Rn. 38). Sie hat zwar von ihr vermittelte Geschäfte ins Verdienen gebracht und deshalb aus § 611a Abs. 2 BGB i.V.m. den zwischen den Parteien geschlossenen Arbeitsvertrag Anspruch auf die fälligen Provisionen. Gleichermaßen hat sie aber einen Anspruch aus § 18 Satz 2 MuSchG auf Weitergewährung des durchschnittlichen Arbeitsentgelts. Dieser privatrechtliche Lohnanspruch ist wie die streitgegenständlichen Provisionsansprüche arbeitsvertraglich begründet und enthält einen aus dem Referenzzeitraum errechneten Anteil an variabler Vergütung, der Provisionsausfälle ausgleichen soll. Damit beruht der Anspruch auf den variablen Teil der Vergütung auf mehreren Anspruchsgrundlagen (vgl. für den Anspruch auf Erholungsurlaub BAG 1. März 2022 - 9 AZR 353/21). Der Arbeitgeber muss jedoch nur einen Vergütungsanspruch aus dem Arbeitsvertrag erfüllen. Dies hat die Beklagte getan, indem sie den durchschnittlichen Verdienst aus den letzten drei abgerechneten Kalendermonaten vor Eintritt der Schwangerschaft ausgekehrt hat. Sie hat entsprechend dem Zweck der Richtlinie und § 18 MuSchG der Klägerin die wirtschaftliche Absicherung gegeben, die nötig ist, um keinen Anreiz für eine die Gesundheit ihres ungeborenen Kindes gefährdende zusätzliche Tätigkeit zu setzen.
c) Daraus folgt nach Auffassung der Kammer, dass jeweils der höhere Anspruch zu erfüllen ist. Hätte der allein arbeitsvertraglich begründete Provisionsanspruch zu einem höheren Entgelt geführt, hätte die Klägerin darauf Anspruch. Vorliegend waren die Provisionsansprüche aber in jedem Monat geringer als im Durchschnitt der letzten drei abgerechneten Kalendermonate vor Eintritt der Schwangerschaft.
d) Unmaßgeblich ist, dass auf Grundlage der zwischen den Parteien geschlossenen vertraglichen Vereinbarung die Klägerin nach Rückkehr aus Mutterschutz oder Elternzeit zunächst nur die Fixvergütung erhalten wird, bis wieder Provisionen ins Verdienen gebracht sind. Dies ist Folge der vertraglichen Absprache und begründet keine Benachteiligung der Klägerin i.S.v. §§ 1, 7 AGG dar. Ziel des Mutterschutzlohnes ist es, der Klägerin während eines Beschäftigungsverbots eine wirtschaftliche Absicherung zu gewähren. Nach Wiederaufnahme des Arbeitsverhältnisses richten sich die wechselseitigen Ansprüche ausschließlich nach den Vereinbarungen der Parteien. Ein wirtschaftlicher Nachteilsausgleich für diese Zeitspanne ist dem MuSchG nicht zu entnehmen.
e) Die Klägerin verkennt, dass sie bei kumulativer Auszahlung von Mutterschutzlohn und Provision tatsächlich besser stünde als in einem aktiven Beschäftigungsverhältnis. Diese Besserstellung würde sich in den Schutzfristen des § 3 MuSchG fortsetzen, weil der Zuschuss zum Mutterschaftsgeld nach § 20 Abs. 1 S. 2 MuSchG aus den letzten 3 abgerechneten Kalendermonaten vor Beginn der Schutzfristen vor der Entbindung und damit auf Grundlage von Mutterschaftslohn und zusätzlichen Provisionen berechnet wird. Die Berufung der Klägerin war deshalb mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
III.
Gegen dieses Urteil ist die Revision zulässig (§ 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG). Das Verhältnis von Mutterschaftslohn und zeitgleich fällig werdenden Provisionsansprüchen betrifft eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung.