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Urteil vom 22.02.2023 · IWW-Abrufnummer 235182

Landesarbeitsgericht Niedersachsen - Aktenzeichen 8 Sa 713/22

In einem befristeten Arbeitsverhältnis kann der Beweiswert von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen unter Umständen dadurch erschüttert sein, dass diese sich durchgängig (nahezu) genau über die letzten sechs Wochen vor dem vereinbarten Ende des Arbeitsverhältnisses erstrecken (hier: verneint).


Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts A-Stadt vom 17.08.2022 - 3 Ca 43/22 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.



Tatbestand



Die Parteien streiten über Entgeltfortzahlungsansprüche im Krankheitsfall.



Die Klägerin war als Pflegefachkraft befristet bis zum 00.00.2021 bei der Beklagten tätig. Am 00.00.2021 meldete sich die Klägerin krank und reichte eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (Erstbescheinigung) der Fachärzte für Allgemein Medizin W. bei der Beklagten ein (vgl. Bl. 38 d. A.), wonach eine voraussichtliche Arbeitsunfähigkeit bis einschließlich 00.00.2021 bescheinigt wurde. Mit Folgebescheinigung vom 00.00.2021, eingegangen bei der Beklagten am 00.00.2021, reichte die Klägerin eine weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung derselben Ärzte bis voraussichtlich einschließlich 00.00.2021 ein. Mit Folgebescheinigung vom 00.00.2021 (vgl. Bl. 40 d. A.), bei der Beklagten eingegangen am 00.00.2021, bescheinigten dieselben behandelnden Ärzte eine Arbeitsunfähigkeit bis einschließlich 00.00.2021.



Am 00. und 00.00.2021 (Wochenende) war die Klägerin nicht zu einem Dienst eingeplant. Am 00.00.2021 erhielt die Klägerin einen Ausgleichstag für Wochenenddienste. Dies ergab sich aus dem Dienstplan für September 2021, der bereits Anfang August 2021 veröffentlicht wurde.



Am 00.00.2021 baute die Klägerin Mehrstunden ab. Die Beklagte zahlte für den Monat August 2021 das gesamte vertraglich vereinbarte Gehalt, davon einen Teil für die bis zum 00.00.2021 erbrachte Arbeitsleistung und den anderen Teil als Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.



Für den Monat September 2021 leistete die Beklagte keine Zahlungen mehr.



Die Klägerin verlangte zunächst außergerichtlich Zahlung für die Zeit vom 00.00. bis 00.00.2021. Mit Mail vom 00.00.2021 (vgl. Bl. 5 f. d.A.) lehnte die Beklagte entsprechende Zahlungen an die Klägerin ab. Zwar stünden der Klägerin bis 00.00. grundsätzlich eine Regelvergütung von 2.182,99 € brutto, eine Vergütung für 78,35 Mehrarbeitsstunden in Höhe von 1.331,17 € brutto und eine Urlaubsabgeltung für vier Tage von 523,20 € brutto zu. Die Beklagte bezweifele jedoch, dass die Klägerin tatsächlich ab dem 00.00.2021 krank gewesen sei.



Tatsächlich leistete die Beklagte im Monat September 2021 insgesamt nur 181,10 € brutto an die Klägerin (vgl. Bl. 10 d. A.).



Vor Ablauf der Befristung hatte die Pflegedienstleiterin der Beklagten, Frau D., Kontakt mit der Klägerin aufgenommen, um eine Vertragsverlängerung zu sprechen. Bis einschließlich 00.00.2021 stand die Klägerin auch in Kontakt mit der Pflegedienstleiterin. Diese teilte der Klägerin in einer Nachricht am 00.00.2021 mit, dass ein neuer Vertrag zur Unterschrift bereitliege. Darauf ging die Klägerin allerdings nicht mehr ein.



Die Klägerin hat erstinstanzlich vorgebracht, ihr stünden die gesamten 2.182,99 € brutto "Regelvergütung" für September bis einschließlich 00.00.2021 als Entgeltfortzahlung zu, da sie arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei bis einschließlich 00.00.2021, unstreitig am Wochenende 00. und 00.00.2021 nicht habe arbeiten müssen und am 00. und 00. nicht zur Arbeit eingeteilt gewesen sei.



Des Weiteren stehe ihr die außergerichtlich mitgeteilte Mehrarbeitsvergütung von 1.331,17 € brutto zu und die mitgeteilte Urlaubsabgeltung für vier Tage in Höhe von 523,20 €.



Mit Schriftsatz vom 00.00.2022 (vgl. Bl. 48 ff. d. A.) hat die Klägerin ausgeführt, sie habe einen Resturlaub von fünf Tagen ermittelt. Ihr stehe daher eine Urlaubsabgeltung für einen weiteren Tag in Höhe von 130,80 € zu.



Die Klägerin hat vor dem Arbeitsgericht weiter vorgetragen, entgegen der Ansicht der Beklagten sei sie sehr wohl arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Dies werde durch den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen grundsätzlich ausreichend belegt. Dieser Beweiswert sei von der Beklagten nicht erschüttert worden. Die Klägerin sei auch nicht gehalten gewesen, auf Wünsche oder Angebote der Beklagten zu einer Vertragsverlängerung einzugehen. Sie sei der Beklagten hierzu keine Rechenschaft schuldig.



Die Klägerin hat vor dem Arbeitsgericht beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 3.987,06 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.09.2021 zu zahlen.



Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.



Sie hat vor dem Arbeitsgericht geltend gemacht, der Klägerin stehe der Zahlungsanspruch nicht zu, da sie die Voraussetzungen des § 3 EZFG (insbesondere Verhinderung der Arbeitsleistung durch Arbeitsunfähigkeit infolge von Krankheit) nicht dargelegt habe. Eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung begründe - wie der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes zu entnehmen sei - keine gesetzliche Vermutung im Sinne des § 292 ZPO, dass tatsächlich eine Arbeitsunfähigkeit bestehe. Aufgrund des normativen Beweiswertes der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung reiche allerdings ein einfaches Bestreiten der Arbeitsunfähigkeit durch den Arbeitgeber nicht aus, er müsse vielmehr Tatsachen darlegen und beweisen, die Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit entstehen lassen und so den Beweiswert der ärztlichen Bescheinigung erschüttern würden. Dies sei hier der Fall. Der Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit decke sich im vorliegenden Fall mit dem Zeitraum, in dem die Klägerin Arbeitsleistung hätte erbringen müssen, vollständig ab. Der Klägerin sei durch Kenntnis des Dienstplanes - und damit bevor sie die erste Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eingereicht habe - bekannt gewesen, dass sie ab dem 00.00.2021 nicht mehr habe arbeiten müssen. Die zeitliche Koinzidenz zwischen der noch bestehenden Dauer des Arbeitsverhältnisses, der Arbeitsverpflichtung und der Arbeitsunfähigkeit begründeten schon für sich genommen Zweifel daran, dass im Zeitraum 00.00. bis 00.00.2021 eine Arbeitsunfähigkeit tatsächlich vorgelegen habe. Die vagen Äußerungen der Klägerin zu ihrem Gesundheitszustand gegenüber der Pflegedienstleitung ließen darüber hinaus nicht auf eine schwere Erkrankung schließen, die einen längerfristigen krankheitsbedingten Ausfall zur Folge haben würde. Gegen das Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeit spreche auch, dass die Klägerin sich offenkundig schon vor ihrer Abwesenheit darauf eingerichtet habe, eine neue Stelle anzutreten.



Soweit die Klägerin Anspruch auf Auszahlung von Mehrarbeitsvergütung habe, könne die Beklagte dagegen aufrechnen. Die Aufrechnung sei jedenfalls zulässig, soweit sie die Hälfte der Mehrarbeitsstunden betreffe (§ 850 a Nr. 1 ZPO). Soweit die Aufrechnung mit der anderen Hälfte der Mehrarbeitsstunden sowie mit der Urlaubsabgeltung unzulässig sein sollte, behalte sich die Beklagte vor, hierauf entfallende Beträge im Rahmen einer (Hilfs-)Widerklage geltend zu machen.



Hinsichtlich des weiteren Vorbringens erster Instanz wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen ergänzend Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie auf das Protokoll der erstinstanzlichen Kammerverhandlung vom 00.00.2022 (vgl. Bl. 51 f. d.A.).



Mit Urteil vom 17.08.2022 (Bl. 55 ff. d.A.) hat das Arbeitsgericht der Klage in Höhe von 3.856,26 Euro und damit weit überwiegend stattgegeben. Es hat zur Begründung ausgeführt, der Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sei vorliegend nicht erschüttert. Die Klägerin habe nicht nur eine "passgenaue" Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, sondern drei aufeinander folgende vorgelegt. Dadurch werde die für eine Erschütterung des Beweiswertes erforderliche zeitliche Koinzidenz durchbrochen. Die Klägerin habe auch ihre Ärzte nicht gewechselt. Es fehle darüber hinaus an einer Kündigung der Klägerin oder der Beklagten und einer damit in zeitlichem Zusammenhang stehenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung.



Das Urteil des Arbeitsgerichts ist der Beklagten ausweislich der Zustellungsurkunde Bl. 65 d.A. am 00.00.2022 zugestellt worden. Hiergegen hat die Beklagte mit einem am gleichen Tage eingegangenen Schriftsatz vom 00.00.2022 (Bl. 69 ff. d.A.) fristgerecht Berufung eingelegt und diese nach antragsgemäßer Fristverlängerung auf den 00.00.2022 (Bl. 91 d.A.) mit einem bei dem erkennenden Gericht am 00.00.2022 eingegangenen Schriftsatz auch fristgerecht begründet.



Die Beklagte macht geltend, entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts sei der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert, weil die gesamte verbleibende Zeit des restlichen Arbeitsverhältnisses passgenau mit Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen abgedeckt worden sei. Auch habe eine der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen einen Zeitraum von mehr als zwei Wochen umfasst.



Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Hameln vom 21.09.2022 - 3 Ca 43/22 - abzuändern und die Klage abzuweisen.



Die Klägerin und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.



Sie macht geltend, der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sei nicht erschüttert, weil bei einer Befristung die Bescheinigung allenfalls dann als "passgenau" anzusehen sei, wenn die Krankheit sechs Wochen vor dem vereinbarten Ende des Arbeitsverhältnisses eintrete, was vorliegend nicht der Fall gewesen sei. Zudem habe der mit den Bescheinigungen abgedeckte Zeitraum vier Tage vor Ablauf der Befristung geendet.



Wegen des weiteren zweitinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen ihnen vor dem erkennenden Gericht gewechselten Schriftsätze und das Protokoll der Kammerverhandlung vom 22.02.2023 verwiesen.



Entscheidungsgründe



Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zutreffend entschieden, dass der Klägerin ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zusteht.



I.



Die Berufung ist gemäß § 64 Abs. 2 lit. b ArbGG statthaft. Sie ist gemäß §§ 66 Abs. 1 i.V.m. § 64 Abs. 6 ArbGG, §§ 519 Abs. 1, 520 ZPO in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden. Sie genügt auch den Anforderungen des § 520 Abs. 3 S. 2 ZPO.



II.



Die Berufung der Beklagten ist unbegründet.



Von den Zahlungsansprüchen sind zweitinstanzlich lediglich die Ansprüche der Klägerin auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall - und auch diese nur dem Grunde, nicht der Höhe nach - streitig, so dass sich die nachfolgenden Ausführungen hierauf beschränken.



1.



Ein Arbeitnehmer hat nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen, wenn er durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert ist, ohne dass ihn ein Verschulden trifft.



a)



Nach allgemeinen Grundsätzen trägt der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast für die Anspruchsvoraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG (BAG 11. Dezember 2019 - 5 AZR 505/18 - Rn. 16, BAGE 169, 117).



aa)



Der Beweis krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit wird in der Regel durch die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung iSd. § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG geführt. Die ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist das gesetzlich ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigste Beweismittel für das Vorliegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG reicht die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung iSd. § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG aus, um dem Arbeitgeber das Recht zur Leistungsverweigerung zu entziehen. Diese gesetzgeberische Wertentscheidung strahlt auch auf die beweisrechtliche Würdigung aus. Der ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt daher aufgrund der normativen Vorgaben im Entgeltfortzahlungsgesetz ein hoher Beweiswert zu. Der Tatrichter kann normalerweise den Beweis einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit als erbracht ansehen, wenn der Arbeitnehmer im Rechtsstreit eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegt (so die st. Rspr., vgl. BAG 26. Oktober 2016 - 5 AZR 167/16 - Rn. 17, BAGE 157, 102; 15. Juli 1992 - 5 AZR 312/91 - zu II 1 der Gründe, BAGE 71, 9).



bb)



Die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung begründet jedoch keine gesetzliche Vermutung einer tatsächlich bestehenden Arbeitsunfähigkeit iSd. § 292 ZPO mit der Folge, dass nur der Beweis des Gegenteils zulässig wäre (st. Rspr. BAG 11. August 1976 - 5 AZR 422/75 - zu 2 c der Gründe, BAGE 28, 144; 11. Oktober 2006 - 5 AZR 755/05 - Rn. 35; BGH 16. Oktober 2001 - VI ZR 408/00 - zu II der Gründe, BGHZ 149, 63). Aufgrund des normativ vorgegebenen hohen Beweiswerts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung genügt jedoch ein "bloßes Bestreiten" der Arbeitsunfähigkeit mit Nichtwissen durch den Arbeitgeber nicht, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitsunfähigkeit mit einer ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nachgewiesen hat. Vielmehr kann der Arbeitgeber den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nur dadurch erschüttern, dass er tatsächliche Umstände darlegt und im Bestreitensfall beweist, die Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers ergeben mit der Folge, dass der ärztlichen Bescheinigung kein Beweiswert mehr zukommt. Der Arbeitgeber ist dabei nicht auf die in § 275 Abs. 1a SGB V aufgeführten Regelbeispiele ernsthafter Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit beschränkt. Hierfür gibt es weder nach Wortlaut, Systematik und Zweck der Regelung, der in der Bekämpfung eines Missbrauchs der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall liegt (vgl. BT-Drs. 12/5263 S. 10), hinreichende Anhaltspunkte. Diese Bestimmung gibt ihm lediglich ein zusätzliches Instrument zur Erschütterung des Beweiswerts an die Hand, um einem missbräuchlichen Verhalten des Arbeitnehmers begegnen zu können. Den Beweiswert erschütternde Tatsachen können sich auch aus dem eigenen Sachvortrag des Arbeitnehmers (dazu bspw. BAG 26. Oktober 2016 - 5 AZR 167/16 - Rn. 18, BAGE 157, 102) oder aus der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung selbst ergeben.



cc)



Bei der näheren Bestimmung der Anforderungen an die wechselseitige Darlegungslast der Parteien ist zu berücksichtigen, dass der Arbeitgeber in aller Regel keine Kenntnis von den Krankheitsursachen hat und nur in eingeschränktem Maß in der Lage ist, Indiztatsachen zur Erschütterung des Beweiswerts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzutragen. In Anbetracht dieser Schwierigkeiten hat das Bundesarbeitsgericht bereits erkannt, dass dem Arbeitgeber, der sich auf eine Fortsetzungserkrankung iSd. § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG beruft, hinsichtlich der ihn insoweit treffenden Darlegungs- und Beweislast Erleichterungen zuzubilligen sind (vgl. BAG 13. Juli 2005 - 5 AZR 389/04 - zu I 6 der Gründe, BAGE 115, 206; im Anschluss hieran BAG 10. September 2014 - 10 AZR 651/12 - Rn. 27, BAGE 149, 101). Ebenso hat es entschieden, dass in Bezug auf die vom Arbeitgeber im Rahmen von § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG vorzutragenden Indizien für das Vorliegen eines einheitlichen Verhinderungsfalls der Unkenntnis des Arbeitgebers von den Krankheitsursachen angemessen Rechnung zu tragen ist (vgl. BAG 11. Dezember 2019 - 5 AZR 505/18 - Rn. 20, BAGE 169, 117). Da die Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung keine gesetzliche Vermutung oder eine Beweislastumkehr auslöst, dürfen an den Vortrag des Arbeitsgebers, der ihren Beweiswert erschüttern will, keine - unter Berücksichtigung seiner eingeschränkten Erkenntnismöglichkeiten - überhöhten Anforderungen gestellt werden. Der Arbeitgeber muss gerade nicht, wie bei einer gesetzlichen Vermutung, Tatsachen darlegen, die dem Beweis des Gegenteils zugänglich sind.



b)



Gelingt es dem Arbeitgeber, den Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern, so tritt hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast wieder derselbe Zustand ein, wie er vor Vorlage der Bescheinigung bestand. Es ist dann Sache des Arbeitnehmers, konkrete Tatsachen darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen, die den Schluss auf eine bestehende Erkrankung zulassen. Hierzu ist substantiierter Vortrag zB dazu erforderlich, welche Krankheiten vorgelegen haben, welche gesundheitlichen Einschränkungen bestanden haben und welche Verhaltensmaßregeln oder Medikamente ärztlich verordnet wurden (vgl. BAG 17. Juni 2003 - 2 AZR 123/02 - Rn. 30; 26. August 1993 - 2 AZR 154/93 - BAGE 74, 127). Der Arbeitnehmer muss also zumindest laienhaft bezogen auf den gesamten Entgeltfortzahlungszeitraum schildern, welche konkreten gesundheitlichen Beeinträchtigungen mit welchen Auswirkungen auf seine Arbeitsfähigkeit bestanden haben. Soweit er sich für die Behauptung, aufgrund dieser Einschränkungen arbeitsunfähig gewesen zu sein, auf das Zeugnis der behandelnden Ärzte beruft, ist dieser Beweisantritt nur ausreichend, wenn er die Ärzte von ihrer Schweigepflicht entbindet. Ob dies konkludent, zB durch die Benennung als Zeuge, geschehen kann, erscheint mit Blick auf die höchstpersönliche Natur des Schutzinteresses des Arztgeheimnisses nicht frei von Zweifeln (vgl. MüKoZPO/Damrau/Weinland 6. Aufl. § 385 Rn. 13; aA BAG 8. Mai 2014 - 2 AZR 75/13 - Rn. 40, BAGE 148, 129; Musielak/Voit/Huber ZPO 18. Aufl. § 385 Rn. 8).



Mit Urteil vom 8. September 2021 - 5 AZR 149/21 - hat der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts erkannt, dass dann, wenn ein Arbeitnehmer, der sein Arbeitsverhältnis kündigt, am Tag der Kündigung arbeitsunfähig krankgeschrieben wird, dies den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung insbesondere dann erschüttern kann, wenn die bescheinigte Arbeitsunfähigkeit passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfasst (zeitliche Koinzidenz).



2.



Dem vom Bundesarbeitsgericht zuletzt entschiedenen Fall lagen drei wesentliche Umstände zugrunde, die in ihrer Gesamtheit zur Erschütterung des Beweiswertes führten: 1.) es handelte sich um eine einzige Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, 2.) diese Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung deckte passgenau die restliche Dauer des Arbeitsverhältnisses - also im dortigen Fall die gesamte Kündigungsfrist - ab, 3.) die dortige Klägerin hatte eine Eigenkündigung ausgesprochen, sich zeitgleich mit der Einreichung ihrer Kündigung arbeitsunfähig gemeldet und eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eingereicht.



a)



Die Vorlage einer einzigen, im vom Bundesarbeitsgericht zu entscheidenden Fall sich über einen Zeitraum von 15 Tagen erstreckenden ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist auch aus Sicht der Kammer in besonderer Weise zur Erschütterung des Beweiswertes einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung geeignet. Liegen die übrigen oben genannten Voraussetzungen vor, so hindert aus Sicht der Kammer - gerade bei einer zwei Wochen übersteigenden Kündigungsfrist oder im Falle einer sechswöchigen Erkrankung zum Befristungsende - auch die Vorlage mehrerer Bescheinigungen nicht die Annahme, deren Beweiswert sei erschüttert.



b)



Die ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen deckten vorliegend nicht die gesamte Zeit bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses ab. Die letzte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bescheinigte eine Krankheit der Klägerin bis zum 00.00.2021, das Arbeitsverhältnis endete gemäß der Befristungsabrede zum 00.00.2021. Allerdings traf die Klägerin am 00.00. und 00.00. (Wochenende) gemäß Dienstplan keine Arbeitsverpflichtung, am 00.00. erhielt sie einen Ausgleichstag, am 00.00. baute sie Mehrstunden ab. War für die Klägerin frühzeitig vorhersehbar, dass sie vom 00.00. bis zum 00.00. nicht würde arbeiten müssen, könnte eine "zeitliche Koinzidenz" auch "nach hinten" nach Auffassung der Kammer gegebenenfalls bejaht werden.



c)



Vorliegend hat die Klägerin keine Eigenkündigung ausgesprochen. Auch eine Kündigung der Beklagten - die grundsätzlich, wenn der Arbeitnehmer sich "postwendend" nach deren Erhalt arbeitsunfähig meldet, aus Sicht der Kammer ebenfalls geeignet sein könnte, eines der Elemente zu bilden, die in der Gesamtschau den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern vermögen - liegt nicht vor. Vorliegend endete das Arbeitsverhältnis aufgrund einer vertraglich vereinbarten Befristung. Nach Auffassung der Kammer kann auch eine solche Befristung grundsätzlich geeignet sein, einen Anknüpfungspunkt zur Erschütterung des Beweiswertes einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu bilden; dies jedoch nur dann, wenn der Arbeitnehmer sich 42 Kalendertage vor dem vereinbarten Ende des Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig meldet und entsprechende ärztliche Bescheinigungen, die den Zeitraum bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses umfassen, einreicht. Ein solcher Geschehensablauf kann aus Sicht der Kammer deswegen dazu beitragen, den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern, weil der am Ende des Arbeitsverhältnisses gelegene Zeitraum der Krankheit dann "passgenau" mit dem gesetzlichen, sechswöchigen Entgeltfortzahlungsanspruch übereinstimmt.



Der erste Tag des sechswöchigen Entgeltfortzahlungszeitraums wäre - bei vereinbarter Befristung zum 00.00.2021 - der 00.00.2021 gewesen. Tatsächlich war die Klägerin ab dem 00.00.2021 erkrankt, also fünf Tage nach Beginn dieses Zeitraumes. Dahinstehen kann, ob auch bei einer Abweichung von ein oder zwei Tagen die "Passgenauigkeit" noch bejaht werden kann; aus Sicht der Kammer ist dies bei der vorliegenden Differenz von fünf Tagen nicht der Fall.



Das aus Sicht der Kammer wichtigste Merkmal zur Erschütterung des Beweiswertes einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in Fällen des vorliegenden Typs, die zeitliche Koinzidenz des Beginns der Arbeitsunfähigkeit mit einer Eigenkündigung, möglicherweise auch einer Arbeitgeberkündigung und schließlich gegebenenfalls auch noch - nach der hier vertretenen Auffassung - mit dem Sechswochenzeitraum, der vor einem vertraglich vereinbarten Befristungsende liegt, ist hier nicht gegeben. Die übrigen Umstände mögen aus Sicht der Beklagten ärgerlich sein, reichen jedoch nach Auffassung der Kammer zur Erschütterung des Beweiswertes nicht aus. Allein die Tatsache, dass ein Arbeitnehmer - und sei es auch für mehrere Wochen - vor dem Ende eines Arbeitsverhältnisses erkrankt, erschüttert den Beweiswert aus Sicht der Kammer ebenso wenig wie das Faktum, dass diese Krankheit bis zum Ende durchgängig anhält oder der Arbeitnehmer jedenfalls aufgrund (hier: möglicherweise) frühzeitig vorhersehbarer Umstände, die seine Arbeitspflicht entfallen lassen (Abbummeln von Überstunden, Urlaub etc.), bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses keine Arbeitsleistung erbringt. Auch der Umstand, dass die zweite Folgebescheinigung den Zeitraum vom 00.00. bis zum 00.00. und damit 16 Tage umfasste, reicht - auch in Zusammenschau mit den o.g. weiteren Tatsachen - aus Sicht der Kammer für eine Erschütterung des Beweiswertes (noch) nicht aus.



Da die Beklagte den Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nicht zu erschüttern vermochte und die übrigen Voraussetzungen eines Entgeltfortzahlungsanspruches nach § 3 Abs. 1 EFZG vorliegen, besteht der klageweise geltend gemachte Anspruch. Die hiergegen gerichtete Berufung konnte keinen Erfolg haben.



III.



Die Beklagte und Berufungsklägerin trägt die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels (§ 97 ZPO).



Die Revision war zuzulassen. Unter welchen Umständen der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert wird, ist durch das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 8. September 2021 - 5 AZR 149/21 - aus Sicht der Kammer nicht hinlänglich geklärt. Die oben aufgeworfenen Rechtsfragen sind entscheidungserheblich, klärungsbedürftig und aus Sicht der Kammer auch abstrakt klärungsfähig.

Vorschriften§ 292 ZPO, § 850 a Nr. 1 ZPO, § 64 Abs. 2 lit. b ArbGG, §§ 66 Abs. 1, § 64 Abs. 6 ArbGG, §§ 519 Abs. 1, 520 ZPO, § 520 Abs. 3 S. 2 ZPO, § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG, § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG, § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG, § 275 Abs. 1a SGB V, § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG, § 3 Abs. 1 EFZG, § 97 ZPO