Urteil vom 21.03.2023 · IWW-Abrufnummer 235537
Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern - Aktenzeichen 2 Sa 156/22
1. Der Beweis krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit wird in der Regel durch die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG geführt. Die ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist das gesetzlich ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigste Beweismittel für das Vorliegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG reicht die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG aus, um dem Arbeitgeber das Recht zur Leistungsverweigerung zu entziehen.
2. Der Arbeitgeber kann den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dadurch erschüttern, dass er tatsächliche Umstände darlegt und im Bestreitensfall beweist, die Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers ergeben mit der Folge, dass der ärztlichen Bescheinigung kein Beweiswert mehr zukommt. Der Arbeitgeber ist dabei nicht auf die in § 275 Abs. 1a SGB V aufgeführten Regelbeispiele ernsthafter Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit beschränkt ( BAG, Urteil vom 08.09.2021 - 5 AZR 149/21 - Rn. 13, juris).
3. Erforderlich ist die konkrete Einzelfallprüfung unter Berücksichtigung des hohen Beweiswertes von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen.
4. Eine subjektive Betrachtung kann nicht den entscheidungserheblichen Maßstab darstellen. Vielmehr ist es notwendig, dass nach Maßgabe eines verständigen Arbeitgebers objektiv greifbare, belastbare Tatsachen feststellbar und gegebenenfalls beweisbar sind, die ein Ergebnis der ernsthaften Zweifel an einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung tragen können. Liegen dagegen lediglich objektiv mehrdeutige, plausibel erklärbare Sachverhalte vor, sind diese jedenfalls grundsätzlich nicht geeignet, ernsthafte Zweifel an einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung begründen zu können ( LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 08.02.2023 - 3 Sa 135/22 - Rn. 31, juris).
5. Möchte ein Arbeitgeber die Entfernung privater Gegenstände aus dem Betrieb anführen, um zu belegen, dass ein Arbeitnehmer nicht mehr in den Betrieb habe zurückkommen, also keinerlei Arbeitsleistung mehr habe erbringen wollen, muss er die privaten Gegenstände benennen, welche der Arbeitnehmer im Betrieb aufbewahrt und die er sodann entfernt hat. Die pauschale Behauptung fehlender privater Gegenstände in dem Betrieb ist nicht geeignet, den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern.
Tenor:
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Schwerin vom 16.08.2022 zum Aktenzeichen 6 Ca 1267/21 wird zurückgewiesen.
Zur Klarstellung wird das Urteil zu Ziffer 1 wie folgt neu gefasst:
1. Unter Aufhebung des Versäumnis-Urteils vom 12.07.2022 wird die Beklagte verurteilt, an den Kläger 2.903,20 Euro brutto zuzüglich fünf Prozentpunkten Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 01.12.2021 zu zahlen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte mit Ausnahme der durch die Säumnis im Termin vom 12.07.2022 bedingten Kosten, welche der Kläger zu tragen hat.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Entgeltfortzahlung.
Der im August 1995 geborene Kläger war gemäß schriftlichem Arbeitsvertrag (Anlage K 1, Bl. 5 ff d.A.) ab dem 01.08.2019 bei der Beklagten, die eine Verpackungsdruckerei betreibt und bei der ca. 140 Arbeitnehmer tätig sind, als Mechatroniker beschäftigt. Im Arbeitsvertrag der Parteien ist als Anschrift des Klägers "E-Straße, F-Stadt" angegeben. Mit Schreiben vom 29.10.2021 (Anlage K 2, Bl. 8 d.A.) kündigte der Kläger dieses Arbeitsverhältnis zum 30.11.2021 und bat u.a. um Zusendung eines Zeugnisses und der Arbeitspapiere an die Anschrift E-Straße in F-Stadt. Für die Zeiträume 03.11.2021 - 17.11.2021 sowie 17.11.2021 - 30.11.2021 reichte der Kläger bei der Beklagten von Frau Dr. J. ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ein. Ab dem 01.12.2021 nahm der Kläger eine Tätigkeit bei einem anderen Arbeitgeber auf. Am 19.01.2020 öffnete die Beklagte den Spind des Klägers und fand dort einen Teil der von ihr gestellten Arbeitskleidung vor. Der übrige Teil der Arbeitskleidung befand sich am klägerischen Arbeitsplatz. Im Pausenfach des Klägers waren betriebseigenes Besteck sowie ein betriebseigenes Glas aufbewahrt, im Pausenraum standen eine vom Kläger verbliebene Kaffeemaschine der Marke "Severin" nebst Kaffeedose.
Mit seiner der Beklagten am 30.12.2021 zugestellten Klage hat der Kläger nach erfolgloser außergerichtlicher Geltendmachung von der Beklagten nicht geleistete Entgeltfortzahlung für den Zeitraum 03.11.2021 - 30.11.2021 in Höhe von 2.903,20 € brutto zuzüglich Zinsen gefordert.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte müsse Entgeltfortzahlung an ihn leisten, weil die dafür erforderlichen Voraussetzungen erfüllt seien. Entgegen der Ansicht der Beklagten sei der Beweiswert der von ihm vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nicht erschüttert. Es sei zu berücksichtigen, dass er nach Zugang der Eigenkündigung bei der Beklagten noch am 01.11.2021 und 02.11.2021 Arbeitsleistungen erbracht habe, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen somit nicht passgenau die Kündigungsfrist umfassten. Er sei infolge einer Gastroenteritis und Colitis zunächst für den Zeitraum 03.11.2021 bis einschließlich 17.11.2021 mit der Diagnose A 09.9 G für den 03.11.2021 bis zum 17.11.2021 krankgeschrieben worden, mit der dringenden Empfehlung, Schonkost und Magentee zu sich zu nehmen und nach Möglichkeit säurehaltige Getränke zu meiden. Medikamente seien nicht verordnet worden. Nachdem sich die Magen-Darm-Beschwerden bis zum 17.11.2021 zwar gebessert hatten, er jedoch immer noch nicht beschwerdefrei sowie körperlich merklich geschwächt gewesen sei, habe Frau Dr. J. ihn mit der Diagnose R 53 G sogar bis zum 03.12.2021 weiterhin krankschreiben wollen, er habe dies jedoch abgelehnt, da er seine Arbeit bei dem neuen Arbeitgeber am 01.12.2021 pünktlich habe aufnehmen wollen. Deshalb sei die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bis zum 30.11.2021 ausgestellt worden. Der Kläger hat Frau Dr. J. in diesem Zusammenhang von der ärztlichen Schweigepflicht entbunden (Anlage K 9, Bl. 42 d.A.). Er hat weiterhin ausgeführt, bei der Anschrift in F-Stadt handele es sich um seine Meldeadresse, die sich auch nach Tätigkeitsaufnahme bei der Beklagten nicht geändert habe. So habe die Beklagte auch sämtlichen Schriftverkehr über diese Anschrift abgewickelt. Um Zusendung der Arbeitspapiere habe er bereits im Kündigungsschreiben aufgrund ihm mitgeteilter negativer Erfahrungen von Kollegen gebeten. Im Spind hätten sich noch Arbeitsschuhe sowie ein Topf befinden müssen, die im Pausenraum verbliebene Kaffeemaschine nebst Kaffeedose habe er zum Jahreswechsel 2021/2022 einem Arbeitskollegen "vermacht". Er habe keine Veranlassung gehabt, weitere private Gegenstände bei der Beklagten zu verwahren.
Im erstinstanzlichen Termin der mündlichen Verhandlung vor der Kammer hat der Kläger ausgeführt, dass er in der Nacht zum 03.11.2021 Bauchschmerzen, Durchfall und Erbrechen bekommen habe. Es seien dann am 03.11.2021 von der Ärztin ein Stuhlabstrich und eine Blutabnahme durchgeführt worden, deren Ergebnis er noch am 03.11.2021 erhalten habe.
Am 17.11.2021 sei erneut ein Stuhlabstrich gemacht worden. Er sei zu diesem Zeitpunkt nicht belastbar, sehr erschöpft gewesen, habe Tage durchgeschlafen und Mühe gehabt, aufzustehen. Da der Kläger in diesem Termin keinen Antrag gestellt hat, hat das Arbeitsgericht die Klage im Wege des Versäumnisurteils abgewiesen. Der Kläger hat gegen das ihm am 12.07.2022 zugestellte Versäumnisurteil mit am 18.07.2022 beim Arbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Einspruch eingelegt.
Der Kläger hat beantragt,
1. das Versäumnisurteil vom 12.07.2022 aufzuheben und
2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 2.903,20 € brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 01.12.2021 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dem Kläger stehe ein Entgeltfortzahlungsanspruch nicht zu, weil er nicht arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei. Aufgrund vorliegender Indizien sei der Beweiswert der von ihm eingereichten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erschüttert. Aus der Anforderung der Zusendung der Arbeitspapiere im Kündigungsschreiben an die Anschrift in F-Stadt ergebe sich bereits für den 29.10.2021 die Kenntnis des Klägers, dass er nicht bis zum Ablauf der Kündigungsfrist am 30.11.2021 seiner Tätigkeit bei ihr nachgehen würde. Dies werde durch die Angabe der Anschrift in F-Stadt bestätigt, wo seine Wohnadresse vor Ort doch in G-Stadt, H-Straße 34 belegen gewesen sei. Ein weiteres Indiz liege darin, dass bei der Spindöffnung am 19.01.2022 dort sowie im Pausenraum und dem zugewiesenen Schrank am Arbeitsplatz keinerlei persönliche Sachen vorgefunden worden seien. Dies weise darauf hin, dass der Kläger an seinem letzten Arbeitstag, dem 02.11.2021, bereits davon ausgegangen sei, bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht wieder an den Arbeitsplatz zurückzukehren. Schließlich deckten die eingereichten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen passgenau den Zeitraum der Kündigungsfrist bis zur Aufnahme einer Anschlussbeschäftigung am 01.12.2021 ab.
Die Beklagte bestreitet eine Erkrankung an einer Gastroenteritis und Colitis, eine Erkrankung mit einer Dauer von vier Wochen, einen Anlass zu einer Verlängerung der Arbeitsunfähigkeit ab dem 17.11.2021. Sie hat sich gegen eine Einvernahme der Zeugin Dr. J. per Videokonferenz ausgesprochen.
Das Arbeitsgericht hat die Vernehmung der Zeugin Dr. J. per Videokonferenz beschlossen. Wegen des Inhalts des Beweisbeschlusses und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 16.08.2022 Bezug genommen. Die Zeugin Dr. J. hat u.a. ausgesagt, dass unter dem 25.11.2021 wegen Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit des Klägers der Medizinische Dienst angefragt worden sei, welcher in einem Gutachten eine somatoforme Störung und akute Belastungssituation bestätigt habe.
Das Arbeitsgericht hat die Beklagte verurteilt, an den Kläger Entgeltfortzahlung in Höhe von 2.903,20 € brutto nebst Zinsen zu zahlen und zur Begründung angeführt, der Kläger habe Arbeitsunfähigkeit durch entsprechende ärztliche Bescheinigungen nachgewiesen. Die seitens der Beklagten hiergegen vorgebrachten Bedenken griffen nicht durch. Dies ergebe sich aus der Prüfung der Arbeitsunfähigkeit durch den medizinischen Dienst und deren Bestätigung sowie aus der Vernehmung der Zeugin Dr. J..
Die Beklagte hat gegen das ihr am 26.09.2022 zugestellte Urteil mit am 25.10.2022 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit am 20.12.2022 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz begründet.
Dazu führt die Beklagte aus, zwar habe das Arbeitsgericht ohne Rechtsfehler erkannt, dass die von ihr dargelegten tatsächlichen Umstände erhebliche Zweifel an einer Arbeitsunfähigkeit des Klägers ergäben, mit der Folge, dass den von ihm vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen kein Beweiswert mehr zukomme und es mithin seine Sache gewesen sei, konkrete Tatsachen darzulegen und im Bestreitensfall auch zu beweisen, die den Schluss auf die von ihm behauptete Erkrankung zulassen. Dass der Kläger den Beweis der von ihm als beweisbelastete Partei behaupteten Arbeitsunfähigkeit tatsächlich geführt habe, habe das Arbeitsgericht indes rechtsfehlerhaft angenommen. Eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes habe das Gericht nicht berücksichtigen dürfen. Es habe diesbezüglich übersehen, dass diese nicht von dem beweisbelasteten Kläger in den Prozess eingeführt worden sei, sondern lediglich von der benannten Zeugin Frau Dr. J.. Ebenfalls rechtsfehlerhaft habe das Arbeitsgericht entschieden, dass die von dem Kläger als beweisbelastete Partei benannte Zeugin Dr. J. die von ihm behauptete Arbeitsunfähigkeit bestätigt hätte. Die Zeugenaussage sei schon nicht verwertbar gewesen, weil sie - die Beklagte - einer Zeugenvernahme per Videokonferenz bereits mit Schriftsatz vom 29.07.2022 widersprochen habe, das Arbeitsgericht auf ihre Einwände nicht eingegangen sei, mit der Zeugenvernahme im Wege der Videokonferenz gegen den Grundsatz der Mündlichkeit der Verhandlung verstoßen habe. Darüber hinaus habe das Arbeitsgericht den Inhalt der Zeugenaussage überdehnt und erkennen müssen, dass keine ordnungsgemäße und den anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst entsprechende Behandlung durchgeführt worden sei, welche eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit in dem von dem Kläger behaupteten Umfang mit einer für das Beweisrecht erforderlichen Sicherheit habe feststellen können.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Schwerin vom 16.08.2022, Geschäftszeichen 6 Ca 1267/21, abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt:
1. Die Berufung wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
Der Kläger verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung und meint, es bestünden bereits keine berechtigten Zweifel an dem Beweiswert der durch ihn eingereichten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Im Ergebnis könne dies jedoch dahinstehen, denn etwaige berechtigte Zweifel seien unbegründet. Die Beklagte trage in Kenntnis der Stellungnahme der hKK Krankenkasse vom 26.11.2021 (Bl. 176 d.A.), mit welcher sie darüber informiert worden sei, dass die Arbeitsunfähigkeit weiterhin medizinisch begründet sei, vor. Spätestens mit der Einholung dieses Gutachtens des Medizinischen Dienstes seien etwaige Zweifel im Hinblick auf die Arbeitsunfähigkeit ausgeräumt worden. Es gelte insoweit wieder die gesetzliche Vermutung zu seinen Gunsten bezüglich der tatsächlich bestehenden Arbeitsunfähigkeit. Es sei deshalb auch nicht so, dass er als Arbeitnehmer bei dieser Sachlage konkrete Tatsachen darlegen und beweisen müsste. Die Beweislast liege nach Kenntnis der Stellungnahme des Medizinischen Dienstes vielmehr wieder bei der Beklagten. Zutreffend sei das Arbeitsgericht auch davon ausgegangen, dass der Beweis der tatsächlichen Arbeitsunfähigkeit durch die Aussage der Zeugin Frau Dr. J. erbracht sei. Dem stehe die Zeugenvernahme per Videokonferenz ohne Zustimmung der Beklagten nicht entgegen. Es bestünde kein Anlass, an der Richtigkeit der durch Frau Dr. J. erfolgten Diagnose und der daraus bescheinigten Arbeitsunfähigkeit zu zweifeln. Soweit die Beklagte von einem Diagnosefehler ausgehe, habe sie diesen zu beweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Parteien eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen, die Sitzungsniederschriften, die streitbefangene Entscheidung verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Unter Aufhebung des Versäumnisurteils vom 12.07.2022 war der Klage stattzugeben, denn dem Kläger steht ein Entgeltfortzahlungsanspruch in der ausgeurteilten Höhe nebst Zinsen zu.
I.
Die Berufung des Klägers ist gemäß § 64 Abs. 2b) ArbGG statthaft und wurde ordnungsgemäß innerhalb der bestehenden Fristen eingelegt und begründet (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO). Sie ist damit zulässig.
II.
Die Berufung ist erfolglos. Für den Kläger ergibt sich ein Anspruch gemäß §§ 3 Abs. 1 Satz 1, 4 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG). Die danach erforderlichen Voraussetzungen, insbesondere krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit, sind erfüllt. Es ergeben sich bereits keine hinreichenden Zweifel an dem Beweiswert der durch den Kläger für die Zeiträume 03.11.2021 - 17.11.2021 sowie 17.11.2021 - 30.11.2021 vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen.
1.
Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG hat ein Arbeitnehmer Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von 6 Wochen, wenn er durch krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit an seiner Arbeitsleistung verhindert ist, ohne dass ihn ein Verschulden trifft. Nach allgemeinen Grundsätzen trägt der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast für die Anspruchsvoraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG (BAG, Urteil vom 11.12.2019 - 5 AZR 505/18 - Rn. 16, juris). Regelmäßig wird dabei der Beweis krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit durch die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG geführt. Die ordnungsgemäße ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist das gesetzlich ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigste Beweismittel für die vorliegend krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit. Ihr kommt ein hoher Beweiswert zu. Der Tatrichter kann normalerweise den Beweis einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit als erbracht ansehen, wenn der Arbeitnehmer im Rechtsstreit eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegt (BAG, Urteil vom 26.10.2016 - 5 AZR 167/16 - Rn. 17, juris). Der Kläger hat vorliegend durch Frau Dr. J. ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für die Zeiträume 03.11.2021 - 17.11.2021 sowie 17.11.2021 - 30.11.2021 zur Akte gereicht.
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Beweiswert dieser Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nicht aufgrund vorliegender Indizien erschüttert. Zwar begründet die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung keine gesetzliche Vermutung einer tatsächlich bestehenden Arbeitsunfähigkeit im Sinne des § 292 ZPO mit der Folge, dass nur der Beweis des Gegenteils zulässig wäre. Der Arbeitgeber kann den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dadurch erschüttern, dass er tatsächliche Umstände darlegt und im Bestreitensfall beweist, die Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers ergeben mit der Folge, dass der ärztlichen Bescheinigung kein Beweiswert mehr zukommt. Der Arbeitgeber ist dabei nicht auf die in § 275 Abs. 1a SGB V aufgeführten Regelbeispiele ernsthafter Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit beschränkt (BAG, Urteil vom 08.09.2021 - 5 AZR 149/21 - Rn. 13, juris).
Gelingt es dem Arbeitgeber, den Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern, so tritt hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast wieder derselbe Zustand ein, wie er vor Vorlage der Bescheinigung bestand. Es ist dann Sache des Arbeitnehmers, konkrete Tatsachen darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen, die den Schluss auf eine bestehende Erkrankung zulassen. Hierzu ist substantiierter Vortrag z.B. dazu erforderlich, welche Krankheiten vorgelegen haben, welche gesundheitlichen Einschränkungen bestanden haben und welche Verhaltensmaßregeln oder Medikamente ärztlich verordnet wurden. Der Arbeitnehmer muss zumindest laienhaft bezogen auf den gesamten Entgeltfortzahlungszeitraum schildern, welche konkreten gesundheitlichen Beeinträchtigungen mit welchen Auswirkungen auf seine Arbeitsfähigkeit bestanden haben. Soweit er sich auf das Zeugnis behandelnder Ärzte beruft, ist dieser Beweisantritt nur ausreichend, wenn er die Ärzte von der Schweigepflicht entbindet (BAG, Urteil vom 08.09.2021 - 5 AZR 149/21 - Rn. 15, juris).
Die Gesamtschau der vorliegenden Indizien führt nicht dazu, dass von einer Erschütterung des Beweiswertes der durch den Kläger vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausgegangen werden kann.
Soweit sich die Beklagte auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 08.09.2021 - 5 AZR 149/21 - beziehen sollte, hat das Bundesarbeitsgericht in dieser Entscheidung im Wesentlichen darauf abgestellt, dass eine Erschütterung des Beweiswertes der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorliegt, weil die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung passgenau die nach der Kündigung noch verbleibende Dauer des Arbeitsverhältnisses abdeckte. Vorliegend ist eine solche Passgenauigkeit jedoch nicht gegeben. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der Kläger nach Zugang der Kündigung am 29.10.2021 bei der Beklagten noch Arbeitsleistungen erbracht hat, seine Arbeitsunfähigkeit erst am 03.11.2021 begann und damit die zeitliche Koinzidenz nicht gegeben ist. Zum anderen liegt nicht nur lediglich eine Erstbescheinigung für die Dauer der Kündigungsfrist vor, sondern der Kläger hat eine Erstbescheinigung für den Zeitraum 03.11.2021 - 17.11.2021 mit dem Diagnoseschlüssel A 09.9 G sowie für den Zeitraum 17.11.2021 - 30.11.2021 eine Folgebescheinigung mit der Diagnose R 53 G eingereicht. Der Kläger hat sich also nicht nur einmal zu Frau Dr. J. begeben, sondern zweimal und diese hat ihm jedes Mal die Arbeitsunfähigkeit attestiert. Zudem hat der Kläger vorgetragen, dass ärztlicherseits beabsichtigt gewesen sei, die Fortsetzungserkrankung und darauf beruhende Arbeitsunfähigkeit bis zum 03.12.2021 also über den Lauf der Kündigungsfrist hinausgehend festzustellen, er dieses jedoch abgelehnt habe, um eine neue Tätigkeit bei einem anderen Arbeitgeber pünktlich ab dem 01.12.2021 antreten zu können. Es erscheint plausibel, dass ein Arbeitnehmer im Falle des Beginns eines neuen Arbeitsverhältnisses auf eine Verkürzung des Krankheitszeitraums gegenüber seinem Arzt drängt, um den Bestand des neuen Arbeitsverhältnisses nicht von vornherein zu gefährden. Dieser Umstand steht jedoch einer Koinzidenz entgegen. Bezüglich der bis zum 30.11.2021 bescheinigten Arbeitsunfähigkeit ist zudem wegen einer "Passgenauigkeit" zu berücksichtigen, dass ein Arzt eine Arbeitsunfähigkeit bezogen auf eine konkret ausgeübte Tätigkeit bescheinigt, da die Tätigkeit des Klägers für die Beklagte mit dem 30.11.2021 endete, konnte deshalb eine Bescheinigung für die bis dahin ausgeübte Tätigkeit bei der Beklagten auch nur bis zum 30.11.2021 bescheinigt werden. Insgesamt liegt im hier zu entscheidenden Fall folglich eine andere Sachlage vor als in der vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fallkonstellation.
Soweit der Kläger in seinem Kündigungsschreiben um die Übermittlung der Arbeitspapiere an eine Anschrift in F-Stadt gebeten hat, ist es nicht ungewöhnlich, dass Arbeitnehmer mit einer Eigenkündigung um Übersendung der Arbeitspapiere bitten. Dass der Kläger hierfür seine bereits im Arbeitsvertrag mit der Beklagten angegebene Meldeanschrift in A-Stadt mitgeteilt hat, ist nicht geeignet, ein gegen eine Arbeitsunfähigkeit sprechendes Indiz zu bilden. Der Kläger konnte nicht wissen, ob die Beklagte ihm die Arbeitspapiere zu einem Zeitpunkt zusenden würde, zu welchem noch seine Zweitanschrift in G-Stadt bestehen würde. Er musste vielmehr davon ausgehen, die Beklagte würde die Arbeitspapiere nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses zusenden. Dann musste dies jedoch unter der Meldeanschrift geschehen. Insoweit ist es plausibel, wenn er die Meldeanschrift in F-Stadt für die Korrespondenz während des Bestehens und nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten angibt.
Wenn die Beklagte darauf abstellt, dass sich außer der klägerischen von ihr gestellten Arbeitskleidung, der Kaffeemaschine und der Kaffeedose keinerlei anderweitige private Dinge des Klägers im Betrieb befunden hätten, ist nicht ersichtlich, welche anderweitigen privaten Gegenstände der Kläger denn in ihrem Betrieb habe aufbewahren sollen bzw. welche anderweitigen privaten Gegenstände der Kläger während des laufenden Arbeitsverhältnisses regelmäßig in ihrem Betrieb aufbewahrt hat. Möchte ein Arbeitgeber die Entfernung privater Gegenstände aus dem Betrieb anführen, um zu belegen, dass ein Arbeitnehmer nicht mehr in den Betrieb habe zurückkommen, also keinerlei Arbeitsleistung mehr habe erbringen wollen, muss er die privaten Gegenstände benennen, welche der Arbeitnehmer im Betrieb aufbewahrt und die er sodann entfernt hat. Die pauschale Behauptung fehlender privater Gegenstände in dem Betrieb ist nicht geeignet, den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zu erschüttern.
Soweit die Beklagte darauf abstellt, der Kläger habe bei seiner Arbeitsleistung bis zum 02.11.2021 keinerlei Symptome geschildert, verkennt die Beklagte, dass ein Arbeitnehmer gegenüber seinem Arbeitgeber nicht zur Schilderung gesundheitlicher Probleme verpflichtet ist, solange er seine Arbeitsleistung erbringen kann. Darüber hinaus hat der Kläger im Einzelnen vorgetragen, dass und welche Symptome in der Nacht vom 02. zum 03.11.2021 aufgetreten sind.
Es ist nachvollziehbar, dass Arbeitgeber angesichts der Vielzahl der zur Arbeitsunfähigkeit führenden Erkrankungen von Arbeitnehmern während des Laufs der Kündigungsfrist in gekündigten Arbeitsverhältnissen Zweifel daran hegen, dass in all den bescheinigten Fällen tatsächlich Arbeitsunfähigkeit vorliegt. Dadurch wird die konkrete Einzelfallprüfung unter Berücksichtigung des hohen Beweiswertes von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen jedoch nicht entbehrlich. Denn der Beweis krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit wird in der Regel durch die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG geführt. Die ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist das gesetzlich ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigste Beweismittel für das Vorliegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG reicht die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG aus, um dem Arbeitgeber das Recht zur Leistungsverweigerung zu entziehen. Diese gesetzgeberische Wertentscheidung strahlt auch auf die beweisrechtliche Würdigung aus. Der ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt daher aufgrund normativer Vorgaben im Entgeltfortzahlungsgesetz ein hoher Beweiswert zu (BAG, Urteil vom 08.08.2021 - 5 AZR 149/21 - Rn. 12, juris). Dieser darf nicht entwertet werden.
Auch wenn angesichts der subjektiven Betroffenheit eines Arbeitgebers im konkreten Fall nachvollziehbar sein kann, dass er Zweifel an einer Arbeitsunfähigkeit seines Arbeitnehmers während des Laufs der Kündigungsfrist hegt, kann diese subjektive Betrachtung nicht den entscheidungserheblichen Maßstab darstellen. Vielmehr ist es erforderlich, dass nach Maßgabe eines verständigen Arbeitgebers objektiv greifbare Tatsachen feststellbar und gegebenenfalls beweisbar sind, die ein Ergebnis der ernsthaften Zweifel an einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung tragen können. Liegen dagegen lediglich objektiv mehrdeutige, plausibel erklärbare Sachverhalte vor, sind diese jedenfalls grundsätzlich nicht geeignet, ernsthafte Zweifel an einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung begründen zu können (LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 08.02.2023 - 3 Sa 135/22 -).
Unter diesen Umständen kann nicht davon ausgegangen werden, es habe im Zeitraum 03.11.2021 bis letztlich 30.11.2021 bei dem Kläger eine Arbeitsunfähigkeit nicht vorgelegen.
Schließlich ist der Kläger, auch wenn man von einer Erschütterung des Beweiswertes vorliegender Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausgehen sollte, der ihm in diesem Fall obliegenden Darlegungs- und Beweislast nachgekommen, sofern denn diese trotz die Arbeitsunfähigkeit bestätigenden Gutachtens des Medizinischen Dienstes für den Kläger besteht. Der Kläger hat konkret geschildert, welche Symptome sich bei ihm in der Nacht vom 02.11.2021 zum 03.11.2021 gezeigt haben, worunter er während der Zeiträume der Erst- sowie Folgebescheinigung jeweils gelitten hat. Er hat die ärztlicherseits erstellte Diagnose angegeben und klargestellt, dass die Folgebescheinigung mit einer anderen Diagnose ausgestellt wurde. Er hat die ihn behandelnde Ärztin von der Schweigepflicht entbunden. Frau Dr. J. hat in ihrer Zeugenaussage zwar nicht die klägerischen Angaben der Entnahme einer Stuhlprobe und einer Blutuntersuchung bestätigt, hat jedoch die von ihr erhobenen Befunde konkret dargelegt und eine Arbeitsunfähigkeit belegt.
Soweit sich die Beklagte darauf bezieht, die Einvernahme der Frau Dr. J. als Zeugin per Videokonferenz sei mangels ihres Einverständnisses nicht verwertbar, ist zu berücksichtigen, dass gemäß § 128a Abs. 3 ZPO Entscheidungen nach § 128a Abs. 2 Satz 1 ZPO unanfechtbar sind. Zudem ist ein Einverständnis der Parteien mit dieser Vorgehensweise nicht erforderlich, wenn ihnen rechtliches Gehör gewährt wurde. Das ist vorliegend der Fall. Die Beklagte hatte Gelegenheit, ihre Bedenken gegen eine Videovernehmung darzulegen.
Zudem ergibt sich die Arbeitsunfähigkeit aus der noch am 26.11.2021 - während des Zeitraums der Folgekrankschreibung - erfolgten Prüfung durch den Medizinischen Dienst mit anschließender Bestätigung der Arbeitsunfähigkeit. Deren Ergebnis hat sich der Kläger zumindest in der Berufungsinstanz zu eigen gemacht. Die Beklagte hat sich allerdings trotz Vorliegens dieses Gutachtens weiterhin auf eine fehlende Arbeitsunfähigkeit des Klägers berufen. Dies verdeutlicht, mit welch hohem Misstrauen Arbeitgeber ärztlichen Einschätzungen zu Arbeitsunfähigkeit begegnen, dass jedoch gerade deshalb eine Prüfung des Vorliegens konkreter objektiver Umstände des Einzelfalles zwingend erforderlich ist.
In der Höhe hat die Beklagte den erhobenen Entgeltfortzahlungsanspruch nicht in Frage gestellt, so dass ihm in der ausgeurteilten Höhe stattzugeben war.
2.
Der Zinsanspruch ergibt sich aus dem Gesichtspunkt des Verzuges (§§ 286, 288 BGB).
3.
Weil der Tenor der erstinstanzlichen Entscheidung keine Aussage zum Versäumnisurteil vom 12.07.2022 enthält, war insoweit eine Klarstellung vorzunehmen.
III.
Die Beklagte hat die Kosten ihrer erfolglosen Berufung zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO). Gemäß § 344 ZPO sind dem Kläger die Kosten seiner Säumnis im Termin vom 12.07.2022 trotz abändernder Entscheidung aufzuerlegen, weil das Versäumnisurteil in gesetzlicher Weise ergangen war.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 72 Abs. 2 ArbGG) liegen nicht vor.