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Beschluss vom 29.03.2023 · IWW-Abrufnummer 235541

Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - Aktenzeichen 12 Sa 3/23

1. Es ist nicht Sinn und Zweck von § 62 Abs. 1 Sätze 2 und 3 ArbGG i.V.m. §§ 719 Abs. 1, 707 Abs. 1 ZPO, unter Heranziehung desselben Sachverhalts aus dem Erkenntnisverfahren erster Instanz einen dort im Wege der Interessenabwägung bejahten Anspruch auf Weiterbeschäftigung nunmehr in Abrede zu stellen. Die inhaltliche Überprüfung dieser Interessenabwägung bleibt vielmehr grundsätzlich dem Berufungsverfahren vorbehalten.

2. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz besteht nur dann, wenn die Erfolgsaussichten der Berufung ganz offenkundig sind. Denn es wäre treuwidrig, eine ganz offenkundig nicht bestehende, aber dennoch titulierte Verpflichtung zwangsweise vorläufig durchzusetzen (dolo agit, qui petit, quod statim redditurus est).

3. Ein "bloßes" offenkundiges Begründungsdefizit der erstinstanzlichen Entscheidung steht der offenkundigen Ergebnisfehlerhaftigkeit nicht gleich. Der dolo-agit-Einwand greift hier nicht. Auch ein offenkundig falsch oder defizitär begründetes erstinstanzliches Urteil kann nach der gesetzlichen Konzeption schnell und unkompliziert durchsetzbarer arbeitsgerichtlicher Titel taugliche Vollstreckungsgrundlage sein, solange die offenkundige Ergebnisfehlerhaftigkeit nicht feststeht.

4. Die Unbestimmtheit des Weiterbeschäftigungstitels (hier im Übrigen verneint) kann die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung gemäß § 62 Abs. 1 Sätze 2 und 3 ArbGG i.V.m. §§ 719 Abs. 1, 707 Abs. 1 ZPO nicht begründen.


In der Rechtssache
...
gegen
...
hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - Kammern Mannheim - 12. Kammer - durch den Richter am Arbeitsgericht Dr. Bader ohne mündliche Verhandlung am 29. März 2023
beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Beklagten, die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Arbeitsgerichts Mannheim - Kammern Heidelberg - vom 2. November 2022 - 10 Ca 125/22 - vorläufig einzustellen, wird zurückgewiesen.



Gründe



I.



Die Beklagte begehrt die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem mit der Berufung angegriffenen Urteil in Bezug auf die Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung des Klägers.



Der Kläger war seit dem 1. April 2020 zu einem Bruttomonatsgehalt von 4.420,00 EUR bei der Beklagten als Inhouse SAP-Technical Consultant in H. beschäftigt. Am Standort der Beklagten in H. sind ständig mehr als zehn Mitarbeiter beschäftigt.



Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 11. April 2022 sowie 19. April 2022 jeweils fristlos hilfsweise ordentlich zum 31. Juli 2022.



Die Beklagte begründete die Kündigungen im Wesentlichen mit erheblichen Datenschutzverstößen des Klägers. Der Kläger habe unter Umgehung interner Sicherungen und Berechtigungssysteme in mindestens 124 Fällen Zugriff auf geschützte Personaldaten genommen. Er habe sich insbesondere Kenntnis von den Gehaltsdaten eines Kollegen verschafft, damit die Beklagte bei den eigenen Gehaltsverhandlungen konfrontiert und unter Druck gesetzt.



Die vom Kläger erhobene Kündigungsschutzklage hatte Erfolg. Das Arbeitsgericht stellte mit Urteil vom 2. November 2022 fest, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigungen nicht aufgelöst worden sei und verurteilte die Beklagte, den Kläger zu unveränderten Bedingungen als Inhouse SAP-Technical Consultant weiter zu beschäftigen. Es führte zur Begründung aus, die Beklagte habe den Kläger vorher abmahnen müssen. Es habe mit einer Verhaltensbesserung gerechnet werden können. Die weitere Zusammenarbeit sei der Beklagten zumutbar. Überwiegenden Gründe die einer Weiterbeschäftigung im Rahmen des Rechtsstreits entgegenstünden, seien nicht erkennbar.



Das Urteil wurde der Beklagten am 17. Januar 2023 zugestellt.



Mit Schriftsatz vom 7. Februar 2022, am 8. Februar 2023 beim Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg eingegangen, hat die Beklagte Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 7. März 2023 begründet. Gleichzeitig beantragt sie, die Zwangsvollstreckung betreffend den titulierten Weiterbeschäftigungsanspruch im anhängigen Berufungsrechtsstreit vorläufig einzustellen.



Die Beklagte ist der Ansicht, die Vollstreckung aus dem erstinstanzlichen Urteil würde ihr einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen. Eine weitere Zusammenarbeit mit dem Kläger sei vollkommen unzumutbar. Der Kläger habe in der Vergangenheit nicht davor zurückgeschreckt, auf geschützte Personaldaten von Kolleginnen und Kollegen zuzugreifen und werde dies auch künftig nicht tun. Es seien die Persönlichkeitsrechte ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter betroffen. Potentielle Schäden im IT-Bereich seien zudem nicht wieder gut zu machen. Der Kläger habe auch nicht nur die Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits beantragt, sondern sogar darüber hinaus. Der Passus "unveränderte Bedingungen" im Titel sei genauso wenig vollstreckbar wie der Begriff "SAP-Technical Consultant". Das Arbeitsgericht habe ein falsches Urteil getroffen und dies nahezu gar nicht begründet. Die Subsumtion des Arbeitsgerichts erschöpfe sich in wenigen Zeilen. Es fehle jede inhaltliche sachliche Begründung und jede Auseinandersetzung mit den Argumenten der Beklagten. Es handele sich vorliegend um ein "Nichturteil", auf das bei wertender Betrachtung keine Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen die Beklagte gestützt werden dürften. Insoweit müsse dasselbe gelten wie bei einem offensichtlich falschen erstinstanzlichen Urteil.



Die Beklagtebeantragt,



Der Kläger beantragt,



Der Kläger ist der Ansicht, ein nicht zu ersetzender Nachteil sei nicht erkennbar. § 62 Abs. 1 ArbGG trage dem Umstand Rechnung, dass die fortlaufende Nichterfüllung der arbeitsvertraglichen Verpflichtungen durch den Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Lebensgrundlage entziehe, während die ordnungsgemäße Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitgeber mit keinerlei Nachteilen verbunden sei, da er durch die Weiterbeschäftigung lediglich synallagmatisch zur Vergütung erlangter Arbeitsleistung herangezogen werde.



II.



Der Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung ist zulässig, aber unbegründet.



1. Der Antrag ist gemäß § 62 Abs. 1 Satz 3 ArbGG i.V.m. §§ 719 Abs. 1, 707 Abs. 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig.



Dem Antrag steht insbesondere nicht entgegen, dass die Beklagte im ersten Rechtszug keinen Schutzantrag nach § 62 Abs. 1 Satz 2 ArbGG gestellt hat. Die Anträge nach § 62 Abs. 1 Satz 2 ArbGG und § 62 Abs. 1 Satz 3 ArbGG sind voneinander unabhängig (LAG Baden-Württemberg 14. Dezember 2017 - 17 Sa 84/17 - Rn. 11 mwN).



2. Der Antrag ist jedoch unbegründet. Die Beklagte hat einen nicht zu ersetzenden Nachteil nicht glaubhaft gemacht (a). Die vermeintliche Unbestimmtheit des Titels kann die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung gemäß § 62 Abs. 1 Sätze 2 und 3 ArbGG i.V.m. §§ 719 Abs. 1, 707 Abs. 1 ZPO nicht begründen (b). Eine Unbestimmtheit des Weiterbeschäftigungstitels ist zudem nicht erkennbar (c).



a) Einen nicht zu ersetzenden Nachteil hat die Beklagte nicht glaubhaft gemacht.



aa) Ein Anspruch auf Einstellung der Zwangsvollstreckung setzt gemäß § 62 Abs. 1 Sätze 2 und 3 ArbGG i.V.m. §§ 719 Abs. 1, 707 Abs. 1 ZPO einen nicht zu ersetzenden Nachteil voraus. Ein solcher Nachteil ist dann gegeben, wenn die Zwangsvollstreckung zu einem nicht wiedergutzumachenden Schaden führen würde. Nicht wiedergutzumachend ist nur, was nicht mehr rückgängig gemacht werden oder ausgeglichen werden kann (LAG Baden-Württemberg 18. August 2015 - 4 Sa 19/15 - Rn. 24). Da arbeitsgerichtliche Titel nach der gesetzlichen Konzeption schnell und unkompliziert durchsetzbar sein sollen, sind sehr strenge Anforderungen zu stellen (GMP/Schleusener, 10. Aufl. 2022, ArbGG § 62 Rn. 18; LAG Baden-Württemberg 1. September 2006 - 13 Sa 63/06 - Rn. 21). Bei der Vollstreckung aus einem Weiterbeschäftigungstitel stellt die vorläufige Weiterbeschäftigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Bestandsklage für sich allein regelmäßig keinen unersetzbaren Nachteil iSv. § 62 Abs. 1 Satz 2 ArbGG dar, selbst wenn später die Wirksamkeit der Kündigung festgestellt würde. Für die mit der Beschäftigung verbundene Entgeltzahlung erhält der Arbeitgeber im Gegenzug die übliche Arbeitsleistung (LAG Düsseldorf 25. Februar 2022 - 4 Sa 37/22 - Rn. 13). Allein die Einschränkung der Handlungsfreiheit, die für den Arbeitgeber mit dem Zwang zur Beschäftigung des Arbeitnehmers verbunden ist, ist nicht bereits ein unersetzbarer Nachteil i.S.d. § 62 Abs. 1 Satz 2 ArbGG. Anderenfalls wäre ein Weiterbeschäftigungsanspruch vor Rechtskraft eines insoweit stattgebenden Urteils nicht vollstreckbar. Deshalb ist die Einstellung der Zwangsvollstreckung aus einem Weiterbeschäftigungstitel nur bei Vorliegen besonderer Umstände denkbar - etwa dem Wegfall des betreffenden Arbeitsplatzes und der daraus resultierenden objektiven Unmöglichkeit der Beschäftigung oder bei konkret zu befürchtenden Schäden, die bei einer tatsächlichen Beschäftigung drohen, oder sonstiger atypischer Umstände, die im Einzelfall mit einer Beschäftigung verbunden sein mögen (LAG München 5. März 2018 - 4 Sa 823/17 - Rn. 41 wmN).



bb) Derartige besondere Umstände sind nicht glaubhaft gemacht. Der Arbeitsplatz des Klägers ist nicht weggefallen. Soweit die Beklagte irreparable Schäden durch die vorläufige Weiterbeschäftigung des Klägers behauptet, wiederholt sie lediglich die in erster Instanz zur Begründung der Kündigungen und zur Abwendung des Weiterbeschäftigungsanspruchs erhobenen Argumente, denen das Arbeitsgericht nicht gefolgt ist. Dies ist unzureichend.



(1) Die in erster Instanz zur Begründung der Kündigungen und zur Abwendung des Weiterbeschäftigungsanspruchs erhoben Vorwürfe können eine Einstellung der Zwangsvollstreckung gemäß § 62 Abs. 1 Sätze 2 und 3 ArbGG i.V.m. §§ 719 Abs. 1, 707 Abs. 1 ZPO nicht rechtfertigen. Beim allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch, dessen Vollstreckung vorläufig eingestellt werden soll, sind die gegenläufige Interessen des Arbeitsgebers bereits tatbestandlich zu prüfen (BAG 27. Februar 1985 - GS 1/84 -, BAGE 48, 122 ff, Rn. 82). Die tatbestandliche Interessensabwägung hat das Bundesarbeitsgericht gerade deshalb als erforderlich erachtet, weil die Vollstreckungsschutzvorschriften in § 62 Abs. 1 Sätze 2 und 3 ArbGG i.V.m. §§ 719 Abs. 1, 707 Abs. 1 ZPO keine ausreichende Handhabe bieten, um den beiderseitigen Interessen der Arbeitsvertragsparteien im Hinblick auf die Weiterbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsprozesses gerecht zu werden (BAG a.a.O. Rn. 81). Die umfassende Interessenabwägung soll deshalb bereits früher zu einem Entfallen der Weiterbeschäftigungspflicht führen als dies bei Anlegung des "groben Rasters" (BAG a.a.O. Rn. 78) aus § 62 Abs. 1 Sätze 2 und 3 ArbGG i.V.m. §§ 719 Abs. 1, 707 Abs. 1 ZPO der Fall wäre.



Wollte man nun die von der Beklagten erstinstanzlich bereits geltend gemachten Interessen gegen eine weitere Beschäftigung des Klägers auch im Rahmen von § 62 Abs. 1 Sätze 2 und 3 ArbGG i.V.m. §§ 719 Abs. 1, 707 Abs. 1 ZPO (nochmals) prüfen, würde hierdurch der titulierte Anspruch im Hinblick auf seine Tatbestandsvoraussetzungen in Frage gestellt. Es ist indes nicht Sinn und Zweck von § 62 Abs. 1 Sätze 2 und 3 ArbGG i.V.m. §§ 719 Abs. 1, 707 Abs. 1 ZPO, unter Heranziehung desselben Sachverhalts aus dem Erkenntnisverfahren erster Instanz einen dort bejahten Anspruch nunmehr in Abrede zu stellen (vgl. LAG Baden-Württemberg 20. Januar 2016 - 19 Sa 63/15 - Rn. 14; siehe auch BAG 15. April 2009 - 3 AZB 93/08 -, BAGE 130, 195 ff, Rn. 25). Etwas anderes kann nur gelten, wenn die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels ganz offenkundig sind. Nur dann können diese Erfolgsaussichten im Rahmen des nicht zu ersetzenden Nachteils überhaupt Bedeutung erlangen (LAG Baden-Württemberg, a.a.O. Rn. 12 mwN).



(2) Dies ist vorliegend weder bezüglich der Kündigungen noch des Weiterbeschäftigungsanspruchs der Fall.



Das Urteil des Arbeitsgerichts ist im Ergebnis nicht offenkundig fehlerhaft, weshalb die Berufung nicht zwangsläufig erfolgreich sein wird.



Dabei ist der Beklagten jedoch zuzugestehen, dass die Ausführungen des Arbeitsgerichts zur fehlenden doppelten Unzumutbarkeit im Rahmen des § 626 Abs. 1 BGB sowie zur mangelnden Entbehrlichkeit einer Abmahnung im Rahmen des § 1 Abs. 1 KSchG äußerst kurz ausgefallen sind. Gleiches gilt für die Begründung des Weiterbeschäftigungsanspruchs durch das Arbeitsgericht.



Selbst wenn man - wie die Beklagte annimmt - aber eine äußerst lückenhafte oder gar vollkommen unzureichende Begründung des erstinstanzlichen Urteils erkennen wollte, führte dies nicht zwangsläufig dazu, dass die Erfolgsaussichten der Berufung im Ergebnis ganz offenkundig wären. Vielmehr dürfte dieser Erfolg davon abhängen, welcher Sachvortrag (unter Umständen nach einer Beweisaufnahme) sich als wahr erweist. Sofern der Kläger tatsächlich - wie die Beklagte behauptet - unter positiver Umgehung internen Sicherungen und Berechtigungssysteme in insgesamt 124 Fällen unberechtigten Zugriff auf Personaldaten genommen und darüber hinaus mit der Lohnhöhe eines Kollegen jedenfalls ein rechtswidrig erlangtes Datum in Gehaltsverhandlungen zu seinem Vorteil genutzt hat, kommt eine (außerordentliche) Kündigung in Betracht. Die vielfache Verletzung datenschutzrechtlicher Vorschriften ist als wichtiger Grund "an sich" i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB geeignet (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 1. September 2016 - 10 Sa 192/16 - Rn. 67). Sofern indes die Beklagte dem Kläger den Zugriff selbst eingeräumt und der Kläger - wie er behauptet - seinen Vorgesetzten mehrere Male hierauf aufmerksam gemacht hat, könnte eine Kündigung ausscheiden. Auch die Bejahung des allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruchs wäre dann nicht grob fehlerhaft. Insgesamt hängt die Entscheidung von den (ggf. aufzuklärenden) Umständen des Einzelfalls und ihrer Bewertung durch die Kammer ab. Die Berufung hat demnach durchaus Erfolgschancen, diese sind jedoch nicht ganz offenkundig.



Über den ganz offenkundig zu erwartenden Erfolg der Berufung hinaus können selbst schwere handwerkliche Mängel bei der Begründung des erstinstanzlichen Urteils im Rahmen des § 62 Abs. 1 Sätze 2 und 3 ArbGG i.V.m. §§ 719 Abs. 1, 707 Abs. 1 ZPO keine Bedeutung erlangen.



Im arbeitsgerichtlichen Verfahren ist die vorläufige Vollstreckbarkeit von Urteilen, gegen die Einspruch und Berufung zulässig sind, der Regelfall, § 62 Abs. 1 Satz 1 ArbGG. Sodann muss, um eine Einstellung der Zwangsvollstreckung zu erreichen, ein nicht zu ersetzender Nachteil dargelegt werden. § 62 ArbGG knüpft danach grundsätzlich gerade nicht an die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels an (LAG Mecklenburg-Vorpommern 20. Juni 2018 - 5 Sa 72/18 - Rn. 10). Andernfalls würden die Grenzen zwischen dem Berufungsverfahren und dem Verfahren gemäß § 62 Abs. 1 Sätze 2 und 3 ArbGG i.V.m. §§ 719 Abs. 1, 707 Abs. 1 ZPO verwischt und der Wille des Gesetzgebers, dass bis zur Entscheidung über die Berufung die titulierte Verpflichtung in aller Regel vorläufig erfüllt werden soll, nicht ausreichend geachtet.



Die eng begrenzte Ausnahme der offenkundigen Ergebnisfehlerhaftigkeit des erstinstanzlichen Urteils rechtfertigt sich einzig damit, dass der Normzweck des § 62 Abs. 1 Satz 1 ArbGG die zwangsweise vorläufige Durchsetzung einer ganz offenkundig nicht bestehenden, aber dennoch titulierten Verpflichtung nicht gebietet. Es wäre dem Schuldner nicht zumutbar, eine offensichtlich nicht bestehende Verpflichtung zunächst zu erfüllen und später die Rückabwicklung zu fordern. Der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) verbietet generell die Durchsetzung eines Anspruchs, wenn der Gläubiger das Erlangte umgehend wieder an den Schuldner herauszugeben hätte (dolo agit, qui petit, quod statim redditurus est). Dies ist in Rechtsprechung (BGH 12. Juli 2022 - II ZR 81/21, Rn. 17) und Literatur (BeckOGK/Kähler, 15.1.2023, BGB § 242 Rn. 1384) anerkannt und auch im Rahmen von § 62 Abs. 1 Sätze 2 und 3 ArbGG i.V.m. §§ 719 Abs. 1, 707 Abs. 1 ZPO zu beachten.



Bei einer bloßen offenkundigen Begründungsfehlerhaftigkeit steht indes nicht gleichermaßen fest, dass die titulierte Verpflichtung nicht besteht und es zu einer Rückabwicklung sicher kommen wird. Nach der gesetzlichen Konzeption schnell und unkompliziert durchsetzbarer arbeitsgerichtlicher Titel steht ein offenkundiges Begründungsdefizit der offenkundigen Ergebnisfehlerhaftigkeit nicht gleich. Der dolo-agit-Einwand greift hier nicht. Es kann deshalb dahinstehen, ob ein offenkundiges Begründungsdefizit vorliegt.



b) Die beklagtenseits angenommene Unbestimmtheit des Weiterbeschäftigungstitels kann die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung gemäß § 62 Abs. 1 Sätze 2 und 3 ArbGG i.V.m. §§ 719 Abs. 1, 707 Abs. 1 ZPO nicht begründen. Die Bestimmtheit des Titels gehört nicht zum Prüfprogramm im Rahmen der vorläufigen Einstellung der Zwangsvollstreckung wegen eines nicht zu ersetzenden Nachteils. Vielmehr ist die Beklagte gehalten, die Unbestimmtheit in dem derzeit in erster Instanz anhängigen Zwangsgeldverfahren gemäß §§ 887, 888 ZPO einzuwenden (siehe Hess. LAG 30. Dezember 2020 - 8 Ta 342/20 - Rn. 26).



c) Selbst wenn man dies anders sehen wollte, würde sich am Ergebnis nichts ändern. Denn der Weiterbeschäftigungstitel ist entgegen der Ansicht der Beklagten hinreichend bestimmt.



Der Zusatz "zu unveränderten Bedingungen" führt nicht zur Unbestimmtheit. Die Beifügung ist im Rahmen des allgemeinen Weiterbeschäftigungsantrags zwar überflüssig. Sofern der Zusatz indes nicht darauf gerichtet sein soll, auch Vergütungsbestandteile oder bestimmte andere Arbeitsbedingungen (unbestimmt) zu titulieren, ist er unschädlich (Hess. LAG 30. Dezember 2020 - 8 Ta 342/20 - Rn. 26; ArbG Stuttgart 4. Juni 2021 - 15 Ca 6733/19 - Rn. 20; vgl. zu einer entsprechenden Tenorierung auch LAG Baden-Württemberg 19. Mai 2021 - 10 Sa 69/20 -). Vorliegend macht der Kläger erkennbar nur den allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch geltend. Anhaltspunkte dafür, dass bestimmte Arbeitsbedingungen im Streit stehen und tituliert werden sollen, gibt es nicht.



Auch der Zusatz "Inhouse SAP-Technical Consultant" führt nicht zur Unbestimmtheit des Titels. Es handelt sich um die in der Stellenbeschreibung von der Beklagten gewählte Bezeichnung, für die unstreitig unternehmensintern auch die - im Arbeitsvertrag genannte - Bezeichnung "Inhouse SAP Administrator" synonym verwendet wird. Es ist nicht ersichtlich, dass zwischen den Parteien Streit über die vom Kläger auszuführende Tätigkeit herrschte oder herrscht. Sogar die Titulierung einer Weiterbeschäftigung "als Arbeiter" (LAG Baden-Württemberg 9. November 2015 - 17 Ta 23/15 - Rn. 34) sowie "als Mitarbeiterin zu den bisherigen Bedingungen" (BAG 17. März 2015 - 9 AZR 702/13 - Rn. 25 f.) wurde unter diesen Umständen als hinreichend bestimmt angesehen.



Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass das Arbeitsgericht im Tenor den üblichen Zusatz "bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Kündigungsschutzanträge" zwar nicht aufgenommen hat. Bei der Auslegung eines Weiterbeschäftigungstitels ist indes nicht nur auf den Tenor zurückzugreifen (Hess. LAG 30. Dezember 2020 - 8 Ta 342/20 - Rn. 29). In den Gründen hat das Arbeitsgericht unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts klargestellt, dass der Kläger lediglich "während des Kündigungsprozesses" weiterzubeschäftigen ist (Seite 7 des arbeitsgerichtlichen Urteils).



3. Die Entscheidung erfolgt nach Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß § 64 Abs. 7, § 55 Abs. 1 Nr. 6, § 53 Abs. 1 Satz 1 ArbGG durch den Vorsitzenden der Kammer allein. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Gegen diese Entscheidung findet ein Rechtsmittel nicht statt (§ 62 Abs. 1 Satz 5 ArbGG)

Der Vorsitzende: Dr. Bader

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