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Urteil vom 28.03.2023 · IWW-Abrufnummer 235561

Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern - Aktenzeichen 2 Sa 133/22

1. Der Tarifvertrag zur Führung von Langzeitkonten für die Arbeitnehmer verschiedener Unternehmen des DB Konzerns (Lzk-TV) vom 15.12.2017, in Kraft getreten am 01.01.2018, ist in seinen maßgeblichen tariflichen Regelungen dahin auszulegen, dass eine Gutschrift auf dem Langzeitkonto einen vorhandenen tatsächlichen Wert zum Übertragungszeitraum voraussetzt, welcher das Wertguthaben erhöht.

2. Im ruhenden Arbeitsverhältnis kommt den Urlaubsansprüchen kein Geldwert zu, um welchen der Wertbetrag des Langzeitkontos erhöht werden könnte, weil der Urlaubsanspruch im ruhenden Arbeitsverhältnis zwar entstanden ist, er jedoch nicht durch Freistellung von der Arbeitsleistung realisiert werden kann und damit praktisch "wertlos" ist.

3. Die Tarifvertragsparteien haben in § 40 Abs. 3 des Funktionsgruppenspezifischen Tarifvertrages für Tätigkeiten der Funktionsgruppe 3 - Bahnbetrieb und Netze - verschiedener Unternehmen des DB Konzerns (FGr 3-TV) vom 12.12.2016, in Kraft getreten am 01.04.2017, eine eigenständige Regelung zur Befristung des Erholungsurlaubs getroffen, die erkennbar von § 7 Abs. 3 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) abweicht und deshalb nicht den Befristungsregeln, die für den gesetzlichen Mindesturlaub gelten, unterliegt (LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 04.05.2021 - 5 Sa 264/20 - Rn. 45, juris).


Tenor:1. Auf die Berufungen der Beklagten werden die Urteile des Arbeitsgerichts Stralsund, Kammern Neubrandenburg, vom 12.07.2022 zu den Aktenzeichen 13 Ca 448/20 und 13 Ca 141/21 abgeändert und die Klagen abgewiesen.2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Übertragung von tariflichen Mehrurlaubstagen in das Langzeitkonto der Klägerin. Die dazu vor dem Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern zum Az. 2 Sa 133/22 und 2 Sa 134/22 geführten Berufungsverfahren sind zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung miteinander verbunden worden, wobei das Verfahren mit dem Az. 2 Sa 133/22 führt.

Die im Juni 1965 geborene Klägerin ist seit 1982 gem. schriftlichen Arbeitsvertrags (Bl. 7 ff. d. A.) bei der Beklagten zuletzt als Fahrdienstleiterin beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden kraft Tarifbindung sowie arbeitsvertraglicher Inbezugnahme unter anderem der Funktionsgruppenspezifische Tarifvertrag für Tätigkeiten der Funktionsgruppe 3 -Bahnbetrieb und Netze - verschiedener Unternehmen des DB Konzerns (FGr 3-TV) vom 12.12.2016, in Kraft getreten am 01.04.2017, sowie der Tarifvertrag zur Führung von Langzeitkonten für die Arbeitnehmer verschiedener Unternehmen des DB Konzerns (Lzk-TV) vom 15.12.2017, in Kraft getreten am 01.01.2018, Anwendung.

§ 40 FGr 3-TV regelt u.a.:

"§ 40

Urlaub

(1) Der Erholungsurlaub der Arbeitnehmer beträgt 28 Urlaubstage im Urlaubsjahr. Er erhöht sich ab einer Betriebszugehörigkeit von 5 Jahren um einen Urlaubstag und ab einer Betriebszugehörigkeit von 10 Jahren um einen weiteren Urlaubstag.

...

(3) Kann der Erholungsurlaub wegen Arbeitsunfähigkeit oder aus betrieblichen Gründen nicht im laufenden Urlaubsjahr abgewickelt werden, ist er bis spätestens 6 Monate nach Ende des Urlaubsjahres abzuwickeln.

...

(5) Allgemeine Grundsätze:

...

3. Nach einer Kündigung erhalten die Arbeitnehmer den noch nicht gewährten Urlaub während der Kündigungsfrist. Soweit sie nicht ausreicht, ist der Urlaub abzugelten. Ist das Arbeitsverhältnis durch Verschulden des Arbeitnehmers aus einem Grund beendet worden, der eine fristlose Kündigung rechtfertigt, entfällt die Abgeltung für den Teil des Urlaubsanspruchs, der über den gesetzlichen Mindesturlaub nach § 3 BurlG hinausgeht."

Der Lzk-TV lautet unter anderem:

"Präambel

Gemeinsames Ziel der Tarifvertragsparteien ist die Schaffung eines neuen Instruments zur individuellen Lebensarbeitszeitgestaltung. Dem Arbeitnehmer soll dadurch eine flexible Anpassung an persönliche Notwendigkeiten, insbesondere aber ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem aktiven Erwerbsleben oder eine Freistellung zum Zwecke der beruflichen Qualifizierung ermöglicht werden.

...

§ 2

Langzeitkonto

(1) Das Langzeitkonto ist Teil des Lohnkontos und wird eingerichtet, sofern vereinbarungsgemäß die erste Gutschrift entsteht oder nachdem aufgrund einer tarifvertraglichen Regelung Gutschriften anfallen. Das Langzeitkonto dient der Abwicklung von zukünftigen Freistellungszeiten unter Fortzahlung von Arbeitsentgelt, das durch tatsächliche Arbeitsleistung vor der Freistellungsphase erdient wird.

(1) Zur Abwicklung der Ansprüche aus dem Langzeitkonto wird für jeden Arbeitnehmer ein in Geldwerten geführtes Wertguthaben gebildet.

...

§ 4

Gutschriften

(1) Dem Wertguthaben können alle aus einer steuerpflichtigen Beschäftigung angesparten Arbeitsentgelte, alle Arbeitszeiten, denen Arbeitsentgelt nach § 14 SGB IV zugrunde liegt sowie über den gesetzlichen Mindesturlaub hinausgehende tarifvertragliche Urlaubsansprüche, für die ein Anspruch auf Urlaubsentgelt nach den jeweils maßgeblichen tarifvertraglichen Bestimmungen besteht, zugeführt werden (Arbeitnehmer SV-Bruttoentgelt).

Das sind:

a)

Gutschriften aus der Einbringung zukünftig zu leistender Arbeitszeit, sofern dies in unternehmensbezogenen Tarifverträgen vorgesehen ist.

Zeitguthaben werden mit dem Stundensatz, der sich aus den jeweiligen tarifvertraglichen Entgeltbestimmungen zum Zeitpunkt der tarifvertraglich geregelten Übertragung des Zeitguthabens in das Langzeitkonto ergibt, in ein Geldguthaben umgerechnet und als Geldwert gutgeschrieben.

...

c)

Gutschriften aus der Erbringung eines über den gesetzlichen Mindesturlaub nach § 3 Abs. 1 BUrlG und § 125 SGB IX hinausgehenden tarifvertraglichen Anspruchs auf Erholungsurlaub oder Zusatzurlaub (z. B. Zusatzurlaub für Schicht- und/oder Nacharbeit).

Voraussetzung für die Einbringung nach Unterabs. 1 ist, dass der tarifvertragliche Anspruch auf die Urlaubstage zum Zeitpunkt der Einbringung besteht und eine Freistellung aufgrund des Urlaubsanspruchs noch nicht erfolgte.

Zeitguthaben aus Urlaubstagen werden mit dem Stundensatz, der sich zum Zeitpunkt der Übertragung aus den jeweiligen tarifvertraglichen Bestimmungen zum Urlaubsentgelt ergibt, in ein Geldguthaben umgerechnet und als Geldwert dem Langzeitkonto gutgeschrieben.

Erholungsurlaubsansprüche nach Unterabs. 1 aus dem laufenden Urlaubsjahr können frühestens ab Juli des laufenden Urlaubsjahres übertragen werden.

...

(3) Der Arbeitnehmer muss seinen Antrag auf Einbringung von Entgeltansprüchen (Abs. 1 Buchst. b) oder von Urlaubsansprüchen (Abs. 1 Buchst. c) mindestens drei Wochen vor dem ersten des Monats, zu dem die neu vereinbarte Einbringung erstmals durchgeführt werden soll, gegenüber dem Arbeitgeber schriftlich geltend machen. Die Mindesteinbringung beträgt für Einmalzahlungen 120,00 € und bei Vereinbarung monatlich regelmäßiger Einbringung 10,00 €.

...

§ 5

Freistellung

(1) Der Arbeitnehmer hat einen Anspruch auf Freistellung von der Arbeitspflicht, soweit die Freistellung durch das aus seinem Wertguthaben fällige Arbeitsentgelt (Entgeltguthaben) finanziert werden kann."

Seit dem 02.07.2018 ist die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt. Ab dem 01.02.2019 bezieht sie eine zunächst bis zum 30.04.2020 befristete, später bis zum 30.04.2022 verlängerte, befristete Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.

Auf den klägerischen Antrag vom 19.02.2020 schrieb die Beklagte 16 Urlaubstage mit einem Wert von 2.457,24 € nebst einem Zuschlag von 123,24 € dem klägerischen Langzeitkonto gut, teilte der Klägerin jedoch mit Schreiben vom 28.07.2020 mit, dass diese Gutschrift rückabgewickelt werde, da wegen des Ruhens des Arbeitsverhältnisses ein Anspruch auf Urlaubsentgelt nicht bestehe. Die Beträge wurden sodann unter dem 18.08.2020 wieder ausgebucht.

Die Klägerin beantragte unter dem 16.02.2021 die Übertragung des tariflichen Mehrurlaubs für das Jahr 2020 und unter dem 27.01.2022 die Übertragung des tariflichen Mehrurlaubs für das Jahr 2021. Die Beklagte verweigerte dies.

Mit ihren Klagen erstrebt die Klägerin die Verurteilung der Beklagten, ihrem Langzeitkonto Gutschriften bzgl. des sich für die Jahre 2019, 2020 und 2021 ergebenen tarifvertraglichen Mehrurlaubs zuzufügen.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, da sie fristgerecht Anträge auf Übertragung des Urlaubs gestellt habe, müsse eine Gutschrift auf dem Langzeitkonto erfolgen. Der Urlaubsanspruch sei auch im ruhenden Arbeitsverhältnis in den jeweiligen Jahren mit einem Entgeltzahlungsanspruch entstanden. Ein Urlaubsanspruch habe immer einen Geldwert, der in das Langzeitkonto übertragbar sei. Deshalb verlange § 4 Lzk-TV auch nur das Bestehen des Anspruchs zum Zeitpunkt der Einbringung und das Fehlen einer Freistellung aufgrund des Urlaubsanspruchs. Zudem sei der Urlaubsanspruch nicht verfallen. Aus den tariflichen Regelungen ergebe sich vielmehr ein Gleichlauf von gesetzlichem und tariflichem Urlaub. Da tariflich keine Verfallfrist geregelt sei, verfalle der tarifliche Mehrurlaub genauso wie der gesetzliche Mindesturlaub. Bei der Auslegung der maßgeblichen tariflichen Normen sei zunächst der Wortlaut das entscheidende Kriterium. Soweit § 2 Abs. 1 Lzk-TV auf eine tatsächliche Arbeitsleistung abstelle, sei dies im Kontext zu § 4 Abs. 1 Lzk-TV zu lesen. Danach sei über den gesetzlichen Mindesturlaub hinausgehender tariflicher Urlaub als Wertguthaben übertragbar, für den ein Anspruch auf Urlaubsentgelt nach den jeweils maßgeblichen tarifvertraglichen Bestimmungen bestehe. Unstreitig entstehe ein Anspruch auf tariflichen Mehrurlaub auch während eines Bezugs von Rente wegen Erwerbsminderung. Dann habe er aber auch einen entsprechenden Wert. Der Wortlaut unter § 4 c Unterabs. Lzk-TV sei eindeutig und benenne als einzige Voraussetzungen, dass der Urlaubsanspruch bestehe und eine Freistellung noch nicht erfolgt sei. Es könne auch systematisch nicht richtig sein, dass ein Arbeitsnehmer, der eine befristete Erwerbsminderungsrente beziehe, nur die Möglichkeit habe, nach Rückkehr den bereits während des Bezugs der Rente entstandenen Urlaubsanspruch zu nehmen, während ein Arbeitnehmer, der durchgängig seiner Tätigkeit nachgegangen sei, die Wahl habe, ob er den tariflichen Mehrurlaub anspare oder beanspruche. Dieses Wahlrecht von vornherein abzusprechen, sei daher verfehlt und lasse sich aus dem Wortlaut des Tarifvertrages nicht herleiten.

Die Klägerin hat beantragt:

1. Die Beklagte zu verurteilen, weitere 16 Urlaubstage aus dem Jahr 2019 mit einem Wert von 2457,24 € zuzüglich eines Zuschlages 123,24 € in das Langzeitkonto einzustellen (Az.: 2 Sa 133/22).

2. Die Beklagte zu verurteilen, weitere 16 Urlaubstage aus dem Jahr 2020 mit einem Wert von 2560,49 € in ihr Langzeitkonto einzustellen (Az.: 2 Sa 134/22).

3. Die Beklagte zu verurteilen, weitere 22 Urlaubstage aus dem Jahr 2021 mit einem Wert von 3573,67 € in das Langzeitkonto der Klägerin einzustellen (Az.: 2 Sa 134/22).

Die Beklagte hat beantragt,

die Klagen abzuweisen.

Die Beklagte hat die erhobenen Ansprüche auf Gutschrift geleugnet und eingewandt, der Lzk-TV rette einen ansonsten vom Verfall bedrohten Urlaubsanspruch nicht. Gegen eine Übertragung spreche der Wortlaut sowie der Sinn und Zweck des Lzk-TV und auch der Wille der Tarifvertragsparteien. Darüber hinaus wäre eine Übertragung auch nicht sachgerecht. Gegen die Übertragbarkeit spreche sich bereits der Wortlaut des § 2 Abs. 1 S. 1 Lzk-TV aus. Danach diene das Langzeitkonto der Abwicklung von zukünftigen Freistellungszeiten und der Fortzahlung von Arbeitsentgelt, "das durch tatsächliche Arbeitsleistung vor der Freistellungsphase erdient wird". Der Wortlaut ziele eindeutig darauf ab, den Arbeitnehmer aufgrund von tatsächlich bewirkter Arbeitsleistung im Gegenzug zu entlasten. Infolge Ruhens des Arbeitsverhältnisses und der damit verbundenen Suspendierung der Hauptleistungspflichten schulde der Arbeitgeber kein Entgelt und somit auch kein Urlaubsentgelt. Ein Anspruch auf Einbringung von Urlaubstagen bestehe deshalb nicht, weil die Klägerin zu den maßgeblichen Zeitpunkten über keinen Anspruch auf Urlaubsentgelt verfügt habe. Dieses Ergebnis stimme mit § 4 Abs. 1 c) 3. Abs. Lzk-TV überein, welcher den Geldwert von eingebrachten Urlaubstagen regle. Hiernach würden Zeitguthaben aus Urlaubstagen mit dem Stundensatz, der sich zum Zeitpunkt der Übertragung aus den jeweiligen tarifvertraglichen Bestimmungen zum Urlaubsentgelt ergebe, in ein Geldguthaben umgerechnet und als Geldwert dem Langzeitkonto gutgeschrieben. Da sich aufgrund der Suspendierung der Hauptleistungspflichten jedoch kein entsprechendes Urlaubsentgelt errechne, bestehe kein Geldwert, der dem Langzeitkonto gutgeschrieben werden könne. Eine Übertragung habe vielmehr den Wert von 0 €.

Der Anspruch auf Urlaubsentgelt lebe erst mit Eintreten der gegenseitigen Hauptleistungspflichten wieder auf, sofern er nicht zwischenzeitlich bereits verfallen sei. Sei der Anspruch in der Zwischenzeit verfallen, könne eine Einbringung ins Langzeitkonto nach Aufleben der Hauptleistungspflichten nicht mehr erfolgen. Die Einbringung von Urlaubstagen in das Langzeitkonto sei systematisch mit der Einbringung von angesparten Arbeitsentgelten zu vergleichen. Es solle etwas "angespart" werden. So sei es auch bei dem Arbeitnehmer, der den tariflichen Mehrurlaub nicht in Anspruch nehme, sondern auf ihn verzichte, ihn also "anspare". Ein Erwerbsunfähigkeitsrente Beziehender könne sich weder entscheiden, diesen Urlaub zu nehmen noch diesen anzusparen. Eine Sparleistung, welche der Tarifvertrag voraussetze, könne mithin nicht erbracht werden.

Sinn und Zweck des Langzeitkontos sei es auch nicht, Urlaub vor dem Verfall zu bewahren. Dies entspreche nicht dem Willen der Tarifvertragsparteien. Dieser gehe vielmehr dahin, dass der Arbeitnehmer über die Wahlmöglichkeit verfüge müsse, Urlaub entweder zu nehmen oder seinen Wert ins Langzeitkonto einzubringen. Der Arbeitgeber solle dem Arbeitnehmer nicht ohne Gegenleistung etwas "schenken". Dies wäre jedoch der Fall, wenn der Arbeitgeber Urlaubsansprüche, die eigentlich dem Verfall unterliegen, dem Langzeitkonto zuführen würde. Es habe mit dem Tarifvertrag keine "Zusatzleistung" des Arbeitgebers festgelegt werden sollen, sondern es handele sich vielmehr um eine im Synallagma stehende Leistungsaustauschoption. Ruhe das Arbeitsverhältnis, sei diese synallagmatische Verbindung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, welche Grundlage das Langzeitkontos bilde, ausgesetzt.

Die von der Klägerin gewünschte Übertragung würde dazu führen, dass Arbeitnehmer unterschiedlich behandelt würden. So müssten Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis nicht ruhe, auf Urlaubstage im konkreten Anspruchszeitraum verzichten, um sie ins Langzeitkonto einzubringen. Demgegenüber könne ein Arbeitnehmer im ruhenden Arbeitsverhältnis den Urlaubsanspruch nicht realisieren und deshalb auch nicht auf ihn verzichten. Er würde gegenüber dem arbeitenden Arbeitnehmer ungerechtfertigt bevorzugt. Auch werde der Klägerin das Wahlrecht nach Wiederaufleben der Hauptleistungspflichten nicht abgesprochen. Nach ihrer Rückkehr ins Arbeitsverhältnis habe sie die Möglichkeit, noch nicht verfallenden Urlaub zu realisieren oder ihn in das Langzeitkonto zu übertragen, soweit dieser nicht bereits verfallen ist.

Das Arbeitsgericht hat den Klagen stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, Urlaubsansprüche, welche unstreitig auch während des Ruhens des Arbeitsverhältnisses entstehen, seien nach Auslegung des Tarifvertrages nicht von der Möglichkeit der Gutschrift auf das Langzeitkonto ausgenommen. Es handle sich nach dem klaren Wortlaut um "Urlaubsansprüche, für die ein Anspruch auf Urlaubsentgelt nach den jeweils maßgeblichen tarifvertraglichen Bestimmungen besteht". Diese seien gegebenenfalls von Tagen unbezahlter Freistellung (Sonderurlaub) abzugrenzen.

Die Anwendung des Tarifvertrages sei auch nicht teleologisch zu reduzieren. Die streitgegenständlichen Urlaubsansprüche würden sich von anderen Urlaubsansprüchen nämlich im Kontext des Tarifvertrages nicht in einer Weise als unverdient oder als verzichtslos entstanden abheben, die es rechtfertigen könnte, sie ohne ausdrückliche Regelung aus dem Kreis der "Gutschriften aus Erholungsurlaub und Zusatzurlaub" herauszunehmen. Die Urlaubsansprüche hätten daher auch einen Geldwert und seien mit dem Betrag des Urlaubsentgelts zuzüglich eines Zuschlags in das Langzeitkonto einzustellen.

Die Beklagte hat gegen das ihr in den Verfahren 2 Sa 133/22 und 2 Sa 134/22 am 01.09.2022 zugestellte Urteil jeweils mit am 13.09.2022 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese Berufungen mit am 01.12.2022 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsätzen begründet.

Hierzu führt die Beklagte an, das Arbeitsgericht habe verkannt, dass ein Anspruch auf Einbringung von Urlaubstagen mit einem Geldwert nicht bestehe und weder den Wortlaut des § 2 Abs. 1 Lzk-TV noch den des § 4 Abs. 1 Ziffer c), 3. Abs. Lzk-TV beachtet. Das Arbeitsgericht habe übersehen, dass der Urlaubsanspruch nicht nur entstanden sein, sondern auch einen Geldwert aufweisen müsse, um dem Langzeitkonto zuführbar sein zu können. An der zweiten Voraussetzung fehle es vorliegend. Eine Übertragung setze voraus, dass der Urlaub zum Zeitpunkt der Übertragung geltend gemacht werden könne, was im ruhenden Arbeitsverhältnis nicht möglich sei, und dass ihm zum Zeitpunkt der Übertragung ein Geldwert zukomme. Vorliegend habe ein Geldwert von 0 € bestanden und der Urlaubsanspruch habe deshalb auch allenfalls mit diesem Betrag in das Langzeitkonto eingebracht werden können. Richtigerweise bestehe vorliegend jedoch bereits kein Anspruch auf Einbringung von Urlaubstagen in das klägerische Langzeitkonto. Es sei vielmehr ein Anspruch auf Einbringung von Urlaubstagen ins Langzeitkonto gemäß § 4 Abs. 1 Lzk-TV nur für die Urlaubstage vorgesehen, für die ein Anspruch auf Urlaubsentgelt bestehe. Insoweit sei der Zeitpunkt der Einbringung entscheidend. Da während des Bezugs einer Erwerbsunfähigkeitsrente die Hauptleistungspflichten suspendiert seien, könne ein Urlaubsanspruch nicht realisiert werden und es bestehe somit kein Anspruch auf Urlaubsentgelt. Es sei daher auch kein Geldwert vorhanden, der in das Langzeitkonto eingebracht werden könnte. Aus dem Tarifvertrag ergebe sich ein an keiner Stelle der Zweck des Langzeitkontos, einen ansonsten nach allgemeinen gültigen Regeln verfallenden Urlaubsanspruch besonders zu schützen. Es gehe vielmehr um das Zusammenspiel von Leistung und Gegenleistung der Arbeitsvertragsparteien. Es sei vernünftig und sachgerecht, die Möglichkeit der Überführung von Urlaubstagen ins Langzeitkonto mit der Möglichkeit der tatsächlichen Inanspruchnahme des Urlaubs gleichzusetzen. Eine andere Auslegung würde zu Ungleichheiten zwischen den Arbeitnehmern führen.

Die Beklagte beantragt:

1. Das Urteil des Arbeitsgerichts Stralsund vom 12.07.2022, 13 Ca 448/20 wird abgeändert und die Klage abgewiesen.

2. Das Urteil des Arbeitsgerichts Stralsund vom 12.07.2022, 13 Ca 141/21 wird abgeändert und die Klage abgewiesen.

Die Klägerin beantragt:

die Berufungen der Beklagten vom 13.09.2022 werden zurückgewiesen.

Die Klägerin verteidigt die erstinstanzlichen Entscheidungen und führt an, der Lzk-TV knüpfe für die Möglichkeit einer Gutschrift lediglich an zwei Voraussetzungen an, nämlich daran, dass der tarifvertragliche Anspruch auf Urlaubstage zum Zeitpunkt der Einbringung besteht und eine Freistellung aufgrund des Urlaubs noch nicht erfolgte. Diese Voraussetzungen seien vorliegend erfüllt. Der Tarifvertrag differenziere nicht danach, ob Urlaub genommen werden könne oder nicht. Da der Wortlaut eindeutig sei, kämen weitere Auslegungskriterien nicht zum Tragen. Es sei zu berücksichtigen, dass Urlaubsansprüche gerade nicht "erdient" werden, sondern auch ohne Arbeitsleistung entstehen. Anders als die Beklagte annehme, komme ihrem Urlaubsanspruch auch nicht lediglich ein Wert von "0" € zu. Der Wert lasse sich vielmehr nach tariflichen Bestimmungen, wie unter § 4 Abs. 1 c Lzk-TV ausgeführt, ermitteln. Sie sei ebenso eingruppiert und finde sich in Entgelttabellen wieder, wie aktive Mitarbeiter. Für die Annahme der Beklagten, die Einbringung von Urlaub in das Langzeitkonto sei vergleichbar mit der Inanspruchnahme von Urlaub, fehlten jegliche tarifliche Anhaltspunkte.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die von ihnen eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen, die Sitzungsniederschriften, die streitbefangenen erstinstanzlichen Entscheidungen verwiesen.

Entscheidungsgründe

Auf die Berufungen der Beklagten waren die arbeitsgerichtlichen Entscheidungen abzuändern und die Klagen abzuweisen, denn die zulässigen Berufungen sind begründet. Es besteht kein Anspruch der Klägerin auf die geforderten Gutschriften zum Langzeitkonto.

I.

Die statthaften Berufungen (§ 64 Abs. 2b ArbGG) der Beklagten sind form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet worden und damit insgesamt zulässig (§§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

II.

Die Berufungen sind erfolgreich. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, der Klägerin wegen ihres tariflichen Mehrurlaubs der Jahre 2019, 2020 und 2021 Gutschriften auf das Langzeitkonto zu erbringen, weil den Urlaubsansprüchen im ruhenden Arbeitsverhältnis kein Geldwert zukommt, um welchen der Wertbetrag des Langzeitkontos erhöht werden könnte. Eine Übertragung dieser Urlaubsansprüche in das Langzeitkonto scheidet deshalb aus. Die Auslegung der maßgeblichen tariflichen Regelungen ergibt, dass eine Gutschrift einen vorhandenen Wert zum Übertragungszeitraum voraussetzt, welcher das Wertguthaben erhöht.

1.

Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften. Dabei sind der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben noch Zweifel, können weitere Kriterien berücksichtigt werden. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt (BAG, Urteil vom 11.11.2020 - 4 AZR 210/20 - Rn. 20, juris).

Bereits der Wortlaut der maßgeblichen tariflichen Bestimmungen verdeutlicht, dass Gutschriften einen tatsächlichen Wert aufweisen müssen, um das Wertguthaben erhöhen zu können. Dies trifft auf Urlaubsansprüche für die Dauer des Ruhens eines Arbeitsverhältnisses nicht zu, weil sie in einem ruhenden Arbeitsverhältnis zwar entstanden sind, jedoch nicht realisiert werden können, sie damit praktisch "wertlos" sind. Sie können erst nach Beendigung des Ruhens des Arbeitsverhältnisses tatsächlich in Anspruch genommen werden und ihnen kommt deshalb erst zu diesem Zeitpunkt (wieder) ein Wert zu, wenn sie zu diesem Zeitpunkt nicht bereits verfallen sind.

So bestimmt § 4 Abs. 1 Lzk-TV im Grundsatz was dem Wertguthaben zugeführt werden kann, nämlich "alle aus einer steuerpflichtigen Beschäftigung angesparten Arbeitsentgelte, alle Arbeitszeiten, denen Arbeitsentgelt nach § 14 SGB IV zu Grunde liegt sowie über den gesetzlichen Mindesturlaub hinausgehende tarifvertragliche Urlaubsansprüche, für die ein Anspruch auf Urlaubsentgelt nach den jeweils maßgeblichen tarifvertraglichen Bestimmungen besteht". Im Klammerzusatz ist ausdrücklich das "Arbeitnehmer SV-Bruttoentgelt" genannt. Dieser Wortlaut verdeutlicht, dass ein "Entgeltanspruch" zur Gutschrift gebracht werden kann. Dabei handelt es sich entweder um einen "Entgeltanspruch" aus tatsächlich erbrachter Arbeitsleistung im weiteren Sinn oder um einen Entgeltanspruch wegen Urlaubs. Im Weiteren werden die Gutschriften in den Unterabsätzen näher erläutert.

So ist unter § 4 Abs. 1a) vorgesehen, dass Zeitguthaben mit dem Stundensatz, der sich aus den jeweiligen tarifvertraglichen Entgeltbestimmungen zum Zeitpunkt der tarifvertraglich geregelten Übertragung ergibt, in ein Geldguthaben umgerechnet und als Geldwert gutgeschrieben werden. Auch hierin wird verdeutlicht, dass eine Umrechnung des Zeitfaktors in einen Wertfaktor erfolgt. Gleiches gilt für Urlaubsansprüche nach § 4 Abs. 1c) Lzk-TV. Zutreffend weist die Klägerin darauf hin, dass hierunter als Voraussetzungen für die Einbringung vorgesehen sind, dass der tarifliche Anspruch auf die Urlaubstage zum Zeitpunkt der Einbringung besteht und eine Freistellung aufgrund des Urlaubsanspruchs noch nicht erfolgte. Allerdings wird mit der Nennung dieser 2 Voraussetzungen in § 4 Abs. 1c) Satz 2 Lzk-TV die Notwendigkeit eines vorhandenen Wertes nicht ausgedrückt. Der Klägerin ist jedoch nicht darin beizupflichten, dass es sich um die einzigen 2 Voraussetzungen handelt, denn das Erfordernis des Bestehens eines Anspruchs auf Urlaubsentgelt ist bereits im Oberabsatz § 4 Abs. 1 Lzk-TV genannt. Unter der in § 4 Abs. 1, Satz 2 Lzk-TV enthaltenen allgemeinen Definition der Gutschriften ist die Anforderung des Bestehens eines Anspruchs auf Urlaubsentgelt ausdrücklich vorausgesetzt und damit ebenfalls als weiteres Erfordernis niedergelegt. Hierin wird deutlich, dass ein tatsächlicher Wert zur Einbringung in das Langzeitkonto gefordert wird. Dieses wird durch den nächsten Satz bestätigt, indem § 4 Abs. 1c) Satz 3 Lzk-TV bestimmt, dass Zeitguthaben aus Urlaubstagen mit dem Stundensatz, der sich zum Zeitpunkt der Übertragung aus den jeweiligen tariflichen Bestimmungen zum Urlaubsentgelt ergibt, in ein Geldguthaben umgerechnet und als Geldwert dem Langzeitkonto gutgeschrieben werden. Auch hierin wird ausgedrückt, dass das Zeitguthaben einen tatsächlichen Geldwert aufweisen muss, um eine Gutschrift erwirken zu können.

Ebenso wird aus der Formulierung "mit dem Stundensatz, der sich zum Zeitpunkt der Übertragung aus den jeweiligen tarifvertraglichen Bestimmungen zum Urlaubsentgelt ergibt" deutlich, dass zum Zeitpunkt der Übertragung im Falle der tatsächlichen Inanspruchnahme des Urlaubs in Form der Freizeitgewährung unter fortlaufender Vergütungszahlung ein Anspruch auf Zahlung von Urlaubsentgelt gegeben sein muss. Ein solcher liegt jedoch nur dann vor, wenn der Urlaub in Form der Freistellung von der Arbeitsleistung auch tatsächlich realisiert werden kann. Ist eine Freizeitgewährung nicht möglich, entsteht auch kein Anspruch auf Urlaubsentgelt. Deshalb kann im ruhenden Arbeitsverhältnis kein Urlaubsentgelt fällig werden. Die aus dem Wortlaut insbesondere des § 4 Abs. 1 sowie § 4 Abs. 1c) Lzk-TV sich ergebende Verbindung von Gutschrift und Urlaubsentgelt verdeutlicht, dass zum Zeitpunkt der Übertragung in das Langzeitkonto ein tatsächlicher Wert vorhanden sein muss, ein lediglich fiktiver nicht ausreichend ist. Dies wird durch die Wortwahl im Übrigen "steuerpflichtigen Beschäftigung", "angesparten Arbeitsentgelte", alle Arbeitszeiten, denen Arbeitsentgelt ... zu Grunde liegt", "Urlaubsansprüche, für die ein Anspruch auf Urlaubsentgelt ... besteht", "Zeitguthaben ... in ein Geldguthaben umgerechnet und als Geldwert gutgeschrieben", "Zeitguthaben aus Urlaubstagen ... in ein Geldguthaben umgerechnet und als Geldwert dem Langzeitkonto gutgeschrieben" sowie "die Mindesteinbringung beträgt für Einmalzahlungen 120,00 € und bei Vereinbarung monatlich regelmäßiger Einbringung 10,00 €" bestätigt. Gutschriften muss somit nach dem klaren Wortlaut der tariflichen Regelungen ein tatsächlicher Wert im Zeitpunkt der Übertragung in das Langzeitkonto, welches ein Wertguthaben bildet, zukommen. Erst mit der Erfüllung von Urlaubsansprüchen entsteht ein Anspruch auf Urlaubsentgelt. Bis zu seiner tatsächlichen Inanspruchnahme ist der Urlaubsanspruch zwar mit dem Anspruch auf Urlaubsentgelt "gedeckt" bzw. "hinterlegt", dieser ist jedoch mit der Realisierung des Freistellungsanspruchs zur Erfüllung des Urlaubsanspruchs verbunden. Im ruhenden Arbeitsverhältnis entsteht zwar ein Urlaubsanspruch, die Ansprüche auf Freistellung zur Urlaubsgewährung und Zahlung von Urlaubsentgelt "ruhen" im ruhenden Arbeitsverhältnis jedoch ebenso bzw. sind ebenso suspendiert, wie der Beschäftigungs- und der Vergütungsanspruch. Ein ruhender Entgeltanspruch kann jedoch dem Langzeitkonto nicht eingebracht werden.

Dies wird durch Sinn und Zweck der tariflichen Regelungen bestätigt. Bereits in der Präambel ist ausgedrückt, dass dem Arbeitnehmer eine flexible Anpassung an persönliche Notwendigkeiten ermöglicht werden soll, insbesondere ein vorzeitiges Ausscheiden oder eine Freistellung zu Qualifizierungszwecken. Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 Lzk-TV "dient" das Langzeitkonto der Abwicklung von zukünftigen Freistellungszeiten unter Fortzahlung von Arbeitsentgelt, das durch tatsächliche Arbeitsleistung vor der Freistellungsphase erdient wird. Die Freistellung soll dem Arbeitnehmer damit nicht zusätzlich bzw. ohne Gegenleistung gewährt werden, sondern der Arbeitnehmer stellt über sein Langzeitkonto ein Wertguthaben zur Verfügung, mit welchem das zu zahlende Entgelt während der Freistellung beglichen werden kann.

Dieser geforderte "Wert" kommt einem Urlaubsanspruch in einem ruhenden Arbeitsverhältnis jedoch nicht zu. Unstreitig entsteht in einem solchen wegen des befristeten Bezugs einer Erwerbsunfähigkeitsrente ein Urlaubsanspruch, er kann jedoch nicht realisiert und in Form der Freistellung von der Arbeitspflicht genutzt werden, mit der Folge, dass er nicht mit einem Anspruch auf Urlaubsentgelt verwirklicht werden kann. Sinn und Zweck des Tarifvertrages ist es jedoch, dass der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Übertragung von Urlaubsansprüchen die Wahlmöglichkeit hat, entweder Urlaub durch Freistellung von der Arbeitspflicht gegen Zahlung einer Urlaubsvergütung, also eines Urlaubsentgelts, zu erhalten oder auf die Freistellung und damit den Bezug von Urlaubsentgelt zu verzichten und den sich dafür ergebenden Wert als Gutschrift dem Langzeitkonto zukommen zu lassen. Diese Wahlmöglichkeit besteht im ruhenden Arbeitsverhältnis nicht, weil in diesem die Arbeitspflicht des Arbeitnehmers suspendiert ist und deshalb keine Freistellung von dieser Pflicht erfolgen kann.

Die Freistellung des Arbeitnehmers kann gemäß § 5 Lzk-TV geschehen, soweit die Finanzierung der Freistellung aus dem Wertguthaben möglich ist, das fällige Arbeitsentgelt aus dem Entgeltguthaben des Arbeitnehmers finanziert werden kann. Danach bildet die Freistellung keine zusätzliche Leistung des Arbeitgebers, sondern wird durch den Arbeitnehmer selbst mit seinem Wertguthaben aus dem Langzeitkonto finanziert. Eine solche Finanzierung durch den Arbeitnehmer kann jedoch lediglich dann erfolgen, wenn der Arbeitnehmer werthaltiges Entgelt in das Langzeitkonto eingebracht hat.

Wenn der Tarifvertrag die Urlaubsansprüche zur Einbringung vorsieht, für welche ein Anspruch auf Urlaubsentgelt nach den maßgeblichen tarifvertraglichen Bestimmungen besteht, bildet dies folglich nicht nur lediglich eine Abgrenzung etwa von "unbezahlten" Sonderurlaubsansprüchen, sondern es geschieht eine Abgrenzung zu allen Urlaubsansprüchen, denen kein tatsächlicher Wert in Form eines Entgelts zukommt, welcher dem Wertkonto zugeführt werden könnte.

2.

Die Klägerin verfügt für die Jahre 2019, 2020 und 2021 über keine Urlaubsansprüche, für die ein Anspruch auf Urlaubsentgelt besteht und deshalb über keine Werte, welche in das Langzeitkonto eingebracht werden könnten, um das damit bestehende Wertguthaben zu erhöhen. Der erforderliche Wert war weder zum auf den klägerischen Antrag maßgeblichen tariflich vorgesehenen Zeitpunkt der Gutschrift vorhanden noch könnte er wieder aufleben, denn er ist mit dem Anspruch auf tariflichen Mehrurlaub verfallen.

Soweit die Beklagte dem klägerischen Langzeitkonto auf den Antrag vom 19.02.2020 16 Urlaubstage aus dem Jahr 2019 mit einem Wert von 2.457,24 € und einem Zuschlag von 123,24 € gutgeschrieben hatte, mit Schreiben vom 28.07.2020 die Rückabwicklung der Gutschrift angekündigt wurde, ist die Ausbuchung dieser Beträge am 18.08.2020 zu Recht erfolgt. Der Urlaubsanspruch für das Jahr 2019, welcher über den gesetzlichen Mindesturlaub als tariflicher Mehrurlaub hinausgeht, konnte wegen des Ruhens des Arbeitsverhältnisses bis zum Zeitpunkt der hier getroffenen Entscheidung nicht durch Gewährung der Befreiung von der Arbeitspflicht realisiert und somit nicht gutgeschrieben werden und ist nach § 40 Abs. 3 FGr 3-TV verfallen.

Nach dieser Norm ist Erholungsurlaub, der wegen Arbeitsunfähigkeit nicht im laufenden Urlaubsjahr abgewickelt werden kann, bis spätestens 6 Monate nach Ende des Urlaubsjahres abzuwickeln. Dies bedeutet, dass der klägerische Urlaub aus dem Jahr 2019 spätestens bis zum 30.06.2020 hätte genommen werden müssen. Da dies nicht der Fall ist und der Urlaub auch nicht in das Langzeitkonto eingebracht werden konnte, ist der Anspruch erloschen.

Die Tarifvertragsparteien haben in § 40 Abs. 3 FGr 3-TV eine eigenständige Regelung zur Befristung des Erholungsurlaubs getroffen, die erkennbar von § 7 Abs. 3 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) abweicht und deshalb nicht den Befristungsregeln, die für den gesetzlichen Mindesturlaub gelten, unterliegt (LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 04.05.2021 - 5 Sa 264/20 - Rn. 45, juris).

Der Verfall des tariflichen Mehrurlaubs der Klägerin richtet sich nicht nach denselben Maßstäben wie der Verfall des gesetzlichen Mindesturlaubs, weil die Tarifvertragsparteien diesbezüglich keinen Gleichlauf gewollt haben, sondern eine eigenständige Regelung für den tariflichen Mehrurlaub gilt. Dementsprechend setzt der Verfall des tariflichen Mehrurlaubs nicht voraus, dass der Arbeitgeber die für den gesetzlichen Mindesturlaub geltenden Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten auch hinsichtlich des tariflichen Mehrurlaubs beachtet. Auch weicht § 40 Abs. 3 FGr 3-TV erheblich von dem gesetzlichen Fristenregime des § 7 Abs. 3 BUrlG ab. Die Tarifvertragsparteien haben sowohl den Übertragungszeitraum abweichend vom Bundesurlaubsgesetz um 3 Monate verlängert als auch die Übertragungsgründe unterschiedlich gefasst. Obwohl in § 40 Abs. 3 FGr 3-TV nicht ausdrücklich erwähnt wird, dass der Urlaub spätestens 6 Monate nach dem Ende des Urlaubsjahres "verfällt" oder "erlischt", ist mit der Formulierung "abzuwickeln" ein Erlöschen verdeutlicht. Damit wird ausgedrückt, dass der Urlaub zu diesem Zeitpunkt erledigt sein soll. Die Tarifvertragsparteien haben folglich aufgezeigt, dass sie nach diesem Zeitpunkt nicht vom Fortbestand eines Anspruchs auf tariflichen Mehrurlaubs ausgehen.

Nicht nur die klägerischen Urlaubsansprüche aus den Jahre 2019, sondern ebenfalls die Urlaubsansprüche der Jahre 2020 und 2021 sind während des Ruhens des Arbeitsverhältnisses wegen des befristeten Bezugs von Erwerbsunfähigkeitsrente erloschen. Gemäß § 40 Abs. 3 FGr 3-TV ist der Urlaubsanspruch für das Jahr 2019 mit Ablauf des 30.06.2020 verfallen, der Urlaubsanspruch aus dem Jahr 2020 mit Ablauf des 30.06.2021 und der Urlaubsanspruch für das Jahr 2021 mit Ablauf des 30.06.2022. Aufgrund ihres Verfalls können die Ansprüche auch nach Ablauf des befristeten Rentenbezugs nicht wieder in ihrer Realisierbarkeit aufleben. Damit ist ein Anspruch auf Gutschrift zum Langzeitkonto wegen dieser Urlaubsansprüche nicht gegeben.

Nach allem waren die Klagen abzuweisen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Klägerin hat als unterlegene Partei die Kosten sowohl des erstinstanzlichen Verfahrens wie auch des Berufungsverfahrens zu tragen.

Die Revision ist gemäß § 72 Abs. 2 Ziffer 1 ArbGG zugelassen worden. Vorliegend ist die Auslegung tariflicher Regelungen maßgebend, wobei sich der Geltungsbereich des Tarifvertrags über den Bezirk des hier zur Entscheidung berufenen Landesarbeitsgerichts hinausgehend erstreckt.

Vorschriften